59

Was ihnen hier bevorstand, war etwas völlig anderes als bisher. Es würde eine Schlacht von einer Größenordnung werden, wie sie ihnen bislang unbekannt war. Schlimmer, sie würde in einer Stadt stattfinden, die sich den Zielen der Imperialen Ordnung größtenteils freiwillig verschrieben hatte. Von der Bevölkerung war demnach keine große Hilfe zu erwarten.

Richard stand vor den Männern und hoffte, ihnen irgend etwas an die Hand geben zu können, das ihnen half, den Sieg davonzutragen.

»Ich hatte gehofft, wir würden nicht gezwungen sein, es auf diese Weise zu tun«, begann er. »Ich hatte gehofft, wir könnten so ähnlich vorgehen wie zuvor, als wir Feuer und Gift eingesetzt haben, so daß keiner von euch verletzt würde. Doch diese Möglichkeit ist uns nun verwehrt. Nicholas weiß, daß wir hier sind; wenn wir zu fliehen versuchen, werden seine Leute uns verfolgen. Einigen von uns würde die Flucht vielleicht sogar gelingen ... für eine Weile jedenfalls.«

»Wir sind es leid, immer nur davonzulaufen«, warf Anson ein.

»Das stimmt«, bestätigt Owen. »Nach unseren Erfahrungen führt fortzulaufen und sich zu verkriechen stets zu noch größerem Leid.«

Richard nickte. »Dem kann ich nur zustimmen. Aber über eins müßt ihr euch im Klaren sein: Einige von uns werden am heutigen Tag wahrscheinlich sterben, vielleicht sogar die meisten. Möglicherweise sogar wir alle. Wenn also jemand nicht kämpfen möchte, müssen wir das jetzt wissen. Sind wir erst in der Stadt, müssen wir uns blind aufeinander verlassen können.«

Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ging er langsam vor ihnen auf und ab. In dem trüben Licht war es schwierig, ihre Gesichter zu erkennen. Andererseits wußte Richard, daß ihm die Zeit davonlief. Sein Augenlicht würde zunehmend schlechter werden, und das Gleiche galt für sein Schwindelgefühl.

Er wußte auch, daß er nie wieder gesund werden würde. Wenn er also eine Chance haben wollte, Kahlan aus der Gewalt der Imperialen Ordnung zu befreien, dann würde dies sofort geschehen müssen – entweder mit Hilfe dieser Männer oder ohne sie.

Als niemand erklärte, er wolle aufgeben, fuhr Richard fort: »Aus zwei Gründen müssen wir an ihre Befehlshaber herankommen: zum einen, um herauszufinden, wo die Mutter Konfessor gefangen gehalten wird, und zweitens, um sie auszuschalten, damit sie ihre Soldaten nicht im Kampf gegen uns anführen können. Mittlerweile ist jeder von euch im Besitz einer Waffe; darüber hinaus haben wir euch, in der wenigen Zeit, die uns zur Verfügung stand, nach besten Kräften in ihrem Gebrauch unterrichtet. Aber da ist noch etwas, was ihr wissen müßt. Ihr werdet Angst haben. Genau wie ich auch. Und um diese Angst zu überwinden, müßt ihr euch eure Wut zunutze machen.«

»Wut?«, unterbrach ihn einer. »Wie sollen wir wütend werden, solange wir Angst haben?«

»Diese Soldaten haben eure Frauen vergewaltigt, eure Schwestern, Mütter, Töchter, Tanten, Nichten und Nachbarn«, fuhr Richard fort, indem er weiter auf und ab ging. »Denkt daran, wenn ihr den Feinden in die Augen seht. Sie haben fast alle eure Frauen verschleppt. Jeder von euch weiß, zu welchem Zweck. Sie haben Kinder gefoltert, um euch zur Aufgabe zu zwingen. Denkt an das Grauen eurer Kinder, als sie, vor Angst und Schmerzen schreiend, mutterseelenallein in einer Lache ihres eigenen Blutes sterben mußten, nachdem diese Soldaten sie verstümmelt hatten.«

Richards flammender Zorn übertrug sich auf seine Ansprache. »Denkt daran, wenn ihr sie mit siegesgewissem Grinsen auf euch zukommen seht. Diese Männer haben Menschen gefoltert, die ihr liebtet, Menschen, die ihnen nie ein Leid angetan haben. Denkt daran, wenn diese Männer sich mit ihren Händen, an denen Blut klebt, auf euch stürzen.

