Kapitel 5

Zwei Jahre später

Als er die Oberfläche von Ceres betrat, wurde Fuchs sich bewusst, dass er zum ersten Mal seit ein paar Monaten wieder einen Raumanzug trug. Der Anzug roch immer noch neu; er hatte ihn bisher erst ein- oder zweimal benutzt. Mein Gott, sagte er sich, ich bin ein richtiger Bourgeois geworden. Außerdem saß der Anzug nicht richtig; die Arme und Beine waren etwas zu lang, sodass er sich unbehaglich fühlte.

Den ersten Ausflug ins Weltall hatte er vor fünf Jahren mit der Starpower 1 unternommen. Ihr Jungfernflug hatte allerdings unter einem schlechten Stern gestanden. Er war damals ein frisch graduierter Student gewesen und strebte eine Promotion in Planeten-Geochemie an. Er kehrte nie mehr an die Universität zurück. Stattdessen heiratete er Amanda und wurde eine Felsenratte — ein Prospektor, der sein Glück zwischen den Asteroiden des Gürtels suchte. Vor fast zwei Jahren hatte er auch das aufgegeben, um ein Depot auf Ceres zu leiten und das Habitatprojekt zu überwachen.

Helvetia GmbH war der Name, den Fuchs seinem aufstrebenden Geschäft gegeben hatte, das er gemäß den Statuten der Internationalen Astronautenbehörde gegründet hatte. Er war der Präsident von Helvetia, Amanda die Schatzmeisterin, und Pancho Lane war Vizepräsidentin, die sich aber nicht in die Unternehmensführung einmischte; sie machte sich auch nur selten die Mühe, das Hauptquartier auf Ceres aufzusuchen. Helvetia kaufte den größten Teil der Vorräte von der Astro Corporation und verkaufte sie dann mit der geringsten Marge, die Amanda zuließ, an die Felsenratten weiter. Humphries Space Systems konkurrierte in diesem Geschäftsbereich mit ihnen, und Fuchs hielt die Preise so niedrig wie möglich, wodurch Humphries gezwungen wurde, auch mit den Preisen herunterzugehen, um nicht aus dem Geschäft gedrängt zu werden. Der Wettbewerb wurde ruinös — es war ein Rennen, bei dem der eine den anderen aus dem Feld zu schlagen versuchte.

Die Felsenratten kauften offensichtlich lieber bei Fuchs als bei HSS. Fuchs war angenehm überrascht, dass die Helvetia GmbH florierte, obwohl er sich selbst nur als mittelmäßigen Geschäftsmann betrachtete. Er war allzu schnell bereit, einer Felsenratte einen Kredit nur auf das Versprechen zu gewähren, dass sie es zurückzahlen würde, wenn sie einmal reich war. Er zog ein Händeschütteln dem Kleingedruckten eines Vertrages vor. Amanda machte ihm deswegen Vorhaltungen, doch wurden genug von diesen vagen Versprechen eingelöst, um Helvetia profitabel zu machen. Wir werden reich, sagte Fuchs sich vergnügt, während sein Bankkonto in Selene immer dicker wurde. Trotz Humphries’ Tricks kommen wir zu Reichtum.

Als er nun den Blick über die zerschundene Oberfläche von Ceres schweifen ließ, wurde er sich wieder einmal bewusst, was für ein einsamer und desolater Ort das war — fernab jeglicher Zivilisation. Der Himmel war mit Sternen übersät: in einer solchen Fülle, dass die alten vertrauten Sternbilder völlig untergingen. Es gab keinen freundlichen alten Mond oder eine blau glühende Erde, die in der Nähe hing; selbst die Sonne wirkte klein und schwach, durch die große Entfernung zu einem Zwerg geschrumpft. Es war ein seltsamer, fremdartiger Himmel: hart und gnadenlos. Ceres’ rauhe und unebene Oberfläche war pechschwarz, kalt und mit Tausenden von kleinen Kratern übersät; überall waren Felsbrocken und kleine Steine verstreut. Der Horizont war so nah, dass man den Eindruck hatte, auf einer kleinen Plattform zu stehen, anstatt auf einem massiven Körper. Für einen Moment wurde Fuchs schwindlig, und er glaubte nach oben zu fallen, von dieser kleinen Welt in die Wildnis der Sterne.

Fast wie in Trance fiel sein Blick auf das unfertige Habitat, das über dem Horizont aufstieg. Es funkelte sogar im schwachen Sonnenlicht und vermittelte ihm ein Gefühl der Stabilität. Es war zwar nur ein Ensemble alter, ausrangierter und ausgeschlachteter Raumschiffe, aber es war immerhin das Werk von Menschen hier draußen in dieser weiten, dunklen Leere.

Er sah einen Lichtblitz — das war das kleine Raumboot, das Pancho und Ripley zum Asteroiden zurückbrachte. Fuchs wartete an der kompakten Luftschleuse, die zu den unterirdischen Wohnquartieren führte.

