50

An einem anderen Ort vernahm Nicholas ein lästiges Geräusch, irgendeine Art Störung, dort, wo sein Körper wartete.

Er ignorierte es und behielt statt dessen die Straßen im Blick, sah zu, wie die Gebäude vorüberzogen. Die Sonne war soeben untergegangen. Menschen zogen vorüber, Menschen auf der Hut, dazu Farben, Geräusche, hektische Betriebsamkeit.

Es war ein schäbiger Ort, mit eng aneinander gedrängten Gebäuden. Halte Ausschau! Die Gassen waren eng und finster. Fremde starrten. In den Straßen stank es. Keines der Gebäude besaß mehr als zwei Geschosse, dessen war er sicher. Die meisten nicht einmal die.

Wieder vernahm er das Geräusch, dort wo sein Körper wartete. Eindringlich forderte es seine Aufmerksamkeit.

Er ignorierte das beharrliche Pochen irgendwo weit weg, an einem anderen Ort, hielt Ausschau und versuchte zu erkennen, in welche Richtung sie sich bewegten. Was war das? Er glaubte es zu wissen, war sich aber nicht absolut sicher. Sieh hin. Er wollte sich Gewissheit verschaffen. Er wollte sie beobachten.

Wie er das Beobachten genoß.

Dann schon wieder das Geräusch, dieses unangenehme, fordernde, pochende Geräusch.

Plötzlich spürte Nicholas seinen Körper um sich herum, als er schlagartig an den Ort zurückkehrte, wo dieser, die Beine auf dem Holzfußboden übereinander geschlagen, seiner harrte. Er schlug die Augen auf, blinzelte, versuchte sich in dem düsteren Raum zu orientieren. Dann erhob er sich und stand, an das seltsame Gefühl, sich wieder in seinem eigenen Körper zu befinden, noch nicht wieder gewöhnt, einen Moment unsicher auf den Beinen. In letzter Zeit war er so oft unterwegs gewesen, tags und nachts, daß er es nicht mehr gewohnt war, diese Dinge aus eigener Kraft zu tun. So oft hatte er sich an einem anderen Ort, in einem fremden Körper befunden, daß es ihm nun schwerfiel, sich auf seinen eigenen einzustellen.

Jemand hämmerte gegen die Tür und forderte ihn lautstark auf zu öffnen. Der ungebetene Besucher, diese dreiste Störung, erzürnte Nicholas über alle Maßen.

Es war ihm lästig, sich aus eigener Kraft bewegen, seine eigenen Muskeln benutzen zu müssen, sich selbst atmen zu spüren, zu sehen, zu hören, zu riechen und mit seinen eigenen Sinnen zu empfinden.

Die Tür war mit einem schweren Riegel versperrt, um zu verhindern, daß ungebetene Besucher hereinkamen, während er an anderen Orten weilte.

Wieder hämmerte jemand von der anderen Seite gegen die Tür, blaffte seinen Namen und verlangte, eingelassen zu werden. Nicholas hob den schweren Riegel an, wuchtete ihn zur Seite und stieß die massive Tür auf.

Im Flur unmittelbar vor ihm stand ein junger Soldat, ein ganz gewöhnlicher, verwahrloster, einfacher Soldat. Ein Niemand.

Nicholas starrte den niederen Mann, der es gewagt hatte, die Treppe zu diesem Raum, zu dem der Zutritt, wie jedermann wußte, verboten war, hinaufzusteigen und an die verbotene Tür zu klopfen, mit einer Mischung aus Wut und Verblüffung an. Wo steckte bloß Najaris platte, krumme Nase, wenn man sie brauchte? Wurde diese Tür denn nicht bewacht?

Aus dem Handrücken der blutbesudelten Faust, mit der der Soldat gegen die Tür gehämmert hatte, ragte ein zersplitterter Knochen.

Nicholas reckte den Hals, spähte an dem Soldaten vorbei in den matt beleuchteten Flur und sah die Leichen einiger Wachtposten in einer Lache ihres eigenen Blutes liegen.