Diese Soldaten haben viele von euch verschleppt, um sie als Sklaven zu mißbrauchen. Viele andere wurden von ihnen einfach umgebracht. Denkt daran, wenn sie kommen, um euch ebenfalls zu töten.«

Richard wandte sich herum und sah den Männern ins Gesicht. »Denkt daran, wenn ihr diesen Bestien gegenübertretet.« Die Zähne zusammengebissen, schlug er sich mit der Faust gegen die Brust. »Und wenn ihr diesen Männern gegenübertretet, Männern, die euch und euren Lieben diese grauenhaften Dinge angetan haben, dann tretet ihnen mit Haß im Herzen gegenüber. Bekämpft sie mit haßerfülltem Herzen, und tötet sie mit haßerfülltem Herzen. Nichts anderes haben sie verdient.«

Im Wald war es vollkommen still, während die Männer sich seine harten, für manche sicherlich erschreckenden Worte durch den Kopf gehen ließen. Sein eigener Zorn und Haß waren so übermächtig, daß er es kaum noch erwarten konnte, sich auf die Soldaten der Imperialen Ordnung zu stürzen.

Richard, durchdrungen von der Bedeutung dessen, was er ihnen am Vorabend einer Schlacht von solcher Tragweite zu erklären hatte, blickte in jedes einzelne Gesicht, als ihm plötzlich der Schriftzug auf der Statue am Eingang dieses Landes in den Sinn kam, die Worte des Achten Gesetzes der Magie: Taiga Vassternich.

»Da ist noch ein letztes, was ich euch erklären muß«, erklärte er. »Das Wichtigste überhaupt.« Richard trat als Herrscher des d’Haranischen Reiches vor sie hin, eines Reiches, das um sein Überleben und für seine Freiheit kämpfte, und rief ihnen die Worte in ihrer eigenen Sprache zu. »Erweist euch des Sieges würdig.« Es wurde gerade eben hell, als sie in die Stadt einfielen. Zurückgeblieben war nur Jennsen; Richard hatte ihr verboten, sich an den Kämpfen zu beteiligen. Zum einen, weil sie zu jung und nicht annähernd so kräftig war wie die Krieger, mit denen sie es zu tun bekommen würden, aber auch, weil sie ein zu verlockendes Ziel böte. Vergewaltigung war die heilige Waffe der Gottlosen, eine Waffe, der sich dieser Feind mit erschreckender Zuverlässigkeit bediente. Um einen solchen Fang würden sich die Krieger der Imperialen Ordnung scharen. Bei Cara dagegen lag der Fall anders, denn sie war ja eine ausgebildete Kriegerin und, mit Ausnahme Richards, tödlicher als jeder andere von ihnen.

Aus einer engen Seitengasse trat ein Mann, den sie wegen seiner guten Kenntnisse der Gegend als Kundschafter vorausgeschickt hatten. Als sie bei ihm waren, traten sie alle bis dicht vor die Häuserwand, um möglichst ungesehen zu bleiben.

»Ich habe sie gefunden«, erklärte der Kundschafter atemlos. Er deutete auf das Gebiet rechts von ihrer in die Stadt hineinführenden Route.

»Wie viele sind es?«, erkundigte sich Richard.

»Meiner Meinung nach muß es sich um ihre Hauptstreitmacht innerhalb der Stadt handeln. Lord Rahl. Das Gebäude ist ihr Schlafhaus; sie scheinen noch immer alle dort und noch nicht auf den Beinen zu sein, genau wie Ihr es erwartet hattet. Der Komplex, den sie beschlagnahmt haben, besteht aus mehreren Gebäuden, in denen die Amtszimmer der Stadtverwaltung untergebracht sind. Aber ich bringe auch schlechte Nachrichten. Sie werden von Einwohnern aus der Stadt beschützt.«

Richard fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er mußte sich zusammennehmen, um nicht zu husten, und stützte sich mit einer Hand am Fensterrahmen des Gebäudes neben ihm ab.

