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Als Richard sein Schwert aus der Scheide riß, warf Kahlan sich zur Seite und ging in Deckung. Das unverwechselbare Klirren des aus Zorn gezogenen Stahls verschmolz mit Toms noch immer durch die umliegenden Hügel hallendem Warnschrei, daß sie vor Angst am ganzen Körper eine kribbelnde Gänsehaut überlief. Instinktiv wollte sie, den Blick starr in das undurchdringliche, nächtliche Dunkel ringsum gerichtet, ebenfalls zu ihrer Waffe greifen, doch die hatte sie, statt sie sich umzuschnallen, auf dem Wagen verstaut, um gar nicht erst mißtrauische Fragen nach ihrer Herkunft aufkommen zu lassen. In der Alten Welt trugen Frauen keine Waffen.

Im Schein des Feuers konnte Kahlan Richards Gesicht deutlich erkennen. Unzählige Male hatte sie ihn das Schwert der Wahrheit ziehen sehen, in den unterschiedlichsten Situationen; beim allerersten Mal, als er es – nachdem Zedd es ihm mit der Aufforderung, es zu ziehen, überreicht hatte – nur zögerlich aus der Scheide herausgezogen hatte, aber auch mitten im Eifer des Gefechts oder in Augenblicken wie diesem, wenn er sich plötzlich verteidigen mußte.

Mit dem Schwert zog Richard auch die mit ihm untrennbar verbundene Magie, denn darin bestand des Schwertes eigentliche Funktion: Seine Magie war nicht einfach nur zur Verteidigung seines rechtmäßigen Besitzers geschaffen worden, sondern diente vielmehr der Projektion seiner Absicht. Im Grunde war das Schwert der Wahrheit nicht einmal ein wirkliches Zaubermittel, sondern vielmehr das Werkzeug des Suchers der Wahrheit. Die eigentliche Waffe war der rechtmäßig ernannte Sucher selbst, der dieses Schwert, dessen Magie ihm allein gehorchte, führte.

Ebendiese Magie hatte sie, wann immer Richard das Schwert gezogen hatte, gefährlich in seinen Augen aufblitzen sehen. Und nun, zum ersten Mal überhaupt, ließ sich in seinen Augen keine Spur von Magie erkennen; der stechende Raubtierblick war ganz Richard und nichts sonst. Hatte es sie schockiert, ihn wohl das Schwert ziehen, nicht aber gleichzeitig dessen Magie in seinen Augen aufblitzen zu sehen, so war Richard vollkommen verblüfft. Er hielt einen Augenblick inne, so als wüßte er nicht weiter.

Noch ehe sie recht dazu kamen, darüber nachzudenken, was Toms Warnschrei ausgelöst haben mochte, stürzten schattenhafte Gestalten, eben noch verborgen im Schutz der nahen Bäume, aus der Dunkelheit hervor. Im nu war die Nachtluft erfüllt vom losbrechenden Lärm und Getöse grauenhafter Schreie, als eine Horde Männer brüllend in ihr Lager stürmte.

Auf den ersten Blick schien es sich nicht um Soldaten zu handeln; sie trugen weder Uniformen, noch griffen sie, wie bei Soldaten üblich, mit gezogenen Waffen an. Kahlan sah nicht einen der Kerle ein Schwert, eine Axt oder auch nur ein Messer schwingen.

Waffen oder nicht es war eine riesige Horde übelster Burschen mit wütenden Schlachtrufen auf den Lippen, so als hätten sie nichts anderes als ein blutiges Gemetzel im Sinn. Allerdings wußte sie auch, daß der Schock des unvermittelten, ohrenbetäubenden Gebrülls nichts weiter war als eine Taktik, die darauf abzielte, die Zielpersonen in hilfloser Angst erstarren zu lassen, um sie leichter niederstrecken zu können. Das wußte sie, denn sie hatte sich dieser Taktik selbst schon bedient.

Mit dem Schwert in der Hand war Richard voll und ganz in seinem Element: konzentriert, beherzt, und bis zur Skrupellosigkeit entschlossen – auch ohne die seinem Schwert innewohnende Magie.