Das Raumboot verschwand hinterm Horizont, doch nach ein paar Minuten stieg es an der anderen Seite hoch — nah genug, dass er die insektenartigen Beine und die bauchige Kanzel des Besatzungsmoduls erkannte. Pancho hatte darauf bestanden, den Vogel selbst zu fliegen, um ihre alten Astronautenreflexe zu trainieren. Nun legte sie ungefähr hundert Meter von der Luftschleuse entfernt auf dem geröllübersäten Boden eine sanfte Landung hin.

Als die beiden mit Raumanzügen bekleideten Gestalten aus dem Boot stiegen, erkannte Fuchs trotz des Helms und Anzugs sofort Pancho Lanes lange, sehnige Gestalt. Es war das erste Mal seit fast einem Jahr, dass Pancho in ihrer Doppelfunktion als Astro-Vorstand und Vizepräsidentin von Helvetia nach Ceres gekommen war.

Fuchs tippte auf die Kommunikationstastatur am linken Handgelenk und hörte sie mit Ripley sprechen, dem leitenden Ingenieur des Bauprojekts.

»… und was ihr wirklich braucht, sind die neuen Schweißlaser anstatt dieser unhandlichen Ungetüme, mit denen ihr arbeitet.«

Fuchs versuchte erst gar nicht, im Niedergravitations-Schlurfen zu gehen, in dem man sich auf Ceres bewegen musste, sondern er nahm die Steuerung des Rückentornisters in die behandschuhte Hand und drückte ganz sanft drauf. Wie üblich gab er zu viel Schub und flog über die Köpfe von Pancho und des Ingenieurs hinweg und stieß fast mit dem Raumboot zusammen. Seine Stiefel wirbelten eine dunkle Staubwolke auf, als er wieder Bodenberührung bekam.

»Mein Gott, Lars, wann lernen Sie endlich, so ein Gerät zu fliegen?«, frozzelte Pancho.

Fuchs grinste verlegen im Innern des Helms. »Ich bin aus der Übung«, gestand er und schlurfte über die Oberfläche auf sie zu, wobei er noch mehr Staub aufwirbelte. Der Boden fühlte sich selbst durch die dicken Stiefelabsätze körnig und uneben an.

»Sie waren doch noch nie in Übung, Kumpel.«

Er wandte sich an den Ingenieur, um das Thema zu wechseln. »Also, Mr. Ripley, wird Ihre Crew in der Lage sein, die neuesten Änderungen termingerecht auszuführen?«

»Glauben Sie es oder nicht«, erwiderte Ripley geziert, »aber sie werden es schaffen.«

Niles Ripley war Amerikaner nigerianischer Abstammung: ein Ingenieur mit Abschlüssen renommierter Technischer Universitäten und ein Amateur-Jazztrompeter, der seiner eigenwilligen Improvisationen wegen den Spitznamen ›Ripper‹ bekommen hatte. Jedoch bereitete der Spitzname dem an sich zurückhaltenden Mann manchmal Probleme, vor allem in Bars mit aggressiven Trunkenbolden. Der Ripper lächelte dann nur und ging Konfrontationen durch ›verbale‹ Deeskalation aus dem Weg. Er hatte nicht die Absicht, sich von so einem muskelbepackten Halbaffen aufs Maul hauen zu lassen — sonst wäre es nämlich Essig mit dem Trompetespielen.

»Ihr Zeitplan wird eingehalten«, fuhr Ripley fort. »Trotz der fehlenden Flexibilität«, fügte er hinzu.

»Dann wird Ihre Crew auch den Bonus bekommen, trotz der Beschwerden wegen des Zeitplans«, sagte Fuchs genauso patzig.

Pancho ging dazwischen. »Ich hab dem ollen Ripper schon gesagt, dass ihr den Job mit besseren Schweißlasern viel schneller erledigen würdet.«

»Die können wir uns aber nicht leisten«, sagte Fuchs. »Wir haben ein sehr knappes Budget.«

»Astro könnte euch Laser vermieten. Zu echt günstigen Bedingungen.«

Fuchs stieß einen hörbaren Seufzer aus. »Ich wünschte, das wäre euch schon vor zwei Jahren eingefallen, als wir die Operation gestartet haben.«

»Vor zwei Jahren waren selbst die besten Laser, die wir hatten, noch groß und ineffizient. Unsere Laborjungs haben diese neuen Babies neu entwickelt: Sie sind so klein, dass man sie auf einem Minischlepper transportieren kann. Und sie haben einen minimalen Energieverbrauch. Es gibt sogar eine tragbare Version. Natürlich mit geringerer Leistung, aber trotzdem ganz brauchbar.«

»Wir kommen auch mit dem zurecht, was wir haben, Pancho.«

»Na schön. Dann sagt aber nur nicht, ich hätte es euch nicht angeboten.« Er hörte den resignierten, leicht enttäuschten Klang in ihrer Stimme.

