Kapitel 15

Drei Wochen später

Es fand eine Art Gerichtsverhandlung statt. Fuchs selbst veranlasste, dass die Bevölkerung von Ceres nach Sichtung der computerisierten Personalakten einen Richter ernannte: eine Frau, die als Justiziarin für Humphries Space Systems arbeitete. Dann wurde noch eine Jury zusammengestellt, wobei keine der ausgewählten Personen dieser Verpflichtung sich entziehen durfte.

Fuchs verteidigte sich selbst. Und keine geringere Person als der Inhaber des Pubs übernahm freiwillig die Rolle des Staatsanwalts.

Die Verhandlung fand im Pub statt und dauerte insgesamt fünfundvierzig Minuten. Man hatte zwei Stühle und einen Tisch an der Bar aufgestellt, wo der Angeklagte und die Anwälte saßen. Die Richterin thronte auf einem hohen Laborstuhl hinter der Bar. Alle anderen Anwesenden mussten stehen.

Sechs verschiedene Zeugen machten im Wesentlichen die gleiche Aussage: Fuchs habe Buchanan aufgefordert, zum Zweck einer formellen Untersuchung des Mordes an Ripley mit ihm nach Selene zu fliegen. Buchanan habe daraufhin zum Laser gegriffen. Und dann habe Fuchs ihn mit dem Elektrowerkzeug erstochen. Selbst Buchanans zwei Kumpane bestätigten, dass es sich so zugetragen habe.

Fuchs’ perforierter Bierkrug wurde als Beweis dafür präsentiert, dass Buchanan den Laser mit dem Vorsatz zu töten abgefeuert hatte.

Die einzige Frage lautete von Seiten der Staatsanwältin, weshalb Fuchs die Bar überhaupt mit dem Werkzeug betreten habe, mit dem Buchanan schließlich getötet worden war.

»Ich wusste, dass der Mann gefährlich war«, erwiderte Fuchs ohne Umschweife. »Ich wusste, dass er Niles Ripley ermordet hatte.«

»Das ist unzulässig«, wies die Richterin auf dem hohen Stuhl hinter der Bar ihn zurecht. »In diesem Verfahren geht es um Sie, Mr. Fuchs, und nicht um Ripleys Tod.«

»Ich musste davon ausgehen, dass er gefährlich ist«, sagte Fuchs mit einem leichten Stirnrunzeln. »Man hatte mir gesagt, dass er zuvor schon hier in diesem Pub Streit angefangen hätte. Und dass er ein paar Freunde dabeigehabt hätte.«

»Deshalb haben Sie sich mit einer tödlichen Waffe bewaffnet«, fragte der Staatsanwalt.

»Ich sagte mir, dass ich sie als Knüppel gebrauchen könnte, falls es zu einem Kampf käme. Ich hatte aber nicht die Absicht, ihn zu erstechen.«

»Aber genau das haben Sie getan.«

»Ja. Als er mich erschießen wollte, habe ich reagiert, ohne an die Konsequenzen zu denken. Ich habe mich nur verteidigt.«

»Mit durchschlagendem Erfolg«, grummelte die Richterin.

Das Urteil hatte im Grunde von vornherein festgestanden. Fuchs wurde freigesprochen, weil er in Notwehr gehandelt hatte. Dann löste der Staatsanwalt die Richterin hinter der Bar ab und verkündete, dass die nächste Runde aufs Haus ginge.

Amanda freute sich über den Freispruch, doch Fuchs war die nächsten paar Tage in einer gedrückten Stimmung.

»Die Sache ist noch nicht ausgestanden«, sagte er zu ihr, als sie zu Bett gingen.

»Lars, Liebling«, sagte Amanda, »du darfst dich deswegen nicht so grämen. Du hast doch in Notwehr gehandelt.«

»Ich wäre wirklich mit ihm nach Selene gegangen«, sagte Fuchs. »Aber ich wusste, dass er niemals mitgekommen wäre. Niemals.«

»Es ist nicht deine Schuld, dass du ihn töten musstest. Es war Selbstverteidigung. Alle wissen das. Du brauchst dir deshalb keine Vorwürfe zu machen.«

»Das tue ich doch gar nicht!« Er wandte ihr das Gesicht zu. Im dunklen Raum, der nur vom Glühen der Digitaluhrziffern in der Ecke des Wandbildschirms erhellt wurde, konnte er kaum den verwirrten Ausdruck in ihrem schönen Gesicht erkennen.

»Ich mache mir nicht die geringsten Vorwürfe, weil ich diesen Verbrecher getötet habe«, sagte Fuchs mit leiser und fester Stimme. »Ich wusste, dass ich es würde tun müssen. Ich wusste, dass er keinem vernünftigen Argument zugänglich gewesen wäre.«

Amanda schaute überrascht, beinahe erschrocken. »Aber Lars …«

»Niemand hätte in dieser Sache etwas unternommen. Ich wusste, dass ich der Einzige war, der ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen vermochte.«

»Du wusstest es? Du hattest es von vornherein ge-wusst?«

»Ich wollte ihn töten«, sagte Fuchs. Seine Stimme bebte schier vor Leidenschaft. »Er hatte den Tod verdient. Ich wollte diesen heimtückischen Dreckskerl töten.«

»Lars … so kenne ich dich überhaupt nicht.«

»Worüber ich mir aber Sorgen mache«, sagte er, »ist Humphries’ Reaktion auf diesen Vorfall. Die Verhandlungen für die Übernahme von Helvetia sind offensichtlich gescheitert. Buchanan war Teil seines Plans, uns aus dem Gürtel zu vertreiben. Was wird er als Nächstes versuchen?«

Amanda sagte für eine Weile nichts. Fuchs betrachtete ihr liebreizendes Gesicht, das so betrübt und von Sorge um ihn erfüllt war.

