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Die Männer hielten sich ausnahmslos an Richards Anweisungen und verzichteten darauf, sich untereinander auszutauschen. Wer von ihnen würde also für die Überreichung des Gegenmittels stimmen und zwei Steine in seiner geschlossenen Hand halten? Und wer hielt nur einen darin, um damit seine Ablehnung kundzutun?

Als Richard schließlich zu ihnen hinüberging, trat einer der jüngeren Männer vor, einer von denen, die ganz ungeduldig gewesen waren zu hören, was Richard ihnen zu sagen hatte. Er hatte den Eindruck gemacht, als hätte er aufmerksam zugehört und über die Dinge nachgedacht, die Richard ihnen erklärt hatte. Richard wußte, wenn dieser Mann mit »Nein« stimmte, bestand nicht die geringste Chance, daß die anderen zustimmen würden.

Als der junge blonde Mann seine Faust öffnete, lagen zwei Steine darin. Richard atmete innerlich erleichtert auf. daß wenigstens einer von ihnen beschlossen hatte, das Richtige zu tun.

Dann trat der Nächste vor und öffnete seine Faust; auch er hielt zwei Steine in der Hand. Richard quittierte es mit einem knappen Nicken, ohne sich eine Regung anmerken zu lassen, und ließ ihn zur Seite wegtreten. Inzwischen hatten die übrigen Männer eine Schlange gebildet; einer nach dem anderen traten sie vor und öffneten wortlos ihre Hand. Jeder zeigte ihm zwei Steine zum Beweis seiner Bereitschaft, die tödliche Bedrohung zurückzunehmen, ehe er sich entfernte, damit der Nächste seine Entscheidung kundtun konnte.

Owen war der letzte in der Reihe. Die Lippen fest aufeinandergepreßt, sah er hoch zu Richard, ehe er seine Hand vorstreckte. Mit den Worten »Ihr habt uns nichts getan« öffnete er seine Faust. Auf der Innenfläche seiner Hand lagen zwei Steine.

»Was jetzt aus uns werden wird, weiß ich nicht«, erklärte er, »aber ich sehe ein, daß wir Euch kein Leid zufügen dürfen, nur weil wir dringend Eure Hilfe brauchen.«

Richard nickte. »Ich danke dir.« Die Aufrichtigkeit in seiner Stimme rief ein Lächeln auf die Gesichter vieler, die die Szene beobachtet hatten. »Jeder von euch hat mir zwei Steine gezeigt; daß ihr euch ausnahmslos dafür entschieden habt, das Richtige zu tun, macht mir Mut. Jetzt haben wir eine gemeinsame Basis, auf der wir über unser weiteres Vorgehen entscheiden können.«

Die Männer sahen einander verblüfft an; es stimmte sie sichtlich froh, daß ihr Entschluß sie einte. Richard ging zu Kahlan, Cara, Jennsen und Tom zurück.

»Zufrieden?«, fragte er Kahlan und Cara.

Cara verschränkte trotzig die Arme. »Und was hättet Ihr getan, wenn sie beschlossen hätten, den Fundort des Gegenmittels geheim zu halten, bis Ihr ihnen geholfen habt?«

Richard zuckte die Achseln. »In diesem Fall hätte sich meine Lage weder verbessert noch verschlechtert. Ich wäre gezwungen, ihnen zu helfen, hätte aber zumindest gewußt, daß ich keinem von ihnen trauen kann.«

Kahlan machte noch immer keinen glücklichen Eindruck. »Und wenn sich die meisten dafür entschieden hätten, und nur ein paar auf ihrem früheren Standpunkt beharrt hätten?«

Richard sah ihr fest in ihre entschlossenen grünen Augen. »Dann hätte ich, sobald die anderen mir den Fundort des Gegenmittels verraten hätten, die, die dagegen gestimmt haben, töten müssen.«

Kahlan begriff die Tragweite seiner Bemerkung und nickte ernst. Cara setzte ein zufriedenes Lächeln auf, Jennsen dagegen wirkte schockiert.

