Trotz des ziemlich pompösen Titels war das Nachrichten-Mediazentrum kaum mehr als eine Büroflucht mit normalgroßen Räumen — die meisten davon mit Sendeausrüstung angefüllt — und einem geräumigen Studio, das groß genug war, mehrere Videos gleichzeitig zu produzieren.
Edith Stavenger wartete ungeduldig neben der Doppeltür des Studios, während die Kamera-Crew die letzte Sequenz eines Schulungsvideos für die neuen Softsuits abdrehte. Eine Frau, die im wirklichen Leben einen Traktor an der Oberfläche fuhr, fungierte als ›Model‹ und demonstrierte, mit welcher Leichtigkeit man den Anzug anlegen und die Vorderseite schließen konnte.
Vor vielen Jahren war Edith Stavenger noch Edie Elgin gewesen und hatte als Nachrichtenkorrespondentin in Texas gearbeitet — damals, als die Mannschaft für die erste menschliche Expedition zum Mars trainiert wurde. Während des kurzen, fast unblutigen Unabhängigkeitskampfs des Mondes war sie als Reporterin dorthin geflogen. Sie hatte Douglas Stavenger geheiratet und war nicht zur Erde zurückgekehrt. Sie hatte noch die dynamische, jugendliche Schönheit einer Cheerleaderin mit goldblondem Haar und einem strahlenden Lächeln, bei dem sie schöne weiße Zähne zeigte. Durch Verjüngungstherapien, die von Hautzellen-Regenerierung bis Hormonbehandlung reichten, hatte sie noch immer einen klaren Blick und ein agiles Auftreten. Man munkelte, dass sie sich — wie ihr Ehemann — Nanomaschinen hätte spritzen lassen, doch das hatte Edith nicht nötig; Zell-Biochemie war ihr Jungbrunnen.
Sie hatte eine Zeit lang als Medienintendantin von Selene gearbeitet, war dann aber auf Betreiben ihres Mannes als Beraterin in den Vorruhestand gegangen. Doug Stavenger wollte nämlich keine Dynastien in der politischen oder sozialen Struktur von Selene, und Edith stimmte darin mit ihm überein. Also füllte sie die Stelle als Beraterin aus und versuchte sich nach Möglichkeit aus dem Nachrichten-Geschäft von Selene herauszuhalten.
Nun hatte sie aber einen Grund, sich einzuschalten, und vermochte es kaum noch zu erwarten, dass der Medienintendant die Szene beendete, bei der er persönlich Regie führte.
Das junge Model nahm den Kugelhelm ab und drückte das durchsichtige aufblasbare Gewebe zusammen. Dann öffnete sie den Softsuit, pellte ihn von den Armen und ließ ihn mit den Hüften wackelnd an sich heruntergleiten. Sie wäre sogar erotisch, sagte Elgin sich, wenn sie nicht diesen Overall trüge.
Schließlich war die Szene im Kasten. Die Crew schaltete die tragbaren Kameras aus, und der Medienintendant drehte sich um und ging zur Tür.
»Edie!«, rief er. »Ich wusste gar nicht, dass Sie hier sind.«
»Wir müssen reden, Andy.«
Der Name des Medienintendanten war Achmed Mohammed Wajir, und obwohl er seine familiären Wurzeln im Kongo wähnte, war er in Syrien geboren und hatte seine Kindheit und Jugend im ganzen Nahen und Mittleren Osten verbracht. Seine Kindheit war das Zigeunerleben eines Diplomatensohns gewesen: nie länger als zwei Jahre in derselben Stadt. Sein Vater hatte ihn nach Princeton geschickt, wo er die alten Sprachen studieren sollte, doch stattdessen hatte der junge Achmed ein Faible für den Journalismus entwickelt. Er ging nach New York und absolvierte die Ochsentour durch den Journalismus, bis eine Terroristenbombe ihm beide Beine zerschmetterte. Er war nach Selene gekommen, um sich einer Nanotherapie zu unterziehen, die die Beine reparierte, doch der Rückweg zur Erde war ihm versperrt, solange er Nanomaschinen im Leib hatte. Schließlich entschied Wajir sich dafür, in Selene zu bleiben. Das Sechstel Ge des Mondes beschleunigte die Heilung, zumal die Konkurrenz im neuen Geschäft hier noch geringer war als die Schwerkraft.
Als sie die Doppeltüren des Studios aufstießen und auf den Gang hinaustraten, sagte Wajir: »Wenn es um diesen Unfall mit der Starlight geht …«
»Unfall?«, sagte Elgin schroff. »Das ist eine Tragödie. Sieben unschuldige Menschen wurden getötet, darunter ein Baby.«
»Wir haben die Geschichte gebracht, Edie. Bis ins kleinste Detail.«
»Für einen Tag.«
Wajir war einmal schlank wie ein Langstreckenläufer gewesen, doch in den Jahren am Schreibtisch — oder an einem Restaurant-Tisch — hatte er Fett angesetzt. Dennoch war er ein paar Zentimeter größer als Elgin und richtete sich nun zu seiner vollen Höhe auf.
