Fusionsschiff Nautilus

Das Schiff war ursprünglich ein Frachter mit dem seltsamen Namen Lubbock Lights gewesen und hatte im Asteroidengürtel gekreuzt, um von den Felsenratten geschürftes Erz an Bord zu nehmen und zu den Fabriken im Erdorbit und auf dem Mond zu transportieren. Dann hatten Lars Fuchs und seine bunt zusammengewürfelte Crew aus Exilanten es übernommen und in Nautilus umgetauft — nach dem fiktiven Unterseeboot des rachsüchtigen Captain Nemo.

Im Lauf der Jahre hatte Fuchs das Raumschiff verändert. Es hatte zwar noch immer die Form einer Hantel und rotierte an einem Kabel aus Buckminsterfulleren, um der Besatzung ein Gefühl der Schwerkraft zu vermitteln. Und es vermochte noch immer Tausende Tonnen Erz zwischen den Auslegerbügeln zu transportieren. Doch nun war es auch mit fünf starken Lasern bestückt, die Fuchs als Waffen einsetzte. Und es war mit dünnen Platten aus Asteroiden-Kupfer gepanzert, die im Abstand von ein paar Zentimetern über der Hülle des Schiffs montiert waren und einen Infrarot-Laserstrahl für mindestens eine Sekunde zu absorbieren vermochten. Der Fusionsantrieb der Nautilus gehörte zu den leistungsstärksten im ganzen Gürtel. Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit waren das A und O für ein Piratenschiff.

In der engen Brücke des Schiffs beugte Fuchs sich über die Lehne des Pilotensitzes und schaute grimmig auf die Scanner-Anzeige.

»Es ist wirklich nur ein Frachter«, sagte Amarjagal, seine Pilotin. Sie war eine korpulente, stoische Frau mongolischer Abstammung und arbeitete mit Fuchs zusammen, seit er vom Bergbaucenter auf Ceres geflohen und ein Leben als Exilant und Pirat begonnen hatte.

»Mit einem Besatzungsmodul?«, fragte Fuchs spöttisch.

Nodon, der Bordingenieur, gehörte auch von Anfang an zu Fuchs' Freibeuter-Truppe. Er war spindeldürr, nur Haut und Knochen, hatte einen kahl rasierten Schädel und spiralige Narben von rituellen Tätowierungen auf beiden Wangen. Ein martialischer schwarzer Mongolen-Schnurrbart zierte das Gesicht, doch die dunkelbraunen Augen waren ausdrucksvoll, geradezu seelenvoll.

»Ein Besatzungsmodul bedeutet, dass das Schiff Proviant mitführt«, sagte er, während er das Bild auf dem Monitor betrachtete.

»Und medizinische Vorräte«, ergänzte Amarjagal.

»Was wir beides gut gebrauchen könnten«, sagte Nodon.

Fuchs schüttelte bedächtig den Kopf. »Das könnte auch eine Falle sein.«

Keines der beiden Besatzungsmitglieder erwiderte etwas darauf. Sie schauten sich nur stumm an.

Fuchs trug wie immer einen schwarzen Pullover und eine formlose schwarze Hose. Er war ein kleiner Bär von einem Mann mit kurzen Gliedmaßen und einer Tonnenbrust, der immer finster dreinschaute und dessen Zorn nicht zu besänftigen war. Hass stand ihm in sein breites Gesicht mit den Hängebacken geschrieben; die Lippen waren zu Strichen zusammengepresst, die Mundwinkel hingen ständig herunter, und die tief in den Höhlen liegenden Augen schweiften in Fernen, die den anderen verborgen blieben. Er sah aus wie ein Dachs oder Vielfraß — klein, aber ungemein gefährlich.

Seit fast einem Jahrzehnt war Lars Fuchs nun schon ein Pirat, ein Ausgestoßener, ein Renegat, der durch die weite Leere des Gürtels kreuzte und Schiffen auflauerte, die sich im Besitz von Humphries Space Systems befanden.

Einst hatte er sich für den glücklichsten Mann im ganzen Sonnensystem gehalten. Als verliebter Student war er mit dem ersten bemannten Forschungsschiff in den Asteroiden-Gürtel geflogen und hatte dann die schönste Frau geheiratet, die er je gesehen hatte: Amanda Cunningham. Doch dann war er in den Kampf um die Reichtümer des Gürtels verstrickt worden — ein Mann ganz allein gegen Martin Humphries, den reichsten Mann im Sonnensystem und seine von Humphries Space Systems gedungenen Mörder. Als die HSS-Söldner ihn schließlich in die Enge getrieben hatten, flehte Amanda Humphries an, sein Leben zu verschonen.

