Hauptquartier der Astro-Corporation

Jake Wanamaker vergaß sich und hieb mit der Faust gegen die Wand. Er stapfte durch die Konsolenreihe im Nachrichten-Zentrum und schlug so fest gegen die Wand, dass die dünne Metallverkleidung eingedellt wurde.

»Sie ist da einfach so reinspaziert, und nun können Sie nicht einmal mehr Kontakt zu ihr herstellen?«

Die Fernmeldetechniker schauten verängstigt. Trotz seines Alters war Wanamaker noch eine beeindruckende Gestalt — vor allem, wenn er zornig war. Für ein paar Sekunden sagte niemand im Kommunikationszentrum ein Wort. Bildschirme blinkten und piepsten leise, doch jedermanns Aufmerksamkeit war auf den Admiral gerichtet.

»Sir, wir bekamen gute Verfolgungs-Daten von ihr, bis sie die Nairobi-Basis erreichte.«

»Diese Minibojen sollen doch auch imstande sein, massives Gestein zu durchdringen«, knurrte Wanamaker. »Und wir haben ein halbes Dutzend Satelliten in polaren Orbits aufgehängt, stimmt's? Wieso fangen sie ihr Signal nicht auf?«

»Es könnte der Sonnensturm sein, Sir«, sagte ein anderer Techniker. »Er stört die Kommunikation.«

»Ihr Leute habt mir doch versichert, dass die Frequenz der von uns benutzten Systeme durch einen Sonnensturm nicht gestört würde«, sagte Wanamaker mit finsterem Blick.

»Ihre Basis muss abgeschirmt sein«, rief der Leitende Fernmeldetechniker, ein dürrer alter Computer-Freak mit tiefliegenden Augen, durch den Raum. »Vielleicht ein Faradayscher Käfig. Wäre nicht schwer zu bewerkstelligen.«

»Großartig!«, blaffte Wanamaker. »Sie ist im Stützpunkt eines potenziellen Gegners, und wir können nicht einmal ihre Bewegungen verfolgen.«

»Wenn sie wieder rauskommt, werden die Satelliten ihr Signal wieder auffangen«, äußerte der Cheftechniker sich optimistisch.

»Falls sie wieder rauskommt«, murmelte Wanamaker.

»Nicht solange der Sonnensturrn tobt«, sagte ein jüngerer Techniker mit besorgtem Blick. »Die Strahlung ist zu stark. Es wäre Selbstmord.«


Gerüchte verbreiteten sich in einer kleinen Gemeinschaft wie Selene wie Wellen in einem Teich. Ein Fernmeldetechniker beklagte sich bei einer Astro-Kollegin, wie ruppig Wanamaker mit den Leuten im Nachrichtenzentrum umsprang. Die Astro-Angestellte erwähnte gegenüber ihrem Mann, dass Pancho Lane in der Astro-Basis in der Nähe des Südpols verschollen sei. Der erzählte seinem Lieblings-Barkeeper, dass Pancho Lane vermisst würde. »Wahrscheinlich mit einem Kerl versumpft, wie ich Pancho kenne«, ergänzte er grinsend.

An diesem Punkt gabelte sich das Gerücht. Eine ›Schule‹ behauptete, dass Pancho mit irgendeinem Typ von Nairobi Industries durchgebrannt sei. Die andere beharrte darauf, dass sie entführt worden sei, wahrscheinlich von Martin Humphries oder seinen Leuten.

Binnen Stunden — ohne dass Wanamaker oder sonst jemand im Astro-Sicherheitsbüro den Deckel auf der Geschichte zu halten vermochte — ging in ganz Selene das Gerücht um, dass Pancho entweder mit einem Lover durchgebrannt war oder entführt und umgebracht worden sei.

Nodon hörte die Geschichte, als er die ersten Stunden als Wartungstechniker in der großen, lauten Werkstatt arbeitete, die die Zugmaschinen und Busse beherbergte, mit denen Fahrten im Alphonsus-Krater unternommen wurden.

