Die unheimlich anmutenden steilen Gipfel rings um Richard erglühten unter der sanften Berührung der letzten Strahlen der tiefstehenden Sonne. Wahrend er den einsamen Rand der himmelwärts ragenden Berge dahinter aufmerksam beobachtete, verdunkelten sich die langen Schatten im bernsteinfarbenen Licht; steinernen Wächtern gleich säumten Zacken rötlichen Gesteins die unteren Gefilde der trostlosen Vorberge, so als lauschten sie auf das hallende Knirschen seiner Schritte im mäandernden Kiesbett des Flusses.
Richard war nach Einsamkeit zumute gewesen, um nachdenken zu können, also war er allein losgezogen, um das Gelände zu erkunden.
Zu seiner großen Enttäuschung hatte ihm das Buch bislang noch nichts verraten, was ein wenig Licht in die rätselhafte Existenz der eigenartigen Grenzlinie hätte werfen können – ganz zu schweigen von der Verbindung zwischen seinem Titel, dem Ort mit Namen »Säulen der Schöpfung« sowie den nicht mit der Gabe geborenen Menschen wie Jennsen. Der Anfang des Buches, soweit er ihn bisher übersetzt hatte, schien im Wesentlichen eine historische Niederschrift zu sein, die sich mit unvorhergesehenen Ereignissen im Zusammenhang mit dem Auftreten der »Säulen der Schöpfung«, wie Menschen wie Jennsen genannt wurden, sowie den ausnahmslos gescheiterten Versuchen, diese »Unglücklichen« zu »heilen«, befaßte.
Bislang deutete nichts darauf hin, daß ihm das Buch irgendwann irgendwelche Antworten liefern würde, nichtsdestoweniger schien der sich nur allmählich entwickelnde Bericht auf einen Punkt zuzusteuern, der ihn zunehmend mit Besorgnis erfüllte. Gern hätte er einige Kapitel übersprungen, doch frühere Erfahrungen hatten gezeigt, daß dies oft mehr Zeit kostete als sparte, weil dadurch ein Verständnis des Gesamtzusammenhangs eher behindert wurde – was wiederum zu vorschnellen Schlüssen verleitete. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich einfach durchzubeißen.
Nachdem er den ganzen Tag gearbeitet und sich intensiv mit dem Buch beschäftigt hatte, hatte er schließlich rasende Kopfschmerzen bekommen. Zuvor waren diese mitunter tagelang ausgeblieben, doch jetzt schienen sie mit jedem Auftreten stärker zu werden. Er hütete sich davor, Kahlan von seiner Befürchtung zu erzählen, er könnte es vielleicht nicht bis zum Brunnen der Sliph in Tanimura schaffen, und zermarterte sich neben der Arbeit an der Übersetzung auch noch den Verstand auf der Suche nach einer Lösung dieses Problems.
Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was der Schlüssel zu den von der Gabe ausgelösten Kopfschmerzen sein mochte, dennoch beschlich ihn das beklemmende Gefühl, daß dieser womöglich bei ihm selbst lag. Er befürchtete, es könnte sich um ein Problem der Ausgewogenheit handeln, das er einfach übersah. Einmal, als er gerade allein unterwegs war, hatte er sogar seine Zuflucht darin gesucht, sich auf den Boden zu setzen und zu meditieren, wie es ihm die Schwestern einst beigebracht hatten, um sich auf die Gabe in seinem Innern zu konzentrieren. Es hatte nichts genützt.
Bald würde es dunkel werden, und sie mußten für die Nacht haltmachen. Da das Gelände sich inzwischen verändert hatte, ging es nicht mehr einfach nur darum, zu prüfen, ob ihre unmittelbare Umgebung sicher war, denn mittlerweile befanden sie sich in einer Gegend, wo hinter jeder Ecke eine ganze Armee auf der Lauer liegen konnte. Solange die Riesenkrähen sie beschatteten, war unmöglich zu sagen, wer alles Kenntnis von ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort hatte. Er hatte nicht einfach nur eine Atempause gebraucht, um in Ruhe über das Gelesene nachzudenken und das Problem der Kopfschmerzen vielleicht aus sich selbst heraus zu lösen, er hatte auch eigenhändig das Gelände erkunden wollen.
