Kapitel 27

Harbin lauschte konzentriert den Nachrichten, die Fuchs sendete. Wenn der Narr sich auf Lasersignale beschränken würde, sagte er sich kalt, wäre es mir nicht gelungen, ihn aufzuspüren. Funksignale expandieren aber im Raum wie ein sich aufblähender Ballon. Wie eine Blume, die sich der Sonne öffnet. Eine Todesblüte, sagte er sich.

Er wusste, dass er Treibstoff sparen musste; der Pegel war schon so niedrig, dass er sich Sorgen machen musste. Die Situation war zwar noch nicht akut, aber er vermochte sich auch nicht mit vollem Schub auf die Beute zu stürzen — nicht, wenn er noch genügend Saft übrig behalten wollte, um einen HSS-Tanker zu erreichen. Aber es gab gar keinen Grund zur Eile. Soll Fuchs die Leute doch retten, die in der Matilda überlebt haben, sagte er sich. Ich werde einfach Kurs auf sie halten und die Starpower auf dem Rückflug nach Ceres abfangen.

Er hielt die Kommunikationsempfänger offen, und bald darauf hörte er Fuchs aufgeregt an Ceres melden, dass er die Waltzing Matilda geortet hätte und dass die beiden Besatzungsmitglieder noch am Leben wären.

»Aber nicht mehr lange«, knurrte Harbin grinsend.

Und dann kam ihm ein neuer Gedanke. Es war nicht ungewöhnlich, dass ein Prospektorenschiff in der Weite und Einsamkeit des Gürtels verschwand. Er hatte selbst schon ein paar Schiffe zerstört; andere waren ohne seine Mitwirkung verschollen. Es war durchaus möglich, dass bei einem einzelnen Schiff wie der Waltzing Matilda plötzlich der Funkkontakt abbrach, ohne jemals wieder etwas von ihm zu hören und den Grund für das Verschwinden zu erfahren. Es gab natürlich vereinzelte Gerüchte über Piraterie, doch wurden die von niemandem ernst genommen.

Andererseits, wenn die Besatzung der Matilda noch lebt, wird sie ausplaudern, was wirklich passiert ist. Sie werden der IAA melden, dass sie vorsätzlich angegriffen wurden und dass man sie vermeintlich tot zurückgelassen hatte. Ich darf nicht zulassen, dass sie überleben.

Andererseits, fragte Harbin sich, wie das wohl aussähe, wenn das Schiff, das die Besatzung der Matilda rettet, auch noch verschwindet? Das wird die Gerüchte über Piraterie anheizen und könnte eine umfassende Untersuchung zur Folge haben.

Er schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken zu sortieren. Ich bin allein hier draußen; ich kann weder Grigor noch sonst jemanden anrufen und um Instruktionen bitten. Ich muss die Entscheidung hier und jetzt treffen.

Er brauchte weniger als eine Minute, um einen Entschluss zu fassen. Soll die Starpower die Besatzung der Matilda eben retten, und ich werde dann zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Vielleicht gelingt es mir sogar, sie zu töten, bevor sie die ganze Geschichte Ceres oder der IAA erzählen.


* * *

Amanda verkrampfte sich das Herz in der Brust, als sie auf das Signal EINGEHENDE NACHRICHT auf dem Computer reagierte und Lars’ Bild auf dem Wandbildschirm Gestalt annahm.

Er wirkte angespannt und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Aber er hatte ein breites Grinsen im normalerweise ernsten und düsteren Gesicht.

»Ich habe sie gefunden! George und seinen Schiffskameraden. Sie sind am Leben, und ich werde sie aufsammeln.«

»Was ist ihnen denn zugestoßen?«, fragte Amanda und vergaß dabei, dass ihr Mann zu weit entfernt war für eine interaktive Unterhaltung.

»Ihr Schiff ist ein Wrack«, sagte Fuchs, »aber sie sind beide unverletzt. Das ist alles, was ich im Moment weiß. Ich werde weitere Information senden, wenn ich sie an Bord genommen habe.«

Der Bildschirm wurde dunkel und ließ Amanda mit tausend Fragen zurück. Doch keine einzige war wirklich von Bedeutung. Lars geht es gut, und er tut auch nichts, womit er sich in Gefahr bringen würde. Er wird George und seinen Schiffskameraden retten, und dann wird er hierher zurückkommen — zurück zu mir, sagte sie sich erleichtert.


* * *

In der Luftschleusenkammer wurde es eng, als George und sein Schiffskamerad in den klobigen Raumanzügen durch die Luke kamen. Als sie sich anschickten, aus den Anzügen zu steigen, hätte Fuchs sich bei dem Gestank fast übergeben.

»Ihr beiden müsst erst mal unter die Dusche«, sagte er so feinfühlig, wie es ihm möglich war.

George grinste verlegen durch den verfilzten Bart. »Ja. Schätze, wir duften nicht sehr gut, was?«

Der Asiate sagte nichts, wirkte aber peinlich berührt. Fuchs sah, dass er fast noch ein Junge war.

Als Fuchs sie durch den Gang zur Nasszelle führte, sagte George fröhlich: »Ich hoffe, ihr habt eine gut gefüllte Speisekammer.«

Fuchs nickte und widerstand dem Drang, sich die Nase zuzukneifen. »Was ist euch überhaupt passiert?«, fragte er dann.

