Zu seiner großen Überraschung wurde George Ambrose zum ›Bürgermeister‹ von Ceres gewählt.
Sein offizieller Titel lautete ›Chef-Administrator‹. Die Wahl fand statt, nachdem die Bewohner von Ceres sich widerwillig eingestanden hatten, dass sie doch eine Art Regierung brauchten — und wenn auch nur zu dem Zweck, um sie vor der eskalierenden Gewalt zu schützen, die den Gürtel in ein Kriegsgebiet verwandelte. Fuchs’ Zerstörung der Vestabasis gab dann endgültig den Ausschlag; es waren nämlich über zwei Dutzend Einwohner von Ceres bei dem Angriff getötet worden.
Amanda versuchte sich von den unbegreiflichen Aktionen ihres Manns zu distanzieren, indem sie sich massiv dafür einsetzte, Recht und Gesetz auf Ceres zu etablieren. Sie arbeitete unermüdlich daran, eine Regierung zu bilden und stöberte monatelang in Datenbanken, um eine Regierungsform zu finden, die den Bedürfnissen der Felsenratten am ehesten gerecht wurde. Nachdem sie eine Verfassung ausgearbeitet hatte, wurde sie von den Felsenratten quasi in der Luft zerrissen. Doch sie sammelte die Fetzen auf und legte ein neues Dokument vor, das auf die meisten ihrer Beschwerden einging. Mit großem Widerwillen beschlossen sie, die neue Regierung zu akzeptieren — solange sie ihnen keine direkten Steuern auferlegte.
Die Rekrutierung der Regierungsangestellten war kein Problem: Es gab genügend kaufmännische Angestellte und Ingenieure auf Ceres, um die Posten auszufüllen. Viele von ihnen freuten sich über die Aussicht, ein festes Salär zu beziehen, obwohl Amanda dafür sorgte, dass jeder Bürokrat sich einer alljährlichen Leistungsbeurteilung unterziehen musste, um den Job zu behalten.
Dann erfolgte die Auswahl eines Regierungsgremiums. Sieben Personen wurden nach dem Zufallsprinzip von einem Computer aus den ständigen Bewohnern von Ceres ausgewählt. Niemand durfte diese ›Ehre‹ ausschlagen beziehungsweise die Verantwortung von sich weisen. Amanda wurde in der computerisierten Lotterie nicht ausgewählt, was sie enttäuschte. George wurde hingegen ausgewählt, was ihn noch mehr enttäuschte.
Bei der ersten Zusammenkunft wählte das Gremium George trotz seines Protestes zum Vorsitzenden.
»Ich werde mich, zum Fuck, aber nicht rasieren«, warnte er sie schon einmal vor.
»Das geht in Ordnung, George«, sagte eine der jungen Frauen im Gremium. »Aber würdest du deine Ausdrucksweise bitte etwas mäßigen?«
So geschah es, dass Big George in seiner Eigenschaft als unfreiwilliger ›Bürgermeister‹ der Felsenratten sie auf der Konferenz in Selene vertrat, wo er früher einmal als Flüchtling und Eierdieb gelebt hatte.
»Ich werde aber nicht allein gehen«, sagte George. »Ich werde Unterstützung brauchen.«
Das Regierungsgremium beschloss, dass es vertretbar war, George zwei Assistenten zur Seite zu stellen. Seine erste echte Entscheidung als neu gewählter Chef-Administrator von Ceres bestand darin, die zwei Personen auszuwählen, die ihn begleiten sollten. Die erste Wahl war schnell getroffen: Dr. Kris Cardenas.
Während er sich den Kopf zerbrach, wenn er als Zweiten mitnehmen sollte, meldete Amanda zu seiner Überraschung sich freiwillig.
Sie platzte in sein ›Büro‹ — das praktisch nichts anderes war als seine normale Unterkunft — und eröffnete ihm, dass sie ihn als Delegationsteilnehmerin nach Selene begleiten wollte.
»Du?«, rief George. »Wie kommt’s?«
Amanda wich seinem Blick aus. »Ich habe einen so großen Beitrag wie jeder zur Bildung dieser Regierung geleistet. Vielleicht einen noch größeren. Ich hab es verdient, an der Konferenz teilzunehmen.«
»Das wird aber keine Urlaubsreise, weißte«, sagte George skeptisch.
