Selene: Astro-Kommandozentrale

Admiral Wanamaker hätte eigentlich erwartet, dass seine Nachrichtenoffizierin aufgeregt wäre oder wenigstens beunruhigt. Stattdessen machte sie einen unheimlich ruhigen — und entschlossenen — Eindruck.

»Willie«, sagte er, »ich kann Sie nicht auf diese Mission schicken. Ich bin sicher, Sie kennenden Grund dafür.«

Tashkajian blieb vor seinem Schreibtisch stehen und schaute ihn aus dunklen Augen fest an. »Diese Mission ist meine Idee, Sir. Ich glaube nicht, dass ich von anderen erwarten sollte, Risiken einzugehen, die ich selbst nicht bereit hineinzugehen.«

»Aber ich brauche Sie hier, Willie«, sagte Wanamaker sanft, um ihren Stolz nicht zu verletzen. »Sie sind meine Nachrichtenoffizierin, und eine verdammt gute noch dazu. Ich kann es mir nicht leisten, Sie zu verlieren.«

Ihre unerschütterliche Pose geriet ins Wanken. »Aber Sir, es ist nicht richtig, dass ich hier bleibe, während die Besatzung in dieser Strahlen wölke in den Gürtel fliegt.«

Er lächelte. »Sie haben mir doch versichert, dass es völlig ungefährlich sei, Willie.«

»Ist es auch!«, platzte sie heraus. »Aber … es besteht immer ein Risiko, müssen Sie wissen …« Sie verstummte für einen Moment. »Verdammt, Sir, Sie wissen, was ich meine!«, sagte sie dann unwirsch.

»Ja, das weiß ich«, gestand er. »Aber Sie gehen trotzdem nicht. Sie haben eine Mannschaft zusammengestellt, und das Schiff ist bereit, im Schutz der Strahlenwolke zu starten und die HSS-Basis auf Vesta anzugreifen. Sie bleiben hier, wo Sie hingehören. Wo ich Sie brauche.«

»Das ist nicht fair, Sir!«

»Ich habe auch nicht die Absicht, fair zu sein. Dies ist ein Krieg, den wir ausfechten, und kein Sandkastenspiel.«

»Aber …«

»Das Schiff fliegt ohne Sie«, sagte Wanamaker so bestimmt, wie es ihm möglich war. »Das ist endgültig.«


»Willkommen in der Basis zum Leuchtenden Berg«, sagte Daniel Tsavo mit einem so strahlenden Lächeln, dass Pancho glaubte, seine Backenzähne zu sehen.

Er stand am Ende der flexiblen Röhre, die von der Basis-Luftschleuse zum Raumboot ausgefahren worden war.

Pancho verschob die Reisetasche auf der Schulter, ergriff seine ausgestreckte Hand und erwiderte sein Lächeln. Dann ließ sie den Blick schweifen. Die Ausstattung von Nairobi wirkte spartanisch und zweckmäßig. Kahle Metallwände. Eine verrippte Kuppel als Dach. Verschrammte und mit Mondstaub überzogene Zugmaschinen.

»War nett von Ihnen, mich einzuladen«, sagte Pancho, wohl wissend, dass sie sich selbst eingeladen hatte.

»Ich bin froh, dass Sie es hierher geschafft haben, bevor der Sonnensturm losbricht. Wir werden in der Sicherheit des Untergrundes sein, bevor die Strahlung das Maximum erreicht.«

»Hört sich gut an«, sagte Pancho.

Tsavo führte sie zu einer glänzenden Metall-Doppeltür. Sie glitt auf und enthüllte einen Aufzug.

»Der größte Teil der Basis ist natürlich unterirdisch«, sagte er und bedeutete ihr, den Fahrstuhl zu betreten.

»Wie Selene.«

»Wie Selene«, pflichtete er ihr bei, als die Türen sich schlossen und der Fahrstuhl so schnell in die Tiefe glitt, dass Pancho sich schier der Magen umstülpte.

Wanamaker war strikt gegen diesen Besuch gewesen. Als Pancho ihm gesagt hatte, dass sie in Kürze eine Besichtigung der Nairobi-Basis plante, hatte sein holografisches Gesicht sich versteinert.

»Pancho, die Vorstandsvorsitzende des Konzerns sollte sich nicht ganz allein in einen potenziell feindlichen Stützpunkt begeben.«

»Feindlich?« Panchos Brauen waren emporgeschnellt. »Nairobi ist doch nicht unser Feind.«

»Woher wollen Sie das denn wissen?«, hatte Wanamaker mit Nachdruck gefragt. »Sie sind im Krieg, Pancho, und jeder, der kein Verbündeter ist, ist ein potenzieller Feind.«

Pancho glaubte es nicht.

»Nehmen Sie wenigstens ein Sicherheitsteam mit«, verlangte Wanamaker.

