Das Humphries-Anwesen: Auf dem Dach

Rauch quoll durch den Lüftungsschacht, den Fuchs geöffnet hatte. Die Wachen unten im Garten wurden aufmerksam. Einer von ihnen zog ein Handy aus der Tasche und sprach hinein.

Wir müssen runter vom Dach und zur Ausgangsluke, sagte Fuchs sich. Und zwar schnell, bevor die Wachen sich draußen sammeln und uns jeden Fluchtweg abschneiden.

Er drehte sich um und sah, dass Nodon allein dasaß. Die Augen hatte er wieder geöffnet. Er wirkte noch benommen, war aber wenigstens bei Bewusstsein.

»Nodon«, flüsterte Fuchs und ging neben dem Verwundeten in die Hocke, »kannst du gehen?«

»Ich glaube schon, Kapitän.« Nodons rechte Schulter hatte aufgehört zu bluten, doch die verschmorte Stelle am Overall zeigte, wo der Laserstrahl ihn getroffen hatte. Der Arm hing schlaff an der Seite herunter.

Fuchs wandte sich Amarjagal zu und deutete auf die zwei Wachen unten. »Nimm dir die beiden vor, sobald ich es sage. Sanja, du hilfst mir, Nodon zu tragen.«

Sanja nickte wortlos, während Amarjagal den Ladezustand der Pistole in ihrer Hand überprüfte. Als Fuchs Nodon einen fleischigen Arm um die Taille legte, sah er die zwei Wachen in ihre Richtung schauen. Der eine sprach noch immer in sein Handy.

»Jetzt!«, rief er und stellte Nodon auf die Füße.

Amarjagal schoss dem mit dem Handy in den Kopf, schwenkte herum und traf seinen Begleiter in die Brust. Sie beide stürzten in die Sträucher, die den Gartenpfad säumten.

Sanja half Fuchs mit Nodon. »Springen!«, schrie Fuchs, und alle vier sprangen vom Dach und landeten mit einem Plumps im Gebüsch, das an der Hauswand wuchs. Mondschwerkraft, sagte sich Fuchs dankbar. Auf der Erde hätten wir uns alle Knochen gebrochen.

Sie liefen den Ziegelpfad entlang, wobei sie Nodon halb mitschleppten, und hielten auf die schwere luftdichte Luke zu, die der einzige Ausgang aus der Felsenhöhle war. Fuchs hörte Schreie hinter ihnen. Er drehte den Kopf und sah drei Wachen aus der Haustür des Herrenhauses stürzen; sie hatten Pistolen in den Händen. Eine aschgraue Rauchfahne quoll aus der offenen Tür.

»Stehen bleiben, oder wir schießen«, rief eine der Wachen. »Es gibt keinen Ausweg für Sie.«

»Amarjagal, hilf Sanja«, sagte Fuchs. Er ließ den Verwundeten los und fiel auf ein Knie. Dann eröffnete er das Feuer auf die drei Wachen. Sie verteilten sich und gingen hinter den Büschen in Deckung. Fuchs schoss auf sie, bis die Batterie der Pistole schlappmachte. Einer der blühenden Büsche ging in Flammen auf, und eine Wache sprang hinter ihm hervor.

»Gebt mir eure Waffen! Schnell!«, rief Fuchs und rannte zu den anderen zurück.

Sie ließen gehorsam ihre Pistolen auf den Pfad fallen und verlangsamten kaum das Tempo, mit dem sie den verwundeten Nodon zur Luke trugen. Nodon kennt als Einziger den Notfall-Code, um die Luke zu öffnen, sagte sich Fuchs. Er sollte lieber bei Bewusstsein sein, wenn wir dort ankommen, oder wir werden alle bald tot sein.

Er duckte sich hinter einen kräftigen Baumstamm und ließ den Blick über den Pfad schweifen. Niemand war zu sehen. Sie krochen vielleicht durchs Gebüsch, wurde Fuchs sich bewusst. Er überprüfte die drei Pistolen zu seinen Füßen. Er nahm die mit der fast vollen Batterie und bestrich das Grünzeug in der Hoffnung, es zu entzünden. Ein paar Pflanzen wurden zwar angekokelt, brannten aber nicht. Fuchs fluchte, als die Pistole den Dienst versagte, und nahm die nächste.

