48

Richard wußte nicht, ob er sich nach Einnahme des Gegenmittels besser fühlen sollte, aber wenn ja, dann hatte seine Wirkung noch nicht eingesetzt. Seine Brust schmerzte bei jedem Atemzug, als sie sich über die in pechschwarzer Dunkelheit daliegenden Felder anschlichen. Er blieb stehen und schloß kurz die Augen, als die von der Gabe verursachten Kopfschmerzen übermächtig wurden. Nichts hätte er lieber getan, als sich einen Augenblick hinzulegen, aber dafür war keine Zeit. Als er sich wieder in Bewegung setzte, schlossen sich ihm die anderen erneut an und bewegten sich lautlos über die Felder vor den Toren Withertons.

Wenigstens war es ein gutes Gefühl, sein Schwert wieder bei sich zu haben, auch wenn ihn die Vorstellung grauste, es ziehen zu müssen, denn es stand zu befürchten, daß ihm seine Magie nicht mehr zur Verfügung stand. Sobald sie die beiden anderen Fläschchen mit dem Gegenmittel beschafft hatten und er von dem Gift befreit war, würden sie es vielleicht schaffen, Nicci aufzusuchen, damit sie ihm bei seinen Schwierigkeiten mit der Gabe helfen konnte.

»Ich glaube, ich kann bereits die äußere Umwallung erkennen«, raunte Kahlan.

»Ja, das ist die Stelle.« Richard zeigte nach vorn. »Dort drüben ist das Tor. Siehst du?«

»Ich glaube ja«, gab sie leise zurück.

Es war eine vollkommen dunkle, mondlose Nacht. Im Gegensatz zu den anderen, die kaum etwas erkennen konnten, als sie sich durch das Dunkel tasteten, war Richard glücklich über die Bedingungen. Ihm reichte zum Sehen das Sternenlicht, er bezweifelte allerdings, daß die Soldaten sie bei dieser geringen Helligkeit erspähen konnten.

Als sie näher heranschlichen, rückte, jenseits des Tores, das Schlafhaus ins Blickfeld. Die Fackel draußen vor der Tür des Langhauses, in dem die Soldaten schliefen, brannte noch. Richard bedeutete den anderen per Handzeichen, sich um ihn zu scharen. Alle kauerten geduckt am Boden. Er packte Anson bei der Schulter seines Hemdes und zog ihn näher zu sich heran, ehe er das Gleiche bei Owen tat.

Beide waren mittlerweile mit Streitäxten bewaffnet. Anson trug außerdem noch das Messer, das er erbeutet hatte. Die übrigen Männer trugen die Waffen, bei deren Fertigstellung sie eigenhändig mitgeholfen hatten.

Nach ihrer Rückkehr auf die Waldlichtung hatte Anson die wartenden Männern ausführlich über die Vorfälle im Ort unterrichtet. Als er in seiner Schilderung auf die Tötung des Mannes mit Namen Wiesel zu sprechen kam, hielt Richard gespannt den Atem an; er war unsicher, wie die Männer darauf reagieren würden, daß einer aus ihren Reihen tatsächlich einen Menschen getötet hatte. Doch das anfänglich verstörte Schweigen wich Augenblicke später spontaner Freude über das gelungene Bravourstück. Während er darauf wartete, daß die Nacht noch dunkler wurde, hatte er sie ein wenig feiern lassen, anschließend waren sie aufgebrochen und hatten sich quer über die Felder angeschlichen.

In dieser Nacht würde Witherton seine Freiheit zurückerlangen.

Richard ließ den Blick über die dunklen Gestalten schweifen. »Also gut, denkt daran, was wir euch erklärt haben. Ihr müßt absolut leise sein und die Tore vollkommen ruhig halten, während Anson und Owen die Stricke, an denen sie aufgehängt sind, durchschneiden. Und laßt die Tore bloß nicht fallen, sobald die Angeln durchtrennt sind.«

Im matten Licht der Sterne konnte Richard nur schemenhaft erkennen, daß die Männer seine Anweisungen mit einem Nicken quittierten. Sorgfältig suchte er den Himmel mit den Augen nach Anzeichen für die Riesenkrähen ab. konnte aber keine erkennen. Mittlerweile war es schon längere Zeit her, daß sie die Vögel gesichtet hatten. Alles deutete darauf hin, daß ihr Täuschungsmanöver funktioniert hatte und es ihnen tatsächlich gelungen war, sich Nicholas’ Überwachung zu entziehen. Traf dies tatsächlich zu, konnte er unmöglich wissen, wo er die Suche nach ihnen wieder aufnehmen sollte.

