»Vernichtet?«, fragte Pancho mit einem plötzlichen Gefühl der inneren Leere.
»Sämtliche Schiffe«, sagte Jake Wanamaker. »Keine Überlebenden.« Er wirkte düster und niedergeschlagen.
»Was ist geschehen?«
Wanamaker stand vor ihrem Schreibtisch wie jemand, der einem Exekutionskommando gegenübersteht. Pancho erhob sich und bedeutete ihm, auf einem der bequemen Polsterstühle Platz zu nehmen, die um den kleinen ovalen Tisch in der Ecke des Büros arrangiert waren. Zittrig und mit weichen Knien ging sie zum Tisch und setzte sich neben ihren militärischen Befehlshaber.
»Wir sind nicht sicher. Wir erhielten ein kurzes Signal, dass sie kleine Asteroiden — ein paar von ihnen nicht größer als eine Männerfaust — einsetzten, um Gormleys Schiffe zu rammen.«
»Wie war das überhaupt möglich?«, fragte Pancho.
»Sie haben die Felsen mit Plasmaraketen und einfachen Steuersystemen bestückt«, sagte Wanamaker. »Es hat nicht viel dazu gebraucht. Sie mussten die Felsbrocken nur auf eine sehr hohe Geschwindigkeit beschleunigen und mit unseren Schiffen kollidieren lassen. Wie ein Schrotschuss auf Papiertüten.«
»Und sie sind alle tot?«
Wanamaker nickte düster.
»Mein Gott«, sagte Pancho sich. Dreizehn Schiffe. Etwa hundertfünfzig Menschen.
»Ich glaube, dass ich meinen Rücktritt anbieten sollte«, sagte Wanamaker.
Pancho funkelte ihn an. »Aufgeben?«
Er zuckte zusammen, als ob sie ihn geschlagen hätte. »Nein. Aber nach einer solchen Niederlage … werden Sie wahrscheinlich einen besseren Mann als Feldherrn wollen.«
»Nein, ich will Sie, Jake«, sagte Pancho und schüttelte entschieden den Kopf. »Wir haben zwar eine Schlacht verloren, aber noch nicht den Krieg.«
Ich will, dass du die militärischen Operationen weiterhin anführst. Aber ich werde mich nun dieses gottverdammten Kriegs annehmen. Militärisch ist Humphries uns mit der Überzahl an Söldnern und Schiffen und der größeren Erfahrung möglicherweise überlegen. Aber man kann einen Krieg auf vielerlei Art führen.
»Ich werde nicht aufgeben«, sagte sie zu Wanamaker. »Was mich betrifft, so hat dieser Krieg gerade erst begonnen.«
»Ich habe auch noch nicht begonnen zu kämpfen«, murmelte er.
»Diesen Ausspruch habe ich schon einmal gehört«, sagte Pancho. »John Paul Jones, stimmt's?«
Wanamaker nickte.
»Okay. Sie rekrutieren noch mehr Söldner, ich werde noch mehr Schiffe kaufen. Vorläufig hat Humphries die Oberhand im Gürtel. Er wird alle Astro-Schiffe angreifen, die er dort draußen findet, und versuchen, uns ganz aus dem Gürtel zu vertreiben.«
»Bilden Sie Geleitzüge.«
»Geleitzüge?«
»Lassen Sie sie nicht allein fliegen. Stellen Sie Gruppen zusammen. Es ist schwieriger, eine Formation aus bewaffneten Schiffen anzugreifen als ein einzelnes Schiff.«
»Das ergibt Sinn«, stimmte Pancho zu. »Ich werde das sofort veranlassen.«
»Ich glaube, dass die Yamagata Corporation uns mit zuverlässigen Söldnern zu versorgen vermag.«
»Gut. Rekrutieren Sie welche.«
Es dauerte einen Moment, bis Wanamaker begriff, dass er wegtreten durfte. Es wurde ihm erst bewusst, als Pancho den Stuhl vom Konferenztisch zurückschob und aufstand. Er sprang auf und wollte salutieren; dann fasste er sich und errötete leicht.
»Ich habe noch viel Arbeit zu erledigen«, sagte er, als ob er um Verzeihung bitten wollte, weil er den Raum verließ.
»Ich auch«, sagte Pancho.
Wanamaker ging, und Pancho kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück. Sie rief die Positionsmeldungen der Astro-Schiffe ab und die Positionen von Humphries Schiffen. Eine Hologramm-Darstellung des riesigen Raums zwischen der Erde und dem Gürtel nahm in der Luft über dem Schreibtisch Gestalt an — eine dunkle Weite mit flackernden stecknadelkopfgroßen Lichtpunkten, die die Positionen der Schiffe markierten: Astro in Blau, HSS in Rot. Zwischen Erde und Mond gab es eine größere Schiffskonzentration; Pancho blendete sie aus, um das dreidimensionale Bild übersichtlicher zu gestalten.
Verdammt, gibt es viel Rot im Gürtel, sagte sie sich. Und das sind nur die, von denen wir wissen. Der Stecher hat wahrscheinlich noch viel mehr da draußen im Gürtel, die ohne telemetrische und Identifikationssignale unterwegs sind, die die IAA auffangen könnte.
Sie wies den Computer an, die Erzfrachter, Logistikschiffe und Schiffe zu identifizieren, die Bergleute zu bestimmten Asteroiden beförderten. Dann fügte sie die ›Freien‹, die Prospektoren und Bergleute hinzu, die auf eigene Rechnung und unabhängig von den großen Konzernen arbeiteten.