Richard hielt einen Moment inne, um eine Wachtelfamilie mit ausgewachsenen Jungtieren beim Überqueren einer freien Stelle im Gelände zu beobachten. Gemächlich trotteten sie hintereinander über ein freiliegendes Kiesbett, während das Vatertier hoch oben auf einem Fels Wache hielt. Kaum hatten sie das Gestrüpp erreicht, waren sie auch schon nicht mehr zu sehen.
Da und dort war die weiträumige Landschaft aus unregelmäßigen Hügeln, Wasserläufen und zutage liegendem Muttergestein mit kleinwüchsigen, knorrigen Föhren bedeckt. Weiter oben, auf den nahen Berghängen, gab es einen üppigeren Baumbestand aus hochgewachsenen Koniferen. In den geschützten Senken wucherte in undurchdringlichen Büscheln dichtes Unterholz, während das offene Gelände teilweise mit zarten Gräsern bewachsen war.
Richard wischte sich den Schweiß aus den Augen und hoffte, die Luft werde nach Sonnenuntergang ein wenig abkühlen. Er arbeitete sich im Schutz des Unterlaufes einer ausgewaschenen Ablaufrinne im Einschnitt zwischen zwei Hügeln voran und wollte gerade nach seinem Wasserschlauch greifen, um seinen Durst zu löschen, als eine Bewegung auf der gegenüberliegenden Bergflanke ihn innehalten ließ.
Er ging hinter einem länglichen Felsvorsprung in Deckung, um nicht gesehen zu werden, und riskierte einen vorsichtigen Blick. Ein Mann kletterte über das lose Geröll des Hanges nach unten. Das Poltern der Steine, die den Hang hinabrollten, sobald er seinen Fuß aufsetzte, erzeugte ein fernes Echo, das leise durch die Felsschluchten hallte.
Richard hatte damit gerechnet, daß sie nach Verlassen der abweisenden Wüste jederzeit auf Menschen stoßen konnten, deshalb hatte er alle die schwarzen Nomadengewänder der Wüstenbewohner ablegen und wieder ihre unauffälligen Reisekleider überstreifen lassen. Zwar trug er jetzt eine schwarze Hose und ein einfaches Hemd, doch war sein Schwert alles andere als unauffällig. Selbst Kahlan hatte schlichtere Kleidung angezogen, die besser zu der ärmlichen Bevölkerung der Alten Welt paßte, auch wenn sie an Kahlan keinen großen Unterschied bewirkten; ihre Figur, ihr Haar, vor allem aber ihre Erscheinung selbst ließen sich dadurch kaum verhüllen. Sobald sie jemanden aus ihren grünen Augen ansah, überkam den Betreffenden der unwiderstehliche Drang, sich auf die Knie zu werfen und das Haupt vor ihr zu senken – ganz gleich, was sie gerade trug.
Zweifellos hatte Jagang ihre Beschreibung landauf, landab verbreitet und eine so gewaltige Belohnung ausgesetzt, daß vermutlich nicht einmal seine ärgsten Feinde der Versuchung widerstehen konnten. Für viele in der Alten Welt jedoch war eine Fortdauer des Lebens unter dem barbarischen Regime der Imperialen Ordnung ein zu hoher Preis. Belohnung oder nicht, viele sehnten sich nach einem Leben in Freiheit und waren bereit, für dieses hehre Ziel zu kämpfen.
