Asteroid Vesta

Harbin studierte Grigors Bild auf dem Wandbildschirm seiner Privatkabine. Ein Russe, sagte Harbin sich und erinnerte sich an die Art und Weise, wie die Dorfältesten von den Russen gesprochen hatten, als er ein Junge gewesen war. Die Russen sind unsere Freunde, hatten sie immer betont, solange sie sich weit von unserem Dorf entfernt halten.

Grigors normalerweise mürrisches und deprimiertes Gesicht wirkte fast glücklich, als er Harbin den Tagesbefehl von Selene mitteilte. Die Vorstandsvorsitzende der Konkurrenz-Firma Astro Corporation war auf Ceres. Wahrscheinlich würde sie noch tiefer in den Gürtel vordringen und ein Treffen mit dem Renegaten Fuchs abhalten.

»Wir werden Kurs-Daten von unserem Informanten in der IAA-Residenz in Ceres erhalten. Sie werden ihr Schiff abfangen und es zerstören. Möglicherweise wird es Ihnen gelingen, Fuchs zur gleichen Zeit zu eliminieren. Sie werden so viele Schiffe nehmen, wie Sie für notwendig erachten, aber auf keinen Fall weniger als fünf. Humphries will, dass dieser Auftrag unverzüglich ausgeführt wird.«

Dann soll Humphries doch herkommen und es selbst tun, wollte Harbin schon erwidern. Aber er wusste, dass seine Antwort den Mond erst in über einer halben Stunde erreicht hätte. Zumal es unklug gewesen wäre, gegenüber dem Mann respektlos zu sein, der die Rechnungen bezahlte.

Also löschte er Grigors Bild vom Wandbildschirm und sagte nur: »Nachricht erhalten. Wird ausgeführt.«

Fünf Schiffe. Grigor glaubte, dass mehr Schiffe den Erfolg garantieren. Er hat keine Ahnung, wie schwierig es ist, da draußen einen Angriff mit mehreren Schiffen zu koordinieren. Und je mehr Schiffe wir einsetzen, desto eher wird die Beute erkennen, dass sie verfolgt wird.

Harbin schüttelte widerwillig den Kopf. Ich könnte es auch allein tun, ein Schiff mit einer Ein-Mann-Besatzung. Gebt mir die Kurs-Koordinaten des Astro-Schiffs, und ich werde es abfangen und vernichten. Und wenn Fuchs in diesem Gebiet ist, werde ich auch ihn erledigen.

Harbin lehnte sich auf dem gepolsterten Sitz zurück, verschränkte die Finger hinterm Kopf und dachte nach. Fuchs ist freilich clever und gerissen. Er wittert die Gefahr schon auf tausend Kilometer. Fünf Schiffe könnten sinnvoll sein. Vielleicht noch ein paar mehr: als Vorhut, die eine vorgeschobene Position bezieht und ihm den Rückweg abschneidet. Dann hätte ich ihn endlich.

Er setzte sich aufrecht hin und nickte in Richtung des dunklen Wandbildschirms. Dann erhob er sich und ging zur Kommandozentrale. Er brauchte die aktuellen Kurs-Daten des Astro-Schiffs.


Big George starrte auch auf einen Wandbildschirm. Pancho saß neben ihm in seinem informellen Büro, den Blick aufs körnige Bild von Lars Fuchs geheftet.

»Ich habe Panchos Nachricht erhalten«, sagte Fuchs. Sein breites Gesicht mit den Hängebacken hatte einen deprimierten und düsteren Ausdruck. »Leider kann ich ein Treffen nicht riskieren. Zu viele von Humphries' Spionen könnten davon erfahren. Was auch immer Sie mir zu sagen haben, Pancho, schicken Sie mir eine Nachricht.«

Das Bild verblasste.

Pancho blinzelte und wandte sich George zu. »Das war's schon? Das ist seine ganze Nachricht?«

»Er macht nie viele Worte«, erwiderte George. »Hat Angst, dass irgendjemand den Strahl abfängt und seinen Standort lokalisiert.«

»Ich muss mit ihm sprechen«, sagte Pancho mit einem Gefühl der Frustration. »Von Angesicht zu Angesicht.«

»Viel Glück«, sagte George.

»Ich kann ihm Mandys Tod doch nicht per Funk mitteilen«, sagte Pancho und erhob sich.