Das Lager, eben noch ein Hort angespannter Ruhe, verwandelte sich schlagartig in ein Inferno. Schon stürzte der erste der Kerle mit erhobenen Armen heran, um Richard zu packen, ehe ihm sein Schwert gefährlich werden konnte. Sirrend flog dessen Spitze heran, getrieben von tödlicher Entschlossenheit. Die Klinge zerteilte einen der erhobenen Arme des Mannes, ehe sie ihm wuchtig den Schädel spaltete. Die Luft über dem Lagerfeuer füllte sich mit einer feinen Gischt aus Blut, Knochensplittern und Gehirn; einem weiteren schlitzte Richards Schwert den Brustkorb auf. In der Zeitspanne zweier Lidschläge waren zwei der Angreifer tot.

Dann endlich schien die Magie doch noch in Richards Augen aufzuleuchten, so als hätte sie seine Absicht erst mit Verzögerung erkannt.

Kahlan war die Vorgehensweise der Männer ein einziges Rätsel. Sie attackierten mit bloßen Händen, was ihr Ungestüm aber keineswegs zu mindern schien. Ihre Schnelligkeit, ihre große Zahl und körperliche Überlegenheit und nicht zuletzt ihr aggressives Mienenspiel hätten so ziemlich jeden vor Angst erzittern lassen.

Immer mehr Gestalten stürmten aus dem Dunkel in ihr Lager. Cara stellte sich ihnen in den Weg und schlug mit ihrem Strafer um sich. Jeder Treffer rief einen schaurigen Schmerzensschrei hervor, was unter den Angreifern eine gewisse Unschlüssigkeit auszulösen schien. Sabar, das Messer in der Hand, wälzte sich mit einem der Männer, die ihn von hinten gepackt hatten, auf dem Boden. Jennsen konnte gerade noch vor einem Kerl wegtauchen, der sie am Haar zu packen versuchte; sie schlitzte ihm das Gesicht mit dem Messer auf. Sein tierischer Schrei verschmolz mit dem schrillen Gekreisch der übrigen.

Kahlan merkte, daß das Gebrüll nicht allein von den Angreifern stammte, auch die Pferde schrien in panischer Angst. Cara bohrte ihren Strafer in einen bulligen Männernacken, was einen wahrhaft schaurigen Aufschrei zur Folge hatte. Alles Gebrüll schien allerdings nur einem einzigen Ziel gewidmet: der Überwältigung der vier im Lager befindlichen Personen. In diesem Moment wurde Kahlan schlagartig klar, was eigentlich geschah: Man versuchte keineswegs, sie umzubringen, man wollte sie gefangen nehmen. Sie zu töten wäre in den Augen dieser Männer, verglichen mit ihrer eigentlichen Absicht, geradezu ein Akt der Barmherzigkeit gewesen.

Zwei der stämmigen Kerle setzten, die Arme weit gespreizt, über das Feuer hinweg, als wollten sie Richard und Kahlan zu Boden reißen. Mit ausgestreckter Hand bekam Cara eine handvoll Hemdstoff zu fassen, riß einen der beiden herum und bohrte ihm ihren Strafer in den Unterleib. Er sackte auf die Knie. Der andere machte unerwartet Bekanntschaft mit Richards Schwert, das dieser ihm mit ungeheurer Wucht entgegenstieß. Sein schmerzerfüllter Todesschrei währte nur kurz, dann bohrte die Klinge sich in seine Kehle. Cara beugte sich über den auf den Knien liegenden Mann und preßte ihm den Strafer gegen die Brust; eine kurze Drehung, und er sackte in sich zusammen.

Unterdessen setzte Richard bereits über das Lagerfeuer hinweg, um sich der Hauptwucht des Angriffs entgegenzuwerfen. Kaum waren seine Stiefel mit dumpfem Knall auf dem Boden gelandet, da spaltete sein Schwert den Kerl, der sich auf Sabar geworfen hatte, auch schon fast in zwei Teile und verteilte seine Eingeweide über den Boden.

Der Hüne, den Jennsen aufgeschlitzt hatte, kam wieder auf die Beine, nur um gleich darauf erneut in ihr von verzweifelter Angst getriebenes Messer zu laufen. Entsetzt wich sie mit einem Satz zurück, als er, beide Hände fest auf seinen Halsansatz gepreßt, wo sie ihm die Luftröhre durchtrennt hatte, auf sie zugetorkelt kam. Schon wollte ein weiterer sie unbemerkt von hinten packen, als Cara sich ihm in den Weg stellte, ihm, das Gesicht eine Maske grimmiger Entschlossenheit, den Strafer an die Kehle drückte und ihm, während er bereits qualvoll am eigenen Blut erstickte, bis hinunter auf den Boden folgte.

