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»Ihr habt uns immer noch keinen Beweis Eurer Magie gezeigt«, rief nach einer Weile einer von ihnen.

Richard überlegte kurz, trat auf die Männer zu und sagte: »Kaja-Rang versah seine Magie mit einer bestimmten Eigenschaft, die mit der hier errichteten Grenze in Zusammenhang stand und die sie sichern helfen sollte.« Richard hielt die kleine Figur von sich selbst in die Höhe, damit die Männer sie sehen konnten. »Um mich darauf aufmerksam zu machen, daß die Grenze zu eurem Land gefallen war, hat man mir dies geschickt.«

»Wieso ist der obere Teil so merkwürdig schwarz verfärbt?«, wunderte sich jemand aus der vordersten Reihe.

»Meiner Meinung nach handelt es sich um eine Anspielung darauf, daß meine Zeit abläuft und daß ich bald sterben werde.«

Besorgtes Getuschel ging durch die Gruppe der Männer. Mit erhobener Hand bat Richard sie eindringlich, ihn anzuhören, ehe er schließlich fortfuhr: »Der Sand im Innern der Figur – könnt ihr ihn alle sehen?«

Die Männer reckten die Hälse und versuchten einen Blick darauf zu erhaschen, weil aber nicht alle nahe genug standen, ging Richard durch ihre Reihen und hielt dabei die kleine Figur in die Höhe, damit alle sehen konnten, daß sie ihm nachempfunden war und der Sand im Innern herabrieselte.

»Genau genommen ist dies gar kein Sand«, fuhr er in seiner Erklärung fort, »sondern Magie.«

Owen verzog skeptisch das Gesicht. »Aber sagtet Ihr nicht eben, wir könnten Magie gar nicht sehen?«

»Ihr alle seid von der Gabe völlig unbefleckt und immun gegen Magie, weshalb ihr gewöhnliche Magie auch nicht wahrnehmen könnt. Trotzdem hat euch die Grenze daran gehindert, in die Welt hinauszugehen, oder? Was könnte, eurer Meinung nach, wohl der Grund dafür gewesen sein?«

»Dieser Wall war für uns tödlich«, ergriff ein älterer Mann, der dies offenbar für selbstverständlich hielt das Wort.

»Aber wieso konnte er Menschen etwas anhaben, die gegen Magie immun sind? Das Betreten der Grenze war für euch ebenso tödlich wie für jeden anderen. Ihr mögt nicht mit der Gabe gesegnet sein, gleichwohl seid ihr sterblich. Ihr seid den Gesetzen des Lebens unterworfen, also auch denen des Todes.«

Richard hielt die Statuette erneut in die Höhe. »Auch diese Magie ist untrennbar mit den Gesetzen der Unterwelt verbunden. Da ihr alle sterblich seid, gibt es eine Verbindung von euch zur Unterwelt, zur Macht des Hüters. Und deswegen könnt ihr auch den Sand sehen, der das Verrinnen meiner Lebenszeit anzeigt.«

»Ich wüßte nicht was daran magisch sein soll«, knurrte einer. »Eure Behauptung, daß es Magie ist oder es das Verrinnen Eurer Lebenszeit anzeigt, beweist in meinen Augen noch gar nichts.«

Richard drehte die Statuette in die Waagerechte. Der Sand rieselte munter weiter, jetzt jedoch seitwärts.

Ein verblüfftes Aufstöhnen ging durch die Reihen der Männer, begleitet von aufgeregtem Getuschel, während sie den seitwärts rieselnden Sand bestaunten. Neugierigen Kindern gleich drängten sie herbei, um die Statuette näher in Augenschein zu nehmen. Einige streckten zaghaft die Hände vor, um die tiefschwarze Oberfläche zu berühren, als Richard sie ihnen zur Begutachtung hinhielt. Andere beugten sich vor und spähten ins Innere, um den seitwärts rieselnden Sand im unteren Teil, wo die Figur noch durchsichtig war, genauer in Augenschein zu nehmen.

Trotz ihrer einhelligen Bestätigung, daß es sich um ein Wunder handeln müsse, schien sie seine Erklärung dieser unterweltlichen Magie nicht recht zu überzeugen.

»Aber wir können es doch alle sehen«, rief jemand. »Also kann es kein Beweis dafür sein, daß wir uns, wie Ihr behauptet, von anderen Menschen unterscheiden. Es beweist lediglich, daß wir fähig sind, diese Magie ebenso wahrzunehmen wie Ihr. Womöglich sind wir gar nicht dieses von der Gabe völlig unbefleckte Volk, für das Ihr uns offenbar zu halten scheint.«

Richard dachte einen Augenblick nach und überlegte, wie er diesen Männern das eigentlich Magische daran nahe bringen konnte. Er besaß zwar die Gabe, aber im Grunde waren seine Kenntnisse, wie sich dieses ihm angeborene Talent beherrschen ließ, eher begrenzt. Er wuße lediglich, daß es seine Kraft zum Teil aus seinem Zorn, gepaart mit einem Gespür für das Notwendige, bezog. Er konnte ihnen das Vorhandensein der Magie also nicht einfach, wie Zedd, durch ein kleines Zauberkunststück beweisen, zumal sie es in diesem Fall ohnehin nicht hätten sehen können.