»Was soll das heißen, sie werden beschützt?«

»Das von den Soldaten besetzte Gebäude ist von Scharen Stadtbewohnern umringt. Offenbar haben sich diese Leute dort eingefunden, um die Soldaten zu beschützen – und zwar vor uns. Mit ihrer Anwesenheit wollen sie uns daran hindern, anzugreifen.«

Richard stieß ein verärgertes Schnauben aus. »Also gut.« Er wandte sich wieder herum zu den besorgt dreinblickenden, erwartungsvollen Gesichtern. »Hört jetzt genau zu, was ich euch sage. Wir haben uns entschlossen, den Kampf gegen das Böse aufzunehmen. Wer sich dagegen auf die Seite des Bösen schlägt, indem er seine Handlanger zu beschützen sucht, setzt sich für dessen Fortbestand ein.«

Verunsichert fragte einer der Umstehenden: »Soll das etwa heißen, wir könnten, wenn sie uns aufzuhalten versuchen, gezwungen sein, gewaltsam gegen sie vorzugehen?«

»Was wollen diese Leute denn erreichen, was ist ihr Ziel? Sie wollen uns daran hindern, die Imperiale Ordnung auszulöschen. Sie hassen das Leben, deswegen verachten sie die Freiheit mehr als die Sklaverei.«

Richard sah ihnen mit grimmiger Entschlossenheit fest in die Augen. »Was ich sagen will, ist folgendes: Jeder, der den Feind schützt und, aus welchem Grund auch immer seine Macht zu erhalten sucht, ergreift für ihn Partei. Im Grunde ist es ganz einfach. Sobald diese Leute versuchen, den Feind zu beschützen oder uns daran zu hindern, zu tun, was wir tun müssen – tötet sie.«

»Aber sie sind doch nicht mal bewaffnet«, wandte jemand ein.

Richards Zorn kochte hoch. »O doch, das sind sie – ihre Waffen sind das üble Gedankengut, mit dem sie die Welt zu unterwerfen suchen. Haben sie damit Erfolg, ist dies euer Tod.«

Einen Augenblick lang herrschte bedrücktes Schweigen; dann schlug Anson sich entschlossen mit der Faust aufs Herz. »Mit haßerfülltem Herzen ... Rache ohne Erbarmen.«

Blicke eiserner Entschlossenheit machten die Runde, bis sie schließlich alle mit einem Faustschlag auf ihr Herz salutierten und das Gelöbnis aufgriffen. »Rache ohne Erbarmen.«

Richard versetzte Anson einen leichten Schlag gegen die Schulter. »Gehen wir.«

Im Laufschritt lösten sie sich aus den langen Schatten des Gebäudes und bogen in einem riesigen Schwarm um die Ecke. Die Leute am Ende der Straße wandten sich um, als sie Richards Truppe kommen sahen. Immer mehr Menschen – Männer und Frauen aus der Stadt – strömten in die Straße vor dem Gelände, auf dem sich die von den Soldaten als Kaserne und Kommandozentrale beschlagnahmten Gebäude befanden. Die Stadtbewohner machten den Eindruck, als wären sie ein ziemlich abgerissener Haufen.

»Kein Krieg! Kein Krieg!«, brüllten sie, als die Männer unter Richards Führung in rasantem Tempo die Straße entlangstürmten.

»Aus dem Weg!«, schrie Richard, während der Abstand zu ihnen sich immer mehr verringerte. Dies war nicht der Augenblick für spitzfindige Diskussionen; der Erfolg ihres Angriffs hing im Wesentlichen von ihrer Schnelligkeit ab. »Gebt den Weg frei! Das ist eure letzte Warnung! Gebt den Weg frei oder ihr sterbt!«

»Schluß mit dem Haß! Schluß mit dem Haß!«, intonierten die Stadtbewohner.

Sie machten sich keine Vorstellung, wie viel Haß sich in Richard aufgestaut hatte. Er zog das Schwert der Wahrheit. Der Zorn seiner Magie blieb auch diesmal zurück, doch er besaß genug eigenen. Er drosselte sein Tempo zu einem langsamen Trab.

»Aus dem Weg!«, rief Richard, indem er entschlossen auf die Leute zuhielt.

Eine dickliche Frau mit lockigen Haaren löste sich aus der Menschenkette und trat einen Schritt vor. Ihr rundes Gesicht war gerötet vor Zorn, als sie ihm entgegenschrie: »Schluß mit dem Haß! Kein Krieg! Schluß mit dem Haß!«

»Aus dem Weg oder du bist tot!«, rief Richard und beschleunigte seine Schritte wieder.

Die rotgesichtige Frau drohte ihm und seinen Männern mit erhobener, fleischiger Faust und stimmte einen wütenden Sprechgesang an: »Mörder! Mörder! Mörder!«

Im Vorüberlaufen, die ganze Wut des in diesem Moment beginnenden Angriffs zwischen seinen zusammengepreßten Zähnen herausschreiend, holte Richard wuchtig aus und schlug ihr den Kopf und den drohend erhobenen Arm ab. Ihr Blut klatschte in die Gesichter der Dahinterstehenden, die noch immer ihre sinnlosen Phrasen herunterleierten. Ein Mann beging den Fehler, nach Richards Waffe zu greifen, und bekam die ganze Wucht seines Angriffsstoßes ab.

