Basis Leuchtender Berg

Ist schon länger her, dass ich einen Schlepper gefahren habe, sagte sich Pancho, als sie die Rampe zur höchsten Ebene der Basis hinaufhetzte. Sie haben sich seither aber kaum verändert und sind auch nicht weiterentwickelt worden.

Der Umstand, dass die Nairobi-Basis so groß war, gereichte ihr nun zum Vorteil. Sie schwärmen auf der Suche nach mir in alle Richtungen aus; sie müssen ein großes Gebiet absuchen. Ich bin in Sicherheit, bis diese drei Geblendeten anfangen zu reden.

Die Zugmaschine erreichte das obere Ende der Rampe. Pancho fuhr an einer Gruppe von Bauarbeitern in blauen Overalls vorbei und steuerte eine ruhige, verlassene Stelle an der Basis der Kuppel an. Sie vermutete, dass es eine gute halbe Stunde dauern würde, um den Laser aufzuladen und ein hinreichend großes Loch in die metallene Wand der Kuppel zu schneiden. Du ziehst dir vorher besser den Softsuit an, sagte sie sich. Es sei denn, du willst Vakuum atmen.

Nobuhiko bedauerte Daniel Tsavo. Der Mann saß in einem Klapprollstuhl im Krankenhaus der Basis; er hatte sich fast in einer fötalen Position zusammengekrümmt, die Fäuste im Schoß geballt und die blinden Augen auf den Boden gerichtet. Es muss schrecklich sein, wenn man blind ist, sagte Nobu sich — selbst wenn es nur vorübergehend ist.

Zwei Ärzte und drei Krankenschwestern beendeten ihre Verrichtung; sie hatten Tsavos Augen bandagiert, während der Mann leise und zornig nuschelte, was Pancho ihm angetan hatte.

Obwohl Nobu sich Tsavos gemurmelte Geschichte mit ausdruckslosem Gesicht anhörte, kam er nicht umhin, eine gewisse Bewunderung für Pancho zu hegen. Sie ist in die Höhle des Löwen spaziert, wurde er sich bewusst. Sie ist hierher gekommen, um sich über Nairobi zu informieren. Ich frage mich, ob sie nun weiß, dass Nairobi ein Werkzeug der Yamagata Corporation ist? Und wenn sie es weiß, was soll ich dagegen tun?

Ich sollte meinen Vater anrufen, sagte Nobuhiko sich. Aber nicht hier. Nicht jetzt. Nicht vor diesen Ausländern. Warte. Hab Geduld. Du bist die ganze Strecke zum Mond geflogen und kannst dich nun auch in Geduld üben, bis sie Pancho fassen. Dann werden wir herausfinden, wie viel sie weiß. Und wenn wir das wissen, ist es an der Zeit zu entscheiden, wie wir mit ihr verfahren.


Pancho dachte an Yamagata, als sie den Laser von der Ladefläche des Minischleppers zur gewölbten Metallwand der Kuppel trug. Auf der obersten Ebene der Basis war es ruhiger als auf den tieferen Niveaus. Die Bauarbeiten hier waren fast abgeschlossen — von kleinen Gruppen abgesehen, die auf dem Boden der Kuppel verstreut Malerarbeiten ausführten und Trennwände aufstellten. An allen Luftschleusen waren Wachen postiert und noch mehr an den Spinden, in denen Raumanzüge aufbewahrt wurden.

Sie duckte sich und nutzte den Schlepper als Deckung; in der Hoffnung, dass die Leute, die auf dieser Ebene nach ihr suchten, nichts anderes als eine Zugmaschine sahen, die an einem freien Abschnitt der Wand geparkt war. Bis der Laser Funken aus geschmolzenem Metall sprüht, doch dann ist es zu spät, mich noch aufhalten zu wollen. Hoffe ich zumindest.

Wieso sponsert Yamagata Nairobi, fragte sie sich, während sie das Stromkabel mit dem thermionischen Generator des Schleppers verband. Nobuhiko hat doch gesagt, dass Yamagata sich nicht mehr an Weltraumoperationen beteiligt, weil sie alle Anstrengungen auf die Erde konzentrieren. Ja, sicher. Nobu hat mich belogen. Der Hundesohn benutzt Nairobi, um sich auf dem Mond zu etablieren. Aber wieso?

Erst als sie den Laser einsatzbereit hatte und den Softsuit aus der Reisetasche zog, fand Pancho die Antwort. Yamagata will den Gürtel übernehmen! Sie lassen Astro und Humphries ausbluten und gehen dann über die Leichen und übernehmen die Kontrolle über den Gürtel! Sie helfen uns noch dabei, diesen verdammten sinnlosen Krieg zu führen!

Plötzlich wurde Pancho wütend. Über sich selbst. Ich hätte das sehen müssen, sagte sie sich. Wenn ich auch nur die Hälfte der Intelligenz hätte, die Gott einer Wasserbüffelkuh vermacht hat, wäre ich schon vor Monaten darauf gekommen. Verdammt! Ich bin genauso blind gewesen, wie ich die Leute dort unten gemacht habe.

Okay, sagte sie sich. Du bist also reingelegt worden. Dann pass jetzt wenigstens auf, dass du nicht auch noch draufgehst. Check den Anzug gründlich durch!