»Wenn einige von ihnen mit Nein gestimmt hätten«, erklärte er ihr, »wäre dies ihr Eingeständnis gewesen, daß sie beabsichtigen, mich weiterhin wie einen Sklaven zu behandeln und mich unter Androhung einer Gefahr für mein Leben zu nötigen, ihnen zu geben, was sie von mir verlangen. Ich hätte mich auf diese Männer niemals verlassen können.« Die tiefhängenden Wolken hatten sich mittlerweile so verdichtet, daß das nachmittägliche Licht eher an die gedrückte Stimmung der Abenddämmerung erinnerte.

Richard hob den Blick und richtete ihn auf die Männer. »Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um euch zu helfen, die Imperiale Ordnung zu vertreiben.«

Ein Jubelschrei erhob sich in die dünne, kalte Luft, als sich die Anspannung der Männer löste und sie ihrer Erleichterung Ausdruck gaben. Zum allerersten Mal sah er ein strahlendes Lächeln auf ihren Gesichtern, Gesichter, die mehr als alles andere verrieten, wie sehr sie sich danach sehnten, endlich die Soldaten der Imperialen Ordnung loszuwerden. Richard fragte sich, wie sie wohl darüber denken mochten, nachdem er ihnen erklärt hatte, welchen Part sie dabei zu übernehmen hatten.

Solange Nicholas der Schleifer ihren Aufenthaltsort mit Hilfe der Riesenkrähen ausfindig machen konnte, bliebe er eine Gefahr, die sie auf Schritt und Tritt verfolgte und die all ihre Bemühungen, die Alte Welt zu einem Aufstand zum Sturz der Imperialen Ordnung zu bewegen, gefährden konnte. Schlimmer noch – er konnte Meuchler auf ihre Fährte setzen. Richard überlief es eiskalt bei der Vorstellung, daß dieser Nicholas Kahlan sah und wußte, wo er sie finden konnte. Dieser Mann mußte ausgeschaltet werden. Womöglich würde ein solcher Schlag sogar helfen, die Imperiale Ordnung aus der Heimat dieser Männer zu vertreiben.

Richard winkte die Männer zu sich heran. »Aber bevor wir uns über die Befreiung eures Volkes unterhalten können, müßt ihr mir zeigen, wo ihr das Gegenmittel versteckt habt.«

Owen ging in die Hocke, nahm einen in der Nähe liegenden Stein vom Boden auf und ritzte ein Oval in eine ebene Stelle des felsigen Bodens. »Angenommen, dieser Strich bezeichnet das Gebirge, das Bandakar umschließt.« Er legte den Stein auf die schmale Seite des Ovals, die Richard am nächsten war. »Dann ist dies der Paß, wo wir uns derzeit befinden.«

Er nahm drei weitere Steine vom Boden auf. Mit den Worten »Dies ist unser Heimatort, Witherton, wo wir gewohnt haben« legte er den ersten Stein unweit des Steins, der den Paß darstellte, auf die Erde. »Eine Dosis des Gegenmittels befindet sich dort.«

»Und ungefähr hier hatten sich deine Kameraden versteckt?«, fragte Richard, indem er den Finger über dem ersten Stein kreisen ließ. »In den Hügeln rings um Witherton?«

»Größtenteils südlich davon«, bestätigte Owen und zeigte auf das Gebiet. Er plazierte einen zweiten Stein in die ungefähre Mitte des Ovals. »Hier, in dieser Stadt mit Namen Hawton, befindet sich eine weitere Phiole mit dem Gegenmittel.« Den dritten Stein legte er ganz an den Rand des Ovals. »Das dritte Fläschchen befindet sich in dieser Stadt, in Northwick.«

»Also«, faßte Richard zusammen, »demnach muß ich nur einen dieser Orte aufsuchen, um mir das Gegenmittel zu beschaffen. Da dein Heimatort der kleinste ist, stehen unsere Chancen dort vermutlich am günstigsten.«

Einige der Männer schüttelten den Kopf, andere wandten verlegen den Blick ab.