Aus den Augenwinkeln sah er Cara mit verschränkten Armen etwas abseits stehen. Ihm kam eine Idee.

»Die Bande zwischen dem Lord Rahl und seinem Volk sind Bande der Magie«, erklärte er. »Einer Magie, die außer dem Schutz, den diese Bande vor dem Traumwandler bieten, auch noch andere Dinge ermöglicht.«

Richard bedeutete Cara, vorzutreten. »Cara hier ist nicht nur eine gute Freundin von mir sie ist auch eine Mord-Sith. Mord-Sith sind schon seit Jahrtausenden leidenschaftliche Beschützerinnen des Lord Rahl.« Richard hob Caras Arm in die Höhe, so daß die Männer den roten Stab sehen konnten, der mit einem dünnen Goldkettchen an ihrem Handgelenk befestigt war. »Dies ist ein Strafer, die Waffe der Mord-Sith. Der Strafer bezieht seine Kraft aus der Verbundenheit der Mord-Sith zu dem jeweiligen Lord Rahl – also zu mir.«

»Da ist ja nicht mal eine Klinge dran«, rief einer, als er den am Ende des Goldkettchens baumelnden Strafer genauer betrachtete. »Nichts daran ist irgendwie als Waffe zu gebrauchen.«

»Seht ihn euch genauer an«, forderte Richard sie auf, faßte Cara beim Ellenbogen und geleitete sie nach vorn, mitten zwischen die Männer. »Seht ihn euch genauer an, und überzeugt euch mit eigenen Augen, ob die Beobachtung eures Kameraden, daß er tatsächlich keine Klinge aufweist und nichts weiter ist als ein einfacher, dünner Stab, der Wahrheit entspricht.«

Sie streckten die Köpfe vor, als Cara mit erhobenem Arm durch ihre Reihen ging, damit sie ihren an seinem Kettchen baumelnden Strafer mit den Händen anfassen und genau untersuchen konnten. Nachdem sie alle einen Blick auf ihn geworfen, seine Länge untersucht, die Spitze begutachtet, ihn in der Hand gewogen und sich vergewissert hatten, daß er nicht einmal schwer genug war um als Knüppel benutzt zu werden, forderte Richard die Mord-Sith auf, die Männer damit zu berühren. Ein kurzer Schwung, und der Strafer schnellte in ihre Hand. Der grimmige Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie auf sie zuging, in der Hand jenen Gegenstand, den Richard ihnen als Waffe beschrieben hatte, bewog sie zurückzuweichen.

Cara legte ihren Strafer an Owens Schulter.

»Sie hat mich schon einmal mit diesem roten Ding berührt«, versicherte er seinen Kameraden. »Es ist völlig ungefährlich.«

Cara berührte jeden, der in Reichweite ihres ausgestreckten Armes stand. Einige schreckten aus Angst, verletzt zu werden, zurück, obschon ihren Kameraden nichts passiert war, die meisten jedoch, überzeugt daß der Strafer ihnen nichts anhaben konnte, ließen die Berührung einfach über sich ergehen.

Richard krempelte seinen Ärmel hoch. »Und nun werde ich euch zeigen, daß dies tatsächlich eine mächtige, magische Waffe ist.«

Er hielt Cara seinen Arm hin. »Macht daß es blutet«, forderte er sie mit ruhiger Stimme auf, der man nicht anmerkte, was er tatsächlich davon hielt, von einem Strafer berührt zu werden.

Cara starrte ihn entgeistert an. »Lord Rahl, ich weiß wirklich nicht...«

»Nun macht schon«, kommandierte er und hielt ihr seinen Arm hin.

»Hier«, rief Tom und hielt ihr seinen entblößten Arm vors Gesicht. »Nehmt statt dessen meinen.«

Cara war sofort bereit, darauf einzugehen.

»Nicht!«, rief Jennsen, doch da war es bereits zu spät.

Tom stieß einen Schrei aus, als Cara seinen Arm mit der Spitze ihres Strafers berührte. Er taumelte einen Schritt rückwärts, während ein feines Blutrinnsal an seinem Arm herunterrann. Die Männer, unsicher, ob sie ihren Augen trauen durften, starrten entgeistert.

»Das muß ein Trick sein«, äußerte jemand.

Während Jennsen sich um Tom kümmerte, bot Richard ihr von neuem seinen Arm an.