In seinem Schlafzimmer schrie Humphries auf den Sicherheitschef ein.

»Was soll das heißen, das ganze Haus brennt? Es kann doch gar nicht brennen, Sie dummer Scheißkerl! Die Brandmauern …«

»Mr. Humphries«, sagte der Sicherheitschef indigniert, »die Brandmauern haben versagt. Die Einbrecher haben einen Belüftungsschacht geöffnet, und das Feuer breitet sich am Dachgesims entlang aus. Sie werden Ihre Suite räumen müssen, Sir, und zwar verdammt schnell.«

Humphries' Bildschirmdarstellung schaute finster.

»Ich gehe jetzt«, sagte der Sicherheitschef. »Wenn Sie gebraten werden wollen, ist das Ihre Sache, Sir.«

Das Telefondisplay wurde dunkel. Humphries schaute zu Ferrer auf. »Das kann nicht sein«, sagte er. »Ich glaube es nicht.«

Sie stand an der Tür, zum Ausbruch bereit. »Wenigstens haben Fuchs und seine Leute das Haus verlassen«, sagte sie bemüht ruhig.

»Wirklich?«

»Das haben die Wachen draußen gemeldet. Erinnern Sie sich? Sie sind in einen Schusswechsel verwickelt.«

»Schusswechsel?« Humphries schien nicht imstande zu sein, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Ereignisse überstürzten sich förmlich.

»Wir müssen raus, Martin«, sagte sie laut, fast schreiend.

Humphries kam es so vor, als ob es jetzt warm im Schlafzimmer würde.

Das ist alles nur Einbildung, sagte er sich. Die Suite ist isoliert und geschützt. Hier kommt niemand rein.

Über ihnen knarrte es unheilverkündend. Humphries warf einen Blick zur Decke, doch es wirkte alles normal. Er ließ hektisch den Blick schweifen. Das ganze Gebäude brennt, hallte die Stimme des Sicherheitschefs in seinem Kopf nach. Ich bezahle diesen Idioten dafür, dass er mich beschützt, sagte sich Humphries. Er ist erledigt. Ich werde ihn feuern. Definitiv.

»Wie öffnet man diese Luke?«, fragte Ferrer. Sie stand an der Schlafzimmertür — die Tür selbst stand offen, aber die Cermet-Schutzwand saß bombenfest.

Humphries indes schaute aus dem Fenster. »Mein Garten!«, heulte er und starrte auf die Flammen, die an den Ästen der Bäume züngelten.

»Wir müssen hier raus …« Ferrer legte die Hand auf das Cermet-Schott und zuckte zurück. »Es ist heiß.«

Das Telefon war tot, stellte Humphries fest. Die Steuerung der feuerfesten Trennwände war automatisiert. Sobald die Sensoren ein Feuer entdeckten, wurden die Luken geschlossen, bis sie manuell wieder geöffnet wurden. Aber die Steuerung ist unten im Sicherheitsbüro, im Keller, wurde Humphries sich bewusst. Und dieser gelbe kleine Bastard ist abgehauen.

Ich könnte die Steuerung per Überrangschaltung von meinem Computer aus übernehmen, sagte er sich. Aber er steht im Wohnzimmer, und von dem sind wir abgeschnitten!

Er spürte, wie die Panik in ihm emporstieg, wie damals die schäumenden Wogen des Meeres über ihm zusammengeschlagen waren.

Ferrer stand mit angstgeweiteten Augen vor ihm und schrie etwas. Humphries hörte nicht, was sie sagte. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Das ganze Haus brennt! Er schaute an ihrem entsetzten Gesicht vorbei durchs Schlafzimmerfenster und sah, dass es jetzt im Garten überall brannte.

Ferrer ohrfeigte ihn. Hart. Ein stechender Schmerz im Gesicht. Instinktiv schlug Humphries mit aller Kraft auf sie ein. Sie taumelte zurück; sein Handabdruck zeichnete sich rot in ihrem Gesicht ab.