Unmittelbar hinter Richard trafen die Männer mit ungezügeltem Ungestüm auf die Kette der Bewahrer des Bösen. Menschen, bewaffnet nur mit ihrem Haß auf moralische Lauterkeit, sanken blutbesudelt, schwer verwundet oder tot zu Boden. Die Kette der Protestierer brach vor dem gnadenlosen Sturmlauf in sich zusammen. Einige von ihnen, Schreie wütender Verachtung auf den Lippen, begannen mit bloßen Fausten auf Richards Männer einzutrommeln. Ein paar schnelle Hiebe machten dem ein rasches Ende.

Als ihnen schließlich dämmerte, daß ihre Verteidigung des brutalen Vorgehens der Imperialen Ordnung tatsächlich Folgen für sie haben würde, stob die verängstigte Menge unter wüsten Beschimpfungen gegen Richard und seine Männer auseinander.

Richards Streitmacht hielt weiter auf das enge Häuserlabyrinth zwischen den vereinzelten grasbewachsenen, von Bäumen gesäumten Freiflächen zu. Auf einmal dämmerte den bereits ins Freie getretenen Soldaten, daß sie sich diesmal selbst beschützen mußten, daß die Stadtbewohner ihnen diese Arbeit nicht mehr abnehmen konnten. Diese Krieger waren es gewohnt, schutzlose, unterwürfige Opfer niederzumetzeln und hatten mittlerweile seit mehr als einem Jahr nicht mehr kämpfen müssen.

Lord Rahl prallte als erster mit ihnen zusammen und bahnte sich, von Cara auf der rechten und Tom auf der linken Seite flankiert, eine blutige Schneise mitten zwischen sie. Sie bildeten die tödliche Speerspitze eines Angriffs, der sich wie ein Keil zwischen Soldaten, die jetzt erst ihre Waffen zu ziehen begannen, schob; Soldaten, die es gewohnt waren, ihre ängstlich die Köpfe einziehenden Gegner mit ihrer schieren Übermacht und nicht mit beherzter Gegenwehr zu überrennen. Das versuchten sie jetzt, und zwar, um ihre nackte Haut zu retten.

Richard bewegte sich unter ihnen, als wären sie starr wie Statuen. Ihre Klingen zielten ins Leere, wo er eben noch gewesen war, während er dort traf, wo sie sich gerade hinbewegten und sein rasiermesserscharfer Stahl sie bereits erwartete.

Er verschwendete keine Energie auf übertriebene Bewegungen oder unbedachte Hiebe, sondern führte seine Klinge mit tödlicher Meisterschaft. Nie versuchte er jemanden zu übertrumpfen, um ihm zu zeigen, daß er besser war; er tötete seine Gegner einfach, ohne ihnen eine Chance zur Gegenwehr zu lassen. Er streckte sie nieder, ehe sie es konnten. Mit seinem Entschluß zu kämpfen hatte er sich auf den Tanz mit dem Tod eingelassen. Auf dieses Ausmaß entfesselter Gewalt waren sie nicht vorbereitet.

Als seine Manner über die Soldaten herfielen, erhob sich ein einziger, tosender Schrei, der, während sie einer nach dem anderen fielen, den Morgen erfüllte.

Dann erblickte er einen Soldaten, der wie ein Offizier aussah, fuhr herum und preßte ihm sein Schwert an die Kehle.

»Wo sind Nicholas und die Mutter Konfessor?«

Statt einer Antwort versuchte der Mann, seinen Arm zu packen. Er war nicht annähernd schnell genug. Richard zog ihm das Schwert quer über den Hals, enthauptete ihn damit beinahe und wirbelte noch im selben Atemzug herum, als sich von hinten jemand auf ihn zu stürzen versuchte. Bei dem Versuch, Richards Klinge auszuweichen, blieb er jählings stehen, nur um mitten ins Herz getroffen zu werden.

Das Gemetzel tobte unvermindert weiter und verlagerte sich, je mehr Verteidiger von seinen Männern niedergemacht wurden, allmählich tiefer zwischen die Häuser. Unterdessen hatte jedoch der Lärm des Zusammenpralls weitere, in mehrere Schichten aus Lederharnischen, Kettenhemden, Fellen und Waffengurten gehüllte Krieger aus ihren Unterkünften hervorgelockt, wüst aussehende Gestalten, denen blanke Mordgier ins Gesicht geschrieben stand.