Ein kurzer Händedruck mit Kahlan, dann lief er los und hielt auf die Öffnung im Palisadenzaun des Ortes zu. Tom und Jennsen bildeten die Nachhut, um sie gegen etwaige Überraschungen von hinten abzusichern.

Als sie die Felder unmittelbar vor den Toren des Ortes erreichten, bedeutete Richard allen per Handzeichen, sich flach auf den Boden zu legen und nicht von der Stelle zu rühren. Begleitet von Tom, rückte er im Schatten des Palisadenzaunes bis zum Tor selbst vor. Unmittelbar innerhalb der Toröffnung schritt ein einzelner Posten auf seiner einsamen nächtlichen Wache gemächlich auf und ab. Besondere Vorsicht ließ er dabei nicht walten, sonst hätte er diesen Dienst nicht im Schein der Fackel verrichtet.

Als der Posten kehrtmachte, um sich wieder von ihnen zu entfernen, schlich Tom sich von hinten an ihn heran und brachte ihn blitzschnell zum Schweigen. Noch während er den Toten durch das Tor schleifte, um ihn im Dunkel draußen vor den Palisaden zu verstecken, schlüpfte Richard, sich in den Schatten und fern von der vor dem Schlafhaus brennenden Fackel haltend, durch das Tor. Die Tür zum Schlafhaus stand offen, doch von drinnen drangen weder Geräusche noch Licht hervor. Zu dieser späten Stunde schliefen die Soldaten sicher längst.

Er bewegte sich am ersten Langhaus vorbei zum zweiten, wo er auf einen weiteren Posten stieß. Schnell und lautlos packte Richard ihn, schnitt ihm die Kehle durch und hielt ihn fest, während er sich in seinen Armen wand. Als er endlich erschlaffte, legte er ihn an der Stirnseite des zweiten Schlafhauses, außerhalb des Fackelscheins, im Dunkeln ab.

Ein gutes Stück entfernt hatten die anderen bereits das Tor erklommen und hoben es leicht an, damit Anson und Owen die als Angeln dienenden Stricke durchtrennen konnten. Augenblicke später hatten sie beide Flügel des Tores herausgelöst. Richard hörte das leise, angestrengte Ächzen, als die schweren Torflügel von zwei Trupps mit Muskelkraft herumgeschwenkt wurden.

Jennsen reichte ihm seinen bereits gespannten Bogen, dazu einen der präparierten Pfeile. Die übrigen hielt sie für ihn bereit. Unterdessen huschte Kahlan zu der am Pfahl vor dem ersten Gebäude befestigten Fackel und entzündete daran mehrere kleinere Fackeln, die sie, eine nach der anderen, an die Männer weiterreichte. Eine behielt sie für sich selbst zurück.

Richard legte den Pfeil auf die Sehne, ließ den Blick über die Gesichter schweifen, die im flackernden Schein der Fackeln vor ihm zu schweben schienen, bis sie, als Antwort auf seine unausgesprochene Frage, mit einem Nicken ihre Bereitschaft signalisierten. Dann sah er zu den Männern hinüber, die die beiden Torflügel im Gleichgewicht hielten, und sah sie ebenfalls nicken. Den Bogen in der Hand, den Pfeil an seinem Platz fixiert, gab Richard ihnen das verabredete Handzeichen, worauf sie sich augenblicklich in Bewegung setzten.

Was auf dem Weg vom Wald bis in den Ort als langsames, behutsames Vorantasten begonnen hatte, verwandelte sich schlagartig in einen beherzten Sturmangriff.

Richard hielt die Spitze des in seinen Bogen eingelegten Pfeils in die Flamme der Fackel, die Kahlan ihm hinhielt. Sobald dieser Feuer gefangen hatte, lief er zur offenen Tür des Schlafhauses und schoß den Pfeil in den rückwärtigen Teil des Gebäudes.