Er richtete den Blick auf den großäugigen, einfachen Soldaten, den er in wenigen Augenblicken töten würde. Der Bursche war gekleidet wie viele Soldaten der Imperialen Ordnung – zumindest die besser ausgerüsteten unter ihnen. Er trug einen ledernen Brustharnisch, einen ärmelartigen Schutzpanzer am rechten Arm sowie eine Reihe von ledernen Riemen und Gürteln, in denen eine Vielzahl unterschiedlicher Waffen steckten. So bedrohlich seine Ausrüstung wirken mochte, der Ausdruck auf seinem Gesicht verriet Bestürzung und Entsetzen.

Einen Augenblick lang überlegte Nicholas verwirrt, was ein derart nichtiger Mensch wohl vorzubringen haben mochte, daß er bereit war, sein Leben dafür herzugeben.

»Was gibt’s, nichtsnutziger Narr?«

Der Mann hob einen Arm, dann seine Hand und schließlich einen Finger – auf eine Art, die Nicholas an nichts so sehr erinnerte wie an eine Marionette, deren Fäden jemand anderer hielt. Der Finger neigte sich zur einen, dann zur anderen Seite und schließlich wieder zurück, wie bei einem Menschen, der einen mit erhobenem Finger drohen will.

»Tz, tz, tz.« Der Finger schnellte abermals zur Seite. »Ihr solltet etwas höflicher sein, sehr viel höflicher sogar.«

Der Soldat, die Augen aufgerissen, schien selbst von seinen hochtrabenden Worten überrascht. Die Stimme klang viel zu tief, zu erwachsen, um diesem jungen Mann zu gehören.

Außerdem verströmte die Stimme äußerste Gefährlichkeit.

»Was soll das?« Nicholas musterte den Soldat stirnrunzelnd. »Was hat das zu bedeuten?«

Der Mann machte Anstalten, den Raum zu betreten, wobei sich seine Beine in höchst seltsamer, ungelenker Manier bewegten. Sie erinnerten Nicholas daran, wie es aussehen mußte, wenn er sich nach längerer Abwesenheit von seinem Körper seiner eigenen Beine bediente. Er trat zur Seite, als der Mann mit unbeholfenen Bewegungen bis zur Mitte des düsteren Raumes ging und sich dort herumdrehte. Blut troff von der Hand, die gegen die Tür gehämmert hatte, doch der Mann, die Augen noch immer ängstlich aufgerissen, schien sich der zweifellos schmerzhaften Verletzungen nicht bewußt.

Seine Stimme dagegen verriet nicht die geringste Spur von Angst. »Wo sind sie, Nicholas?«

Nicholas trat zu ihm hin und neigte fragend den Kopf zur Seite. »Sie?«

»Ihr habt sie mir versprochen, Nicholas. Ich mag es nicht, wenn man sein Wort nicht hält. Wo sind sie?«

Nicholas’ Miene verfinsterte sich noch mehr, er beugte sich noch weiter vor. »Wer?«

Der Soldat ließ seinem Zorn freien Lauf. »Richard Rahl und die Mutter Konfessor!«

Nicholas trat einige Schritte zurück. Jetzt begriff er. Er hatte gehört, was man sich erzählte, hatte gehört, daß der Mann zu diesen Dingen fähig war. Jetzt, endlich, sah er es mit eigenen Augen. Dies war Kaiser Jagang, der Traumwandler höchstselbst!

»Bemerkenswert«, sagte er gedehnt. Er ging auf den Soldaten zu, der kein Soldat war und tippte ihm mit dem Finger seitlich gegen den Kopf. »Seid Ihr dort drinnen. Euer Exzellenz?« Er tippte ihm erneut gegen die Schläfe. »Ihr seid es, hab ich Recht Exzellenz?«

»Wo sind sie, Nicholas?« Noch nie hatte jemand Nicholas eine bedrohlicher klingende Frage gestellt.