Minuten wurden zu Stunden, während sie die Lage studierte. Der Stecher ist uns im Gürtel zahlenmäßig zwei- bis dreimal überlegen, sah Pancho. Er hat seine Flotte dort schon seit Jahren aufgebaut. Wir müssen das aufholen.
Aber wieso sollten wir überhaupt nach ihren Spielregeln spielen, fragte sie sich. Wir haben uns mit Gormley daran gehalten und die Quittung dafür bekommen.
Sie lehnte sich auf dem weichen, gepolsterten Bürostuhl zurück und schloss kurz die Augen. Welchen Zweck erfüllen all diese Schiffe im Gürtel? Sie sollen Erz zu den Fabriken auf der Erde, im Erdorbit und hierher nach Selene bringen, beantwortete sie ihre eigene Frage.
Sie schaute wieder auf das Hologramm-Bild. Flackernde rote Punkte, die HSS-Schiffe darstellten, waren über den ganzen Gürtel verteilt und konzentrierten sich besonders um Vesta. Und ein Rinnsal roter Punkte durchzog den Raum zwischen dem Gürtel und der Erde/Mond-Region.
Sie werden die Güter hierher bringen müssen, sagte Pancho sich. Das ist der einzige Grund, die Asteroiden überhaupt auszubeuten. Wenn wir ihre Schiffe abfangen, die in Richtung Erde fliegen, werden wir Humphries am Geldbeutel treffen, ihm den Cashflow abdrehen und seine Profite auf null reduzieren.
Sie setzte sich auf dem Bürostuhl gerade hin und sagte laut: »So machen wir es! Soll er den Gürtel fürs Erste beherrschen. Wir werden ihn daran hindern, das Erz auf den Markt zu bringen.«
Wir brauchen keine Marinetaktik, wurde sie sich bewusst. Wir brauchen keine Kämpfe zwischen Kriegsschiff-Flotten. Was wir brauchen, ist eher eine Piratenhorde. Wie der alte Klaus Störtebeker mit seinen Mannen. Seeräuber. Piraten.
Und zufällig kannte sie den Mann, der eine solche Mission durchzuführen in der Lage war. Lars Fuchs.
»Sie alle?«, fragte Humphries, als ob die Nachricht zu gut sei, um wahr zu sein.
Vicki Ferrer lächelte nicht, aber der zufriedene Ausdruck auf ihrem Gesicht sprach Bände. Sie freute sich, ihrem Chef eine gute Nachricht zu überbringen.
»Jedes Astro-Schiff wurde zerstört«, wiederholte sie.
Sie waren allein in der großen Bibliothek/Bar im Erdgeschoss von Humphries' Herrenhaus — abgesehen von dem robotischen Barkeeper, der sich in Bereitschaft hielt. Sein glänzender rostfreier Stahl reflektierte das Licht der Deckenlampen.
»Sind Sie sicher?«, fragte Humphries.
»Der Bericht kam direkt vom Yamagata-Team. Ihre Idee, die Felsbrocken zu verwenden, war ein voller Erfolg. Die Astro-Flotte ist direkt hineingeflogen. Keine Überlebenden.«
»Das verlangt nach Champagner!« Humphries schritt zur Bar. Der Roboter bewegte sich nicht. »Barkeeper! Champagner!«, rief Humphries leicht gereizt wegen der Trägheit der Maschine.
Der glänzende, von einer Kuppel gekrönte Roboter rollte seitwärts an der Bar entlang und hielt exakt am Wein-Kühler an. Zwei schlanke Arme wuchsen aus dem zylindrischen Körper, öffneten den Kühler und zogen eine Flasche Veuve Cliquot heraus. Dann rollte der Robot zu Humphries zurück und hielt ihm die Flasche so hin, dass er das Etikett prüfen konnte.
»Fein«, sagte Humphries. »Öffne die Flasche und lass mich verkosten.«
»Wie findet er eigentlich die richtige Flasche?«, fragte Ferrer, kam zu ihm herüber und setzte sich auf den Hocker neben ihm. Obwohl es für die meisten Menschen schon Zeit zum Abendessen war, trug sie noch immer die Bürokleidung — ein Minirock-Kostüm in Babyrosa, das ihrer kurvenreichen Figur schmeichelte.
»Er hat einen Sensor in jeder Hand«, sagte Humphries und schaute zu, wie die Maschine die Flasche entkorkte. Wenn er die Pulle fallen lässt, sagte Humphries sich, werde ich ihn verschrotten.
Der Korken kam mit einem angemessen lauten Knall heraus, und der Roboter stellte zwei Champagner-Flöten vor Humphries auf die Bar. Dann schenkte er einen Fingerbreit ein, damit Humphries verkosten konnte.
Humphries schmeckte, nickte und sagte dem Robot, er solle einschenken. Als das Glas voll war, hob er es und prostete Ferrer zu: »Auf den Sieg!«
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Auf den Sieg«, murmelte sie.
»Wir treiben sie vor uns her«, sagte Humphries glücklich. »Bald werde ich Astro ganz aus dem Gürtel vertrieben haben!«
Ferrer lächelte wieder und nahm einen Schluck. Dreizehn zerstörte Schiffe, sagte sie sich. Wie viele Menschen wir wohl getötet haben? Wie viele werden noch sterben müssen, bevor es zu Ende ist?