Der lichterloh brennende Pfeil sirrte der Länge nach durch das Gebäude und beleuchtete auf seinem Flug Reihe um Reihe der auf ihren Strohlagern schlafenden Soldaten. Kurz vor der Rückwand senkte sich der Pfeil, bohrte sich in den Boden und verteilte seine Flammen über das Stroh, ein verstörender Anblick, der manch einen benommen den Kopf heben ließ. Sofort reichte Jennsen ihm den nächsten. Wieder riß er die Sehne an die Wange, der Pfeil schnellte los und schoß auf den mittleren Teil des Gebäudes zu.

Richard trat von der Tür zurück, um zweien seiner Männer Platz zu machen, die darauf prompt ihre von brennendem Pech triefenden Fackeln in den Innenraum schleuderten. Ein kurzes Rauschen, während sie sich in der Luft befanden, dann landeten sie inmitten der Schlafenden im weichen Stroh, sprangen einmal hoch und rollten schließlich aus, wobei sie eine wahre Feuerwand entfachten.

Wenige Herzschläge nach Beginn des Angriffs stand das erste Schlafhaus bereits von einem Ende bis zum anderen lichterloh in Flammen. Wie beabsichtigt, hatten die in Pech getauchten Fackeln am Ende des Gebäudes, nahe der Tür die größte Feuersbrunst entfacht. Aus dem Innern drangen, durch die dicken Wände gedämpft, verwirrte Schreie, als die schlaftrunkenen Soldaten auf die Beine zu kommen versuchten.

Nachdem Richard sich vergewissert hatte, daß die Männer mit den schweren Torflügeln im Anmarsch waren, lief er um das Schlafhaus herum zum zweiten Gebäude. Jennsen, unmittelbar hinter ihm, reichte ihm einen Pfeil, dessen um einen ölgetränkten Lappen lodernde Flammen beim Laufen ein dumpfes Rauschen von sich gaben.

Vor dem Gebäude, vor dem der von Richard getötete Posten auf und ab gegangen war, riß einer seiner Männer die Fackel aus ihrer Halterung. Richard steckte den Kopf zur Tür hinein und sah einen bulligen Kerl aus dem dunklen Schlafraum auf sich zustürzen. Den Rücken am Türpfosten abgestützt, versetzte er ihm einen Tritt mitten auf die Brust, der ihn nach hinten warf.

Richard riß die Bogensehne zurück und ließ den lichterloh brennenden Pfeil in das Schlafhaus schnellen. Als er auf seinem Flug das Innere des Hauses beleuchtete, konnte er sehen, daß einige Soldaten aufgewacht waren und gerade aufstehen wollten. Er wandte sich herum, um von Jennsen den zweiten brennenden Pfeil entgegenzunehmen, und sah aus dem ersten Schlafhaus Rauch hervorquellen.

Kaum hatte er die Sehne an die Wange gerissen und den zweiten Pfeil losschnellen lassen, gab er sogleich die Tür frei, damit seine Leute ihre Fackeln hineinschleudern konnten.

Eine kam wieder zur Tür herausgerollt: sie war von der Brust eines zum Ausgang stürzenden Soldaten, der draußen nach dem Rechten sehen wollte, abgeprallt. Das brennende Pech hatte seinen öligen Bart in Brand gesetzt, und er stieß einen gräßlichen Schrei aus. Richard beförderte ihn mit einem Fußtritt zurück nach drinnen. Augenblicke später stürmten Soldaten im Dutzend zum Ausgang – Richard sah es allenthalben blinken, als sie ihre Waffen zogen.

Er schnellte von der Türöffnung zurück, als die Männer, die den schweren Flügel des Ortstores schleppten, angelaufen kamen. Sie schwenkten das Tor seitlich herum und rammten es unter die Dachtraufe, doch noch ehe sie das untere Ende absetzen und am Boden verankern konnten, warfen sich die brüllenden Krieger aus dem Innern des Gebäudes mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Torflügel und drückten ihn zurück. Die Männer, die ihn hielten, wurden nach hinten gedrängt, bis sie unter dem Gewicht den Halt verloren und das Tor sie unter sich begrub.

