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»Im kommenden Herbst ist es drei Jahre her«, begann Richard, »da lebte ich noch in einer Gegend namens Kernland. Ich führte ein ruhiges Leben, ich wohnte an einem Ort. den ich sehr mochte, mitten unter meinen Lieben. Über die Welt jenseits meiner Heimat wußte ich nur wenig. In gewisser Hinsicht war ich wie ihr vor der Invasion der Imperialen Ordnung, weshalb ich ein gewisses Verständnis für eure Schwierigkeiten mit den Veränderungen aufbringe, die nun über euch gekommen sind.

Wie ihr, so lebte auch ich jenseits einer Grenze, die uns vor denen schützte, die uns Übles wollten.«

Unter den Männern brach aufgeregtes Getuschel aus; offenbar waren sie angenehm überrascht, daß es eine so grundlegende Gemeinsamkeit mit ihm gab.

»Aber was passierte dann?«, fragte einer von ihnen.

Richard war machtlos dagegen; er konnte das Lächeln, das ihn überkam, nicht unterdrücken.

»Eines Tages«- er wies mit seiner Hand neben sich -»erschien Kahlan in meinen Wäldern. Wie ihr heute, befand sich ihr Volk damals in einer verzweifelten Notlage; sie brauchten dringend Hilfe. Doch anstatt mich zu vergiften, erzählte sie mir ihre Geschichte und fügte hinzu, der gleiche Ärger stünde in Kürze auch uns bevor. Wie bei euch, war die Grenze, die ihr Volk schützte, gefallen und ein Tyrann in ihre Heimat einmarschiert. Außerdem überbrachte sie die Warnung, daß dieser Mann in Kürze auch meine Heimat überfallen und mein Volk – all meine Freunde und Lieben – erobern werde.«

Alle Gesichter wandten sich Kahlan zu; die Männer starrten sie so unverblümt an, als bemerkten sie ihre Anwesenheit erst in diesem Augenblick. Es schien sie zu erstaunen, daß diese stattliche Frau, wie in ihren Augen alle Fremden, eine Barbarin sein sollte, und daß sie sich in einer ähnlichen Notlage befunden hatte wie sie selbst. Richard hatte große Teile der Geschichte weggelassen; er wollte die Auffassungsgabe dieser Männer nicht mit unnötigen Einzelheiten überfordern.

»Wenig später wurde ich zum Sucher der Wahrheit ernannt, und man schenkte mir dieses Schwert, damit es mir in diesem alles entscheidenden Kampf helfe.« Richard hob das Schwert eine halbe Klingenlänge aus der Scheide, so daß alle den blankpolierten Stahl sehen konnten. Der Anblick der Waffe ließ manch einen angewidert das Gesicht verziehen.

»Kahlan und ich kämpften Seite an Seite, um diesem Mann, der uns alle zu vernichten oder zu versklaven drohte, Einhalt zu gebieten. Sie wurde in einem mir unbekannten Land zu meiner Führerin, die mir nicht nur im Kampf gegen jene beistand, die uns den Tod geschworen hatten, sondern die mir eine Welt begreifen half, über die ich bis dahin noch nicht einmal nachgedacht hatte. Sie öffnete mir die Augen für das, was dort draußen jenseits der Grenze lag, die einst mich und mein Volk beschützte. Sie half mir, den Schatten der heraufziehenden Schreckensherrschaft zu erkennen – und das, worum es in Wahrheit ging – das Leben selbst.

Sie zwang mich, mich dieser Herausforderung würdig zu erweisen. Hätte sie es nicht getan, lebte ich heute nicht mehr, und zahllose Menschen wären entweder tot oder versklavt.«

Richard, überwältigt von der Flut schmerzhafter Erinnerungen, von den Gedanken an all jene, die in diesem Kampf ihr Leben gelassen hatten, an die teuer erkauften Siege, mußte sich abwenden.

Er mußte sich an der Statue abstützen, als er an die grauenvolle Ermordung George Cyphers dachte, jenes Mannes, der ihn großgezogen hatte und den Richard bis zu diesem Gemetzel für seinen Vater gehalten hatte. Der Schmerz, der schon so weit zurückzuliegen schien, kehrte mit ungeahnter Heftigkeit zurück. Er erinnerte sich an das Grauen damals, als ihm mit einem Schlag bewußt wurde, daß er den Mann, den er von Herzen liebte, niemals wiedersehen würde. Bis zu diesem Augenblick hatte er vollkommen vergessen, wie sehr er ihn vermißte.

Schließlich gewann er seine Fassung zurück und wandte sich wieder zu den Männern herum. »Bis ich schließlich, wenn auch nur dank Kahlans Hilfe, den Kampf gegen diesen Tyrannen gewann, von dessen Existenz ich bis zu jenem Tag, als sie in meinen Wäldern erschien, um mich zu warnen, gar nichts wußte.

Dieser Mann war Darken Rahl, mein Vater, ein Mann, den ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte.«

Die Männer starrten ihn ungläubig an. Einer fragte erstaunt: »Ihr hattet keine Ahnung?«

Richard schüttelte den Kopf. »Das ist eine lange Geschichte. Vielleicht werde ich sie euch ein andermal ausführlich erzählen. Jetzt jedoch muß ich mich auf die wichtigen Dinge beschränken, die euch und eure Lieben dort unten in eurer Heimat betreffen.«

Den Blick vor sich auf den Boden gerichtet, lief Richard vor dem ungeordneten Haufen auf und ab und dachte nach.