»Edie«, sagte er, »wir sind im Nachrichtengeschäft, und die Starlight ist Schnee von gestern. Es sei denn, Sie wollen auf die Tränendrüse drücken. Nur dass es keine Verwandten gibt, die Sie zu Tränen rühren könnten. Ein Begräbnis gibt es auch nicht. Die Leichen sind inzwischen weiß Gott wohin abgedriftet.«
Edith war ihr übliches fröhliches Lächeln längst abhanden gekommen. Sie war todernst, als sie durch den Gang an den Glaswänden der Schnitt- und Aufnahmestudios vorbeigingen.
»Es ist auch nicht nur diese eine schreckliche Tragödie, Andy«, sagte sie. »Es findet ein Krieg statt, und wir berichten nicht darüber. Es fällt kaum ein Wort darüber in den Medien.«
»Was erwarten Sie denn? Niemand interessiert sich für einen Krieg zwischen zwei Konzernen.«
»Es interessiert sich niemand dafür, weil wir den Leuten die Nachrichten vorenthalten, die sie brauchten, um sich dafür zu interessieren!«
Sie hatten das Büro von Wajir erreicht. Er öffnete die Tür und bedeutete ihr einzutreten. »Es hat keinen Sinn, sich im Gang zu streiten, wo jeder uns hören kann«, sagte er.
Edith trat ein und setzte sich auf einen der großen Polsterstühle vor seinem repräsentativen Schreibtisch aus gentechnisch erzeugtem Teakholz. Anstatt sich auf seinen Drehstuhl zu setzen, hockte Wajir sich auf die Kante des Schreibtisches — nah genug an Edith, um regelrecht vor ihr zu dräuen.
»Das hatten wir doch schon alles durchgekaut, Edie. Die Nachrichtennetze auf der Erde sind an diesem Krieg einfach nicht interessiert. Er findet am Arsch des Universums im Asteroidengürtel statt und wird von Söldnern ausgetragen, und wen, zum Teufel, juckt das? Niemanden. Niemand auf der Erde kümmert sich darum.«
»Aber wir sollten dafür sorgen, dass man sich darum kümmert«, insistierte sie.
»Wie denn?«, rief er. »Was müssen wir tun, um ihr Interesse zu wecken? Sagen Sie's mir, und ich werde es tun.«
Edith wollte ihm schon eine schroffe Antwort geben, doch dann verkniff sie es sich. Sie schaute zu Wajir auf, der sich über sie gebeugt hatte; sein ebenholzfarbenes Gesicht wurde von einem Stirnrunzeln zerfurcht. Er ist seit langer Zeit ein Freund, sagte sie sich. Mach ihn dir nicht zum Feind.
»Andy« sagte sie leise, »diese Katastrophe der Starlight ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Krieg breitet sich über den Gürtel hinaus aus. Es kommt hierher, ob uns das gefällt oder nicht.«
»Gut. Dann können wir darüber berichten.«
Vor Überraschung klappte ihr die Kinnlade herunter, und die Brauen gingen in die Höhe.
»Ich bin nicht zynisch«, erklärte er schnell. »Es ist uns nur nicht möglich, vom Gürtel zu berichten.«
»Wenn es am Geld liegt, könnte ich vielleicht …«
Wajir schüttelte heftig den Kopf. »Es liegt nicht am Geld. Der Gürtel wird von den Konzernen kontrolliert. Astro und HSS haben ihn unter sich aufgeteilt.«
»Es gibt doch noch die Unabhängigen.«
»Ja, aber es herrscht Krieg zwischen Astro und HSS, und niemand will, dass Berichterstatter dort herumschnüffeln. Sie werden hier nicht mit uns sprechen, und sie werden uns auch nicht zum Gürtel mitnehmen.«
»Dann werde ich eben gehen«, hörte Edith sich sagen.
Wajir wirkte erschüttert. »Sie?«
»Ich war schließlich auch mal Reporter, damals in der Steinzeit«, sagte sie und lächelte zum ersten Mal.
»Man wird nicht mit Ihnen sprechen, Edie.«
»Ich werde ein Schiff der Unabhängigen nehmen«, sagte sie leichthin. »Ich werde nach Chrysallis fliegen und die Felsenratten dort interviewen.«
Er schürzte die Lippen, rieb sich die Nase und schaute zur Decke empor. »Den großen Jungs wird das ganz und gar nicht gefallen.«
»Sie meinen die großen Konzerne?«
Wajir nickte.