Urplötzlich kamen Krieger in Scharen zur Tür herausgeströmt; doch Richards Männer waren vorbereitet. So wie ihre Gegner einer nach dem anderen aus der Tür hervordrängten, machten sie sich augenblicklich über sie her bohrten ihnen die hölzernen Waffen in den weichen Unterleib und brachen anschließend die Griffe ab. Andere hatten sich seitlich neben der Tür plaziert und machten ausgiebig Gebrauch von ihren Keulen, um den Soldaten, sobald sie sich in der Tür zeigten, den Schädel einzuschlagen. Als einer von ihnen mit erhobenem Schwert herauskam, zertrümmerte ihm der Mann neben der Tür den Arm, während ein zweiter herbeistürzte und ihm den hölzernen Pflock von unten unter die Rippen rammte. Je mehr von ihnen unmittelbar hinter der Schwelle zu Boden gingen, desto stärker wurden die dahinter Nachdrängenden aufgehalten und konnten um so leichter unschädlich gemacht werden.

Teils waren die Soldaten so verblüfft, diese Leute kämpfen zu sehen, daß sie kaum fähig waren, sich wirkungsvoll zu wehren. Als einer über die den Türeingang verstopfenden Leichen hinwegsetzte und sein Schwert hochriß, sprang ein Mann ihn von hinten an und riß ihm den Arm auf den Rücken, während ein zweiter ihn erstach. Ein anderer stürmte, Befehle blaffend, auf Jennsen los, nur um von einem Armbrustbolzen mitten im Gesicht getroffen zu werden. Einigen Soldaten gelang es. aus dem brennenden Gebäude zu entkommen und sich an Richards Kriegern vorbeizudrücken, doch dort erwartete sie bereits Caras Strafer. Ihre Schreie, entsetzlicher als die ihrer brennenden Kameraden, zogen für einen Moment die Blicke aller auf sich, auf beiden Seiten des Gefechts.

Auf den Boden gefallene Messer oder Schwerter wurden von den Männern aus dem Ort sofort aufgehoben und gegen die Soldaten der Imperialen Ordnung gerichtet. Richard feuerte einem Krieger einen Pfeil mitten in die Brust als dieser sich aus dem zur Tür herausquellenden Rauch schälte. Noch während er zu Boden ging, fällte ein zweiter Pfeil bereits den Soldaten unmittelbar hinter ihm. Immer mehr Männer stürzten aus dem Gebäude hervor, stolperten über ihre sich rings um die Türöffnung stapelnden Kameraden, wo sie von erbeuteten Äxten in Stücke gehackt oder mit ergatterten Schwertern abgestochen wurden.

Während Richards Männer jene zurückschlugen, die versuchten, durch die Tür des brennenden Gebäudes ins Freie zu drängen, eilten andere herbei und hoben das Tor an, damit die darunter Liegenden sich wieder aufrappeln und es erneut unter Kontrolle bringen konnten. Kaum war das Tor aufgerichtet, schwenkten die Männer es herum und liefen mit ihm, einen Schrei gemeinschaftlicher Anstrengung auf den Lippen, auf das Gebäude zu. Als erstes rammten sie die Oberkante unter die Dachtraufe, doch als sie den unteren Rand auf dem Boden absetzen wollten, ließ sich das Tor wegen der sich vor der Tür stapelnden Leichen vor dem Gebäudeeingang nicht verkeilen.

Auf einen Zuruf Richards eilten einige seiner Leute herbei, packten je einen Toten an Arm oder Bein und schleiften die Leichen zur Seite, damit die anderen das Tor endlich vor der Stirnseite des Gebäudes absetzen und so den Ausgang versperren konnten.

Ein letzter Krieger zwängte sich noch hindurch, ehe sie das Tor an seinen Platz gewuchtet hatten, wurde jedoch vom Gewicht des Palisadentores gegen die Stirnseite des Gebäudes gepreßt. Owen zwängte sich in den engen Zwischenraum und rammte ihm ein vom Boden aufgehobenes Schwert entschlossen durch die Kehle.

Als die Krieger von drinnen gegen das die Tür versperrende Tor hämmerten und sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen warfen, drängten sich die Männer draußen zu einem Pulk zusammen, drückten es zurück und hielten mit aller Kraft dagegen. Andere ließen sich auf die Knie fallen und trieben Pflöcke in den Boden, damit der Torflügel nicht mehr verrutschen konnte und das Haus für die drinnen Eingeschlossenen zur tödlichen Falle wurde.