George schob den schweigenden Nodon in die Duschkabine und antwortete: »Was passiert ist? Wir wurden angegriffen, das ist uns passiert.«

»Angegriffen?«

»In Stücke geschossen von einem Irren, dessen Schiff mit einem Hochleistungslaser bestückt war.«

»Ich wusste es«, murmelte Fuchs.

Nodon trat verschämt in die Duschkabine, bevor er sich aus dem Overall pellte. Dann hörten sie Wasser plätschern und sahen Dampfschwaden aus der Kabine aufsteigen.

»Wir sind wohl nicht die Ersten, denen so etwas passiert ist«, sagte George. »Die Lady of the Lake. Und die Aswan… mindestens noch vier oder fünf weitere.«

»Mindestens«, pflichtete Fuchs ihm bei. »Wir werden die IAA darüber informieren müssen. Vielleicht werden sie nun endlich eine Untersuchung durchführen.«

»Zuerst was zu essen«, sagte George. »Mir knurrt schon seit Tagen der Magen.«

»Zuerst eine Dusche«, desillusionierte Fuchs ihn energisch. »Dann gibt es was zu essen.«

George lachte. »Soll mir recht sein.« Dann fügte er mit erhobener Stimme hinzu: »Falls unser Kamikaze überhaupt wieder aus der abgefuckten Dusche rauskommt.«


* * *

Harbin geriet beim Training auf dem Hometrainer richtig ins Schwitzen. Die Shanidar flog mit einem Sechstel Ge, der gleichen Gravitation wie auf dem Mond, doch Harbins Biografie als Soldat motivierte ihn, seine Kondition an irdischen Gravitationsstandards auszurichten. Während er in die Pedale trat und emsig die Griffstange betätigte, betrachtete er den Bildschirm an der Wand vor sich.

Es war ein Kampfsporttrainingsvideo, das Harbin schon Dutzende Male gesehen hatte. Jedes Mal schnappte er jedoch etwas Neues auf, ein kleines Detail, das er beim letzten Mal übersehen oder schon wieder vergessen hatte. Nach den obligatorischen zwanzig Kilometern auf dem Fahrrad würde er das Video wieder von vorn abspielen und die schwierigen Übungen erneut absolvieren.

Die Gedanken schweiften jedoch immer wieder zum zentralen Problem ab, vor dem er stand. Wie kann ich verhindern, dass Fuchs Ceres über das Schicksal der Waltzing Matilda informiert? Er hat schließlich schon eine kurze Nachricht an seine Frau geschickt. Wenn er die ganze Geschichte publik macht, wird die IAA eine groß angelegte Untersuchung starten.

Er lächelte schief. Wenn das passiert, ist meine Karriere als Pirat im Eimer. Grigors Vorgesetzte würden vielleicht sogar zu dem Entschluss kommen, dass es sicherer wäre, mich zu eliminieren anstatt auszuzahlen.

Also muss ich die Starpower unbedingt so schnell wie möglich zum Schweigen bringen. Aber wie? Den Funkverkehr vermag ich nicht zu stören; mir fehlt die entsprechende Ausrüstung.

Ich könnte beschleunigen, mich mit Höchstgeschwindigkeit auf sie stürzen und wegputzen, bevor sie eine Nachricht an Ceres senden. Nur dass ich dann nicht mehr genug Treibstoff hätte, um einen Tanker zu erreichen. Ich würde Grigor Bescheid sagen müssen, dass er mir einen Tanker schicken soll.

Und wie könnten sie mich diskreter loswerden, als mich allein hier draußen treiben zu lassen, bis ich entweder verhungere oder die Recycler den Geist aufgeben? Auf diese Weise würden Grigor und seine Bosse bei HSS mich für immer zum Schweigen bringen, ohne sich die Hände schmutzig machen zu müssen.

Mit einem grimmigen Kopfschütteln beschloss Harbin, den gegenwärtigen Kurs und die Geschwindigkeit beizubehalten. Er würde der Starpower entgegenfliegen und das Schiff zerstören. Fuchs würde sterben. Harbin hoffte nur, dass er den Auftrag erledigen konnte, bevor Fuchs Ceres über die Vorgänge informierte.

Das liegt im Schoß der Götter, sagte er sich. Es bleibt dem Zufall überlassen. Ein Vierzeiler aus dem Rubaiyat kam ihm in den Sinn:

Oh Liebe! Könntest du und ich im Schicksal zusammenkommen,

Um es zu packen, das traurige Weltgeschehen,

Würden wir es nicht in Trümmer schlagen — und dann

Es wiederaufzubauen — näher an des Herzens Wunsch!

Ja, sagte Harbin sich. Das wäre eine wahre Freude, diese Welt zu zertrümmern und aus ihren Ruinen etwas Besseres zu erschaffen. Eine Frau an meiner Seite zu haben, die mich liebt und die meines Herzens Freude ist.

Das sind Hirngespinste, sagte er sich ungehalten. Die Realität ist diese gottverlassene Leere und dieses lausige Schiff. Die Realität handelt von verschiedenen Arten des Tötens.

Die Realität, sagte er sich mit einem entsagungsvollen Seufzer, ist wie dieser verdammte Hometrainer: Er bringt mich nirgendwohin, aber ich muss meine ganze Energie aufwenden, um dorthin zu gelangen.

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