»Als ich Darken Rahl damals tötete, tat ich es, um zu verhindern, daß er mich und meine Lieben tötet. Er hatte bereits zahllose Menschen gefoltert und ermordet und hätte allein dafür schon den Tod verdient gehabt. Damals wußte ich nicht, daß er mein leiblicher Vater war oder daß ich, indem ich ihn tötete, als sein Nachfolger der neue Lord Rahl werden würde.

Hatte er gewußt, wer ich bin, hatte er mich vielleicht nicht zu töten versucht – aber er wußte es nicht. Ich war im Besitz von Informationen, die er benötigte; er war entschlossen, mich zu foltern, um sie zu bekommen. Also kam ich ihm zuvor.

Seit jener Zeit damals habe ich eine Menge gelernt; und dieses Wissen verbindet uns«- Richard erfaßte die Männer mit einer Geste, dann legte er seine Hand auf seine Brust und sah ihnen in die Augen -»auf eine Weise, die ihr erst noch erkennen müßt, wenn ihr aus diesem neuerlichen Kampf siegreich hervorgehen wollt.

Das Land, in dem ich aufwuchs, Kahlans Heimat sowie das Land D’Hara bilden zusammen die Neue Welt. Wie ihr sicher wißt, nennt man dieses weite Land dort unten, jenseits des Gebietes, wo ihr aufgewachsen seid, die Alte Welt. Kurz nachdem ich der neue Lord Rahl wurde, fiel die Barriere, die uns vor der Alten Welt schützte – ganz ähnlich eurer Grenze hier. Als dies geschah, ergriff Kaiser Jagang von der Imperialen Ordnung aus der Alten Welt die Gelegenheit beim Schopf, um in die Neue Welt, meine Heimat, einzumarschieren – so, wie er nun in eure Heimat einmarschiert ist. Seit über zwei Jahren kämpfen wir nun schon gegen seine Truppen, um sie entweder entscheidend zu schlagen oder aber doch wenigstens in die Alte Welt zurückzutreiben.

Die Grenze, die damals fiel, hatte uns vor der Imperialen Ordnung und ihresgleichen beschützt – und das über einen Zeitraum von ungefähr dreitausend Jahren, also erheblich länger, als ihr geschützt worden wart. Vor der Errichtung der Grenze, gegen Ende des Großen Krieges, erschuf der damalige Gegner aus der Alten Welt mit Hilfe von Magie Menschen, die Traumwandler genannt werden.«

Die Männer begannen untereinander zu tuscheln. Offenbar hatten sie diesen Begriff bereits gehört, ohne jedoch etwas Konkretes damit verbinden zu können, und überlegten nun, was er bedeuten mochte.

»Traumwandler«, fuhr Richard fort, nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, »konnten in den Verstand eines Menschen eindringen und diesen dadurch beherrschen. Es war unmöglich, sich dagegen zu wehren. Hatte ein Traumwandler sich eines menschlichen Verstandes bemächtigt, wurde dieser zu seinem Sklaven, unfähig, sich seinen Befehlen zu widersetzen. Die Menschen damals waren verzweifelt.

Ein gewisser Alric Rahl, mein Vorfahr, ersann schließlich eine Möglichkeit, den Verstand der Menschen vor den Übergriffen der Traumwandler zu schützen. Er war nicht nur der damalige Lord Rahl und damit Herrscher des d’Haranischen Reiches, sondern zugleich ein mächtiger Zauberer. Dank seiner herausragenden Fähigkeiten gelang es ihm, die Bande zu erschaffen, die – als aufrichtiger Treueschwur oder in der einfachen Form als von Herzen kommendes Bekenntnis gesprochen – die Menschen vor einem Eindringen des Traumwandlers in ihren Verstand beschützte. Alric Rahls magische Verbindung zu seinem Volk – über diese Bande – bewahrte sie davor.

Die Andacht, die ihr soeben alle gesprochen habt, ist die formelle Erklärung dieser Bande. Sie wird dem jeweiligen Lord Rahl schon seit über dreitausend Jahren vom d’Haranischen Volk dargebracht.«

Mit sorgenvoll zerfurchten Mienen traten einige Männer in der vordersten Reihe vor. »Heißt das, wir sind vor diesem Traumwandler sicher, weil wir eben diesen Eid geleistet haben, Lord Rahl? Sind wir davor geschützt, daß diese Traumwandler in unseren Verstand eindringen und sich unserer bemächtigen?«

Richard schüttelte den Kopf. »Ihr braucht diesen Schutz nicht, ihr seid bereits auf andere Art geschützt.«

Erleichtertes Aufatmen ging durch die Gruppe der Männer. Sie sahen aus, als hätten sie befürchtet, der Traumwandler sei ihnen bereits unmittelbar auf den Fersen, und nun seien sie im letzten Augenblick gerettet worden.

»Aber wie ist es möglich, daß wir bereits geschützt sind?«, fragte Owen.