Hinter ihnen züngelten die Flammen bereits unter der Dachtraufe des ersten Gebäudes hervor und schlugen hoch in den nächtlichen Himmel, bis schließlich auch das Dach des zweiten schlagartig Feuer fing und das gesamte Schlafhaus in eine Wolke aus Funken und lodernden Flammen hüllte. Die Schreie der bei lebendigem Leib verbrennenden Soldaten zerrissen die Nacht.

Unterdessen hatten die Hitzewellen der gewaltigen Feuersbrunst deren Flammen das erste Gebäude verschlangen, begonnen, den betäubenden Gestank verschmorten Fleisches heranzutragen. Richard fühlte sich sofort daran erinnert, daß seine Gabe, als Ausgleich für sein Töten, den unbedingten Verzicht auf Fleisch verlangte. Nach dem Gemetzel dieser Nacht, zumal seine Gabe sich immer unkontrollierter zu erschöpfen schien, würde er noch sorgfältiger darauf achten müssen, nur ja kein Fleisch zu verzehren.

Schon jetzt waren seine Kopfschmerzen so grauenhaft, daß er Mühe hatte, klar zu sehen. Er konnte es sich nicht leisten, seine Gabe noch weiter aus dem Gleichgewicht geraten zu lassen. Wenn er nicht Acht gab, würde er nicht irgendwann dem Gift, sondern etwas ganz anderem und womöglich noch viel früher erliegen.

Dichter, schwarzer Qualm waberte hinter dem Tor hervor, das den Eingang des zweiten Schlafhauses versperrte; von drinnen hörte man wütende Schreie und flehentliche Bitten. Niemand sprach, als sie im grellen Licht der tosenden Feuer standen, während die Flammen sich durch das zweite Schlafhaus fraßen, bis sie schließlich mit einem lauten Tosen auf das gesamte Gebäude übergriffen.

Doch dann machte die Hitze den Aufenthalt in unmittelbarer Nähe der beiden Schlafhäuser unmöglich; die Männer wichen zurück und stießen auf ihrem Rückzug vor den brennenden Gebäuden mit den übrigen Bewohnern der Ortschaft zusammen, die, dicht gedrängt in den Schatten stehend, das Geschehen wie gelähmt verfolgten.

Einer der Älteren trat einen Schritt vor. »Sprecher Owen, was hat das zu bedeuten? Hast du dich etwa des Verbrechens der Gewaltanwendung schuldig gemacht?«

Owen löste sich aus der Gruppe seiner Kameraden, trat vor die Bewohner seines Ortes hin und deutete mit gestrecktem Arm hinter sich auf Richard.

»Dies ist Lord Rahl aus dem d’Haranischen Reich. Ich hatte mich auf die Suche nach ihm begeben, damit er uns hilft unsere Freiheit wiederzuerlangen. Es gibt eine Menge zu berichten, im Augenblick jedoch braucht ihr nur zu wissen, daß unser Heimatort, zum allerersten Mal seit vielen Jahren, wieder frei ist.

Es stimmt, wir haben Lord Rahl geholfen, die schändlichen Krieger zu töten, die uns eingeschüchtert und in Angst und Schrecken versetzt haben. Wir haben den Tod unserer Lieben gerächt. Von nun an werden wir nie mehr Opfer sein – sondern freie Bürger!«

Die Menschen verharrten regungslos, offenbar nur fähig, ihn sprachlos anzustarren. Einige schienen im Stillen zu frohlocken, die meisten jedoch wirkten einfach wie vom Donner gerührt.

Der Junge, Bernie, lief zu Anson und sah aus großen Augen zu ihm hoch. »Anson, du und die anderen Leute aus unserem Ort, ihr habt uns wirklich befreit? Stimmt das?«

»Ja.« Er legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Unser Ort ist wieder frei.«

Ein unvermittelter, spontaner Jubelschrei erhob sich in die Nacht, der sogar das Tosen der knisternden Flammen übertönte. Die Ortsbewohner scharten sich um die Männer, die sie monatelang nicht gesehen hatten, schlossen sie in ihre Arme und bestürmten sie mit Fragen.

Richard ergriff Kahlans Hand, trat ein Stück zur Seite und gesellte sich zu Cara, Jennsen und Tom. Diese Menschen, die jeder Gewalt abgeschworen hatten, die ihr ganzes Leben lang die Augen vor den Folgen ihrer hehren Überzeugungen verschlossen hatten, ließen ihrer tränenreichen Freude freien Lauf, als ihnen plötzlich bewußt wurde, was es hieß, daß Terror und Gewaltherrschaft ein Ende hatten.