Fuchs wies mit einer behandschuhten Hand aufs Habitat, das fast am entgegengesetzten Horizont stand und sagte: »Wir haben bisher doch ganz ordentliche Arbeit geleistet, finden Sie nicht?«

Für eine Weile sagte sie nichts, und die drei verfolgten den Abstieg des Habitats am Himmel. Es mutete an wie ein unfertiges Riesenrad, wobei die Raumschiffe die ›Speichen‹ darstellten. Sie waren durch lange Buckminsterfulleren-Stränge zu einem Raumschiffskonvolut verbunden, wobei das gesamte Ensemble langsam rotierend dem Horizont entgegenwanderte.

»Ehrlich gesagt, Lars, alter Kumpel«, sagte Pancho, »es erinnert mich irgendwie an den Stellplatz eines Gebrauchtwagenhändlers im Lubbock.«

»Stellplatz eines Gebrauchtwagenhändlers?«, sagte Fuchs prustend.

»Oder auch an einen fliegenden Schrottplatz.«

»Schrottplatz?«

Dann hörte er Ripley lachen. »Lassen Sie sich von ihr nicht verulken, Lars. Sie war ziemlich beeindruckt, als wir die Einheiten besichtigt haben, die wir schon montiert haben.«

»Ja, stimmt, innen sieht es ziemlich gut aus«, sagte Pancho. »Aber von außen ist es sicher keine Schönheit.«

»Das wird schon noch«, murmelte Fuchs. »Warten Sie’s nur ab.«

Ripley wechselte das Thema. »Erzählen Sie mir noch mehr über diese tragbaren Laser. Welche Leistung haben sie?«

»Sie durchschneiden drei Zentimeter dicken Stahl«, sagte Pancho.

»Und wie lange dauert das?«, fragte Ripley.

»Nur ein paar Nanosekunden. Der Strahl ist gepulst. Er schmilzt den Stahl nicht etwa, sondern zertrümmert ihn mit Druckwellen.«

Sie unterhielten sich noch eine Weile, während das Habitat aus dem Blickfeld verschwand und die ferne, fahle Sonne am dunklen, sternenübersäten Himmel immer höher stieg. Fuchs sah das Zodiakallicht, das sich wie zwei lange Arme von der Sonnenmitte ausstreckte. Er wusste, dass das Reflexionen von Staubteilchen waren: mikroskopisch kleine Asteroiden, die dort draußen trieben, Überreste von der Entstehung der Planeten.

Als sie den Rückweg zur Luftschleuse antraten, wandte Pancho sich an Fuchs: »Vielleicht könnten wir ein wenig übers Geschäft sprechen.«

Sie hob den linken Arm und betätigte die Taste am Ärmel, die auf eine Zweitfrequenz des Anzugsfunkgeräts schaltete. Ripley war nun von ihrer Unterhaltung ausgeschlossen.

Fuchs drückte die gleiche Taste auf seinem Steuergerät. »Ja, wir müssen unbedingt übers Geschäft sprechen.«

»Sie haben uns gebeten, die Preise für Leiterplatten schon wieder zu reduzieren«, sagte Pancho. »Wir gehen aber jetzt schon auf dem Zahnfleisch, Lars.«

»Humphries versucht uns zu unterbieten.«

»Astro kann nicht mit Verlust verkaufen. Der Vorstand wird das nicht genehmigen.«

Fuchs spürte, wie die Lippen sich zu einem spöttischen Lächeln kräuselten. »Humphries ist noch immer bei euch im Vorstand?«

»Klar. Er hat versprochen, dass HSS die Preise nicht weiter senkt.«

»Er lügt. Sie bieten Leiterplatten, Chips und sogar Wartungsarbeiten zu immer niedrigeren Preisen an. Er versucht, mich aus dem Geschäft zu drängen.«

»Und wenn ihm das gelungen ist, wird er die Preise nach Gusto erhöhen«, sagte sie.

»Natürlich. Weil er dann ein Monopol hat.«

Sie erreichten die Luftschleusenluke. Sie war groß genug für zwei Leute in Raumanzügen, aber nicht für drei, sodass sie Ripley zuerst hindurchschickten.

Pancho beobachtete, wie der Ingenieur die Luke schloss und sagte: »Lars, Humphries geht es in Wirklichkeit darum, Astro zu übernehmen. Dieses Ziel verfolgt er schon die ganze Zeit.«

»Dann wird er ein Monopol auf alle Weltraumoperationen im gesamten Gürtel haben … im ganzen Sonnensystem«, sagte Fuchs und spürte Zorn in sich aufsteigen.

»Das ist sein Ziel.«

»Wir müssen das verhindern! Koste es, was es wolle, wir müssen ihn stoppen.«

»Ich kann Ihnen keine Güter unter den Selbstkosten verkaufen, Kumpel. Der Vorstand hat das klargestellt.«

Fuchs nickte matt. »Dann werden wir uns eben etwas anderes einfallen lassen müssen.«

»Zum Beispiel?«

Er wollte schon die Achseln zucken, doch im Innern des Raumanzugs war das unmöglich. »Ich wünschte, ich wüsste es«, gestand er.

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