Plötzlich sah Kahlan die Männer, zwischen die Richard sich geworfen hatte, ihre Messer ziehen. Offenbar hatten sie ihren gescheiterten Versuch, ihn mit bloßen Händen zu überwältigen, aufgegeben und sich statt dessen dazu durchgerungen, ihn niederzustechen. Doch falls die drohenden Messer überhaupt eine Wirkung bei Richard hinterließen, dann die, daß sein Zorn noch heftiger angestachelt wurde. Dem Ausdruck seiner Augen nach war die Magie des Schwertes jetzt zur Gänze in den Kampf eingebunden.

Einen Moment noch war Kahlan vom Anblick Richards wie gebannt, dann begegnete ihr Blick den Augen des Mannes, den sie mehr liebte als das Leben selbst, und sie sah dort seinen unverfälschten Zorn, wohingegen Richard, das wußte sie, ein Gesicht sah, das nichts preisgab: das Gesicht einer Konfessorin, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte. Und dann geriet einer der Kerle genau zwischen sie, so daß sie einander aus den Augen verloren.

Mit einem wütenden Aufschrei warf der Kerl sich auf sie. Seine Füße hoben ab, sein Körper kam auf sie zugeflogen; sein boshaftes Grinsen verriet, daß er sich seiner Sache sicher wähnte.

Ein Eckzahn hatte sich über seine aufgeplatzte Unterlippe geschoben, sie sah den fauligen Zahn vorn im Oberkiefer zwischen seinen anderen vergilbten Zähnen, sah die winzige, weiße hakenförmige Narbe, so als wäre er beim Essen mit dem Messer abgerutscht und hätte sich den Mundwinkel aufgeschlitzt. Sein Stoppelbart sah aus wie Draht, sein linkes Auge war nicht ganz so weit geöffnet wie sein rechtes. Am Oberrand seiner rechten Ohrmuschel fehlte ein v-förmiges Stück Knorpel, zurückgeblieben war eine Kerbe, die an die Art, wie manche Bauern ihre Schweine markierten, erinnerte.

Als sie schützend ihren rechten Arm hob und plötzlich ihr Spiegelbild in seinen finsteren Augen erblickte, schoß ihr eine Flut von Gedanken durch den Kopf.

Die Zeit dehnte sich.

Sie streckte ihren Arm vor. Der Kerl warf sich ihr mit seiner ganzen Masse entgegen; schon spürte sie den groben Stoff seines dunkelbraunen Hemdes, als ihre flache Hand ihn mitten auf der Brust berührte.

Noch hatte jener letzte Augenblick, der ihr blieb, ehe er sich auf sie werfen würde, nicht begonnen; noch hatte Richard sich keinen einzigen, verzweifelten Schritt von der Stelle bewegt.

Das gewaltige Körpergewicht des bärenhaften Kerls vor ihrer Hand schien kaum stärker als der schwächliche Atemzug eines kleinen Kindes. Kahlan kam es vor, als wäre er vor ihr in der Luft erstarrt.

Sie war die Herrin über die Zeit.

Und über ihn.

Die Hektik des Kampfes, das Gebrüll, die Rufe, die Schreie, der Gestank von Schweiß und Blut, das Blinken des Stahls, das Zusammenprallen der Leiber die Flüche und unartikulierten Laute, die Angst, das Entsetzen, das den Puls beschleunigende Grauen, die Raserei ... all das hatte für sie aufgehört zu existieren. Sie befand sich in ihrer ganz eigenen Welt vollkommener Stille.

Obwohl mit ihr geboren, und obwohl sie sie stets tief in ihrem Innern schlummern spürte, war ihr die unvorstellbare Kraft, die ihr innewohnte, in mancher Hinsicht noch immer unverständlich, unbegreiflich und rätselhaft fern. Sie wußte, sobald sie ihre Zurückhaltung aufgab, würde sich das schlagartig ändern, würde sie eins werden mit einer Kraft von atemberaubender Macht, die sich nur im unmittelbaren Erleben offenbarte. Obwohl sie sie bereits häufiger entfesselt hatte, als sie sich erinnern konnte, und wie gut sie auf ihre jede Vorstellung sprengende Gewalt auch vorbereitet war sie versetzte sie jedes Mal aufs neue in Erstaunen.