»Ich habe Euch versprochen, Ihr werdet sie bekommen, und so wird es auch geschehen.«

»Ich denke, Ihr belügt mich, Nicholas«, knurrte die Stimme. »Ich glaube nicht, daß Ihr sie, wie versprochen, bereits habt.«

Nicholas machte eine wegwerfende Handbewegung und entfernte sich gemächlich ein paar Schritte. »Ach, Unfug. Ich habe sie längst am Gängelband.«

»Das sehe ich anders. Ich habe Grund zu der Annahme, daß sie sich mitnichten hier im Süden befinden. Ich habe Grund zu der Annahme, daß die Mutter Konfessor weit oben im Norden weilt ... bei ihrer Armee.«

Nicholas ging stirnrunzelnd auf ihn zu, beugte sich ganz nah zu ihm hin und blickte ihm tief in die Augen. »Legt Ihr eigentlich alle Vernunft ab, wenn Ihr, wie jetzt, im Verstand eines anderen herumgeistert?«

»Soll das heißen, ich irre mich?«

Nicholas war drauf und dran, die Geduld zu verlieren. »Ich war gerade dabei, sie zu beobachten, als Ihr hier hereingeplatzt seid, um mich zu belästigen. Sie waren alle beide da – sowohl Lord Rahl als auch die Mutter Konfessor.«

»Seid Ihr Euch dessen sicher?«, drang die tiefe, kernige Stimme aus dem Mund des jungen Soldaten.

Nicholas stemmte die Fäuste in die Hüfte. »Zweifelt Ihr etwa an meinen Worten? Wie könnt Ihr es wagen! Ich bin Nicholas der Schleifer. Ich lasse nicht zu, daß man mich in Zweifel zieht!«

Der Soldat trat angriffslustig einen Schritt vor, doch Nicholas blieb standhaft und hob warnend einen Finger. »Wenn Ihr sie bekommen wollt, solltet Ihr verdammt vorsichtig sein.«

Der junge Soldat betrachtete ihn aus ängstlich aufgerissenen Augen, in denen Nicholas jedoch etwas ganz anderes sah: Bedrohlichkeit.

»Raus mit der Sprache, bevor ich die Geduld verliere.«

Nicholas verzog verdrießlich seinen Mund. »Wer immer Euch erzählt hat, daß sie oben im Norden weilen, weiß entweder nicht, was er da redet, oder er lügt Euch an. Ich habe stets ein wachsames Auge auf sie gehalten.«

»Aber habt Ihr sie in jüngster Zeit gesehen?«

Allmählich wurde es dunkel. Nicholas machte eine Handbewegung Richtung Tisch, schickte einen kleinen Funken seiner Gabe in die drei dort stehenden Kerzen und entzündete deren Dochte.

»Wie ich bereits sagte, habe ich sie eben noch beobachtet. Sie befinden sich in einer Ortschaft, nicht weit von hier. Ihr werdet Euch nicht mehr lange gedulden müssen.«

»Woher nehmt Ihr die Gewißheit, daß sie zu Euch kommen werden?«

»Weil ich über jeden ihrer Schritte bestens unterrichtet bin.« Nicholas hob die Arme über den Kopf, so daß sein Gewand bis zu den Ellenbogen herunterglitt umkreiste seinen Besucher überschwenglich gestikulierend und sprach dabei von Dingen, von denen allein er Kenntnis hatte. »Ich beobachte sie. Ich habe sie des Nachts beieinander liegen sehen, die Mutter Konfessor zärtlich den Arm um ihren Gemahl gelegt, seinen Kopf an ihrer Schulter, um seine entsetzlichen Schmerzen zu lindern. Ein rührender Anblick, in der Tat.«

»Seine Schmerzen?«

»Richtig, seine Schmerzen. Zur Zeit sind sie in Northwick, einer Ortschaft unweit nördlich von hier. Sobald sie dort fertig sind, sofern sie ihren Aufenthalt dort überleben, werden sie sich auf den Weg hierher machen, zu mir.«

Jagang, im Körper des Soldaten, blickte um sich und erfaßte die Körper der erst vor kurzem Verstorbenen, die an der Wand lehnten, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder Nicholas zuwandte.