»Ich kann auf mich selbst aufpassen.«

Während Tsavo sie durch die Tunnels der Nairobi-Basis führte, fragte Pancho sich aber doch, ob sie nicht ein zu großes Risiko eingegangen war. Die Anlage war größer, als sie erwartet hatte — viel größer. Es schien von Bautrupps in dunkelblauen Overalls nur so zu wimmeln: Sie bohrten, gruben und transportierten Ausrüstung auf elektrisch angetriebenen Minischleppern, wobei sie sich gegenseitig anbrüllten und jede Menge Radau machten. Der Lärm war unglaublich und unaufhörlich. Tsavo musste schreien, um sich verständlich zu machen. Und alles roch brandneu: Der Geruch nach frischer Farbe, Betonstaub, Sprüh-Schmierstoffen und Dichtungsmitteln lag in der Luft.

Pancho lächelte und nickte, während Tsavo sich heiser schrie, um ihr zu erklären, was hier ablief. Wohnquartiere sollten dort entstehen, Büros auf der anderen Seite des Korridors, Laboratorien, Lagerräume, ein großer Konferenzraum, den man auch in ein Theater verwandeln konnte, und das Basis-Kontrollzentrum: alles noch unfertig, Beton und Mondgestein und Pläne für die Zukunft.

Viele der Arbeiter waren Asiaten, wie Pancho sah.

»Leiharbeiter«, erklärte Tsavo, dessen Stimme mit jedem Wort rauer wurde. »Sie haben die erforderlichen Erfahrungen und Kenntnisse und kommen uns günstiger als die Ausbildung unserer eigenen Leute.«

Über Rampen mit der Beschriftung VORLÄUFIGER ZUGANG und durch Tunnels, deren Wände noch aus nacktem Fels bestanden, drangen sie immer tiefer in die Basis ein.

Meine Güte, sagte Pancho sich, dieser Ort ist riesig. Sie bauen hier eine richtige Stadt.

Sie wusste, dass die Miniboje, die ihre Nachrichtenleute ihr in der linken Hüfte unter die Haut gepflanzt hatten, imstande wäre, ein codiertes Signal durch den Fels zu senden. Jake hat sechs Satelliten im polaren Orbit stationiert, um mich im Auge zu behalten, erinnerte sie sich; sie sind nah genug, um mein Signal die ganze Zeit aufzufangen. Mir wird schon nichts passieren. Sie wissen genau, wo ich bin.

Und doch dachte sie zum ersten Mal seit Jahren wieder an Elly. Pancho hatte sich immer sicher gefühlt, wenn Elly um ihren Knöchel gewickelt war. Der gentechnisch gezüchtete Miniatur-Krait war ihr treuer Leibwächter gewesen. Niemand belästigte sie mehr, sobald er wusste, dass sie von einer tödlichen Giftschlange beschützt wurde. Auch wenn Ellys Gift durch ein starkes Beruhigungsmittel ersetzt worden war. Die wenigsten Menschen hatten die Nerven, es darauf anzulegen, dass die Schlange zubiss. Klein Elly war nun schon seit über zehn Jahren tot, und Pancho hatte sich bisher nicht dazu durchgerungen, sich wieder einen solchen Begleiter zuzulegen. Dummes Schaf, schalt sie sich. Sentimental wegen einer Schlange, um Himmels willen.

Sie zupfte am Asteroiden-Saphir, der am linken Ohrläppchen hing. Wie Panchos übriger Schmuck hielten auch die Ohrringe Überraschungen bereit — Waffen, mit denen sie sich notfalls verteidigen konnte. Verdammt, sagte sie sich, hier unten gibt es aber eine kleine Armee. Es würde mir nie gelingen, mich durch all diese Menschen zu kämpfen.


Edith Elgin Stavenger saß auf dem Rollen-Drehstuhl im Büro, gleich neben dem herrschaftlichen Schlafzimmer in ihrem Heim in Selene, und nutzte die drei Sekunden Verzögerung zwischen Erde und Mond, um das Dossier der Frau zu überfliegen, mit der sie sprach. Seit über einer Woche hatte sie Manager der Nachrichtenmedien auf der Erde kontaktiert und versucht, ihr Interesse für den bevorstehenden Flug nach Ceres zu wecken und Unterstützung zu bekommen.

Ediths behagliches Büro schien in zwei Hälften geteilt zu sein, und die Leiterin des nordamerikanischen Nachrichten-Syndikats saß scheinbar hinter ihrem massiven Schreibtisch aus poliertem Kirschbaumholz und sprach mit Edith, als ob sie wirklich im selben Raum wären — wären da nicht diese drei Sekunden Verzögerung gewesen. Edith hatte das Dossier der Frau auf dem Wandbildschirm an der Seite ihres kleinen, geschwungenen Schreibtischs aufgerufen.