Der Softsuit war leicht anzuziehen. Man trat einfach hinein wie in einen Overall, schob die Arme durch die Ärmel und schloss die Vorderseite wie mit einem Klettverschluss. Die Nanomaschinen werden durch die Körperwärme aktiviert, wie sie wusste. Sie schob die Finger in die hauchdünnen Handschuhe und fragte sich erneut, wie die virengroßen Nanos sie vorm Vakuum des Raums zu schützen vermochten, ohne sich zu versteifen, wie es bei normalen Handschuhen und Gewebe-Anzügen der Fall war.

Sie hatte noch nie zuvor einen Nanotech-Helm getragen. Er hing schlaff in ihren behandschuhten Händen wie ein leerer Plastikbeutel. Pancho las die bebilderte Bedienungsanleitung auf dem Palmcomp und blies ihn auf wie einen Luftballon. Er blähte sich zu einem starren Kugelhelm auf. Er fühlte sich zwar etwas schwammig an, doch Pancho setzte sich den Helm auf den Kopf und versiegelte ihn am Kragen des Anzugs, indem sie mit zwei Fingern an der Naht entlangfuhr. Wie man einen Gefrierbeutel versiegelt, sagte sie sich.

Es gab keinen Lebenserhaltungs-Tornister; nur eine kleine grüne Sauerstoffflasche, die für eine Stunde reichte. So stand es jedenfalls in der Bedienungsanleitung.

Also gut, sagte sie sich. Du hast eine Stunde.


Die Sicherheitsangestellte von Nairobi hatte Schwierigkeiten zu verstehen, was die fast hysterische Japanerin sagte. Sie rieb sich ständig die Augen und schluchzte hemmungslos. Die zwei afrikanischen Wachen, beides Männer, lagen noch immer bewusstlos auf dem Betonboden.

Sie rief ihren Vorgesetzten übers Handy an und meldete den Fund: eine Zugmaschinen-Fahrerin und zwei Wachen — alle drei geblendet und außer Gefecht gesetzt.

»Wo ist der Schlepper?« Das Gesicht des Mannes schaute sie sogar auf dem kleinen Handydisplay unversöhnlich und grimmig an.

»Nicht hier«, antwortete sie.

Der Vorgesetzte lächelte fast. »Gut. Alle Zugmaschinen haben Funkbojen. Fragen Sie die Fahrerin nach der Kennung des Schleppers, und dann können wir sein Funkfeuer verfolgen und die Flüchtige aufspüren.«

»Vorausgesetzt, die Flüchtige ist überhaupt noch im Besitz des Fahrzeugs«, sagte sie spontan.

Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich noch mehr. »Natürlich unter dieser Voraussetzung«, knurrte er.

Es war nicht klug, klüger als der Chef sein zu wollen, wurde sie sich zu spät bewusst.


Pancho zögerte noch, als sie den Schneidkopf des Lasers an die gewölbte Metallwand hielt. Ich schneide ein Loch hinein, und die Luft entweicht blitzschnell. Die Leute hier tragen keine Anzüge. Sie konnten getötet werden.

Dann schüttelte sie den Kopf. Dafür ist die Kuppel zu groß. Wenn die Luft entweicht, schaffen sie Abdichtplatten heran und stopfen das Leck, bis eine Reparatur-Mannschaft eintrifft und es abdichtet. Niemandem wird etwas zustoßen außer dir, sagte sie sich, wenn du nicht endlich mit dem Arsch hochkommst.

Sie betätigte den Schalter des Lasers. Der Infrarot-Strahl selbst war unsichtbar, doch es erschien sofort ein kirschroter glühender Punkt an der Metallwand. Pancho hielt den Laserkopf wie einen altmodischen Bohrhammer in beiden behandschuhten Händen und führte ihn langsam in einem Bogen. Sie spürte nichts im Softsuit, sah aber, dass Staub auf dem Boden aufgewirbelt wurde und in der dünnen, rotglühenden Schneidnaht verschwand. Ich bin durch, sagte sie sich. Nichts als Vakuum da draußen.

Die Wand war dick, und die Arbeit ging nur langsam voran, doch schließlich hatte Pancho ein halbkreisförmiges Loch ausgeschnitten, das groß genug war, dass sie hindurchkriechen konnte. Staub und Metallspäne wurden durch die Öffnung gesogen. Als sie den Laser ausschaltete und durchs Loch schlüpfte, sah sie aber, dass noch eine Wand dahinter war. Verdammt! Ein Meteor-Schild.

Es war eine dünne Wand aus Wabenkernmetall außerhalb der eigentlichen Kuppel, die den Hagel von Mikrometeoriten absorbieren sollte, der unablässig auf die Mondoberfläche prasselte. Grummelnd nahm Pancho den Laser wieder auf und machte sich noch einmal an die Arbeit. Das geht jetzt aber viel schneller, sagte sie sich.

Sie hörte eine Stimme, die aus nächster Nähe etwas auf Japanisch brüllte — aber sie ignorierte es und sägte mit dem Laser hektisch ein Schlupfloch in den Meteor-Schild.

»Sie da!«, schrie eine Männerstimme. »Hören Sie sofort auf damit, oder ich schieße!«

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