Richard atmete tief durch und stieß die Luft ganz langsam wieder aus. »Nun, dies ist der Punkt, der uns gewissermaßen verbindet. Wie ich es sehe, verlangt alle Magie nach Ausgewogenheit, um funktionieren zu können.«

Allenthalben wissendes Kopfnicken – so als besäßen ausgerechnet diese von der Gabe völlig Unbeleckten erschöpfende Kenntnisse in Magie.

»Damals, als Alric Rahl die Bande schuf«, fuhr Richard fort, »mußte stets ein Lord Rahl im Amt sein, damit die Erfüllung der Bande gewährleistet war und ihre Macht erhalten blieb. Doch nicht alle Zauberer zeugen Kinder, die diese Fähigkeit der Gabe besitzen, deshalb ging es Alric Rahl bei der Schaffung der Bande zum Teil auch darum, dafür zu sorgen, daß der jeweils amtierende Lord Rahl stets einen Sohn mit magischen Kräften zeugte, der die Gabe besaß und die Bande mit dem d’Haranischen Volk erfüllen konnte. Auf diese Weise sollte ihm ewiger Schutz sicher sein.«

Richard hob einen Finger, um seine Argumentation zu unterstreichen, während er den Blick über die Gruppe von Männern schweifen ließ. »Was man jedoch damals nicht wußte, war, daß diese Magie unbeabsichtigt ihre eigene Ausgewogenheit erzeugte. Zwar zeugte der jeweilige Lord Rahl stets einen mit der Gabe gesegneten Nachkommen – einen Zauberer wie er selbst –, doch erst später fand man heraus, daß er gelegentlich auch Nachkommen zeugte, die von Magie völlig unbeleckt waren.«

Dem leeren Ausdruck auf ihren Gesichtern entnahm Richard deutlich, daß sie nicht die geringste Ahnung hatten, was er ihnen soeben zu erklären versuchte. Auf Menschen, die ein Dasein in völliger Abgeschiedenheit fristeten, mußte diese Geschichte ziemlich verwirrend, wenn nicht gar weit hergeholt wirken. Nur zu gut erinnerte er sich noch daran, wie sehr ihn alles, was mit Magie zu tun hatte, vor dem Fall der Grenze und seiner Begegnung mit Kahlan verwirrt hatte. Er war nicht mit Magie aufgewachsen, noch immer war sie ihm größtenteils ein Buch mit sieben Siegeln, und obwohl er mit beiden Seiten der Gabe geboren war, wußte er nach wie vor nicht, wie sie sich beherrschen ließ.

»Ihr müßt wissen«, fuhr er fort, »daß nur einige wenige Menschen Magie – die Gabe – besitzen. Nichtsdestotrotz werden alle Menschen zumindest mit einem Funken der Gabe geboren, auch wenn sie selbst keine Magie wirken können. Bis vor kurzem hielt man diese Menschen noch für nicht mit der Gabe gesegnet. Begreift ihr jetzt? Die mit der Gabe Gesegneten, Zauberer und Hexenmeisterinnen also, können Magie wirken, alle anderen nicht – weshalb sie als nicht mit der Gabe gesegnet gelten.

Wie sich herausstellte, stimmte dies jedoch nicht uneingeschränkt, denn jeder besitzt bei seiner Geburt einen winzigen Funken der Gabe. Dieser winzige Funke ermöglicht es ihm, mit der Magie in seiner Umgebung in eine Wechselbeziehung zu treten – mit den Dingen und Geschöpfen, die magische Eigenschaften besitzen, aber auch mit den Menschen, die im umfassenderen Sinn mit der Gabe gesegnet sind – denjenigen, die Magie gestalten und beeinflussen können.«

»In Bandakar gibt es auch Menschen, die Magie besitzen«, meinte einer der Männer. »Echte Magie. Nur wer nie ...«

»Nein«, schnitt Richard ihm das Wort ab. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, daß sie den Faden seiner Geschichte aus dem Blick verloren. »Owen hat mir erzählt, was man bei euch unter Magie versteht, aber das ist keine Magie, sondern Aberglauben. Das meine ich nicht. Ich spreche von echter Magie, die in der realen Welt wirklich etwas bewirken kann. Vergeßt, was man euch über Magie beigebracht hat, daß der Glaube angeblich das hervorbringt, woran man glaubt, und daß dies echte Magie sei. Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Es ist nichts weiter als die unrealistische Illusion von Magie in der Vorstellung der Menschen.«

»Und doch ist sie ganz real«, widersprach jemand in respektvollem, aber festem Ton. »Wirklicher als das, was man sieht oder spürt.«

Richard sah ihn mit strengem Blick an. »Wenn sie tatsächlich so wirklich ist, warum mußtet ihr mir dann ein Gift verabreichen, zusammengemischt von einem Mann, der sein Leben lang mit Kräutern gearbeitet hat? Weil ihr ganz genau wußtet, was wirklich ist! Wenn es um eure ureigenen Interessen geht, um euer Überleben, greift ihr auf das zurück, was real existiert und funktioniert.«