Humphries ließ Gnade walten, aber auf die grausamste Art und Weise, die man sich nur vorzustellen vermochte. Fuchs wurde von Ceres verbannt, der einzigen ständigen Siedlung im Gürtel, und Amanda ließ sich von ihm scheiden und heiratete Humphries. Sie war der Preis für Fuchs' Leben gewesen. Seitdem streifte Fuchs wie ein Fliegender Holländer durch die weite, dunkle Leere des Gürtels: Er mied menschliche Ansiedlungen, lebte im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Felsenratte und suchte manchmal unter den Asteroiden an der Peripherie des Gürtels nach Metallerzen und Mineralien, die er dann schürfte und an Fabrikschiffe verkaufte.

Und immer wieder attackierte er HSS-Frachter wie ein Habicht, der auf eine Taube herabstößt. Er nahm sich von ihnen die Vorräte, die er brauchte, stahl das Erz, das sie transportierten, und verkaufte es unter der Hand an andere Felsenratten, die den Gürtel durchstreiften. Es war eine ziemlich armselige Art und Weise, seine Selbstachtung zu bewahren, indem er sich sagte, dass er noch immer ein Stachel in Humphries' Fleisch war. Zwar nur ein kleiner Dorn, aber das war für ihn die einzige Chance, nicht den Verstand zu verlieren. An sich griff er nur automatisierte Drohnen-Frachter an, die Erzladungen zum Erde/Mond-System beförderten, doch oft genug attackierte er auch bemannte Schiffe. Fuchs sah sich selbst zwar nicht als einen Killer, aber hin und wieder vergoss er auch Blut.

Wie damals, als er die Basis der HSS-Leute auf Vesta auslöschte.

Nun schaute er mit gerunzelter Stirn auf die Abbildung des sich nähernden Frachters mit dem angeflanschten Besatzungsmodul.

»Unsere Vorräte gehen zur Neige«, sagte Nodon mit leiser Stimme, die fast schon ein Flüstern war.

»Sie werden auch nicht viel dabeihaben«, murmelte Fuchs.

»Aber vielleicht genug, dass wir und der Rest der Besatzung für ein paar Wochen über die Runden kommen.«

»Vielleicht. Wir könnten uns dann noch mehr Vorräte von einem Versorgungsschiff holen.«

Nodon senkte leicht den Kopf. »Ja, das stimmt.«

Trotz seines Namens ist der Asteroidengürtel eine breite Schneise der Leere zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Sie wird von Millionen kleiner, kalter und dunkler Metall- und Gesteinsbrocken ausgefüllt, die um die Sonne taumeln: Überreste von der Entstehung des Sonnensystems. Der größte Körper, Ceres, durchmisst kaum tausend Kilometer. Die meisten Asteroiden haben aber nur die Größe von Felsbrocken, Kieselsteinen und Staubflocken. Schutt, sagte Fuchs sich. Materiebrocken, die sich nie zu einem Planeten vereinigt hatten. Überreste. Der Müll Gottes.

Der ›Müll‹ war jedoch ein Schatz für die verzweifelte, Not leidende Menschheit. Die Erde war vom Klimakollaps schwer getroffen worden, einem Treibhauseffekt, der seit ein paar Jahrzehnten verheerende Auswirkungen hatte. Gletscher schmolzen, der Meeresspiegel stieg an, weltweit wurden Küstenstädte überflutet, die globale Stromversorgung brach zusammen, Hunderte Millionen Menschen verloren ihre Heimat, ihre berufliche Existenz und sogar das Leben. Ackerland wurde durch anhaltende Dürre zur Wüste; Wüsten verwandelten sich durch Wolkenbrüche in Sümpfe, und schwere Stürme suchten überall die verängstigten und verhungernden Flüchtlinge heim.

Im fernen Asteroidengürtel gab es Metalle und Mineralien im Überfluss. Rohstoffe, die den Förderungsausfall auf der Erde ausglichen. Die im Erdorbit und auf dem Mond erbauten Fabriken waren von diesen Rohstoffen abhängig. Die Rettung der geschundenen Erde lag in den Ressourcen und der Energie des Weltraums.