»Das ist mir schon klar.«
Er bot ihr seinen besten Stuhl an, doch sie schüttelte den Kopf und blieb in der Mitte seiner Einraum-Residenz stehen. Sie machte einen ruhigen und entschlossenen Eindruck. Es ist hier ziemlich unordentlich, sagte George sich: Das Bett ist nicht gemacht, und das Spülbecken ist voller Geschirr. Doch Amanda stand einfach nur da und starrte in die Unendlichkeit. George fragte sich, was sie dort wohl sah.
»Humphries ist in Selene«, sagte er.
Amanda nickte. Ihr Gesicht war ausdruckslos und geradezu maskenhaft starr, als ob sie Angst hätte, überhaupt eine Gefühlsregung zu zeigen.
»Es wird Lars nicht recht sein, wenn du dorthin gehst.«
»Ich weiß«, sagte sie mit fast flüsternder Stimme. »Ich habe mir das gründlich überlegt, George. Ich muss mit dir gehen. Aber ich will nicht, dass Lars es erfährt. Bitte sag ihm nichts.«
George kratzte sich den Bart und versuchte, aus ihren Worten schlau zu werden. »Wie soll ich es ihm überhaupt sagen? Die einzige Möglichkeit, ihn zu erreichen, ist doch über dich.«
»Ich muss mit dir gehen, George«, sagte Amanda fast flehentlich. »Verstehst du das denn nicht? Ich muss alles tun, was in meinen Kräften steht, um diesem Kampf ein Ende zu bereiten. Ich muss Lars retten, bevor sie ihn finden und töten!«
George nickte; er hatte begriffen. Zumindest glaubte er das.
»In Ordnung, Amanda, du kannst mit uns kommen. Ich freue mich, dass du dabei bist.«
»Vielen Dank, George«, sagte sie und lächelte zum ersten Mal. Doch es lag keine Fröhlichkeit darin.
Amanda hatte zwei Tage lang mit sich gerungen, bevor sie George fragte, ob sie ihn nach Selene begleiten dürfe. Sie wusste, dass Lars sie nicht in Humphries’ Nähe kommen lassen wollte und schon gar nicht, wenn er nicht da war, um sie zu beschützen. Aber sie hatte keine Angst mehr vor Martin Humphries; sie hatte sogar das Gefühl, dass sie ihm gewachsen wäre. Martin wird mir nichts tun, sagte sie sich. Zumal George und Chris auf mich aufpassen werden.
Was ihr Sorgen bereitete, war Lars’ Reaktion. Er würde überhaupt nicht damit einverstanden sein, dass sie nach Selene ging und sich damit auf Humphries’ Territorium wagte. Also beschloss Amanda nach zwei Tagen reiflicher Überlegung, zu gehen. Und zwar ohne Lars etwas davon zu sagen.
Insgesamt zweiundzwanzig Schiffe versammelten sich über der zerstörten Basis von Vesta. Der bei Fuchs’ Angriff aufgewirbelte Staub hatte sich inzwischen wieder gesetzt, doch Harbin sah keine Spur mehr vom Stützpunkt — nicht einmal mehr den Krater, in dem er sich befunden hatte. An seiner Stelle befanden sich neue, überlappende Krater — frische, scharf konturierte und unregelmäßige runde Narben auf der dunklen Oberfläche des Asteroiden. Sie erinnerten Harbin an die Narben, die die Saugnäpfe der Tentakel von Riesenkraken an Pottwalen hinterließen.
Der auf der Brücke der Shanidar stehende Dorik Harbin war sich der Ironie seiner Position bewusst. Als jemand, der die Einsamkeit schätzte, der niemals von irgendjemand abhängig sein wollte, war er nun Kommandant einer ganzen Raumschiffsflotte: Kampfschiffe, Tanker und sogar Drohnen, die auf der Suche nach einem infinitesimalen Punkt in der dunklen Leere des Gürtels ausschwärmten: Lars Fuchs.
Obwohl er viel lieber allein gearbeitet hätte, hatte Harbin sich schließlich eingestehen müssen, dass er Fuchs nicht allein finden konnte. Dazu war der Gürtel zu groß und der Versteckmöglichkeiten zu viele. Zumal Fuchs natürlich von anderen Felsenratten unterstützt wurde, die ihn mit Treibstoff, Proviant und Informationen versorgten und ihm bei seinem Einmann-Krieg gegen Humphries Space Systems klammheimlich Erfolg wünschten. Und wahrscheinlich wurde Fuchs auch von der Astro Corporation unterstützt. Harbin wusste aber, dass das nur Mutmaßungen waren; es gab keinen eindeutigen Beweis, dass Astro den Renegaten mit irgendetwas außer Glückwünschen für seine fortdauernden Angriffe unterstützte.