»Es ist mir egal, ob ihnen das gefällt oder nicht. Ich werde mit einem Schiff der Unabhängigen dorthin reisen. Vielleicht lässt Sam Gunn mich in einem seiner Schiffe mitfliegen.«
»Falls er überhaupt noch eins hat«, murmelte Wajir. »Er geht durch den Krieg Bankrott.«
»Schon wieder? Er geht doch ständig Bankrott.«
»Im Ernst, Edie«, sagte er, »das könnte gefährlich werden.«
»Niemand wird der Frau von Douglas Stavenger etwas antun. Es hat einige Vorteile, mit einem mächtigen Mann verheiratet zu sein.«
»Vielleicht«, gestand Wajir ihr zu. »Vielleicht. Aber es gefällt mir trotzdem nicht. Ich glaube, dass Sie einen Fehler machen.«
Ich will verdammt sein, wenn das nicht derselbe Kerl ist, der mich damals im Büro besucht hatte, sagte Pancho sich, als sie auf die holografische Abbildung des stattlichen Nairobi-Managers schaute. Sie war im Büro des Kommandanten des Astro-Stützpunkts, das er ihr für die Dauer ihres Besuchs in der südpolaren Anlage zur Verfügung gestellt hatte. Pancho lehnte sich auf dem knarrenden, ungewohnt starren Stuhl zurück und las den Namen des Manns, der unter seinem zufrieden lächelnden Konterfei eingeblendet wurde: Daniel Jorrio Tsavo.
»Ms. Lane«, sagte er und schaute angenehm überrascht, »was für ein unerwartetes Vergnügen.«
Er sah noch so gut aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte; nur dass er anstatt eines konservativen Geschäftsanzugs nun einen abgetragenen Overall trug; die Ecke eines Palmtops lugte aus der Brusttasche hervor. Er macht sich die Hände schmutzig, sagte sich Pancho, was ihn nur noch sympathischer machte.
»Sie sind der Leiter des Nairobi-Stützpunkts?«, fragte Pancho ihn.
Sein Lächeln wurde noch breiter. »Nach meinem Besuch bei Ihnen erteilten meine Vorgesetzten mir den Auftrag, den Bau unserer hiesigen Einrichtungen zu leiten.«
»Das wusste ich nicht«, sagte Pancho.
»Sie glaubten wohl, es sei billiger, mich hier zu behalten als wieder zurückzuholen«, sagte er selbstironisch.
»Dann sind Sie also die ganze Zeit hier unten am Südpol gewesen.«
»Ja, das stimmt. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie auch zu den Bergen des Ewigen Lichts gekommen waren«, sagte Tsavo.
»Ich bin runtergekommen, um meinen Leuten auf die Finger zu schauen«, flunkerte sie, »und sagte mir, ich könnte vielleicht auch mal schauen, wie Sie so zurechtkommen.«
»Auf jeden Fall! Es wäre mir eine Ehre, Sie in unserer bescheidenen Einrichtung zu begrüßen, Ms. Lane.«
Sie schaute ihn stirnrunzelnd an. »Finden Sie nicht, dass Sie mich nun Pancho nennen könnten?«
Er gluckste und wandte scheinbar verlegen den Blick von ihr ab. »Ja, ich glaube schon … Pancho.«
»Gut! Wann kann ich rüberkommen, Daniel?«
Für einen Moment wirkte er fast bestürzt, doch er fing sich schnell. »Ähem … unsere Einrichtungen sind nicht eben luxuriös, Pancho. Sehen Sie, wir hatten in nächster Zeit keine so illustren Gäste erwartet, und …«
»Kommen Sie schon, Danny Boy! Ich kann auch auf einem Nagelbett schlafen, wenn's sein muss. Wann kann ich kommen?«
»Geben Sie mir einen Tag, um etwas Ordnung zu schaffen. Vierundzwanzig Stunden. Ich werde Sie von einem Raumboot abholen lassen.«
»Wunderbar«, sagte Pancho und wurde sich bewusst, dass vierundzwanzig Stunden ihm Zeit geben würden, sich mit seinen Vorgesetzten kurzzuschließen und zu entscheiden, wie man diesen unerwarteten Besuch handhaben sollte.
»Übrigens«, fügte sie hinzu, »seid ihr Leute noch immer an einer strategischen Partnerschaft mit der Astro Corporation interessiert?«
Nun wurde seine Miene fast völlig reglos. Pokerface, sagte Pancho sich.
»Ja«, sagte er schließlich. »Natürlich. Obwohl ich Sie darauf hinweisen muss, dass angesichts dieses Kriegs die finanzielle Situation sich erheblich geändert hat.«
»Was Sie nicht sagen!«
Er lächelte wieder.
»Gut, dann werden wir darüber sprechen, wenn ich zu Ihrer Basis komme.«
»Fein«, sagte Daniel Jorno Tsavo.