Er riss die Arbeitszeit ab und lief dann in den ›Keller‹, um Fuchs zu suchen.

Fuchs war nicht in dem Hochregal, wo Nodon und die anderen sich zuvor mit ihm getroffen hatten. Nodon zappelte nervös — er war unschlüssig, ob er die trübe beleuchteten Gänge absuchen oder hier warten sollte, bis Fuchs zurückkam. Dann kam plötzlich ein Wartungsroboter mit rotem Blinklicht den Gang entlanggerollt. Nodon erstarrte und drückte sich mit dem Rücken an die Regale der Lagerzone. Der Roboter rollte leise quietschend vorbei. Der Wartungsroboter muss selbst mal gewartet werden, sagte Nodon sich.

Eine halbe Minute nach dem Roboter kam Lars Fuchs — mit dem üblichen schwarzen Pullover und Hose und dem üblichen verdrießlichen Gesichtsausdruck.

»Gekidnappt?«, sagte Fuchs atemlos, als Nodon ihm die Geschichte erzählte.

»Vielleicht tot«, fügte der Mongole hinzu.

»Hat Humphries das getan?«

»Ich weiß nicht«, gestand Nodon. »Niemand scheint es zu wissen.«

»Es kann niemand sonst gewesen sein«, knurrte Fuchs.

Nodon pflichtete ihm mit einem Kopfnicken bei.

»Unten am Südpol, sagst du? Sie haben sie dort unten erwischt?«

»So wird es berichtet, Sir. Andere sagen, sie sei mit einem Liebhaber verschwunden.«

»Pancho würde das nicht tun. Sie hätte das überhaupt nicht nötig. Wenn sie einen Liebhaber wollte, würde sie sich hier in Selene einen suchen, wo sie sicher ist.«

Nodon sagte nichts.

»Es muss Humphries sein«, murmelte Fuchs, gleichermaßen im Selbstgespräch wie zu seinem Begleiter. »Wahrscheinlich hat er sie in sein Herrenhaus da unten verschleppt.«

»Glauben Sie?«

»Selbst wenn er sie nicht entführt hat, er ist jedenfalls dort. Wir müssen dorthin. Und zwar schnell.«


Daniel Tsavo versuchte, seine Nervosität zu kaschieren, als er Pancho über die Baustellen und schließlich unten in den bereits fertig gestellten Abschnitt der Nairobi-Basis führte, wo er und die anderen Manager wohnten. Es war himmlisch ruhig auf dieser tiefsten Ebene; der ständige enervierende Lärm auf den rund um die Uhr aktiven Baustellen wurde durch dicke luftdichte Luken und Schalldämmung ausgesperrt. Während sie im mit Teppichboden ausgelegten Gang zum Kasino gingen, achtete Tsavo darauf, dass Pancho rechts neben ihm ging. Das hatte er auf der bisherigen Besichtigungstour auch schon so gehalten, damit er den im linken Ohr versteckten Mikro-Empfänger hören konnte, ohne dass es ihr auffiel.

Es störte ihn, dass Nobuhiko Yamagata persönlich mit einer Hochgeschwindigkeits-Rakete von Japan zum Stützpunkt eilte. Der Verhörtrupp war bereits eingetroffen, aber er sollte mit der Arbeit noch warten, bis Yamagata da war.

Pancho versuchte inzwischen, die Eindrücke zu sortieren, die sie auf dieser kurzen Tour durch die unfertige Basis bekommen hatte. Sie ist riesig, sagte sie sich. Sie errichten hier nicht nur eine Phase-Eins-Anlage — sie ziehen gleich eine ganze Stadt hoch. Dieser Ort wird genauso groß wie Selene.

Tsavo musste an sich halten, um sich nicht mit der linken Hand ans Ohr zu fassen. Er wartete auf die Nachricht, dass Yamagata eingetroffen sei; wartete auf seine Anweisungen, wie mit Pancho zu verfahren sei.