Humphries war sich aber sicher, dass Astro das Geheimnis von Fuchs’ Erfolg war. Diane hatte Harbin berichtet, dass Humphries außer sich war vor Wut und nun bereit war, jeden Penny, den er besaß, für das Aufspüren und die Liquidation von Fuchs auszugeben. Diese Armada war das Resultat: Dabei standen die Kosten für Humphries in keinem Verhältnis zum Schaden, den Fuchs angerichtet hatte. Doch Humphries wollte Fuchs vernichten — was auch immer es ihn kostete, sagte Diane.
Diane. Harbin wurde sich bewusst, dass sie ein Teil seines Lebens geworden war. Ich bin von ihr abhängig, sagte er sich. Trotz der großen Entfernung zwischen ihnen schützte sie ihn vor Humphries’ aus Frustration geborenem Zorn. Sie war diejenige, die Humphries überredet hatte, Harbin das Kommando auf dem groß angelegten Feldzug gegen Fuchs zu übertragen. Sie war diejenige, die auf ihn warten würde, wenn er mit Fuchs’ Leiche zurückkehrte.
Sehr gut, sagte er sich und ließ den Blick über die Monitore schweifen, auf denen eine Anzahl seiner Schiffe zu sehen waren; nun habe ich die Werkzeuge, die ich brauche, um den Job zu Ende zu bringen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.
Die Aufklärungsdrohnen suchten schon mit ihren Sensoren den Gürtel ab. Harbin erteilte seiner Flotte den Befehl, loszufliegen und die Jagd zu beginnen.
Ein deutlicher Ausdruck der Zufriedenheit erschien auf Martin Humphries’ Gesicht, als er am Kopfende des langen Esstischs in seinem Anwesen Platz nahm. Diane Verwoerd war die einzige andere Person am Tisch; sie hatte bereits zu seiner Rechten Platz genommen.
»Entschuldigen Sie die Verspätung«, sagte Humphries und bedeutete dem Diener mit einem Kopfnicken, den Wein einzuschenken. »Ich hatte noch ein Telefongespräch mit Doug Stavenger.«
Verwoerd wusste, dass ihr Chef nun von ihr die Frage erwartete, worum es sich bei dem Anruf gehandelt hatte — aber sie sagte nichts.
»Er ist einverstanden«, sagte Humphries schließlich leicht pikiert. »Stavenger wird alles organisieren. Wir werden in Selene eine Friedenskonferenz abhalten. Die Weltregierung hat sich bereit erklärt, ihre Nummer zwei zu schicken: Willi Dieterling.«
Diane Verwoerd machte ein erstauntes Gesicht. »Der Mann, der den Friedensvertrag im Nahen Osten ausgehandelt hat?«
»Genau der«, sagte Humphries.
»Und die Felsenratten schicken auch einen Vertreter?«, versuchte sie ihn aus der Reserve zu locken.
»Drei Personen. Diesen australischen Rübezahl und zwei Assistenten.«
»Und wer wird Astro vertreten?«
»Wahrscheinlich Pancho«, sagte er leichthin. »Sie führt dieser Tage den eigentlichen Vorsitz im Vorstand.«
»Das wird interessant«, sagte Verwoerd.
»Das wird es«, pflichtete Humphries ihr bei. »Auf jeden Fall.«
Lars Fuchs schaute seinen Besucher finster an. Yves St. Ciaire war einer seiner ältesten und besten Freunde; Fuchs kannte den Quebecer schon seit dem gemeinsamen Studium in der Schweiz. Und doch weigerte St. Ciaire sich standhaft, ihm zu helfen.