Der Lord Rahl deutete hinter sich auf Kahlan. »Die Mutter Konfessor besitzt echte Magie. Ihre Magie hat nichts zu tun mit den Flüchen, mit denen man jemanden belegt, und dessen Tod, wenn der Betreffende zehn Jahre später stirbt, auf den Fluch zurückgeführt wird. Sie besitzt echte, auf fundamentale Weise mit dem Tod verbundene Magie, gegen die folglich auch ihr nicht gefeit seid. Wenn sie jemanden mit dieser echten Magie berührt, stirbt er auf der Stelle – und nicht erst in zehn Jahren.«

Richard baute sich vor den Männern auf und sah ihnen nacheinander fest in die Augen. »Falls jemand nicht glaubt, daß dies echte Magie ist, dann soll er vortreten und sich freiwillig von der sehr realen, tödlichen Kraft der Mutter Konfessor berühren lassen. Dann können die anderen sehen, was geschieht, und sich ihr eigenes Urteil bilden.« Er ließ seinen Blick von einem Gesicht zum nächsten schweifen. »Ist jemand bereit, sich dieser Probe zu unterziehen? Gibt es irgendeinen Magier unter euch, der es ausprobieren möchte?«

Als niemand darauf antwortete, niemand sich rührte, fuhr Richard fort.

»Es scheint, als hättet ihr alle doch eine ziemlich klare Vorstellung davon, was wirklich ist und was nicht. Vergeßt das nie – und lernt daraus.

Also, ich war gerade dabei zu erzählen, daß der Lord Rahl stets einen Sohn mit Magie zeugte, um die Herrschaft über D’Hara und seine Gabe weitervererben und damit die Bande aufrechterhalten zu können. Nun haben die von Alric Rahl geschaffenen Bande aber eine nicht beabsichtigte Nebenwirkung.

Erst viel später entdeckte man, daß der Lord Rahl – möglicherweise als eine Art Ausgleich – bisweilen auch Nachkommen zeugte, die keinerlei Magie besaßen – die also nicht nur nicht mit der Gabe gesegnet waren, wie die meisten Menschen, sondern die anders waren als alle bis dahin Geborenen: Sie waren von der Gabe völlig unbeleckt. Für sie hätte Magie ebenso gut gar nicht existieren können, denn ihnen fehlte von Geburt an die Fähigkeit, sie auch nur wahrzunehmen oder mit ihr in Wechselbeziehung zu treten. Sie glichen Vögeln, die zwar Federn besaßen und sich von Insekten ernährten, ansonsten aber vollkommen fluguntauglich waren.

Damals, vor dreitausend Jahren, nach der Schaffung der Bande zum Schutz der Menschen vor den Traumwandlern, gelang es den Zauberern schließlich, eine Barriere zwischen der Neuen und der Alten Welt zu errichten. Damit war es den Bewohnern der Alten Welt verwehrt, in die Neue Welt einzufallen, um dort Krieg zu führen, und der Große Krieg endete. Endlich herrschte Frieden.

Doch auf einmal sahen sich die Bewohner der Neuen Welt mit einem neuen Problem konfrontiert, denn die von der Gabe völlig unbeleckten Nachkommen des Lord Rahl vererbten dieses Merkmal an ihre Kinder. Alle Kinder, die aus einer Ehe hervorgingen, in der mindestens ein Partner völlig unbeleckt von der Gabe war, zeugten wiederum von der Gabe völlig unbeleckte Nachkommen – und zwar ohne Ausnahme. Heirateten diese Nachkommen dann und bekamen ihrerseits Kinder und Enkelkinder, breitete sich dieses Merkmal immer weiter in der gesamten Bevölkerung aus.

Dies versetzte die Menschen damals in Angst, denn sie waren auf Magie angewiesen; Magie war ein fester Bestandteil ihrer Welt, denn sie feite sie gegen die Traumwandler, mit ihrer Hilfe war die Barriere errichtet worden, sie beschützte sie vor den Horden aus der Alten Welt, durch sie hatte der Große Krieg beendet werden können. Mit Magie wurden Menschen geheilt, vermißte Kinder wieder aufgespürt, wundervolle Kunstwerke erschaffen, die die Menschen inspirierten und ihnen Freude bereiteten. Magie lieferte einen wichtigen Beitrag, der ihnen half, ihr künftiges Leben zu meistern.

Manche Orte entstanden um eine mit der Gabe gesegnete Person herum, die den Menschen gute Dienste zu leisten vermochte. Viele mit der Gabe Gesegnete verdienten sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt. In einigen Fällen ermöglichte Magie es den Menschen, die Natur zu beherrschen, was eine allgemeine Verbesserung der Lebensumstände zur Folge hatte. Magie war eine individuelle, schöpferische Kraft, aus der nahezu jeder persönlichen Nutzen ziehen konnte.

Was nicht heißen soll, daß Magie unentbehrlich war oder ist; sie war vielmehr ein nützliches Hilfsmittel, eine Art Werkzeug. Magie war für die Menschen damals so etwas wie ihr rechter Arm. Der Verstand des Menschen, nicht seine Magie, ist unverzichtbar – man kann zwar durchaus ohne seinen rechten Arm überleben, nicht aber ohne seinen Verstand. Damals jedoch war Magie so sehr in das Leben aller eingebunden, daß viele sie tatsächlich für unverzichtbar hielten.