Fuchs verschwendete jedoch kaum einen Gedanken an all das. Er konzentrierte sich vielmehr auf den Frachter, der durch den Gürtel pflügte und gemächlich Kurs aufs innere Sonnensystem nahm, in Richtung der Erde.

»Wenn eine Besatzung an Bord ist, wieso fliegen sie dann auf einer Hohmann-Bahn? Wieso zünden sie nicht das Fusionstriebwerk und beschleunigen in Richtung Erde?«

»Vielleicht sind die Triebwerke ausgefallen«, sagte Amarjagal, ohne von der Steuerkonsole aufzuschauen.

»Sie senden aber keinen Notruf.«

Darauf sagte die Pilotin nichts.

»Wir könnten das Schiff anfunken«, schlug Nodon vor.

»Und es auf uns aufmerksam machen?«, knurrte Fuchs.

»Wenn wir sie sehen, sehen sie uns auch.«

»Dann funken wir sie eben an.«

»Sie senden nichts außer den normalen Telemetriedaten und ID-Signalen«, sagte Amarjagal.

»Wie lauten Name und Kennung des Schiffs?«

Die Pilotin machte eine paar Tastatureingaben auf der Konsole, und die Daten überlagerten die Abbildung des Schiffs: John C. Frémont, Eigner und Betreiber Humphries Space Systems.

Fuchs holte tief Luft. »Wir müssen von hier verschwinden«, sagte er und packte mit seiner großen Hand die Schulter der Pilotin. »Das Schiff ist eine Falle.«

Amarjagal warf einen Blick auf den Bordingenieur, der auf dem Sitz rechts neben ihr saß, und nahm wie geheißen eine Kursänderung vor. Der Schub der Fusionstriebwerke des Schiffs erhöhte sich, und die Nautilus tauchte tiefer in den Gürtel ein.


An Bord der John C. Frémont beobachtete Dorik Harbin den Radarschirm auf der Steuerkonsole; die eisblauen Augen waren auf das Bild von Fuchs' Schiff gerichtet, das in der riesigen Leere des Asteroidengürtels verschwand.

Sein Gesicht war das eines klassischen Kriegers: hohe Wangenknochen, schmale Auger, ein schwarzer Vollbart und dichtes schwarzes Haar, das ihm ins Gesicht fiel. Sein grauer Overall trug das HSS-Logo über der linken Brusttasche und Rangabzeichen an den Ärmeln; er trug den Overall wie eine Militäruniform — nicht nur sauber, sondern rein und mit messerscharfen Bügelfalten. Aber es lag ein gehetzter, gequälter Ausdruck in diesen gletscherkalten Augen. Er schlief nur, wenn er sich partout nicht mehr wach zu halten vermochte, und selbst dann brauchte er noch Beruhigungsmittel, um die Albträume zu vertreiben, die ihn verfolgten.

Doch nun lächelte er — fast. Er hatte früher schon ein paar Mal die Klingen mit Fuchs gekreuzt, und der gerissene Outlaw war ihm immer wieder entkommen. Nur einmal war er seiner habhaft geworden, doch dazu hatte er eine kleine Söldner-Armee gebraucht. Und selbst dann hatte Humphries Fuchs am Leben gelassen. Harbin hatte nämlich erfahren, dass Humphries hinter Fuchs' Frau her war.

Nun hatte Humphries Harbin jedoch den Befehl erteilt, Fuchs zu suchen und zu töten. Aber unauffällig. Draußen in der Kälte und Finsternis des Gürtels, von wo die Nachricht vom Tode des Mannes erst nach vielen Monaten, vielleicht sogar erst nach Jahren an die Öffentlichkeit dringen würde. Also jagte Harbin seiner Beute allein hinterher. So war es ihm auch am liebsten. Andere Menschen machten nur Ärger und weckten Erinnerungen und Sehnsüchte, an die er lieber nicht rührte.

Harbin schüttelte den Kopf und fragte sich, was Humphries eigentlich umtrieb.

Es ist wohl besser, wenn du es nicht weißt, sagte er sich. Du hast schließlich selbst genügend Leichen im Keller, um dir für den Rest des Lebens Albträume zu bescheren. Da musst du nicht auch noch bei anderen Leuten herumschnüffeln.

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