Ein anderes Problem waren die Bande zwischen dem jeweiligen Lord Rahl und dem Volk D’Haras, denn die uralten, von Richards Vorfahren geschaffenen Bande ermöglichten es D’Haranern, den jeweiligen Aufenthaltsort des Lord Rahl zu spüren. Das Gleiche galt demnach auch für die Imperiale Ordnung, die diese Information schließlich nur aus einem D’Haraner herauszufoltern brauchte. Verweigerte jemand selbst unter Folter diese Auskunft, würden sie gewiß nicht davor zurückschrecken, es so lange mit anderen zu versuchen, bis sie die gewünschte Information erhielten.
Nachdem der einsame Mann den Fuß des Hügels erreicht hatte, bahnte er sich auf dem Grund der ausgewaschenen Felsrinnen weiter seinen Weg. Ein gutes Stück rechts von Richard wirbelten Wagen und Zuggespann eine lange Staubwolke auf. Dem Anschein nach hielt der Mann genau darauf zu.
Aus dieser Entfernung war es nur schwer mit Gewißheit zu sagen, doch Richard bezweifelte, daß es sich bei dem Mann um einen Soldaten handelte. Ein Späher noch dazu in seiner eigenen Heimat, war er vermutlich ebensowenig. Ein Soldat hätte ohnehin kaum Grund, sich in dieses unbewohnte Gebiet zu wagen. Schließlich hatte Richard diesen Weg – erst östlich im Schatten der Berge, dann auf einer nördlicheren Route wieder zurück zu seinem Ausgangspunkt – exakt aus diesem Grund gewählt.
Richard erklomm die Rückseite eines schmalen Felsgrats, drückte sich mit dem Bauch auf den Boden und riskierte einen Blick über den Kamm. Als der Mann näher kam, sah Richard, daß er noch jung war, nicht einmal dreißig. Er wirkte hager und war mitnichten wie ein Soldat gekleidet. Sein unbeholfenes Stolpern ließ vermuten, daß er entweder mit dem Gelände nicht vertraut oder das Wandern einfach nicht gewohnt war. Über loses, scharfkantiges Trümmergestein zu kraxeln war ermüdend, zumal am Hang, wo man nirgendwo festen Boden hatte, der ein gleichmäßiges Ausschreiten erlaubte.
Der Mann blieb stehen, reckte den Hals und spähte zum Wagen hinüber. Keuchend von der Anstrengung des Abstiegs, strich er sich mehrfach das dünne blonde Haar aus dem Gesicht, ehe er den Oberkörper vorbeugte und sich mit einer Hand auf dem Knie abstützte, um zu verschnaufen.
Als er sich wieder aufrichtete, um seinen Weg fortzusetzen, und mit knirschenden Schritten die ausgewaschene Rinne entlangstolperte, ließ Richard sich vom Felsen hinuntergleiten. Das dazwischen liegende Gelände sowie einige mit knorrigen Fichten bewachsene Stellen als Deckung nutzend, blieb er von Zeit zu Zeit stehen, um auf die schweren Schritte und das mühevolle Atmen zu lauschen und sich zu vergewissern, daß seine blinde Schätzung über die Position des Mannes korrekt war.
Hinter einer alleinstehenden Felswand von gut sechzig Fuß Höhe riskierte Richard nochmals einen vorsichtigen Blick. Mittlerweile hatte er sich fast bis an ihn herangeschlichen, ohne daß der Mann seine Anwesenheit bemerkt hätte. Lautlos tastete sich Richard von Baum zu Fels und im Schutz einiger Böschungen vor, bis er ihm ein gutes Stück voraus war und sich genau in seiner Marschrichtung befand.
Regungslos wie ein Stein lauschte Richard hinter einer gedrehten Säule aus rötlichem, aus dem unebenen Boden ragenden Gestein auf das Knirschen der näher kommenden Schritte, auf den japsenden Atem des Mannes, der just über einige Felsbänke in seinem Weg hinwegkletterte. Als er keine sechs Fuß mehr entfernt war trat Richard hinter dem Felsen hervor.