Owen machte ein betrübtes Gesicht und tippte mit dem Finger nacheinander auf die drei Steine. »So leid es mir tut, Lord Rahl, aber eines dieser Fläschchen wird nicht genügen. Es ist bereits zu viel Zeit verstrichen. Selbst zwei werden mittlerweile nicht mehr ausreichend sein. Der Mann, der das Gift hergestellt hat, meinte, sobald ein gewisser Zeitpunkt überschritten ist, müsse man, um eine sichere Heilung zu gewährleisten, alle vier zu sich nehmen.

Er sagte, falls Ihr das erste Gegenmittel, das ich Euch brachte, nicht sofort eingenommen habt wird es die weitere Ausbreitung des Giftes lediglich verzögern. Dann müßten auch die anderen drei Fläschchen eingenommen werden; in diesem Fall, erklärte er verlaufe die Vergiftung wahrscheinlich in drei Stadien. Um das Gift also vollends aus dem Körper zu spülen, müßt Ihr alle drei noch verbliebenen Gegenmittel einnehmen. Wenn nicht bedeutet das Euren sicheren Tod.«

»Drei Stadien? Was heißt das?«

»Während des ersten Stadiums kommt es zu Schmerzen in der Brust. Das zweite äußert sich in starkem Schwindelgefühl; es kommt zu Gleichgewichtsstörungen.« Owen vermied es, Richard in die Augen zu sehen. »Im dritten Stadium schließlich macht Euch das Gift blind.« Er sah auf und legte Richard eine Hand auf den Arm, als wollte er seine Besorgnis zerstreuen. »Aber wenn Ihr alle drei einnehmt, wird das Gegenmittel Euch ganz sicher wieder gesund machen.«

Richard wischte sich mit matter Hand über die Stirn. Nach den Schmerzen in seiner Brust zu urteilen, befand er sich noch im ersten Stadium.

»Wie viel Zeit bleibt mir noch?«

Owen schlug die Augen nieder und strich verlegen seinen Ärmel glatt. »Das weiß ich nicht genau, Lord Rahl. Seit der Einnahme des ersten Fläschchens ist bereits viel Zeit vergangen.«

»Wie lange noch?«, wiederholte Richard, bemüht, so ruhig wie möglich zu bleiben.

Owen schluckte trocken. »Um ganz ehrlich zu sein, Lord Rahl, ich bin überrascht, wie gut Ihr die Schmerzen in der Brust während des ersten Stadiums verkraftet. Nach dem, was man mir erzählte, nehmen die Schmerzen mit der Zeit sogar noch zu.«

Richard nickte nur und vermied es, Kahlan anzusehen.

Sich auch nur bis zu einem Ort durchzuschlagen, um das Gegenmittel zu beschaffen, schien jetzt, da die Truppen der Imperialen Ordnung Bandakar bereits besetzt hatten, schon schwierig genug, es jedoch aus allen drei Verstecken zu besorgen, war nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.

»Also gut, die Zeit ist knapp, deshalb habe ich eine bessere Idee«, sagte Richard. »Stellt mehr von dem Gegenmittel her, dann brauchen wir uns nicht den Kopf zu zerbrechen, wie wir an den versteckten Vorrat herankommen sollen, sondern können uns ganz darauf konzentrieren, wie wir am besten gegen die Soldaten der Imperialen Ordnung vorgehen.«

Owen zuckte mit einer Schulter. »Unmöglich.« Er deutete auf den kleinen Beutel, den er mitgebracht hatte und der jetzt etwas abseits lag – den Beutel mit den Fingern der drei Mädchen. »Es war der Vater dieser Mädchen, der sowohl das Gift als auch das Gegenmittel hergestellt hat. Er, als Einziger, weiß, wie man diese komplizierten Kräuterrezepturen zusammenstellt. Wir kennen uns damit nicht aus – wir kennen ja nicht mal die meisten der von ihm verwendeten Kräuter. Ihr habt also nur eine Chance, wenn Ihr überleben wollt: Ihr müßt die drei Fläschchen mit dem Gegenmittel beschaffen.«