»Das ist keine Geschichte, Edie«, sagte die Medien-Managerin. »Es besteht kein Nachrichteninteresse.«

Der Name der Managerin war Hollie Underwood, in der Branche auch bekannt als ›Queen Hollie‹. Dank Verjüngungstherapien wirkte sie nicht älter als dreißig: glatte Haut, klare grüne Augen, perfekt frisiertes kastanienbraunes Haar. Edith dachte ans Bildnis des Dorian Gray und fragte sich, wie welk und vom Bösen gezeichnet ihr Bildnis wohl wäre. Ihre Reaktion auf Ediths Idee war typisch für die Einstellung der Nachrichten-Medien.

»Es besteht kein Interesse«, erwiderte Edith ruhig, »weil niemand der Öffentlichkeit die Geschichte erzählt.«

Dann wartete sie drei Sekunden und betrachtete unterdessen das dreidimensionale Bild von Underwood, wobei sie sich fragte, wie viel die cremefarbene Rüschenbluse der Frau wohl gekostet hatte. Sie war sicher aus reiner Seide.

»Edie, meine Liebe, niemand erzählt die Geschichte, weil es keine Geschichte dort gibt. Wer interessiert sich schon für einen Haufen Söldner, die sich da draußen im Asteroiden-Gürtel gegenseitig bekämpfen?«

Edith beherrschte sich. »Interessiert sich irgendjemand für die Kosten elektrischer Energie?«, fragte sie zuckersüß.

Underwoods Gesichtsausdruck wechselte von Indignation zu mit Verwirrung gepaarter Neugier. »Was hat der Strompreis denn damit zu tun?«, fragte sie schließlich.

Edith fasste es nicht, dass ein Manager von Underwoods Format in wichtigen Fragen so unbedarft war. »Die Treibhaus-Überschwemmungen haben über die Hälfte der Küstenkraftwerke weltweit zerstört, nicht wahr?«

»Der Ausfall der Stromerzeugung wird größtenteils durch Sonnenenergie-Satelliten ausgeglichen, richtig?«, fuhr sie fort, ohne auf eine Antwort zu warten. »Und was glauben Sie wohl, woher die Rohstoffe für den Bau dieser Satelliten kommen?«

Bevor Underwood antworten konnte, setzte Edith nach: »Und die Brennstoffe für die Fusionsgeneratoren, die die Energieversorgungsunternehmen bauen, kommen vom Jupiter, müssen Sie wissen. Dieser Krieg treibt auch ihre Preise in die Höhe.«

Als sie endlich die Gelegenheit zu einer Erwiderung bekam, wirkte Underwood nachdenklich. »Sie sagen, die Kämpfe im Asteroidengürtel wirken sich auf die Preise der Rohstoffe aus, die diese Felsenratten zur Erde verschiffen. Und auf den Preis für Fusionsbrennstoffe.«

»Und der Preis für diese Rohstoffe beeinflusst wiederum den Endpreis, den ihr Flachländer für Elektrizität zahlt — ganz genau.« Edith verzog beim Gebrauch des abschätzigen Begriffs Flachländer das Gesicht, doch Underwood schien sich nicht daran zu stören.

»Dann kostet es uns eben ein paar Cent mehr pro Kilowatt-Stunde«, sagte sie schließlich. »Das macht den Kohl auch nicht fett.«

Edith lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Hier geht irgendetwas vor, wurde sie sich bewusst. Etwas, das unter der Oberfläche kreiste wie ein Hai auf der Jagd.

Sie schwieg eine Zeit lang und musterte Underwoods Gesicht. »Wie viel Werbezeit kauft die Astro Corporation von Ihnen? Oder ist es Humphries?«

Sobald Underwood die Frage hörte, lief sie rot an. »Wie meinen Sie das? Was wollen Sie damit andeuten?«

»Die großen Konzerne wollen nicht, dass Sie über ihren Krieg berichten, stimmt's? Sie bezahlen Sie für diese Verschleierungstaktik.«

»Verschleierungstaktik?«, echauffierte Underwood sich, als sie Ediths Beschuldigung hörte. »Von Verschleierungstaktik kann nicht die Rede sein!«

»Ach nein?«

Underwood sah wütend aus. »Dieses Gespräch ist beendet!« Ihr Bild verblasste, und Edith war wieder allein in ihrem behaglichen kleinen Büro.

Sie nickte und lächelte. Ich habe offensichtlich einen Nerv getroffen. Die ›großen Jungs‹ bezahlen die Nachrichten-Medien dafür, den Krieg zu vertuschen. So sieht es aus.

Dann verging Edith das Lächeln. Auch wenn sie nun die Wahrheit wusste, würde ihr das kaum dabei helfen, mit der Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

Wie soll man die Mauer des Schweigens durchbrechen? Edith wünschte sich, sie hätte eine Antwort darauf gehabt.

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