Als sie heranstürmten, griff Richard sich jeden heraus, der dem Aussehen nach ein Offizier sein konnte, doch keiner von ihnen vermochte ihm eine Antwort zu geben, keiner kannte Nicholas’ und Kahlans Aufenthaltsort.

Aber die Soldaten waren nicht Richards einziger Gegner: Er hatte auch mit seinem Schwindelgefühl zu kämpfen. Die Konzentration auf den Tanz mit dem Tod und die Lehren, die ihm sein Schwert in der Vergangenheit erteilt hatte, half ihm, die Wirkung des Gifts zu überwinden. Auch wenn sich die nötige Kraft und Ausdauer dadurch nicht auf Dauer ersetzen lassen würden – im Augenblick genügte es!

Ein wenig überrascht vermerkte er wie großartig seine Männer sich schlugen und einander nach Kräften unterstützten, je tiefer sie in die feindlichen Linien vordrangen. Dieser Kampfstil, bei dem sich individuelle Stärken ergänzten, ermöglichte es ihnen, sich in vielen Fällen zu behaupten, wo ein Einzelner gescheitert wäre.

Gleichwohl waren einige seiner Männer gefallen; der völlig überrumpelte Feind jedoch erlebte ein Gemetzel. Den Soldaten der Imperialen Ordnung mangelte es an ehrlicher, beherzter Entschlossenheit, Richards Männern dagegen keineswegs. Die Ordenstruppen waren kaum mehr als eine Bande primitiver Schläger, denen man völlig freie Hand gelassen hatte, nun aber sahen sie sich Kriegern gegenüber, die entschlossen waren, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Die Gegenwehr der Ordenssoldaten, die jede planvoll koordinierte Verteidigung vermissen ließ, war wenig mehr als der ungeordnete Versuch, ihre eigene Haut zu retten, während Richards Krieger ein klar umrissenes Ziel vor Augen hatten: die völlige Vernichtung der gesamten gegnerischen Streitmacht.

Plötzlich hörte Richard Cara aus einer schmalen Lücke zwischen zwei Häusern beharrlich seinen Namen rufen. Im ersten Moment dachte er, sie wäre in Schwierigkeiten, doch als er um die Ecke bog, sah er einen kräftigen Mann vor ihr auf den Knien liegen. Eine Hand in seinem fettigen, schwarzen Haar, hatte sie ihm den Kopf in den Nacken gerissen. Eines seiner Ohren protzte mit einer Reihe Silberringe. Cara presste ihm den Strafer an den Hals. Blut troff von seinem Kinn herab.

»Sag es ihm!«, schrie sie ihn an, als Richard herbeigeeilt kam.

»Ich weiß nicht, wo sie sind!«

In einem Wutanfall rammte Cara ihm die Spitze ihres Strafers gegen den Schädel. Ein Ruck ging durch seinen Körper, während seine Arme unter dem niederschmetternd schmerzhaften Schock, der ihm keinen Schrei, sondern nur ein tonloses Keuchen entlockte, zu zittern begannen. Er verdrehte die Augen. Cara zog ihn an seinen verfilzten Haaren rückwärts über ihr Knie, um zu verhindern, daß er in sich zusammensackte.

»Sag es ihm«, knurrte sie.

»Sie sind fort«, murmelte er. »Nicholas ist gestern Abend abgereist. Sie haben eine Frau fortgetragen, aber wer das war, weiß ich nicht.«

Richard ließ sich auf ein Knie herunter und packte sein Hemd. »Wie sah sie aus?«

Seine Augen rollten noch immer blicklos hin und her. »Langes Haar.«

»Wohin sind sie aufgebrochen?«

»Keine Ahnung. Fort eben. Sie waren in Eile.«

»Was hat Nicholas vor seiner Abreise zu dir gesagt?«

Allmählich fanden seine Augen wieder ihr Ziel. »Nicholas wußte, Ihr würdet im Morgengrauen angreifen. Er verriet mir, auf welchem Weg Ihr in die Stadt einfallen würdet.«

Richard konnte kaum glauben, was er da hörte. »Wie in aller Welt konnte er davon erfahren haben?«

Erst zögerte der Soldat, doch dann bewog ihn ein Seitenblick auf Caras Strafer, den Mund aufzumachen.