Der Mann erschrak, raffte seinen leichten Reisemantel unter dem Kinn zusammen und wich einen Schritt zurück.
Richard musterte ihn äußerlich ohne Regung, innerlich dagegen stemmte sich die Kraft des Schwertes bedrohlich gegen seinen unterdrückten Zorn. Richard spürte sie einen Moment lang zögern. Da die Magie des Schwertes eine Gefahr nach der Einschätzung seines Gebieters beurteilte, war das kurze Zögern möglicherweise darauf zurückzuführen, daß der schmächtige Mann keine unmittelbare Bedrohung darstellte.
Seine Kleidung – braune Hosen, ein Hemd aus Flachs sowie ein dünner, zerschlissener Cordmantel – hatte schon bessere Tage gesehen. Er schien eine ziemliche beschwerliche Reise hinter sich zu haben – allerdings hatte auch Richard anspruchslose Kleidung angelegt, um keinen Verdacht zu erregen. Der Rucksack des Mannes schien nahezu leer zu sein. Die beiden Wasserschläuche, deren Riemen sich über seiner Brust kreuzten und den dünnen Mantel einschnürten, waren flach und leer. Soweit Richard erkennen konnte, trug er keine Waffen, nicht einmal ein Messer.
Der Mann schwieg abwartend, so als hätte er Angst, als Erster das Wort zu ergreifen.
»Du scheinst zu meinen Freunden zu wollen.« Richard deutete mit dem Kopf zu der feinen Fahne goldfarbenen Staubes hin, der, einem weithin sichtbaren Zeichen gleich, im Sonnenlicht über der bereits dunkel werdenden Ebene stand. Er wollte ihm Gelegenheit geben, sich zu erklären.
Der Fremde, die Augen aufgerissen, die Schultern ängstlich hochgezogen, strich sich mehrfach nervös das Haar aus dem Gesicht. Richard stand vor ihm wie eine Säule aus Stein und versperrte ihm den Weg. Die blauen Augen des Fremden zuckten nach rechts und links, offenbar auf der Suche nach einem Fluchtweg, für den Fall, daß er beschloß, Reißaus zu nehmen.
»Ich tue dir nichts«, sagte Richard. »Ich will lediglich wissen, was du vorhast.«
»Was ich vorhabe?«
»Warum du zu dem Wagen dort drüben willst.«
Er blickte in die Richtung des Wagens, der im Augenblick hinter den schroffen Gesteinsfalten nicht zu sehen war, ehe sein Blick an Richards Schwert entlang und schließlich zu dessen Augen wanderte.
»Ich bin ... auf der Suche nach Hilfe«, erklärte er schließlich.
»Hilfe?«
Er nickte. »Ganz recht. Ich bin auf der Suche nach einem Mann, dessen Handwerk das Kämpfen ist.«
Fragend legte Richard den Kopf auf die Seite. »Demnach suchst du so etwas wie einen Soldaten?«
Schweigen.
Richard zuckte die Schultern. »Bei der Imperialen Ordnung gibt es jede Menge Soldaten. Wenn du weitersuchst, wirst du ohne Zweifel einigen von ihnen begegnen.«
Der Fremde schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin auf der Suche nach dem Mann, der von weit her gekommen ist – aus dem hohen Norden. Dem Mann, der meinem unterdrückten Volk in der Alten Welt die Freiheit bringen und unser aller Hoffnung erfüllen wird, daß die Imperiale Ordnung – der Schöpfer möge ihnen ihre Irrwege verzeihen – aus unserem Leben vertrieben wird, damit wir wieder in Frieden leben können.«
»Tut mir leid«, sagte Richard. »Ein solcher Mann ist mir nicht bekannt.«
Der Fremde schien über Richards Worte nicht enttäuscht zu sein; er schien sie vielmehr ganz einfach nicht zu glauben. Seine feingeschnittenen Gesichtszüge drückten eher Freude aus, auch wenn er nach wie vor nicht überzeugt wirkte.