»Ich fragte, woher Ihr die Gewißheit nehmt?«

Nicholas sah über seine Schulter und bedachte den Kaiser mit einem selbstgefälligen Blick. »Nun, seht Ihr, diese Narren hier – die Säulen der Schöpfung, die Euch so faszinieren – haben den bedauernswerten Lord Rahl vergiftet. Und zwar deshalb, weil sie sich dadurch seiner Hilfe bei der Befreiung von uns vergewissern wollten.«

»Ihn vergiftet? Seid Ihr sicher?«

Der interessierte Unterton in der Stimme des Kaisers entlockte Nicholas ein Lächeln. »Oh ja, vollkommen sicher. Der beklagenswerte Bursche leidet derzeit fürchterliche Schmerzen. Er benötigt unbedingt ein Gegenmittel.«

»Demnach wird er alles daransetzen, sich dieses Gegenmittel zu beschaffen. Richard Rahl ist ein Mann von außerordentlicher Findigkeit.«

Nicholas verschränkte die Arme. »Er mag findig sein, im Augenblick jedoch steckt er bis zum Hals in Schwierigkeiten. Seht Ihr, er benötigt zwei weitere Dosen dieses Gegenmittels. Eine davon befindet sich in Northwick; deswegen hat er sich dorthin begeben.«

»Ihr wärt überrascht, zu erfahren, zu was dieser Mann imstande ist.« Der angriffslustige Ärger in der Stimme des Kaisers war nicht zu überhören. »Es wäre überaus töricht von Euch, diesen Mann zu unterschätzen, Nicholas.«

»Oh, ich unterschätze niemals jemanden, Exzellenz.« Nicholas bedachte den Kaiser, der ihn aus den Augen eines anderen betrachtete, mit einem hintergründigen Lächeln. »Seht Ihr, ich bin einigermaßen sicher, daß dieser Richard Rahl sich das Gegenmittel in Northwick beschaffen wird. Tatsachlich rechne ich sogar fest damit. Wir werden sehen. Als ihr hereinkamt, war ich gerade dabei, ihn zu beobachten, um zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Das habt Ihr nun vereitelt.

Doch selbst wenn er sich das Gegenmittel in Northwick besorgt, wird er sich nach wie vor auch die letzte Dosis beschaffen müssen. Das Mittel aus Northwick allein wird nicht ausreichen, um sein Leben zu retten.«

»Und wo befindet sich diese letzte Dosis des Gegenmittels?«

Nicholas langte in eine seiner Taschen und ließ den Kaiser das rechteckige Fläschchen sehen, gepaart mit einem selbstgefälligen Lächeln.

»Das befindet sich in meinem Besitz.«

Der Mann, in dessen Körper der Kaiser steckte, lächelte. »Er könnte kommen und es euch wegzunehmen versuchen, Nicholas. Oder er läßt sich von irgend jemandem ein anderes Gegenmittel zusammenmischen, damit er sich gar nicht erst die Mühe machen muß, hierher zu kommen.«

»Nun, das denke ich nicht. Seht Ihr, Euer Exzellenz, bei allem, was ich tue, gehe ich überaus gründlich vor. Schon das Gift, das Lord Rahl verabreicht wurde, war eine komplexe, aus zahlreichen Ingredienzien zusammengesetzte Substanz, das Gegenmittel aber ist noch weitaus komplizierter. Das weiß ich, weil ich den Mann, der fähig war, es herzustellen, habe foltern lassen, bis er mir seine Zusammensetzung – bis ins letzte geheime Detail – verraten hat. Es enthält eine ganze Liste von Dingen, an die ich mich nicht einmal ansatzweise zu erinnern vermag.