»Ich weiß nicht. Vor seiner Abreise teilte er mir noch mit, wie groß Eure Truppe ist, wann Ihr angreifen würdet und über welche Route. Er trug mir auf, die Stadtbewohner zusammenzutrommeln, als Schutzschild gegen Euren Angriff. Also haben wir unsere fanatischsten Helfer zusammengetrieben und ihnen weisgemacht, Ihr würdet kommen, um uns zu ermorden und einen Krieg vom Zaun zu brechen.«

»Wann ist Nicholas aufgebrochen? Wohin hat er die Frau gebracht?«

Von seinem Kinn troff weiterhin Blut herab. »Keine Ahnung. Sie sind einfach gestern Abend in großer Eile aufgebrochen. Das ist alles, was ich weiß.«

»Wenn ihr wußtet, daß wir kommen würden, warum habt ihr dann keine besseren Vorkehrungen zu eurer Verteidigung getroffen?«

»Hatten wir ja. Nicholas übertrug mir die Sicherung der Stadt, worauf ich ihm versicherte, eine so kleine Streitmacht könne uns unmöglich besiegen.«

Irgend etwas war an der Geschichte mehr als faul. »Wieso nicht?«

Zum ersten Mal ging so etwas wie ein Grinsen über das Gesicht des Kriegers. »Weil Ihr nicht wißt, über wie viele Krieger wir tatsächlich verfügen. Nachdem ich wußte, wo Euer Angriff erfolgen würde, konnte ich meine gesamten Streitkräfte zusammenziehen.« Sein Grinsen wurde breiter. »Hört Ihr in der Ferne das Horn? Sie sind bereits auf dem Weg hierher.« Tief aus seinem Bauch drang ein selbstgefälliges Lachen. »Ihr seid so gut wie tot.«

Zwischen zusammengebissenen Zähnen preßte Richard hervor: »Aber du zuerst.« Mit einem wuchtigen Stoß bohrte er dem Offizier sein Schwert durchs Herz.

»Das Beste ist, wir ziehen unsere Männer sofort ab«, sagte Richard, indem er Caras Arm ergriff und zur Häuserecke rannte.

»Sieht aus, als wäre es bereits zu spät dafür«, erwiderte sie, als sie hinter ihrer Deckung hervorkamen und die gegnerischen Soldaten in Scharen von allen Seiten herbeiströmen sahen.

Woher konnte Nicholas gewußt haben, wann und wo sie attackieren würden? Es war absolut niemand in der Nähe gewesen – keine Riesenkrähen, nicht einmal eine Maus war zugegen gewesen, als sie auf ihrem Vormarsch quer durch das Gelände ihre Pläne geschmiedet hatten. Wie konnte er davon erfahren haben?

»Bei den Gütigen Seelen«, stöhnte Cara. »Ich hätte nie gedacht, daß sie so viele Truppen in Bandakar stationiert haben.«

Das Gebrüll der heranstürmenden Soldaten war ohrenbetäubend. Richard war längst am Ende seiner Kräfte. Jeder tiefe Atemzug ging mit quälenden Schmerzen einher. Er wußte, sie hatten keine Wahl.

Er mußte eine Möglichkeit finden, zu Kahlan zu gelangen. Wenigstens bis dahin mußte er noch durchhalten.

Mit einem Pfiff gab er seinen Männern das verabredete Zeichen, sich zu sammeln. Als Anson und Owen angelaufen kamen, schaute er sich um und erblickte auch den größten Teil der anderen.

»Wir werden einen Durchbruch wagen müssen, um hier rauszukommen; es sind zu viele. Bleibt dicht beieinander. Wir versuchen durchzustoßen. Sobald wir es geschafft haben, verteilt ihr euch und versucht, euch bis zum Wald durchzuschlagen.«

Flankiert von Cara auf der einen und Tom auf der anderen Seite, stürmte Richard an der Spitze seiner Männer auf die gegnerischen Linien zu. Tausende Soldaten der Imperialen Ordnung strömten aus den Straßen und Gassen der Stadt ringsum auf den freien Platz. Der Anblick war furchterregend; es waren solche Massen, daß der Boden selbst sich zu bewegen schien.

Aber noch bevor es zum Zusammenprall mit den Soldaten kam, erglühte der Morgen unter mehreren gleißend hellen Feuerexplosionen. Tosende Flammensäulen fraßen sich durch die gegnerischen Linien und töteten die Soldaten zu Hunderten. Grasnarben, Bäume und Soldaten wurden in die Luft geschleudert; plötzlich war der Boden ringsum bedeckt mit einem wüsten Durcheinander aus Soldaten, Kleidungsstücken, Haaren und schmauchenden Fleischfetzen.