»Meint Ihr, Ihr könntet«- zögernd streckte er seinen Arm vor und deutete auf den Wasserschlauch -»mir wenigstens einen Schluck zu trinken geben?«
Richard entspannte sich ein wenig. »Selbstverständlich.«
Er streifte den Riemen von der Schulter und warf dem Fremden den Wasserschlauch zu, der ihn auffing, als wäre er aus kostbarem Glas. Er zerrte an dem Verschluß, bis er ihn endlich heraus hatte, und begann, das Wasser in gierigen Schlucken hinunterzustürzen.
Unvermittelt hielt er inne und setzte den Wasserschlauch ab. »Entschuldigt. Ich hatte nicht die Absicht, Euch das ganze Wasser wegzutrinken.«
»Schon gut.« Richard bedeutete ihm, auszutrinken. »Auf dem Wagen habe ich noch mehr. Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.«
Als Richard darauf seine Daumen hinter seinen Gürtel hakte, bedankte sich der Fremde mit einem Nicken und setzte den Wasserschlauch erneut zu einem langen Zug an.
»Wo hast du von diesem Mann, diesem Freiheitskämpfer; gehört?«
Der Fremde setzte den Wasserschlauch wieder ab und legte, ohne Richard auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen, eine Pause ein, um Luft zu holen. »Man erzählt sich überall von ihm. Die Freiheit, die er hier in der Alten Welt errungen hat, hat uns allen wieder Hoffnung gegeben.«
Richard lächelte angesichts der Tatsache, daß selbst an einem so finsteren Ort wie dem Herzen der Alten Welt die leuchtende Hoffnung auf Freiheit offensichtlich noch nicht gänzlich erloschen war. Offenbar sehnten sich die Menschen überall nach denselben Dingen, nach der Gelegenheit auf ein Leben in Freiheit und der Möglichkeit, sich aus eigener Kraft emporzuarbeiten.
Über ihnen tauchte urplötzlich eine Riesenkrähe auf, die mit weit gespreizten Schwingen über das freie Stück Himmel zwischen den Felshängen zu beiden Seiten glitt. Richard hatte seinen Bogen nicht mitgenommen, aber die Riesenkrähe blieb ohnehin außer Reichweite.
Der Anblick der Riesenkrähe ließ den Fremden zurückschrecken, wie ein Kaninchen, das einen Falken erblickt.
»Tut mir leid, daß ich dir nicht weiterhelfen kann«, sagte Richard, als die Riesenkrähe wieder verschwunden war. Er warf einen prüfenden Blick hinter sich, wo sich, jenseits des nahen Hügels, der Wagen befinden mußte. »Ich bin mit meiner Frau und meiner Familie auf der Suche nach Arbeit – und nach einem Ort, wo wir uns nicht um die Angelegenheiten anderer kümmern müssen.«
»Aber Lord Rahl, mein Volk braucht dringend ...«
Richard fuhr herum. »Was fällt dir ein, mich so zu nennen?«
»Ich ... verzeiht.« Er schluckte trocken. »Ich hatte nicht die Absicht, Euren Zorn zu erregen.«
»Wie kommst du darauf, ich sei dieser Lord Rahl?«
Er machte eine hilflos verlegene Handbewegung, während er stammelnd nach Worten suchte. »Nun, weil Ihr ... weil Ihr es einfach seid. Ich wüßte nicht, wie ich es sonst ausdrücken könnte. Es tut mir leid, wenn ich Euch mit meiner Dreistigkeit beleidigt haben sollte, Lord Rahl.«
Mit einem energischen Schritt trat Cara hinter einer Felssäule hervor.
»Was geht hier vor?«
Dem Fremden blieb vor Überraschung die Luft weg, als er sie plötzlich vor sich stehen sah, er trat noch einen weiteren Schritt zurück und hielt den Wasserschlauch gegen seine Brust gepreßt, als wäre er ein Schild aus Stahl.
