Erzfrachter Scranton

Chick Egan stellte mit gelindem Erstaunen fest, dass ein Schiff sich mit hoher Geschwindigkeit der Scranton näherte. Der Erzfrachter hatte den inneren Bereich des Gürtels fast schon verlassen und nahm Kurs auf Selene. Er beförderte im Auftrag der Astro Corporation eine Ladung Asteroidenmetall. Astros Leute versteigerten auf dem Gütermarkt in Selene Metall in rauen Mengen und hofften, einen so hohen Preis zu erlösen, dass sie wenigstens einen minimalen Gewinn dabei erzielten.

Egan saß quer auf dem Pilotensitz und ließ die Beine über die Armlehne baumeln. Er hatte gerade mit seinem Partner ›Zep‹ Zepopoulous darüber gesprochen, dass es ratsam sei, die alte, lahme Scranton mit einer Laserwaffe zu bestücken.

»Macht ungefähr so viel Sinn, als ob man dem Weihnachtsmann einen Revolver gibt«, widersprach Zep. Er war ein schlanker, drahtiger Grieche mit pechschwarzem Haar und Schnurrbart. »Wir sind im Transportgeschäft und nicht bei der kämpfenden Truppe.«

Egans strohblondes Haar war militärisch kurz geschoren. »Ja, aber alle anderen Schiffe werden auch mit Lasern aufgerüstet. Zur Selbstverteidigung.«

»Dieser Kahn ist das Verteidigen nicht wert«, erwiderte Zep und wies mit ausladender Geste auf das enge, schäbige Cockpit mit den verschrammten Luken und speckig glänzenden Sitzen. »Wenn jemand unsere Fracht haben will, rücken wir sie eben raus und lassen den Schaden von der Versicherung regulieren.«

»HSS ist hinter Astro-Schiffen her«, sagte Egan. »Und umgekehrt.«

»Wir stehen nur für diesen einen Flug bei Astro unter Vertrag. Beim nächsten Mal könnten wir bei HSS einsteigen.«

»Sam Gunn bewaffnet auch alle seine Schiffe«, entgegnete Egan. »Astro, HSS und viele der Unabhängigen.«

»Sollen sie nur«, sagte Zepopoulous. »Der Tag, an dem ich anfange, Waffen zu tragen, ist der Tag, an dem ich diesen Seelenverkäufer verlasse und nach Naxos zurückgehe.«

»Was davon noch übrig ist.«

»Der Meeresspiegel hat sich nun stabilisiert, sagt man. Ich werde ein Fischer wie mein Vater.«

»Und hungern wie dein Vater.«

In diesem Moment sprach das Radar an. Beide Männer schauten auf den Schirm und sahen ein Schiff mit hoher Geschwindigkeit sich nähern.

»Wer, zum Teufel, ist das?«, fragte Zep. Der Bildschirm zeigte nur Leere, wo normalerweise die Namen eines Schiffs und Eigners erschienen wäre.

»Lars Fuchs?«, mutmaßte Egan.

»Was sollte er mit einer Erzladung anfangen? Wir sind kein HSS-Schiff, und wir haben keine Vorräte, die er gebrauchen könnte.«

Nervös geworden, drehte Egan sich zum Funkgerät um. »Hier ist die Scranton. Ein Unabhängiger auf dem Weg nach Selene. Bitte identifizieren Sie sich.«

Die Antwort war ein Laserschuss, der ein Loch in die Hülle des Cockpits bohrte. Der letzte Gedanke von Egan war, dass er sich wünschte, er hätte die Scranton bewaffnet, damit er wenigstens im Kampf gestorben wäre.


George Ambrose hörte sich die Berichte in düsterem Schweigen an. Die sechs anderen Mitglieder des Regierungsrats von Ceres, die um den ovalen Konferenztisch saßen, schauten sogar noch finsterer. Acht Schiffe zerstört im letzten Monat. Kampfschiffe, die in Selene gebaut und von Astro und Humphries Space Systems in den Gürtel entsandt worden waren.

»Es sind über zwei Dutzend Schiffe im Orbit um die HSS-Basis auf Vesta«, sagte das Ratsmitglied, das für die Beziehungen zu den beiden großen Konzernen verantwortlich war. Sie war eine Walküre von Frau mit sandfarbenem Haar und einem schönen, fast aristokratischen Gesicht, das deplatziert wirkte auf dem großen, muskulösen Körper.

»Jeder trägt Waffen«, sagte das Ratsmitglied, das neben ihr saß.

»Es ist verdammt gefährlich da draußen«, pflichtete die Frau auf der anderen Seite des Tisches ihm bei.

»Was mich beunruhigt«, sagte der am Kopfende des Tisches sitzende Buchhalter, »ist, dass durch diese Kämpfe Schiffe daran gehindert werden, ihr Erz an die Käufer auszuliefern.«

Der Buchhalter war ein rotgesichtiger, froschäugiger und übergewichtiger Mann, der für gewöhnlich ein freundliches Lächeln im Gesicht hatte. Doch nun wirkte er besorgt, fast grimmig.

»Unsere Wirtschaft«, fuhr er fort, »beruht auch auf dem Geschäft, das die Bergleute machen. Wenn dieses Geschäft in den Keller geht, werden wir auch wirtschaftlich in die Bredouille kommen, und zwar verdammt schnell.«

»Noch schlimmer«, sagte die Walküre. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis einer der Konzerne — entweder Astro oder HSS — versucht, unser Habitat zu übernehmen und es zu ihrer Basis zu machen.«

»Und wer auch immer sich Chrysallis schnappt«, sagte der Buchhalter, »der jeweils andere wird versuchen, es ihm wieder abzunehmen.«

»Oder sie vernichten uns gleich.«

Big George stieß einen schweren Seufzer aus. »Wir können uns hier keinen Kampf leisten. Sie würden uns alle töten.«

Alle Anwesenden drehten sich zu ihm um. Sie mussten kein Wort sagen; George kannte die Frage schon, auf die sie eine Antwort wollten. Was können wir in dieser Sache unternehmen?