Sie musterte den Mann vor ihr mit kalter Berechnung und machte sich bereit.

Im ersten Moment seiner Attacke war er noch Herr über die Zeit gewesen, jetzt gehörte die Zeit ihr allein.

Sie spürte das dichte Gewebe seines Hemdes, spürte darunter seine krause Brustbehaarung.

Der rasende Puls, hervorgerufen durch seine plötzliche, ungestüme Attacke, hatte sich längst wieder beruhigt. Jetzt gab es nur noch diesen Krieger und sie selbst, auf ewig vereint durch das, was gleich geschehen würde. Mit seinem Angriff gegen sie alle hatte er sich willentlich für dieses Schicksal entschieden. Die absolute Klarheit dessen, was jetzt zu geschehen hatte, enthob sie jeder emotionalen Anteilnahme. Sie empfand nichts – keine Freude, nicht einmal Erleichterung; weder Haß noch Abscheu, kein Mitgefühl, und erst recht keine Reue.

Kahlan streifte jede Empfindung ab und machte den Weg frei für die ungehinderte Entfesselung ihrer ungestümen Kraft.

Jetzt war er rettungslos verloren.

Er gehörte ihr.

Die rauschhafte, geradezu hämische Freude über die Gewißheit, sie als ruhmvoller Sieger zu besitzen, verzerrte bereits seine Züge. Er war es, der über den Fortgang ihres Lebens bestimmen würde, in dem sie nichts weiter war als seine Beute.

Kahlan entfesselte ihre Kraft.

Dank einer bewußten Entscheidung ihres Willens verwandelte sich ihr angeborenes Erbe, sonst stets unterdrückt, augenblicklich in eine alles überwältigende Kraft, die ihr Bewußtsein von Grund auf veränderte.

Ein erster Verdacht blitzte in den Augen des Kriegers auf, der Verdacht, daß ein für ihn vollkommen unbegreifliches Geschehen unwiderruflich seinen Lauf zu nehmen begann. Und dann durchfuhr ihn unvermittelt die blitzartige Erkenntnis, daß sein Leben, wie er es bis zu diesem Augenblick kannte, zu Ende war. All seine Hoffnungen, Gedanken und Ziele, alles, was er sich ersehnte, was er liebte oder haßte ... war mit einem Schlag unwiderruflich ausgelöscht.

Er vermochte in ihren Augen keinen Hauch von Erbarmen zu entdecken, und das, mehr als alles andere, versetzte ihn in blankes Entsetzen.

Ein Donner ohne Hall ließ die Luft erbeben.

Ein Moment unfaßbarer Gewalt – ebenso unverfälscht schön und köstlich wie grausam.

Noch immer hatte jener letzte Augenblick, der Kahlan blieb, ehe er sich auf sie werfen würde, nicht begonnen.

Die dumpfe Ahnung, daß es für ihn längst zu spät war stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Seine Wahrnehmung wurde von der brutalen Magie, die sein Gehirn durchzuckte und alles vernichtete, was ihn je ausgemacht hatte, überrollt.

Die Wucht der Erschütterung ließ die Luft erzittern.

Die Sterne bebten.

Feurige Funken peitschten über den Erdboden, als sich die Schockwelle ringförmig ausbreitete und eine Wolke von Staub vor sich hertrieb. Die Bäume wankten, als die Welle sie erfaßte und mit einem Hagelschauer aus Laub und Nadeln über sie hinwegfegte.

Er gehörte ihr.

Sein vorwärts stürmender Körper stieß Kahlan einen Schritt nach hinten, als sie ihm mit einer Körperdrehung auswich. Er segelte an ihr vorbei und schlug, mit dem Gesicht voran, schwer auf den Boden.

Ohne einen Moment des Zögerns stemmte er sich sogleich wieder hoch auf die Knie und hob die Hände wie zum Gebet in einer flehenden Geste. Tränen liefen über sein Gesicht. Sein Mund, eben noch verzogen in gieriger Erwartung, war jetzt in angstvoller Seelenqual verzerrt.

»Bitte, Herrin«, winselte er, »gebietet über mich.«

Zum allerersten Mal in seinem neuen Leben empfand Kahlan etwas, als sie ihn betrachtete: Verachtung.

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