»Ihr habt euch hier unten aber gediegen eingerichtet«, frozzelte Pancho, als sie den Gang entlanggingen. Die Wände waren in beruhigenden Pastelltönen gehalten. Der Baustellenlärm war längst hinter ihnen verhallt. »Schöne flauschige Teppiche auf dem Boden und akustische Täfelung an den Wänden.«

»Das Privileg der Elite«, erwiderte Tsavo und erwiderte ihr Lächeln gezwungen.

»Stimmt wohl.« Woher sie nur das Kapital für dieses große Projekt haben, fragte sich Pancho. Nairobi Industries hat jedenfalls nicht diese finanzielle Potenz. Jemand pumpt höllisch viel Geld in diese Sache. Humphries? Wieso sollte der Stecher aber Geld für Nairobi ausgeben? Wieso in einen Konkurrenten investieren? Zumal durch diesen gottverdammten Krieg ihm das Wasser selbst bis zum Hals steht. Ich wäre jedenfalls nicht in der Lage, so viel von Astros Finanzen abzuzweigen; wir würden Pleite gehen.

»Eigentlich«, sagte Tsavo und kratzte sich am linken Ohr, »war das alles nicht so teuer, wie Sie vielleicht glauben. Das meiste wurde in Selene gefertigt.«

»Wirklich?«

»Wirklich.«

Pancho schien beeindruckt. »Wissen Sie, in der Frühzeit der Mondbasis hat man ernsthaft in Erwägung gezogen, Gras in den Gängen auszusäen.«

»Gras?«

»Ja. Lebenserhaltungs-Leute sagten, es würde der Sauerstoff-Versorgung dienen, und die Psychologen glaubten, es würde den Menschen das Leben im Untergrund angenehmer machen.«

»Hat man das je verwirklicht?«

»Nein. Die Buchhalter hatten durchgerechnet, wie hoch die Stromkosten wären, um das Gras mit Licht zu bestrahlen. Und die Wartungsleute beklagten sich, dass sie dann auch noch Gärtner spielen müssten. Damit war die Sache erledigt.«

»Kein Gras.«

»Außer in der Grand Plaza natürlich.«

»Wir planen auch, unseren Zentralplatz zu bepflanzen«, sagte Tsavo. »Auch mit Bäumen.«

»Aha«, sagte Pancho und sagte sich, wenn Humphries Nairobi nicht finanziert, wer dann? Und wieso?

Der Empfänger in Tsavos Ohr summte. »Mr. Yamagata wird in zwei Stunden erwartet. Es soll keine Befragung von Ms. Lane geben, bis er eingetroffen ist. Fahren Sie mit dem Essen fort, wie ursprünglich geplant.«

Genau in diesem Moment fragte Pancho: »Sagen Sie, wann gibt es denn Essen? Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gehabt.«

»Perfektes Timing«, murmelte Tsavo und blieb an einer Doppeltür stehen. Mit beiden Händen stieß er sie auf. Pancho schaute in einen Konferenzraum, der in einen Speisesaal verwandelt worden war. Der Tisch in der Mitte war für acht Personen gedeckt, und es standen sechs Leute an der Anrichte am hinteren Ende des länglichen Raums, wo Getränke serviert worden waren.

Zwei von ihnen waren Frauen, und bei allen handelte es sich um dunkelhäutige Afrikaner.

Tsavo stellte Pancho seinen Kollegen von Nairobi Industries vor. Dann entschuldigte er sich und verschwand für einen Moment im Nebenraum, wo die Kellner mit einer Gruppe von sechs japanischen Männern und Frauen warteten.

»Keine Drogen«, sagte Tsavo zu ihrem Vorgesetzten. »Es soll ein ganz normales Essen werden. Wir können sie später immer noch ruhig stellen.«

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