Bis die Menschen die Verbreitung der von der Gabe völlig Unbeleckten in der Bevölkerung schließlich als neue Bedrohung zu empfinden begannen, die der ihnen bekannten Welt, allem, das ihnen wichtig war, ihrem bedeutendsten Schutz, der Magie, ein Ende machen konnte.«

Richard hielt einen Moment inne und blickte in ihre Gesichter, um sich davon zu überzeugen, daß jeder den Kern der Geschichte begriffen hatte, daß sie das Ausmaß und den Grund der Verzweiflung der Menschen damals verstanden.

»Und was taten die Menschen nun gegen die von der Gabe völlig Unbeleckten unter ihnen?«, wollte einer wissen.

Mit ruhigem Ernst antwortete Richard: »Etwas Schreckliches.«

Einer der Ledertaschen an seinem Gürtel entnahm er ein Buch und hielt es in die Höhe, damit alle es sehen konnten, während er erneut vor ihnen auf und ab zu gehen begann. Die Wolken, schwer befrachtet mit Schneestürmen, wälzten sich auf ihrem Weg zu den weit über ihnen in den Himmel ragenden Gipfeln lautlos durch das eisige Tal des Hochgebirgspasses.

»Dieses Buch trägt den Titel Die Säulen der Schöpfung. So nannten die Zauberer damals die von der Gabe völlig Unbeleckten, weil sie, dank des Merkmals, das sie an ihre Nachkommen weitervererbten, die Macht besaßen, die Natur der gesamten Menschheit von Grund auf zu verändern. Sie waren die Begründer einer völlig neuen Menschenart – Menschen, die mit Magie in keinerlei Verbindung standen.

Ich bin erst vor kurzem auf dieses Buch gestoßen. Es richtet sich an den Lord Rahl und andere, um die Betreffenden über die von der Gabe völlig Unbefleckten, die gegen Magie immun sind, zu unterrichten. Das Buch erzählt die Entstehungsgeschichte dieser Menschen sowie die Geschichte ihrer Erforschung. Und es enthüllt, wie die Menschen damals, vor Tausenden Jahren, gegen diese Säulen der Schöpfung vorgegangen sind.«

Die Männer rieben sich die Arme gegen die eisige Kälte, während Richard gemessenen Schritts vor ihnen auf und ab lief; die Geschichte schien sie in ihren Bann gezogen zu haben.

Owen fragte: »Und was haben sie nun unternommen?«

Richard blieb stehen und sah ihnen prüfend in die Augen, ehe er darauf antwortete. »Sie haben sie verbannt.«

Unter den Männern setzte überraschtes Getuschel ein. Offenbar verblüffte sie die Endgültigkeit dieser Lösung. Sie wußten, was Verbannung bedeutete, sie wußten es nur zu gut und empfanden für die Verbannten von damals durchaus Mitgefühl.

»Aber das ist ja schrecklich«, meinte einer in vorderster Reihe und schüttelte den Kopf.

Ein anderer setzte eine fragende Miene auf und hob die Hand. »Hatten diese Säulen der Schöpfung nicht oft auch Verwandte unter der übrigen Bevölkerung? Sie gehörten doch einer Ortsgemeinschaft an. Hat es den Menschen denn nicht leid getan, diese nicht mit der Gabe Gesegneten zu verbannen?«

Richard nickte. »Ja, natürlich. Es waren Freunde und Familienangehörige darunter. Die Verbannten waren aufs Engste mit dem Leben fast aller anderen verwoben. Das Buch schildert ausführlich, daß die Entscheidung, zu der man hinsichtlich der von der Gabe völlig Unbeleckten gelangt war, in der Bevölkerung nur schweren Herzens aufgenommen wurde. Es muß eine schlimme Zeit gewesen sein; so recht behagte diese schrecklich harte Entscheidung niemandem. Aber den Verantwortlichen damals blieb gar keine andere Wahl: Wenn sie ihre Lebensweise, die Magie und alles, was sie ihnen bedeutete, dieses Merkmal des Menschen – und nicht etwa das Leben Einzelner um seiner selbst willen – bewahren wollten, mußten sie die von der Gabe völlig Unbeleckten in die Verbannung schicken.

Darüber hinaus verfügten sie die Tötung aller zukünftigen Nachkommen des Lord Rahl, mit Ausnahme seiner mit der Gabe gesegneten Erben, um zu garantieren, daß zukünftig nie wieder eine Säule der Schöpfung unter ihnen entstand.«

Diesmal blieb das Getuschel aus. Die Geschichte dieses rätselhaften Volkes und der schrecklichen Lösung, seiner Herr zu werden, schien die Männer zutiefst bedrückt zu haben. Gesenkten Kopfes schienen sie sich in Gedanken auszumalen, wie das Leben damals, in diesen erbarmungslosen Zeiten, gewesen sein mußte.

Schließlich hob einer von ihnen den Kopf. Nervös runzelte er die Stirn, bis er endlich die unausweichliche Frage über die Lippen brachte, auf die Richard die ganze Zeit gewartet hatte.