»Ganz recht«, sagte er. »Ich werde eine Nachricht an Astro und Humphries senden. Und nach Selene.« Mit einer Kopie an Doug Stavenger, ergänzte er stumm.

»Eine Nachricht?«

»Was willst du ihnen denn sagen?«

»Ich werde allen sagen, dass wir in diesem Krieg, den sie führen, strikt neutral sind«, erwiderte George. »Wir wollen damit nichts zu tun haben. Wir werden weiterhin Vorräte verkaufen und Reparatur- und Wartungseinrichtungen für jeden bereitstellen, der sie nutzen will — HSS, Astro, Unabhängige und wer sonst noch.«

Die um den Tisch versammelten Leute wechselten Blicke.

»Kriegsschiffe werden wir aber nicht abfertigen. Von keiner Seite. Nur Bergbauschiffe, Prospektoren, Logistik-Schiffe und dergleichen. Kriegsschiffen werden wir nicht mal eine Rolle Toilettenpapier liefern.«

»Eine Neutralitätsbekundung«, sagte der Buchhalter.

»Glaubst du, das wird genügen?«

»Was können wir sonst noch tun?«

»Das Habitat bewaffnen und bereit sein, gegen jeden zu kämpfen, der uns zu übernehmen versucht.«

George schüttelte gewichtig den Kopf. »Dieses Habitat ist wie eine Eierschale. Wir können nicht kämpfen. Wir würden alle dabei umkommen.«

»Wir könnten das Habitat panzern«, schlug die Walküre vor. »Die Außenhülle mit pulverisiertem Gestein überziehen, wie ein paar Kriegsschiffe es schon getan haben.«

»Das würde das Unvermeidliche nur hinauszögern«, sagte George. »Schon ein halbes Dutzend Schiffe könnte uns zu Klump schießen.«

»Eine Neutralitätserklärung«, wiederholte jemand.

»Glauben Sie, dass es funktionieren würde?«

George breitete die großen Hände aus. »Hat irgendjemand eine bessere Idee?« Schweigen senkte sich über den Konferenzraum.


George entwarf die Erklärung in den nächsten vierundzwanzig Stunden mit der Hilfe eines Assistenten, der vor der Ankunft im Gürtel Historiker gewesen war. Der Rat trat wieder zu einer Krisensitzung zusammen, zerriss den Entwurf in der Luft und schrieb ihn mehrmals um, bis schließlich eine Endfassung herauskam, die fast in jedem Satz mit Georges ursprünglichem Entwurf übereinstimmte. Erst dann erklärte der Rat sich bereit, George die Erlaubnis zu erteilen, die Erklärung an Pancho Lane von Astro, Martin Humphries von HSS und an den Regierungsrat von Selene zu senden. George fügte eine Kopie für Douglas Stavenger hinzu und leitete die Erklärung dann an die Medien in der Erde/Mond-Region weiter.

In den darauf folgenden Tagen war Big George Ambrose eine kleine Medienattraktion. Durch Ceres' Neutralität wurde den meisten Menschen auf der geschundenen alten Erde überhaupt erst bewusst, dass es Krieg im Weltraum gab: einen stillen, heimlichen Krieg, der weit weg in den dunklen und kalten Tiefen des Asteroidengürtels stattfand.

Für ein paar Tage war der Asteroiden-Krieg das Top-Thema in den Nachrichtennetzen, wenn auch kein Manager von Humphries Space Systems oder der Astro Corporation geneigt war, ein Interview oder auch nur einen Kommentar abzugeben. Sam Gunn, Kodderschnauze und unabhängiger Unternehmer, hätte bestimmt viel zu sagen gehabt, aber die Medien wurden durch Gunns frühere flammende Anklagen der Schandtaten der großen Konzerne abgeschreckt. Nobuhiko Yamagata erklärte sich indes zu einem kurzen Interview bereit, hauptsächlich um sein Bedauern auszudrücken, dass draußen im Gürtel Menschen ihr Leben ließen.

Dann erschütterte ein starkes Erdbeben die kalifornische Küste und löste Erdrutsche aus, die wiederum Tsunamis verursachten, die durch den Pazifik liefen, Hawaii verwüsteten und mehrere polynesische Atolle überspülten. Japan rechnete mit dem Schlimmsten, doch die hydraulischen Puffer, die Yamagata gebaut hatte — und für die er verlacht worden war —, absorbierten so viel von der Energie der Tsunamis, dass die japanischen Großstädte von größeren Zerstörungen verschont blieben. Der Asteroidenkrieg rutschte auf der Rangliste der täglichen Meldungen der Nachrichten-Netzwerke auf den zweiten Platz ab. Und nach einer Woche war er nur noch eine Randnotiz — vor allem deshalb, weil er weit entfernt von der Erde stattfand und keine unmittelbaren Konsequenzen für die auf der Erde ansässigen Nachrichten-Produzenten hatte.

George Ambrose erhielt schließlich eine persönliche Nachricht von Douglas Stavenger. Sie war zwar nur kurz, aber sie enthielt mehr, als George zu hoffen gewagt hatte.

Stavenger saß in seinem komfortablen Heim in Selene am Schreibtisch und sagte nur: »George, ich pflichte Ihnen bei, dass Chrysallis durch die Kämpfe im Gürtel gefährdet ist. Bitte lassen Sie mich wissen, was wir — Selene oder ich — für Sie tun können.«

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