»Er wird sich nicht mit dir treffen, Pancho«, erwiderte George und schüttelte den Kopf mit der Zottelmähne. »Ich hab's von vornherein nicht geglaubt.«

»Ich will ihn doch nicht in eine Falle locken, um Himmels willen!«

»Nicht wissentlich.«

Sie schaute ihn mit gerunzelter Stirn an.

»Lars ist nicht naiv; er hat nicht von ungefähr so lange da draußen überlebt«, sagte George. »Humphries hat Söldner, die ihn zu erwischen versuchen. Auch ›freie Mitarbeiter‹, es hat sich im Gürtel herumgesprochen, dass Humphries ein Kopfgeld auf Lars ausgesetzt hat.«

Pancho schnitt eine Grimasse. »Mandy sagte mir, dass er versprochen hätte, Lars in Ruhe zu lassen.«

»Sicher hat er das«, erwiderte George, wobei jede Silbe vor Sarkasmus triefte.

»Ich muss ihn treffen.«

»Das ist nicht zu machen, Pancho. Finde dich damit ab. Lars ist vorsichtig, und ich kann es ihm auch nicht verdenken.«

Pancho atmete tief durch und sagte sich, wenn du vor einer Mauer stehst, dann musst du einen Weg drum herum suchen. Oder darüber. Oder einen Tunnel graben, wenn es sein muss. Wie pflegte Dan Randolph immer zu sagen: Wenn es hart auf hart kommt, ziehen die harten Männer los — dorthin, wo das Vorankommen leichter ist.

»George«, sagte sie und setzte sich wieder neben ihn, »wie sendest du Nachrichten an Lars?«

Er zögerte einen Moment. »Er hat etwa ein halbes Dutzend miniaturisierter Transceiver auf kleinen Asteroiden im Gürtel deponiert. Wenn ich einen komprimierten Funkspruch zu einem davon absetze, teile ich ihm gleichzeitig mit, zu welchem ich die nächste Nachricht senden werde«, sagte er dann.

»Und die Transceiver bleiben die ganze Zeit auf denselben Asteroiden?«

»Nein. Lars verlegt sie. Wenn er antwortet, sagt er mir, wo sie beim nächsten Mal sein werden.«

Pancho dachte eine Weile nach. »Dann könntest du ihm also eine Nachricht senden und ihm sagen, wohin du die darauf folgende schicken wirst«, sagte sie schließlich.

»Und wann«, ergänzte George.

»Und dann fliegt er zu diesem Felsbrocken und hört deine Nachricht ab.«

»Richtig.«

»Ich könnte in der Nähe des Asteroiden, wo der Transceiver ist, auf ihn warten. Wenn Lars auftaucht, werde ich ihn dort begrüßen.«

»Und er wird dich in Stücke schießen, bevor du überhaupt ›hallo‹ sagen kannst.«

»Nicht wenn …«

»Verlass dich drauf«, sagte George.

»Dieses Risiko werde ich eingehen.«

»Pancho, ich kann dir die verdammten Koordinaten nicht geben!«, sagte George kopfschüttelnd. »Lars wird womöglich glauben, dass ich ihn verraten hätte!«

»Ich muss Lars treffen. Ich bin auch bereit, das Risiko einzugehen, dass er mein Schiff angreift. Ich nehme es auf meine Kappe.«

George blieb stundenlang stur. Pancho schmeichelte, flehte, bettelte.

»Was ist denn so verdammt wichtig, dass du es ihm ins Gesicht sagen musst?«

Pancho zögerte, dann sagte sie: »George, wenn ich es dir sagen könnte, würde ich es tun. Aber es ist wirklich nur für Lars' Ohren bestimmt.«

Er kratzte sich an seinem dichten Bart. »So ein großes Ding?«

Pancho nickte wortlos.

»In Ordnung«, sagte er unbehaglich. »Ich sag dir, was ich tun werde. Ich werde dich auf dem Flug zu ihm begleiten.« »Aber du sagtest doch, dass es gefährlich wäre!« »Ja. Und das wird es auch, das garantiere ich dir. Aber ich glaube, dass ich einen Plan ausarbeiten kann, der Lars davon abhält, uns beim ersten Sichtkontakt abzuschießen. Außerdem würde ich ihm lieber ins Gesicht blicken als ihn in dem Glauben zu lassen, ich hätte ihn gelinkt.«

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