»Aber wohin hat man diese Säulen der Schöpfung verbannt? Wohin wurden sie damals geschickt?«

Richard beobachtete die Männer von denen schließlich immer mehr, von diesem Rätsel aus alter Zeit ergriffen, den Blick hoben und darauf warteten, daß er fortfuhr.

»Diese Menschen waren immun gegen Magie«, erinnerte sie Richard. »Und die Barriere, die die Alte Welt aussperrte, war eine mit Magie errichtete Barriere.«

»Sie haben sie durch diese Barriere geschickt!«, mutmaßte einer laut.

Richard nickte. »Viele Zauberer waren gestorben und hatten ihre Kraft für diese Barriere hergegeben, damit ihr Volk vor den Bewohnern der Alten Welt sicher wäre, die die Herrschaft über sie gewinnen und die Magie ausmerzen wollten. Hauptsächlich deswegen war der Große Krieg ja überhaupt nur geführt worden.

Die Bewohner der Neuen Welt schickten diese von der Gabe völlig Unbefleckten, die gegen Magie immunen, also durch die Barriere in die Alte Welt.

Sie haben nie erfahren, was aus ihnen wurde – aus ihren verbannten Freunden, Familienangehörigen und Lieben –, denn keiner von ihnen konnte die Barriere durchqueren, hinter die sie verbannt worden waren. Man nahm an, daß sie sich ein neues Leben einrichten, einen neuen Anfang machen würden.

Vor ein paar Jahren schließlich fiel die Barriere. Wenn die Verbannten den Neuanfang in der Alten Welt geschafft hatten, dann würden sie Kinder bekommen und ihr Merkmal der völligen Unbeflecktheit von der Gabe verbreitet haben«- Richard hob die Arme und zuckte mit den Schultern –, »doch es fehlt jede Spur von ihnen. Die Menschen hier unterscheiden sich in nichts von denen in der Neuen Welt – einige werden mit der Gabe geboren, aber alle besitzen zumindest einen winzigen Funken der Gabe, der es ihnen ermöglicht; eine Wechselbeziehung mit Magie einzugehen.

Die Menschen damals schienen einfach vom Erdboden verschluckt worden zu sein.«

»Demnach wissen wir jetzt«, überlegte Owen laut, den Blick gedankenverloren ins Nichts gerichtet, »daß die vor so langer Zeit in die Alte Welt Verbannten entweder gestorben ... oder umgebracht worden sein müssen.«

»Das dachte ich ursprünglich auch«, sagte Richard. Er wandte sich um, blickte den Männern ins Gesicht und wartete, bis aller Augen auf ihn gerichtet waren, ehe er fortfuhr.

»Aber dann habe ich sie gefunden. Ich fand dieses lange verschollene Volk.«

Wieder setzte aufgeregtes Getuschel ein. Die Vorstellung, daß ein ganzes Volk wider alle Wahrscheinlichkeit überlebt hatte, schien den Männern neuen Mut zu geben.

»Und wo sind sie nun, Lord Rahl?«, fragte einer »diese Menschen aus dem gleichen Geschlecht wie Ihr? Diese Menschen, die eine so grausame Verbannung, ein so schreckliches Ungemach erleiden mußten?«

Richard bedachte die Männer mit einem durchdringenden Blick. »Kommt mit, dann verrate ich euch, was aus diesem Volk geworden ist.«

Er führte sie um die Statue herum zur Stirnseite, wo sich ihnen der in Stein gehauene Wachtposten zum ersten Mal in seiner vollen Größe offenbarte. Als sie die Statue zum allerersten Mal von vorne sahen, befiel die Männer eine ehrfürchtige Scheu. Aufgeregt unterhielten sie sich untereinander, wie real sie wirke, und daß sie deutlich die scharf geschnittenen Züge im Gesicht des Mannes erkennen konnten.

Sowohl die heftige Erregung ihrer Stimmen als auch der Inhalt ihrer Worte selbst ließen Richard den entschiedenen Eindruck gewinnen, daß sie noch nie zuvor eine Statue gesehen hatten, zumindest keine von solch kolossalen Ausmaßen. Die Statue schien für sie eher eine Art Offenbarung der Magie denn ein Zeugnis menschlichen Könnens zu sein.

Richard legte eine Hand auf den kalten Stein des Sockels. »Dies ist das alte Bildnis eines Zauberers aus der Alten Welt mit Namen Kaja-Rang. Es wurde nicht zuletzt zu Ehren dieses Mannes in Stein gemeißelt, der als großer und mächtiger Zauberer galt.«

Owen unterbrach ihn, indem er seine Hand hob. »Ich dachte, die Menschen in der Alten Welt hatten Magie abgelehnt? Wieso gab es dann einen großen Zauberer bei ihnen – und vor allem, warum haben sie einen solchen Mann der Magie auf diese Weise geehrt?«

Richard schmunzelte, daß Owen den Widerspruch bemerkt hatte. »Das Verhalten der Menschen ist nicht immer logisch. Man könnte sogar sagen, je irrationaler die Glaubensüberzeugungen, desto ausgeprägter die Widersprüche. Ihr, zum Beispiel, versucht die Unstimmigkeiten eures Verhaltens dadurch zu übertünchen, daß ihr eure Glaubensgrundsätze je nach Situation auslegt. Ihr behauptet, nichts sei wirklich, und wir seien unfähig, das wahre Wesen der Wirklichkeit zu erkennen; und doch macht euch, was die Imperiale Ordnung euch antut, Angst – die Untaten dieser Leute erscheinen euch mithin wirklich genug, um ihr Ende herbeizusehnen.