»Du Schlampe! Was glaubst du, wer du bist?«

»Martin, wir müssen hier raus! Wir müssen durchs Fenster nach draußen!«

Vielleicht war es der Schlag, oder vielleicht auch der Anblick der immer kühlen und logischen Ferrer, die nun panisch und entsetzt schaute. Was auch immer der Grund war, Humphries spürte, dass seine Panik abflaute. Die Angst war zwar noch da, aber er vermochte sie nun zu kontrollieren.

»Es brennt dort auch«, sagte er und zeigte aufs Fenster.

Sie wurde totenbleich. »Das Feuer wird der Luft den ganzen Sauerstoff entziehen! Wir werden ersticken!«

»Sie werden ersticken«, sagte Humphries emotionslos. »Fuchs und das Gesindel, das er mitgebracht hat.«

»Und die Wachen!«

»Was soll mit denen sein? Sie sind ein nutzloser Haufen hirntoter Scheißer.«

»Aber wir werden doch auch ersticken!«, rief Ferrer fast hysterisch.

»Nicht wir«, sagte er. »Du.«


Das sechshundert Meter lange Betongewölbe der Grand Plaza von Selene wurde teilweise durch zwei Türme gestützt, die als Bürogebäude dienten. Selenes Sicherheitsbüro befand sich in einem dieser Türme, nicht weit von Douglas Stavengers kleiner Büro-Suite entfernt.

Zu dieser späten Stunde war das Sicherheitsbüro nur mit zwei Männern besetzt, die beide bis zum Punkt der Langeweile entspannt inmitten tief gestaffelter Reihen altmodischer Flachbildschirme saßen, die jeden Gang und öffentlichen Raum der unterirdischen Stadt zeigten. Auf den Konsolen, die eine Wand des weiträumigen Büros säumten, wurden die Daten von Sensoren angezeigt, die Luft- und Wasserqualität, Temperatur und andere Umweltfaktoren überall in der Stadt überwachten.

Sie spielten Schach auf einem richtigen Brett mit Onyx-Figuren, um die Langeweile zu vertreiben. Die Sensoren und Anzeigen waren alle automatisiert, sodass im Grunde keine Notwendigkeit für die Präsenz menschlicher Wächter bestand. Es trat fast nie ein so gravierendes Problem auf, das ein Klempner oder Elektriker nicht in einer Stunde oder weniger beheben konnte.

Der ältere Sicherheitsbeamte schaute mit einem maliziösen Grinsen vom Schachbrett auf. »Matt in drei Zügen.«

»Einen Scheiß«, sagte der andere und griff nach einem Turm.

Plötzlich schrillte ein Alarm, und gespenstische rote Lichter blinkten auf mehreren Konsolen. Der Turm wurde achtlos fallen gelassen, und die Männer glotzten ungläubig auf die Bildschirme. Alles schien normal, aber der Alarm schrillte trotzdem.

»Es kommt von der untersten Ebene«, schrie der Ranghöhere gegen den Lärm an, während seine Finger geschickt über die Tastatur der Hauptkonsole huschten. »Die Temperaturfühler sind überlastet.«

»Das ist doch Humphries' Bereich«, sagte der rangniedere Kollege. »Wir haben keine Kameras da unten.«

»Entweder sind die Sensoren ausgefallen«, sagte der andere kopfschüttelnd, »oder dort unten brennt ein Höllenfeuer.«

»Ein Feuer? Das ist un …«

»Sieh dir die Anzeigen an! Der Sauerstoffwert geht zurück!«

»Heilige Mutter Gottes!«

Der Dienstältere hieb auf die Taste des Notfalltelefons. »Notfall! Feuer auf Ebene Sieben. Ich mache alle Schotts und Lüftungsschächte dicht.«

»Es sind Leute da unten!«, gab sein Assistent zu bedenken. »Martin Humphries selbst. Wenn wir sie isolieren, werden sie alle umkommen!«

»Und wenn wir sie nicht isolieren«, sagte der Vorgesetzte, während er hektisch auf der Tastatur herumhackte, »wird das Feuer auch noch der übrigen Stadt den Sauerstoff entziehen. Sollen vielleicht alle draufgehen?«

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