»Ich brauche Treibstoff«, sagte Fuchs. »Ohne ihn bin ich erledigt.«
Die beiden Männer standen in der kleinen Kombüse der Nautilus, wo sie von der Besatzung nicht gestört wurden. Fuchs hatte seinen Leuten den Befehl gegeben, ihn mit dem alten Freund allein zu lassen. St. Ciaire stand vor dem großen Kühlschrank und hatte die Arme störrisch vor der Brust verschränkt. In ihrer Studentenzeit war er rank und schlank gewesen; er hatte ein Menjou-Bärtchen getragen und war trotz seines herben Akzents bei den Frauen angekommen. Damals hatte er sich immer nach der neuesten Mode gekleidet; seine Freunde hatten gewitzelt, dass er seine Familie mit den Kleiderkäufen noch in den Bankrott trieb. In den Jahren, die er als Prospektor im Gürtel verbracht hatte, war er allerdings fett geworden. Nun sah er aus wie ein saturierter kleinbürgerlicher Ladenbesitzer mittleren Alters, obwohl sein sorgfältig drapiertes himmelblaues Gewand so geschnitten war, dass der Bauch etwas kaschiert wurde.
»Lars«, sagte St. Ciaire, »das ist unmöglich. Nicht einmal für einen alten Freund wie dich kann ich Treibstoff erübrigen. Dann hätte ich nämlich nicht mehr genug, um nach Ceres zurückkehren.«
Fuchs, der wie üblich mit einem schwarzen Pullover und einer Schlabberhose bekleidet war, holte tief Luft, bevor er antwortete.
»Der Unterschied ist nur«, sagte er, »dass du einen Notruf absetzen und einen Tanker rufen kannst. Ich kann das nicht.«
»Ja, ich könnte einen Tanker anfordern. Und weißt du auch, wie viel das kosten wird?«
»Bei dir geht es bloß um Geld. Bei mir geht es um mein Leben.«
St. Ciaire zuckte nur die Achseln.
Seit dem Angriff auf Vesta hatte Fuchs sich durchgeschlagen, indem er Treibstoff und Proviant von wohlgesonnenen Prospektoren und anderen Schiffen schnorrte, die den Gürtel durchpflügten. Ein paar von ihnen spendeten freiwillig; die meisten sträubten sich jedoch und mussten erst überredet werden. Amanda schickte ihm regelmäßig die Flugpläne der Prospektoren, Bergleute, Tankschiffe und Versorgungsschiffe, die Ceres verließen. Fuchs deponierte Fernbedienungs-Transceiver auf kleinen Asteroiden, gab die Katalognummern der Asteroiden in superkomprimierten Nachrichten an Amanda durch und fragte die Nachrichten dann beim nächsten Vorbeiflug an diesen Asteroiden ab. Es war wie ein Schachspiel, die Transceiver zu bewegen, bevor Humphries’ Schnüffler sie zu lokalisieren und als Köder zu nutzen vermochten, um ihn in die Falle zu locken.
Humphries’ Schiffe waren nun bewaffnet und kaum noch allein unterwegs. Es war mittlerweile viel zu riskant, sie anzugreifen. Hin und wieder beschlagnahmte Fuchs Vorräte von Astro-Tankschiffen und Frachtern. Die Kapitäne kamen Fuchs’ Forderungen nur unter Protest nach, aber sie hatten Anweisung von Pancho, keinen Widerstand zu leisten. Dieser ›Mundraub‹ schlug in Astros Bilanzen praktisch nicht zu Buche.
Deshalb verwunderte es Fuchs umso mehr, dass sogar sein alter Freund sich stur stellte.
Er beherrschte sich und versuchte es im Guten: »Yves, es geht hier buchstäblich um Leben und Tod für mich.«
»Aber das ist doch völlig unnötig«, sagte St. Ciaire und fuchtelte mit beiden Händen in der Luft herum. »Du musst doch nicht …«
»Ich kämpfe auch für dich«, sagte Fuchs. »Ich will Humphries daran hindern, dass er euch zu seinen Vasallen macht.«
St. Ciaire wölbte eine Augenbraue. »Ach, Lars, mon vieux. In diesem Kampf hast du auch schon Freunde von mir getötet. Freunde von uns, Lars.«
»Das ließ sich leider nicht vermeiden.«
»Sie waren Bauarbeiter. Sie haben dir nie etwas zuleide getan.«
»Sie haben für Humphries gearbeitet.«
»Du hast ihnen nicht einmal eine Chance gegeben. Du hast sie gnadenlos abgeschlachtet.«
»Wir sind im Krieg«, sagte Fuchs schroff. »Im Krieg gibt es Verluste. Das lässt sich eben nicht ändern.«