Mittlerweile hatten Richards Kopfschmerzen ein Ausmaß angenommen, daß er bezweifelte, sich noch lange auf den Beinen halten zu können. Da nur drei Fläschchen existierten und er sie alle unbedingt brauchte, mußte er sie in seinen Besitz bringen, bevor einem von ihnen etwas zustieß. Bei jedem Atemzug verspürte er ein reißendes Stechen in seiner Brust. Die aufkommende Panik drohte jeden klaren Gedanken unmöglich zu machen.

Als Kahlan ihm ihre Hand auf die Schulter legte, tätschelte er sie dankbar.

»Wir werden Euch helfen, das Gegenmittel zu beschaffen, Lord Rahl«, erbot sich einer der Männer.

Ein anderer schloß sich ihm nickend an. »Genau. Wir werden Euch alle dabei unterstützen.« Zu guter letzt erklärte sich jeder von ihnen bereit, ihm bei seiner Suche zu helfen.

»Die meisten von uns kennen mindestens zwei der Verstecke«, erklärte Owen. »Einige sogar alle drei. Ich war derjenige, der es versteckt hat, wir wissen also genau, wo wir suchen müssen.«

»Dann werden wir genau das tun.« Richard ging in die Hocke, um die in den Felsen geritzte Karte zu studieren. »Wo befindet sich dieser Nicholas?«

Owen beugte sich über die Karte und tippte auf den Stein in der Mitte. »Hier, in Hawton.«

Richard sah zu ihm hoch. »Sag bloß, du hast das Gegenmittel in dem Gebäude versteckt, wo du diesen Nicholas gesehen hast.«

Owen zog verlegen die Schultern hoch. »In dem Moment schien es eine gute Idee zu sein. Wir alle sind es ja nicht gewohnt, an kriegerische Auseinandersetzungen und Kämpfe auch nur ansatzweise zu denken. Jetzt allerdings wünsche ich mir, ich hätte es mir anders überlegt und einen leichter erreichbaren Ort gewählt.«

Als der Ärger über so viel Dummheit ihn schier zu übermannen drohte, griff Richard die kleine Statue, holte schwungvoll aus und schleuderte das Warnzeichen auf die Statue Kaja-Rangs.

Die Männer duckten sich, als die kleine Figur über ihre Köpfe hinwegsegelte, um schließlich am steinernen Sockel der Statue zu zerschellen. Bernsteinfarbene Splitter und tiefschwarze Scherben flogen in alle Richtungen davon. Der Sand aus dem Innern verteilte sich in einer feinen Spur quer über die Stirnseite des granitenen Sockels.

Alle verstummten erschrocken.

Droben am Himmel zogen die Nachzügler düsterer Wolkenfetzen vorüber, so nah, daß man sie beinahe mit der Hand berühren konnte. Ein paar eisige Schneeflocken trieben in der stillen Luft. Ringsumher war ein frostiger Nebel aufgezogen, der die umliegenden Berge verhüllte und dem Kamm des Passes und seinem steinernen Wächter etwas Entrücktes und Jenseitiges verlieh, so als reduzierte sich das ganze Dasein auf diesen einen Ort. Richard bildete den Mittelpunkt dieser absoluten Stille – und der allgemeinen Aufmerksamkeit.

Die auf Hoch-D’Haran in den Sockel der Statue gemeißelten Worte gingen ihm durch den Kopf.

Fürchte jeden Durchbruch in das jenseits liegende Land ... denn dort liegt das Böse: die, die nicht sehen können.

Ein ums andere Mal gingen ihm diese Worte auf Hoch-D’Haran durch die Gedanken. An der Übersetzung schien irgend etwas nicht zu stimmen.

»Gütiger Himmel«, entfuhr es Richard leise, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. »Ich habe mich geirrt. Es muß etwas ganz anderes bedeuten.«

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