Schließlich ließen die Dorfbewohner nach und nach von ihren Befreiern ab und kamen herbei, um Richard und seine Begleiter neugierig zu bestaunen. Sie drängten sich dicht vor ihnen zusammen und starrten sie mit lächelnden Gesichtern an, so als wären Richard und seine Begleiter irgendwelche fremden Wesen aus einer fernen Welt.

»Leider können wir nicht bleiben.«

Ansons überraschende Bemerkung ließ jeden in der Menge verstummen. Aufgeregtes, besorgtes Getuschel ging durch die Menge.

Owen hob die Hand, um sich Gehör zu verschaffen. Als sie sich beruhigt hatten, setzte er zu einer Erklärung an.

»Das Volk Bandakars steht immer noch unter der brutalen Gewaltherrschaft der Soldaten der Imperialen Ordnung. So, wie ihr in dieser Nacht eure Freiheit wiedererlangt habt, muß auch die übrige Bevölkerung Bandakars befreit werden.

Lord Rahl und seine Gemahlin, die Mutter Konfessor, sowie seine Freundin und Beschützerin Cara, seine Schwester Jennsen und Tom, ebenfalls ein Freund und Beschützer, sie alle haben sich bereiterklärt, uns dabei zu helfen, aber allein können sie das nicht. Wir müssen sie dabei tatkräftig unterstützen, denn dies ist unser Land, aber was noch viel wichtiger ist, es geht um unser Volk, unsere Lieben.«

»Owen, du darfst dich nicht zu Gewalt hinreißen lassen«, rief einer der Älteren. Angesichts ihrer neu gewonnen Freiheit mangelte es der Äußerung ein wenig an Entschiedenheit. Der Einwand war wohl eher auf zwanghaftes Pflichtbewußtsein zurückzuführen denn auf irgendetwas anderes. »Wir haben einen Teufelskreis der Gewalt ausgelöst. Das ist ein Unrecht.«

»Wir werden, bevor wir aufbrechen, noch mit dir sprechen, damit du vielleicht ebenso begreifst wie wir, warum wir dies tun müssen, um uns wirklich von dieser brutalen Tyrannei zu befreien. Lord Rahl hat uns gezeigt, daß ein solcher Teufelskreis der Gewalt nicht dadurch ausgelöst wird, weil man sich seines Lebens wehrt, sondern weil man sich scheut, Mörder, die einem nach dem Leben trachten, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu vernichten. Tut man aber, was einem die Pflicht sich selbst und seinen Lieben gegenüber gebietet, rottet man den Feind so gründlich aus, daß er einem kein Leid mehr zufügen kann. Dadurch löst man keinen Teufelskreis der Gewalt aus, sondern man beendet ihn. Dann, und nur dann, können Frieden und Freiheit wirklich Fuß fassen.«

»Dieses Vorgehen führt doch nur wieder zu einem neuerlichen Gewaltausbruch«, wandte ein alter Mann ein.

»Sieh dich um«. sagte Anson. »Die Gewalt hat heute Abend nicht begonnen, sondern geendet. Sie wurde, wie es sich gehört, zunichte gemacht, indem wir die bösartigen Männer vernichtet haben, die sie zu uns getragen haben.«

Die Menschen nickten einander zu; das berauschende Gefühl der Erleichterung, plötzlich von allen Schrecken befreit zu sein, die ihnen die Herrschaft der Imperialen Ordnung beschert hatte, überwog deutlich ihre Vorbehalte. Die Angst war allgemeiner Freude gewichen, und der Umstand, daß ihr Leben jetzt wieder in ihren eigenen Händen lag, hatte ihnen die Augen geöffnet.

»Aber eins müßt ihr ebenso begreifen wie wir«, fuhr Owen fort. »Nichts wird jemals wieder so sein wie früher. Dieses Leben gehört der Vergangenheit an.«

Richard bemerkte, daß die Männer ihre geduckte Körperhaltung aufgegeben hatten und jetzt mit stolz erhobenem Haupt dastanden.

»Wir haben uns für das Leben entschieden«, rief Owen seinen Leuten zu. »Und dadurch zu wahrer Freiheit gefunden.«

»Ich denke, das gilt wohl für uns alle«, meinte der Alte in der Menge.

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