»Sie waren nicht im Krieg!«, erwiderte St. Ciaire zornig. »Und ich bin auch nicht im Krieg! Du bist der Einzige, der hier einen Krieg führt.«
Fuchs starrte ihn an. »Weißt du überhaupt, dass ich das, was ich tue, für euch tue? Für alle Felsenratten?«
»Ach was! Es wird eh bald vorbei sein. Es hat keinen Sinn, diese … diese Vendetta zwischen dir und Humphries fortzusetzen.«
»Vendetta? Schätzt du mich etwa so ein?«
St. Ciaire holte tief Luft und sagte sachlich: »Lars, es ist vorbei. Die Konferenz in Selene wird diesem Kampf ein Ende bereiten.«
»Konferenz?« Fuchs blinzelte erstaunt. »Was denn für eine Konferenz?«
St. Ciaire hob die Brauen. »Du weißt es noch gar nicht? Humphries und Astro werden auf Selene eine Konferenz abhalten, um ihre Differenzen beizulegen. Eine Friedenskonferenz.«
»In Selene?«
»Natürlich. Stavenger persönlich hat sie arrangiert. Die Weltregierung hat Willi Dieterling entsandt. Deine Frau wird auch dort sein — als eine der Abgesandten von Ceres.«
Fuchs glaubte schier, einen Stromschlag bekommen zu haben. »Amanda kommt nach Selene?«
»Sie ist schon unterwegs, und zwar mit Big George und Dr. Cardenas. Wusstest du das denn nicht?«
Amanda geht nach Selene, hallte es wie ein Donnerschlag in Fuchs’ Kopf wider. Nach Selene. Zu Humphries.
Er brauchte eine Weile, um sich wieder auf St. Ciaire zu konzentrieren, der noch immer vor ihm in der Bordküche stand. Er hatte ein irritiertes Lächeln auf den Lippen.
»Du hast es gar nicht gewusst?«, fragte St. Ciaire von neuem. »Sie hat es dir nicht gesagt?«
»Ich werde mir den benötigten Treibstoff holen«, sagte Fuchs mit gefährlich leiser Stimme. »Du kannst einen Tanker rufen, wenn ich weg bin.«
»Du willst ihn von mir stehlen?«
»Ja«, sagte Fuchs. »So kannst du dir den Schaden von der Versicherung ersetzen lassen. Du bist doch gegen Diebstahl versichert, oder?«
Dossier: Joyce Takamine Joyce war mit ihrem Leben auf dem Mond recht zufrieden. Sie lebte allein — nicht zölibatär, aber ungebunden. Sie hatte fast alles erreicht, wovon sie in den langen, harten Jahren ihrer Jugend geträumt hatte.
Sie war nun eine reife Frau, schlank und sehnig, gestärkt durch jahrelange körperliche Arbeit und kühle Kalkulation. Sie hatte die Leiter des Lebens erklommen, indem sie sich an jeder Sprosse festklammerte, die sie zu erreichen vermochte. Wo sie nun hier in Selene war, mit einem gut bezahlten Job und sicheren Karriereperspektiven, hätte sie sich eigentlich zum ersten Mal entspannen und das Leben genießen können.
Aber sie langweilte sich bald.
Das Leben wurde zu berechenbar, zu routinemäßig. Zu sicher, wie sie sich schließlich bewusst wurde. Es gibt keine Herausforderungen mehr. Ich kann mein Büro mit verbundenen Augen leiten. Und wenn ich ausgehe, sehe ich jedes Mal die gleichen Leute. Selene ist halt ein Dorf. Geborgen. Beschaulich. Langweilig.
Also ließ sie sich zum Entsetzen ihres Vorgesetzten zur Humphries-Operation auf Ceres versetzen und flog in den Asteroidengürtel hinaus.
Ceres war noch kleiner als Selene, schmutzig, überfüllt und zuweilen auch gefährlich. Joyce liebte es. Ständig kamen und gingen neue Leute. Der Pub war proletarisch-rustikal. Sie sah, wie Lars Fuchs dort einen Mann tötete — er stieß dem Typen einfach einen Elektrobohrer wie ein mittelalterliches Schwert in die Brust. Der Typ hatte gestanden, Niles Ripley getötet zu haben, und dann hatte er auch noch versucht, Fuchs an der Bar zu erschießen.
Sie gehörte der Jury an, die Fuchs freisprach und wirkte auch daran mit, als die Bevölkerung von Ceres eine provisorische Regierung bildete. Joyce Takamine gehörte zu denen, die in der Lotterie für die Besetzung des ersten Regierungsrats der Gemeinschaft ausgewählt wurden. Es war das erste Mal, dass sie überhaupt etwas gewonnen hatte.