Selbstverständlich habe ich den Mann beseitigen lassen. Der Scherge, der das Geständnis, die Liste mit Inhaltsstoffen, aus ihm herausgefoltert hat, wurde ebenfalls liqidiert. Ihr seht also, Euer Exzellenz, es gibt niemanden mehr, der Lord Rahl das Gegenmittel herstellen könnte.« Er faßte das Fläschchen an seinem Hals und ließ es vor den Augen des Soldaten hin und her pendeln. »Dies hier ist die letzte existierende Dosis, die letzte Chance Lord Rahls, zu überleben.«

Jagang betrachtete das Fläschchen, das Nicholas vor seinem Gesicht schwingen ließ, mit den Augen des jungen Soldaten. Aus seinem Gesicht war jeder Anflug von Heiterkeit gewichen.

»Demnach wird Lord Rahl also hier auftauchen, um es sich zu beschaffen.«

Nicholas zog den Korken heraus und schnupperte an dem Fläschchen. Die Flüssigkeit im Innern verströmte ein zartes Zimtaroma.

»Glaubt Ihr das wirklich, Exzellenz?«

Mit einer übertrieben theatralischen Geste schüttete Nicholas die Flüssigkeit auf den Boden, ehe er das Fläschchen unter den Blicken Kaiser Jagangs ausschüttelte, um sicherzugehen, daß es sich bis zum letzten Tropfen leerte.

»Wie Ihr seht, Exzellenz, habe ich die Dinge voll im Griff. Richard Rahl wird keine Schwierigkeiten mehr machen. Das Gift wird ihn in Kürze töten – falls es meinen Leuten nicht gelingt, ihn schon vorher aufzugreifen. Wie auch immer, Lord Rahl ist ein toter Mann – exakt, wie Ihr es verlangt habt.«

Nicholas’ Verbeugung wirkte wie der krönende Abschluss einer grandiosen Vorstellung vor einem dankbaren Publikum.

Der junge Soldat lächelte erneut; es war ein Lächeln bemühter Langmut.

»Und was ist mit der Mutter Konfessor?«, wollte der Kaiser wissen.

Der deutliche Unterton unterdrückten Zorns war Nicholas nicht entgangen. Es mißfiel ihm, daß er für seine überragende Großtat nicht rundherum Bewunderung erntete.

»Nun, wie ich es sehe, Exzellenz, habe ich jetzt, nachdem ich Euch davon unterrichtet habe, daß Lord Rahl sich schon bald zur großen Gemeinde des Hüters in der Unterwelt gesellen wird, keinerlei Sicherheit mehr, daß Ihr Euren Teil des Abkommens erfüllen werdet. Deshalb möchte ich Euch um ein Versprechen bitten, ehe ich Euch die Mutter Konfessor übergebe.«

»Was macht Euch so sicher, daß Ihr ihrer habhaft werden könnt?«

»Oh, auch das habe ich voll im Griff. Ihr eigenes Wesen wird sie mir in die Hände treiben.«

»Ihr eigenes Wesen?«

»Laßt das nur meine Sorge sein, Exzellenz. Ihr braucht nur zu wissen, daß ich sie Euch übergeben werde – und zwar lebend, wie versprochen. Lord Rahl bekommt Ihr sozusagen als kostenlose Beigabe – als persönliches Geschenk von mir –, doch für den Fang, auf den Ihr es abgesehen habt, die Mutter Konfessor, werdet Ihr einen Preis bezahlen müssen.«

»Und was wäre Euer Preis?«

Nicholas schlenderte gemächlichen Schritts um den mitten im Raum stehenden Soldaten herum, wahrend er mit dem leeren Fläschchen gestikulierend auf die Umgebung wies. »All dies hier entspricht nicht recht meiner Vorstellung von einem angemessenen Lebensstil – wenn man denn zum Leben verdammt ist.«

»Demnach verlangt Ihr noch dafür belohnt zu werden, daß Ihr gegenüber dem Schöpfer, der Imperialen Ordnung und Eurem Kaiser Eure Pflicht erfüllen dürft.«

So wie Nicholas es sah, hatte er in jener Nacht im Wald bei den Schwestern bereits mehr als seine Pflicht erfüllt. Das behielt er jedoch für sich und zuckte statt dessen mit den Schultern.