Richard vernahm ein lautes Heulen, das sich irgendwie vertraut anhörte. Er wandte sich gerade noch rechtzeitig herum, um einen Ball kochenden, flüssig-gelben Feuers heulend durch die Luft heranrasen zu sehen, der, innerlich brodelnd vor tödlicher Energie, rotierend immer größer wurde. Zaubererfeuer.

Das weiß glühende Inferno toste unmittelbar über ihre Köpfe hinweg, senkte sich, kaum hatte es Richard und seine Männer passiert, herab und landete, alles unter sich zermalmend, inmitten der feindlichen Soldaten, die es mit einer wahren Flut flüssigen Todes überzog. Zaubererfeuer haftete an allem, was es berührte, um dort unter ungeheurer Hitzeentwicklung zu verglühen. Ein einziger winziger Tropfen vermochte sich durch das Bein eines Mannes bis auf den Knochen durchzufressen. Seine Wirkung war von grauenhafter Tödlichkeit. Die Schmerzen, hieß es, seien so unerträglich, daß jeder, der es überlebte, seinen Tod herbeisehnte.

Die Frage war nur: Von wem stammte es?

Drüben, auf der anderen Seite des Platzes, fielen die Ordenssoldaten wie die Fliegen, als irgend etwas ihre Reihen niedermähte. Fast hätte man meinen können, eine einzige Klinge strecke sie zu Hunderten nieder und reiße sie mit blutrünstigem Ingrimm in Stücke. Doch wer steckte dahinter?

Zum Stehenbleiben und Sichwundern war keine Zeit. Richard und seine Männer mußten zur Seite abschwenken, um sich dort den Soldaten entgegenzuwerfen, die den vernichtenden Zauber überlebt hatten. Jetzt, da ihre Reihen derart dezimiert waren, waren die Ordenstruppen außerstande, einen wirkungsvollen Angriff auf die Beine zu stellen. Ihr Ansturm fiel unter den Klingen von Richards Kriegern in sich zusammen.

Noch während die Kämpfe tobten, raste weiteres todbringendes Feuer heran, um all jene abzufangen, die zu fliehen oder sich zu einem Gegenangriff zu massieren versuchten. Andernorts gingen Soldaten zu Boden, ohne auch nur von Richard oder seinen Männern berührt zu werden; keuchend faßten sie sich, erkennbar unter ungeheuren Schmerzen, an die Brust und brachen tot zusammen.

Kurz darauf senkte sich eine unheimliche Stille über den Morgen, unterbrochen nur vom leisen Stöhnen der Verwundeten. Richards Männer scharten sich um ihn, unsicher, was soeben geschehen war, voller Sorge, daß das, was diesen Kriegern widerfahren war, sich plötzlich gegen sie richten könnte. Richard wurde bewußt, daß sie den Angriff des Zaubererfeuers und die Magie mit anderen Augen sahen als er; ihnen mußte es wie ein erlösendes Wunder erschienen sein.

In der Nähe eines Gebäudes an der Seitenfront des freien Platzes erblickte Richard zwei Gestalten, eine beträchtlich größer als die andere. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er sie zu erkennen, vermochte aber beim besten Willen nicht festzustellen, wer die beiden waren. Eine Hand auf Toms Schulter gestützt, steuerte er auf die beiden zu.

»Richard, mein Junge«, begrüßte ihn Nathan, nachdem er es bis zu ihm geschafft hatte. »Ich bin erfreut zu sehen, daß du wohlauf bist.«

Ann setzte ihr verschmitztes Lächeln auf, aus dem Freude und Zufriedenheit sprach, gepaart mit einer gewissen Portion verständnisvoller Nachsicht.

»Ich bezweifle, daß ihr auch nur ahnt, wie froh ich bin, euch zu sehen«, sagte Richard, der noch immer nach Atem rang und dabei versuchte, nicht zu tief Luft zu holen. »Aber was tut ihr hier? Wie in aller Welt habt ihr mich gefunden?«

Nathan, ein schlaues Lächeln auf den Lippen, beugte sich vor. »Die Prophezeiungen, mein Junge.«

Er trug hohe Schaftstiefel, dazu ein weißes Rüschenhemd mit Weste sowie ein elegantes grünes, an seiner rechten Schulter befestigtes Cape. Der Prophet machte eine ziemlich gute Figur darin.