Tom, das silberne Messer griffbereit, trat hinter dem Fremden aus einer Felsenrinne und schnitt ihm dem Weg ab, falls er beschließen sollte, denselben Weg zurückzulaufen, den er gekommen war.
Der Fremde drehte sich einmal um seine Achse und sah Tom in drohender Haltung hinter sich stehen. Als er seine Drehung schließlich vollendete und auch noch Kahlan neben Richard erblickte, entfuhr ihm abermals ein erschrockenes Keuchen. Trotz der staubigen Reisekleidung, die sie alle trugen, nahm Richard nicht an, daß sie wie normale Reisende auf Arbeitssuche wirkten.
»Bitte«, sagte der Fremde, »ich habe nichts Böses im Sinn.«
»Immer mit der Ruhe«, sagte Richard mit einem heimlichen Seitenblick auf Cara – seine Worte waren nicht nur auf den Fremden, sondern auch auf die Mord-Sith gemünzt. »Bist du allein?«, wandte er sich wieder an den Fremden.
»Ja, Lord Rahl. Ich bin im Auftrag meines Volkes unterwegs, genau wie ich Euch sagte. Euer Wesen muß man selbstverständlich verzeihen – ich hatte gar nichts anderes erwartet. Ihr sollt wissen, daß ich keinerlei Groll gegen Euch hege.«
»Wie kommt dieser Kerl eigentlich darauf, daß Ihr Lord Rahl seid?«, wandte sich Cara eher vorwurfsvoll denn fragend an Richard.
»Ich hab Leute ihn beschreiben hören«, warf der Fremde ein und deutete mit der freien Hand auf Richards Waffe. »Ihn und dieses Schwert. Ich hab Leute sich über Lord Rahls Schwert unterhalten gehört.« Nach kurzem Zögern traute er sich, auch Kahlan anzusehen. »Und natürlich auch über die Mutter Konfessor«, setzte er mit einer knappen Verbeugung hinzu.
Richard seufzte. »Natürlich.«
Er war ohnehin davon ausgegangen, das Schwert in Gegenwart von Fremden verstecken zu müssen, aber erst in diesem Augenblick wurde ihm so recht bewußt, wie wichtig dies würde, sobald sie in bevölkerte Landstriche gelangten. Das Schwert ließe sich noch vergleichsweise leicht verstecken, nicht aber Kahlan. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, sie in alte Lumpen zu hüllen und als Kranke auszugeben.
Der Fremde beugte sich zögernd vor gab Richard seinen Wasserschlauch zurück und bedankte sich.
»Wie lautet dein Name?«
»Owen.«
»Also gut, Owen, warum begleitest du uns nicht über Nacht in unser Lager? Dort können wir zumindest deinen Wasserschlauch auffüllen, ehe du dich morgen früh wieder auf deinen Weg machst.«
Cara sah Richard mit zusammengepreßten Zähnen an und konnte kaum noch an sich halten. »Warum überlaßt Ihr es nicht einfach mir, ihn zu ...«
»Ich denke, wir alle haben Verständnis für Owens Schwierigkeiten. Er sorgt sich um seine Freunde und seine Familie. Gleich morgen früh kann er wieder seiner Wege gehen.«
Vor allem wollte Richard ihn nicht einfach irgendwo hier draußen im Dunkeln zurücklassen, wo sie ihn nicht so leicht im Auge behalten konnten wie in ihrem Lager. Morgen früh würde man ihn sicher ohne größere Schwierigkeiten daran hindern können, ihnen zu folgen. Cara durchschaute schließlich seine Absicht und beruhigte sich; sie würde, während Richard und Kahlan schliefen, einen Fremden gewiß im Auge behalten wollen.
Kahlan neben sich, machte sich Richard auf den Weg zurück zum Wagen. Owen folgte ihnen, nicht ohne sich immer wieder nach Tom und Cara umzusehen.