Mondseilbahn 502

Pancho musste grinsen, als sie mit den Passagieren, die auch auf dem Rückweg nach Selene waren, zur Seilbahnkabine ging. Jemand hatte die Frontscheiben der Kabine mit einem blutroten Schriftzug besprüht: Zur Hölle und zurück. Keiner der anderen Touristen und einheimischen Mond-Freaks schien dem Graffito jedoch Aufmerksamkeit zu schenken. Pancho schüttelte den Kopf, weil sie so gar keinen Sinn für den Humor des unbekannten Künstlers hatten.

Amanda hatte den Komplex im Höllenkrater genauso verlassen, wie sie dort angekommen war: als Mitglied von Doug Stavengers kleiner, private: Gesellschaft. Sie hatte das Haar unter einer beigefarbenen Kappe verborgen und ihr Kleid unter einem schlichten, weiten Mantel, der fast bis auf den Boden reichte. So würde niemand die Parade der animierten Figuren sehen, die um ihre Hüften kreiste. Sie verschmolz förmlich mit dem Rest von Stavengers Leuten. Sofern man nicht gezielt nach ihr Ausschau hielt, würde niemand sie unter den anderen Personen identifizieren, die zusammen mit Stavenger die Kabine für die Sonderfahrt betraten.

Pancho hatte beschlossen, sie nicht zu begleiten. Die Vorstandsvorsitzende der Astro Corporation mit dem Pferdegebiss und der hochgewachsenen Gestalt war so bekannt, dass die Möglichkeit bestand, von Reportern erkannt zu werden — oder von den Schnüfflern von Humphries Space Systems. Pancho wollte keine unnötigen Risiken eingehen, also verbrachte sie den Rest des Tages damit, in den Casinos ein Spielchen zu wagen und sich zu amüsieren. Innerhalb einer guten Stunde erzielte sie einen schönen Gewinn bei einem Computerspiel, doch schließlich wurde auch sie vom Gesetz der Wahrscheinlichkeit eingeholt. Als sie wieder dort angekommen war, wo sie angefangen hatte, hörte Pancho zufrieden mit dem Spielen auf und ging in eins der besseren Restaurants, um dort zu Abend zu speisen. Glücksspiel macht Spaß, sagte sie sich, verlieren aber nicht. Und je länger man spielt, desto besser stehen die Chancen für die Bank.

Sie aß immer zu hastig, wenn sie allein war. Mit einem Gefühl der Sättigung, aber auch der Unzufriedenheit ging Pancho zurück zur Seilbahn-Luftschleuse. »Hölle und zurück«, murmelte sie, als sie durch die Luke der Seilbahnkabine stieg und sich auf einem der vorderen Plätze anschnallte. Sie freute sich schon darauf, die Mondlandschaft an sich vorbeifliegen zu sehen; obendrein war die Gefahr einer Entdeckung geringer, wenn sie den anderen Passagieren den Rücken zuwandte. Ich werde einen schönen Blick auf den Straight Wall haben, sagte sie sich.

Der übergewichtige Asio-Amerikaner, der auf dem Sitz neben ihr Platz nahm, starrte sie jedoch für eine Weile an, nachdem er den Sicherheitsgurt hinter seinen breiten Schultern geschlossen hatte. Als die Kabine sich dann mit einem Ruck in Bewegung setzte und an den Toren der Luftschleuse vorbeiglitt, sagte er: »Verzeihen Sie, aber sind Sie nicht Pancho Lane? Ich habe Ihr Bild kürzlich in den Finanznachrichten im Internet gesehen und …«

Pancho sagte nichts. Ihr fehlten schlicht die Worte. Der Mann schwadronierte dafür ohne Unterlass über seine kleine Firma und seine große Bewunderung für eine so erfolgreiche Managerin wie Pancho und dass er aus dem großen Flüchtlings-Zentrum in SeaTac in den Staaten nach Selene gekommen sei, um einen Deal mit der Astro Corporation zu machen.

Pancho war fast dankbar, als plötzlich ein Ruck durch die Seilbahnkabine ging und sie langsam, mit der unerbittlichen Dynamik eines Albtraums, mit der Nase voran dem staubigen, zerfurchten und kraterübersäten Boden entgegenfiel.


Martin Humphries lehnte sich auf dem Schreibtischstuhl zurück, wobei die Rückenlehne sich der Wirbelsäulenkontur anpasste. Er saß allein im Büro, das dem herrschaftlichen Schlafzimmer des Anwesens vorgelagert war, und schielte auf die Kette von Zahlen und Begleittexte, die über dem großen Schreibtisch in der Luft schwebte. Er legte die Fingerkuppen aneinander und studierte die Berichte der Buchhaltung. Die Profite waren leicht zurückgegangen, doch damit hatte er schon gerechnet. Vier Schiffe waren im letzten Quartal verloren gegangen: drei automatische Erzfrachter und ein Versorgungsschiff, das von Lars Fuchs gekapert, geplündert und dann zerstört worden war. Die Besatzung war in der Rettungskapsel ausgesetzt worden. Der Angriff hatte jedoch so nah an Ceres stattgefunden, dass sie innerhalb von achtundvierzig Stunden gerettet wurde.