In diesem Moment bemerkte Richard, daß Nathan ein vortreffliches Schwert in einer polierten Lederscheide trug. Es kam ihm überaus merkwürdig vor, daß ein Zauberer, der über Zaubererfeuer gebot, mit einem Schwert bewaffnet war; sein Unbehagen nahm noch zu, als er ihn die Waffe plötzlich ziehen sah.

Ann entfuhr ein überraschtes Keuchen, als plötzlich jemand hinter dem Gebäude hervorsprang und sie packte. Es war eine der Stadtbewohnerinnen, die sich auf dem Platz versammelt hatten, um die Soldaten zu beschützen, eine abgehärmt aussehende Frau mit finsterer Miene und einem langen Messer in der Hand.

»Ihr Mörder!«, geiferte sie, daß ihr glattes Haar von einer Seite auf die andere geschleudert wurde. »Ihr seid erfüllt von Haß!«

Der Boden rings um Ann und diese Frau wölbte sich, Erdbrocken und Grasstücke flogen in die Luft. Ann, die Hexenmeisterin, versuchte offenbar, sich ihrer Angreiferin zu erwehren, doch die war damit nicht zu beeindrucken. Nathan, etwas seitlich neben Ann, warf sich sofort dazwischen und durchbohrte die Frau ohne großes Federlesens mit dem Schwert. Ann starrte auf die tote Frau hinunter, ehe sie Nathan mit mißbilligendem Blick musterte. »Flott bist du, das muß man dir lassen.«

Nathan schmunzelte über ihren privaten Scherz. »Ich sagte doch, sie sind immun gegen Magie.«

»Nathan«, warf Richard ein, »ich verstehe noch immer nicht ...«

»Komm her, meine Teure«, unterbrach ihn Nathan, drehte sich um und machte ein Zeichen. Sogleich kam Jennsen hinter dem Gebäude hervorgelaufen und schlang ihre Arme um Richard.

»Ich bin so froh, daß du wohlauf bist«, sagte sie. »Du bist hoffentlich nicht böse auf mich. Gerade warst du mit den Männern aufgebrochen, da tauchte Nathan plötzlich im Wald auf. Ich hab ihn sofort wiedererkannt – aus dem Palast des Volkes in D’Hara. Ich wußte, er ist ein Rahl, also habe ich ihm unsere Situation geschildert. Er und Ann haben sofort ihre Hilfe angeboten, und dann sind wir so schnell es ging hierher geeilt.«

Jennsen sah Richard abwartend in die Augen, bis er ihr schließlich mit einer Umarmung ihre Besorgnis nahm.

»Das hast du ganz richtig gemacht«, erklärte er. »Du hast in einer unvorhersehbaren Situation deinen Verstand gebraucht.«

Jetzt, da der Höhepunkt des Gefechts vorüber war, fühlte er sich schwindliger als je zuvor – so sehr, daß er sich bei Tom aufstützen mußte.

Nathan legte Richards anderen Arm über seine Schulter. »Wie ich höre, hast du Schwierigkeiten mit deiner Gabe. Vielleicht kann ich dir helfen.«

»Dafür ist keine Zeit. Nicholas der Schleifer hat Kahlan in seiner Gewalt. Ich muß sie finden, sonst ...«

»Spiel nicht den Narren«, fiel Nathan ihm ins Wort. »Deine Gabe wieder ins Lot zu bringen wird nicht lange dauern. Du brauchst die Hilfe eines Zauberers, um wieder über sie verfügen zu können – so wie letztes Mal, als ich dir geholfen habe –, oder du wirst überhaupt niemandem mehr helfen können. Komm jetzt, wir bringen dich in eines dieser Häuser, wo es ruhig ist. Dann kann ich dich wenigstens von dieser einen Sorge erlösen.«

Natürlich wußte er, daß Nathan Recht hatte. Er hätte vor Erleichterung weinen mögen, daß ihm endlich jemand half. Wer, wenn nicht ein Zauberer, konnte ihm helfen, seine Gabe wieder unter Kontrolle zu bekommen?

Richard hatte auf eine solche Gelegenheit nicht einmal mehr zu hoffen gewagt. »Aber beeil dich bitte«, bat er Nathan.

Nathan setzte das ihm eigene, typisch rahlsche Lächeln auf. »Komm jetzt. Deine Gabe wird im Handumdrehen wiederhergestellt sein.«

»Danke, Nathan«, murmelte Richard, während er sich von dem hünenhaften Propheten durch eine nahe Tür helfen ließ.

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