Sie sagte sich, dass ihr Mann sich in einen zornigen Rächer verwandelt hatte. Es war erst eine gute Stunde her, dass Lars mit dem Vorsatz in den Pub gegangen war, einen Menschen zu töten. Und es hatte ihm nicht einmal etwas ausgemacht — er hatte getötet, ohne mit der Wimper zu zucken.

Das machte ihr Angst.

Was soll ich tun, fragte Amanda sich. Wie kann ich verhindern, dass er verroht? Er hat das nicht verdient; es ist nicht gerecht, wenn er sich gezwungenermaßen in ein Monster verwandelt. Sie zermarterte sich das Gehirn, aber sie sah nur einen Ausweg.

»Lars, wieso sprichst du nicht direkt mit Martin?«, fragte sie schließlich.

Er grunzte überrascht. »Direkt? Mit ihm?«

»Persönlich.«

»Über diese Entfernung ist das schlecht möglich.«

»Dann fliegen wir eben nach Selene.«

Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Ich will dich nicht in seiner Nähe haben.«

»Martin wird mir schon nichts tun«, sagte sie. »Du bist der Mann, den ich liebe«, fuhr sie fort und fuhr ihm mit der Hand über die breite Brust. »In dieser Hinsicht hast du weder etwas von Martin noch von irgendeinem andern Mann zu befürchten.«

»Ich will dich in Selene nicht dabeihaben«, flüsterte er.

»Bevor wir zur Erde zurückkehren können, müssten wir ein wochenlanges Training absolvieren.«

»Die Zentrifuge«, murmelte er.

»Ich werde hier bleiben, Lars, wenn du es willst. Du fliegst nach Selene und diskutierst das mit Martin aus.«

»Nein«, sagte er impulsiv. »Ich werde dich nicht hier zurücklassen.«

»Aber …?«

»Du kommst mit mir nach Selene. Ich werde mit Humphries sprechen, vorausgesetzt, dass er überhaupt mit mir reden will.«

Amanda lächelte und küsste ihn auf die Wange. »Wir gelangen zu einer Einigung, ehe noch ein regelrechter Krieg ausbricht.«

Fuchs drückte sie an sich und sagte sanft: »Das hoffe ich. Das hoffe ich wirklich.«

Sie seufzte. Das ist schon besser, sagte sie sich. Das sieht schon eher nach dem Mann aus, den ich liebe.

Doch er sagte sich: Es ist Amanda, was Humphries in Wirklichkeit will. Und um Amanda zu bekommen, müsste er über meine Leiche gehen.


* * *

»Sie kommt hierher?«, fragte Martin Humphries. Er wagte kaum zu glauben, was seine Assistentin ihm soeben eröffnet hatte. »Hierher nach Selene?«

Diane Verwoerd ließ es zu, dass ein leiser Ausdruck der Missbilligung die Stirn kräuselte. »Mit ihrem Mann«, sagte sie.

Humphries erhob sich vom komfortablen Bürostuhl und tänzelte förmlich um den Schreibtisch herum. Trotz des säuerlichen Blicks der Assistentin fühlte er sich wie ein kleines Kind, das sich auf Weihnachten freut.

»Aber sie kommt nach Selene«, bekräftigte er. »Amanda kommt nach Selene.«

»Fuchs möchte mit Ihnen persönlich sprechen«, sagte Verwoerd und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bezweifle, dass er seine Frau näher als einen Kilometer an Sie herankommen lassen wird.«

»Das glaubt er vielleicht«, entgegnete Humphries. Er drehte sich zum elektronischen Fenster an der Wand hinterm Schreibtisch um und tippte mehrmals auf die Armbanduhr. Das Stereobild durchlief ein paar schnelle Veränderungen. Humphries hielt es bei einem Alpenpanorama an: Es zeigte ein Bergdorf mit spitzgiebeligen Dächern und einem Kirchlein vor einer Kulisse schneebedeckter Gipfel.

Das ist ›Schnee von gestern‹, sagte Verwoerd sich. Seit den großen Lawinen gibt es kaum noch Schnee in den Alpen.

Humphries wandte sich wieder zu ihr um und sagte: »Fuchs kommt her, um sich zu ergeben. Er wird versuchen, so viel wie möglich von den zehn Millionen abzugreifen, die wir ihm geboten haben. Und er bringt Amanda mit, weil er weiß — vielleicht nicht bewusst, aber im Unterbewusstsein —, dass es mir eigentlich nur um Amanda geht.«

»Ich glaube, wir sollten die Sache etwas realistischer betrachten«, sagte Verwoerd und näherte sich langsam dem Schreibtisch.

Humphries musterte sie kurz. »Sie glauben, ich sei unrealistisch?«

»Ich glaube, dass Fuchs nur hierher kommt, um über die Übernahme seiner Firma zu verhandeln. Ich bezweifle stark, dass seine Frau Teil des Geschäfts sein wird.«

Er lachte. »Mag sein, dass Sie das nicht glauben. Mag sein, dass er es auch nicht glaubt. Aber ich glaube es. Und nur darauf kommt es an. Und ich wette, dass Amanda es auch glaubt.«

Verwoerd musste an sich halten, um nicht demonstrativ den Kopf zu schütteln. Er ist verrückt nach dieser Frau. Geradezu von ihr besessen. Dann lächelte sie insgeheim. Wie kann ich seinen Wahn in meinen Vorteil ummünzen?

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