Wäre nichts wirklich, hättet ihr keinen Grund, der Imperialen Ordnung Einhalt gebieten zu wollen. Tatsächlich aber widerspricht dieser Wunsch – ja bereits die Erkenntnis, daß ihr Vorhandensein wirklich und sogar schädlich für euch ist – euren erklärten Glaubensüberzeugungen, denen zufolge der Mensch nicht fähig ist, die Wirklichkeit zu erkennen.

Und doch begreift ihr durchaus den ganz realen Schrecken, den die Männer der Imperialen Ordnung unter euch verbreiten; ihr wißt genau, wie verabscheuungswürdig das ist, also setzt ihr die Gebote eures Glaubens je nach Belieben außer Kraft, um Owen mit dem Auftrag loszuschicken, mich zu vergiften und auf diese Weise zu zwingen, eure sehr realen Probleme für euch zu lösen.«

Richards Worte schienen einige Männer verwirrt zu haben, andere dagegen wirkten eher peinlich berührt. Wieder andere starrten ihn nur mit staunenden Augen an. Niemand aber schien gewillt, irgendwelche Einwände vorzubringen, und so ließen sie ihn ohne Unterbrechung fortfahren.

»Die Menschen in der Alten Welt waren genauso – und sind es bis heute. Auch sie gaben vor, keine Magie zu wollen, aber als dies plötzlich Wirklichkeit zu werden drohte, mochten sie nicht mehr auf sie verzichten. Die Imperiale Ordnung verhält sich ebenso. Sie sind unter dem Vorwand, für die Befreiung der Menschheit von der Magie zu kämpfen, in die Neue Welt einmarschiert und erzählen jedem, der es hören will, welch nobler Zweck dies sei – und doch bedienen sie sich zur Erreichung dieses erklärten Zieles der Magie. Sie behaupten, Magie sei schlecht, und doch machen sie sie sich zu eigen.

Ihr Anführer, Kaiser Jagang, bedient sich der mit Magie Gesegneten, um seine Ziele durchzusetzen, zu denen erklärtermaßen das Ausmerzen der Magie gehört. Obschon der Traumwandler Jagang ein Nachfahre jener Traumwandler aus alter Zeit ist, deren Talent eindeutig auf Magie zurückgeht, hält er sich nach wie vor für befähigt, sein Reich zu führen. Obwohl er Magie besitzt – nach seinen eigenen Worten ein Grund, den Menschen jedes Mitspracherecht für die Zukunft abzusprechen –, nennt er sich Jagang, der Gerechte.

Was immer diese Leute zu glauben vorgeben, ihr Ziel ist – schlicht und einfach – die Beherrschung von Menschen. Sie verbergen ihr Machtstreben hinter nobel klingenden Worten. Jeder Tyrann hält sich für anders, und doch sind alle gleich. Ihre Herrschaft gründet sich allein auf rücksichtslose Gewalt.«

Owen, die Stirn zerfurcht von tiefen Falten, versuchte dies alles zu begreifen. »Die Menschen in der Alten Welt haben sich also nicht an ihre eigenen Regeln gehalten, an das, was sie zu glauben vorgaben. Aber wenn sie gepredigt haben, daß die Menschen ohne Magie besser dran seien, und trotzdem nicht auf Magie verzichten wollten, müssen sie doch innerlich zerrissen gewesen sein.«

»So ist es.«

Owen deutete auf die Statue. »Und was hat es mit diesem Mann auf sich? Warum sitzt er hier, wenn er gegen das war, was sie gepredigt haben?«

Über der hoch in den Himmel ragenden Statue ballten sich düstere Wolken zusammen. Die kalte, schwere, feuchte Luft schien völlig still zu stehen. Es war, als wollte das heraufziehende Unwetter noch mit dem Ausbruch warten, um erst das Ende der Geschichte anzuhören.

»Dieser Mann sitzt hier, weil er dafür gekämpft hat, die Bewohner der Alten Welt vor etwas zu bewahren, was sie noch mehr fürchteten als Magie«, erklärte Richard.

Er sah hoch in das entschlossene Gesicht, dessen Augen für alle Zeiten auf die Säulen der Schöpfung gerichtet schienen.

»Dieser Mann«, fuhr Richard ruhig fort, »dieser Zauberer mit Namen Kaja-Rang, scharte alle von der Gabe völlig Unbefleckten – die Säulen der Schöpfung, die aus der Neuen Welt hierher verbannt worden waren – sowie alle, die sich mit ihnen verbunden hatten, während sie hier lebten, um sich und schickte sie dorthin.«

Richard deutete auf einen fernen Punkt weit jenseits der Statue.

»All diese Menschen versammelte er an diesem ringsum von Bergen geschützten Ort und umgab sie mit einer tödlichen Grenze, die quer über diesen Paß verlief, so daß sie diesen Ort nie wieder verlassen konnten, um sich unter die übrigen Menschen zu mischen.