»Beweist es ihnen«, forderte er Cara auf. »Zeigt ihnen, was der Strafer einer Mord-Sith allein kraft seiner Magie anzurichten vermag.«

Cara sah ihm fest in die Augen. »Lord Rahl ...«

»Nun macht schon. Zeigt es ihnen, damit sie verstehen.« Er wandte sich zu den Männern herum. »Tretet näher heran, damit ihr sehen könnt, daß er sein fürchterliches Werk ohne erkennbare Hilfsmittel verrichtet. Schaut genau hin, damit ihr alle seht, daß er sein grausiges Werk allein mit Magie vollbringt.«

Richard ballte seine Hand zur Faust und streckte ihr die Innenseite seines Unterarms entgegen. »Macht es so, daß sie die Wirkung des Stabes deutlich sehen können – sonst wäre alles umsonst. Ich würde es nur ungern wiederholen müssen.«

Cara, die Lippen aus Mißbehagen über seinen Befehl zusammengepreßt blickte ihm ein letztes Mal in seine entschlossenen Augen. Ihren blauen Augen war deutlich anzusehen, welche Schmerzen es ihr bereitete, den Strafer in der Hand zu halten. Die Zähne aufeinander gebissen, nickte er ihr kurz zu, daß er bereit sei. Mit versteinerter Miene legte sie den Strafer an die Innenseite seines Unterarms.

Es war, als würde er von einem Blitz getroffen.

Die Berührung des Strafers stand in krassem Mißverhältnis zu der Erwartung, die man mit diesem Gefühl verknüpfte. Einem gewaltigen Stoß gleich zuckte der Schmerz seinen Arm hinauf und fuhr wuchtig in seine Schulter. Es war, als würden sämtliche Knochen seines Arms zerschmettert. Die Zähne fest aufeinander gebissen, hielt er Cara seinen zitternden Arm hin, während sie ihren Strafer langsam bis zum Handgelenk hinunterwandern ließ. Unmittelbar hinter ihm bildete sich eine Spur aus blutgefüllten Bläschen, bis ihm, als sie aufplatzten, das Blut am Arm herunterrann.

Richard hielt den Atem an, als er, die Bauchmuskulatur angespannt, auf ein Knie sackte; nicht etwa, weil dies seine Absicht gewesen wäre, sondern weil er sich unter der erdrückenden Last der Schmerzen einfach nicht mehr aufrecht halten konnte. Schockiert über das Blut und die offenkundigen Schmerzen, entfuhr den wie gebannt zuschauenden Männern ein entsetztes Stöhnen.

Cara zog ihre Waffe zurück. Richard löste die ungeheure Anspannung seiner gesamten Muskulatur und versuchte keuchend, den Oberkörper vorgebeugt, wieder zu Atem zu kommen und nicht vollends zusammenzubrechen. Von seinen Fingerspitzen tropfte immer noch Blut.

Kahlan war sofort bei ihm, in der Hand ein kleines Halstuch, das Jennsen aus ihrer Tasche gezogen hatte. »Hast du den Verstand verloren?«, fauchte sie ihn erbost an, während sie seinen blutenden Arm notdürftig verband.

Er bedankte sich für ihre Hilfe, war ansonsten aber nicht gewillt, auf ihren Vorwurf einzugehen, zumal er das Zittern seiner Finger nicht unterbinden konnte. Cara hatte sich nicht zurückgehalten. Er war einigermaßen sicher, daß sie ihm keine Knochen gebrochen hatte, auch wenn ihm sein Gefühl ihm etwas anderes sagte. Tränen des Schmerzes liefen ihm dennoch über die Wangen.

Als Kahlan fertig war schob Cara eine Hand unter seinen Arm und half ihm wieder auf die Beine. »Die Mutter Konfessor hat völlig Recht«, raunte sie ihm knurrend zu. »Ihr habt den Verstand verloren.«

Richard verspürte keine Lust die Notwendigkeit dessen, was er sie hatte tun lassen, zu verteidigen, statt dessen wandte er sich wieder den Männern zu und zeigte ihnen seinen Arm. Auf dem Halstuchverband hatte sich der Länge nach ein nasser, dunkelroter Fleck gebildet, der langsam größer wurde.

»Was ihr soeben gesehen habt, ist eine mächtige Magie. Die Magie selbst konntet ihr nicht sehen, wohl aber ihre Wirkung. Wenn Cara dies wünscht, vermag diese Magie zu töten.« Die Männer blickten besorgt in ihre Richtung und betrachteten sie mit neu erwachtem Respekt. »Euch dagegen konnte der Strafer nichts anhaben, weil ihr nicht fähig seid, eine Wechselbeziehung mit dieser Art der Magie einzugehen. Nur wer zumindest mit einem Funken der Gabe geboren wurde, kann die Berührung dieser Waffe spüren.«

Die Stimmung war umgeschlagen; der Anblick des Blutes hatte alle schlagartig ernüchtert.

Nur zu gern hatte Richard jetzt auch die Frage nach der Übergabe des Gegenmittels geklärt, doch Owen und seine Kameraden waren immer noch uneins. Dabei drängte die Zeit, wie Richard sich angesichts seines geschwächten Zustands infolge der Berührung mit dem Strafer eingestehen mußte. Der stechende Schmerz des Giftes kroch allmählich wieder seine Brust herauf.

Wenn er die Männer möglichst bald dazu bringen konnte, ihm das Versteck des Gegenmittels zu verraten, würde er sich vielleicht rechtzeitig wieder erholen.

Wenn nicht, war seine Überlebenschance nahezu null.

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