»Nun, ich werde Euch die gesamte restliche Welt überlassen, für deren Eroberung Ihr so hart gekämpft habt. Ich verlange nichts weiter als D’Hara: ein eindrucksvolles Reich für mich allein.«

»Ihr wollt also über D’Hara herrschen?«

Nicholas vollführte eine übertriebene Verbeugung. »Selbstverständlich unter Eurer Oberhoheit, Exzellenz.« Er richtete sich wieder auf. »Ich werde herrschen wie Ihr, mit den Mitteln der Angst und des Terrors, und stets im Namen der Selbstaufopferung zum allgemeinen Wohl der Menschheit.«

Der Traumwandler musterte ihn aus den Augen des verängstigten Soldaten; Augen, deren Funkeln jetzt wieder etwas Bedrohliches bekommen hatten.

»Ihr spielt ein riskantes Spiel, Schleifer, wenn Ihr solche Forderungen stellt. Ich vermute, Ihr hängt nicht sehr am Leben.«

Nicholas ließ den Kaiser ein Lächeln sehen, um ihm zu zeigen, daß er es leid war seine Zeit mit Nichtigkeiten zu vertrödeln. »Hasse das Leben, lebe, um zu hassen.«

Endlich sprang das Lächeln des Kaisers auf die Lippen des Soldaten über.

»Ihr wünscht Euch also D’Hara. Abgemacht. Sobald Lord Rahl tot und die Mutter Konfessor mir übergeben ist, werdet Ihr D’Hara erhalten und könnt nach Gutdünken darüber verfügen ... sofern Ihr der Herrschaft der Imperialen Ordnung Eure Reverenz erweist.«

Nicholas bedachte Jagang mit einem höflichen Lächeln und neigte sein Haupt. »Das versteht sich doch von selbst.«

»Im Anschluß daran, sobald Richard Rahl tot ist und ich die Mutter Konfessor in meiner Gewalt habe, werdet Ihr zum Kaiser Nicholas, Herrscher D’Haras, ernannt werden.«

»Eure Weisheit erfüllt mich mit Demut.«

Dies war der Mann, der Nicholas’ Schicksal vorherbestimmt hatte, der Mann, der die Schwestern geschickt hatte, damit sie ihr abscheuliches Handwerk verrichteten, jene Schwestern, die ihn unter den entsetzlichen Qualen der völligen Vernichtung seines früheren Selbst innerlich gebrochen hatten, um ihn im qualvollen Akt der Neuschöpfung ein zweites Mal zu gebären.

Sie hatten verfügt, daß er sich ihrer Sache opfern müsse; Nicholas selbst hatte keinerlei Einfluß darauf gehabt. Zumindest würde er jetzt, für den unbedeutenden Dienst, die armseligen Feinde des Ordens beseitigt zu haben, endlich seinen Lohn erhalten.

Jetzt war es nur noch ein kleiner Schritt, dann war er Kaiser Nicholas.

Getrieben von unbändiger Gier, von Haß, ließ Nicholas seine Hand vorschnellen, und mit ihr seinen Verstand, und bohrte ihn, gleich einem glühenden Dolch, in den Verstand des Mannes vor ihm, in den Raum zwischen dessen Gedanken, in das Mark seiner Seele.

Er lechzte nach dem schlüpfrig heißen Gefühl, wenn die Seele seines Gegenübers in seine hineinglitt, nach der plötzlich hochschießenden Hitze, wenn er sich seiner bemächtigte, während Jagang noch im Verstand des Mannes weilte.

Doch da war nichts.

In der winzigen Zeitspanne hatte Jagang sich bereits davongemacht. Der Soldat sackte schwer auf dem Boden zusammen und war tot.

Nicholas – Kaiser Nicholas – lächelte über dieses Spiel, das soeben erst begonnen hatte. Allmählich begann er sich zu fragen, ob er den Preis nicht vielleicht zu niedrig angesetzt hatte.

Загрузка...