Humphries schnippte mit den Fingern, und der Bericht löste sich in Luft auf.

»Fuchs«, murmelte er. Dieser Hurensohn macht noch immer den Gürtel unsicher. Und es geht ihm jedes Mal einer ab, wenn er ein HSS-Schiff außer Gefecht setzt. Und dieser verdammte Schraubfix Pancho hilft ihm noch dabei.

Humphries lächelte stumm. Genieß es noch, solange du kannst, Fuchs. Das Ende ist nah. Und inzwischen habe ich deine Ex-Frau geschwängert.

Pancho ist da schon ein größeres Problem. Sie ist eine härtere Nuss. Aber ich werde sie auch noch knacken. Ich werde Astro dermaßen Druck machen, bis ihr Vorstand sie mit einem kräftigen Tritt in den Hintern rausbefördert. Und dann werde ich ihnen eine Fusion vorschlagen, die sie nicht ablehnen können. Ich werde die Astro Corporation übernehmen; das ist nur noch eine Frage der Zeit.

Humphries erhob sich vom Stuhl, ging langsam um den Schreibtisch herum und lachte laut. Sobald Amanda von ihrem Einkaufsbummel zurückkommt oder was zum Teufel sie heute sonst anstellt, werde ich sie ins Bett ziehen. Nur weil sie meinen Sohn in sich trägt, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht meinen Spaß mit ihr haben kann.

»Holo-Fenster«, rief er, »schalte mir eine Ansicht vom Asteroiden-Gürtel.«

Das Fenster an der linken Wand des Büros bildete sofort ein Gemälde von Davis ab; es zeigte einen unförmigen, kar-toffelförmigen Asteroiden, in dessen Nähe ein kleinerer Gesteinsbrocken trieb.

»Nein, ein Foto. Echtzeit-Teleskopansicht.«

Das Holo-Fenster wurde für eine Sekunde dunkel und zeigte dann einen dunklen Abschnitt vor einem Sternen-Hintergrund. Einer der Lichtpunkte war deutlich heller als die anderen. Das Wort CERES leuchtete kurz neben ihm auf.

»Er ist irgendwo da draußen«, murmelte Humphries. »Aber nicht mehr lang.«

Humphries ging zum Schreibtisch zurück und rief den aktuellen Fortschrittsbericht von seiner Sonder-Sicherheitsabteilung im Gürtel auf. Die Basis auf Vesta war fertig gestellt, und vierundzwanzig Kampfraumschiffe waren zu ihren jeweiligen Positionen im Gürtel unterwegs. Alle HSS-Frachter wurden mit militärischen Besatzungen und Bewaffnung ausgerüstet. Die Kosten schmälerten zwar den Gewinn des Unternehmens, doch früher oder später würde Fuchs aufgespürt und vernichtet werden.

Inzwischen, sagte Humphries sich, muss ich den Schachzug gegen Astro machen. Es wird Zeit, Pancho abzuservieren. Dieser Schraubfix hat die Übernahme von Astro lang genug behindert.

Sie versteht nicht einmal die elementaren Grundsätze der Ökonomie, sagte Humphries sich. Angebot und Nachfrage. Astro setzt uns das Messer an die Kehle und unterbietet unsere Preise für Asteroiden-Rohstoffe. Und das verdammte Schmuddelkind wird mich immer weiter unterbieten, bis ich sie aus dem Vorstand entferne. Es ist nicht genug Platz für zwei Akteure im Gürtel. In ökonomischer Hinsicht hat es nur Sinn, wenn ein Unternehmen sich da draußen der Sache annimmt. Und dieses Unternehmen wird Humphries Space Systems sein.

Und dann schweiften seine Gedanken wieder zu Fuchs ab. Ich habe dem Hurensohn acht Jahre gegeben. Ich habe Amanda versprochen, dass ich ihm nichts tun würde, und acht Jahre lang habe ich dieses Versprechen auch eingehalten. Und was tut Fuchs? Er lässt keine Gelegenheit aus, mir zu schaden. Anstatt mir dankbar zu sein, dass ich ihn nicht getötet habe, tritt er mir jedes Mal in die Eier, wenn er eine Chance dazu hat. Acht Jahre sind lang genug. Es ist zwar verdammt teuer, ihn aufzuspüren, aber ich werde den Bastard erwischen — je früher, desto besser.

Er ist aber ein schlauer Fuchs. Clever genug, um sich im Gürtel zu verstecken und sich von seinen Felsenratten-Kumpels helfen zu lassen. Und Pancho hilft ihm auch, wo sie nur kann. Ich muss ihn aus seinem Versteck aufs offene Feld scheuchen, wo meine Leute ihn abknallen können.

Vielleicht wird die Nachricht, dass Amanda schwanger ist, ihn hervorlocken und dazu verleiten, einen Fehler zu machen.

Humphries schaute auf sein schwaches Spiegelbild in den Holo-Fenstern und sagte sich, ich würde zu gern den Ausdruck auf seinem beschissenen Gesicht sehen, wenn er herausfindet, dass Amanda meinen Sohn in sich trägt.

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