Kaja-Rang war es auch, der diesen Menschen ihren Namen gab: die Bandakaren. Der Begriff Bandakar entstammt einer sehr alten Sprache mit Namen Hoch-D’Haran und bedeutet ›die Verbannten‹. Dieser Kaja-Rang hat sie dort eingesperrt, um sein eigenes Volk vor den von der Gabe völlig Unbeleckten, von denen, die immun waren gegen Magie, zu retten.

Die Nachkommen dieses verbannten Volkes«, erklärte Richard den vor ihm stehenden Männern, »seid Ihr. Ihr seid die Nachkommen Alric Rahls, die Nachkommen jenes Volkes, das in die Alte Welt ins Exil geschickt wurde. Ihr seid die Nachkommen des Geschlechts der Rahls. Ihr und ich, wir haben dieselben Vorfahren. Das Volk der Verbannten seid ihr.«

Auf dem Kamm des Passes, vor der Statue Kaja-Rangs, herrschte Totenstille. Die Männer waren starr vor Schock.

Und dann brach ein Höllenlärm los. Richard unternahm nichts, um sie daran zu hindern, um sie wieder zu beruhigen. Statt dessen stellte er sich neben Kahlan und ließ sie das alles erst einmal begreifen. Er wollte ihnen alle Zeit lassen, die sie benötigten, um die Ungeheuerlichkeit dessen, was er ihnen soeben mitgeteilt hatte, zu erfassen.

Einige der Männer machten ihrer Empörung über das soeben Gehörte Luft, indem sie die Arme gen Himmel reckten, andere verfielen ob dieser tragischen Geschichte in Wehklagen. Wieder andere brachen in kummervolle Tränen aus, viele widersprachen rundweg oder brachten Einwände gegen bestimmte Einzelheiten vor, die von den Umstehenden augenblicklich widerlegt wurden; einige gingen mit ihren Kameraden noch einmal die Schlüsselpunkte der Geschichte durch, so als wollten sie die Worte durch erneutes Aussprechen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen – bis man sich schließlich darauf einigte, daß es durchaus so gewesen sein konnte.

Während dieser ganzen Zeit jedoch dämmerte ihnen allen ganz allmählich die Ungeheuerlichkeit des soeben Gehörten. Nach und nach gelangten sie zu der Erkenntnis, daß der Geschichte ein eindeutiger Unterton von Wahrheit innewohnte. Schnatternd wie eine Schar Enten machten sie, indem sie alle durcheinander redeten, ihrem Unglauben, ihrem Staunen, ja ihrer Angst Luft, als ihnen schlagartig bewußt wurde, wer sie in Wirklichkeit waren.

Nachdem der erste Schock überwunden war, beruhigten sich die Männer wieder und wandten sich, begierig, mehr zu erfahren, auf das geflüsterte Drängen einiger ihrer Gefährten hin wieder zu Richard herum.

»Demnach seid Ihr dieser mit der Gabe gesegnete Mann, der beneidenswerte Erbe, der Lord Rahl, und wir sind diejenigen, die von Euresgleichen damals verbannt wurden«, stellte jemand fest, indem er aussprach, was alle befürchteten, aber niemand zu fragen wagte: Was mochte dies für sie bedeuten.

»Das ist richtig«, sagte Richard. »Ich bin der Lord Rahl, der Herrscher des d’Haranischen Reiches, und ihr seid die Nachkommen der Säulen der Schöpfung, die damals verbannt wurden. Ich besitze, wie meine Vorfahren und jeder Lord Rahl vor mir, die Gabe. Ihr dagegen, wie schon eure Vorfahren, seid nicht mit ihr gesegnet.«

Richard betrachtete – von seinem Platz vor der Statue jenes Mannes aus, der sie einst alle verbannt hatte – ihre angespannten Gesichter.

»Die Verbannung war ein schreckliches Unrecht. Sie widersprach jeglicher Ethik. Kraft meines Amtes als Lord Rahl widerrufe ich die Verbannung und erkläre sie auf ewig für beendet. Ab sofort gehört ihr nicht mehr dem Reich Bandakar, dem Reich der Verbannten, an, sondern seid wieder, wie einst vor langer Zeit, Bürger D’Haras – so dies eurem Wunsch entspricht.«

Jeder einzelne von ihnen schien den Atem anzuhalten, schien abzuwarten, ob er es wirklich ernst meinte oder vielleicht doch noch etwas hinzufügte oder es womöglich wieder zurücknähme.

Richard legte Kahlan den Arm um die Hüfte, während er seinen ruhigen Blick über die hoffnungsvollen Mienen schweifen ließ.

Er lächelte. »Willkommen daheim.«

Dann gab es kein Halten mehr; sie warfen sich ihm zu Füßen, bedeckten seine Stiefel, seine Hosen, seine Hände, und wer sich nicht weit genug nach vorne drängen konnte, den Erdboden vor ihm mit Küssen. Nicht lange, und sie küßten sogar den Saum von Kahlans Kleid.

Endlich hatten sie jemanden gefunden, einen Verwandten, der ihre Herkunft klären konnte, und hießen ihn in ihrer Mitte willkommen.

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