Kapitel 28

Fuchs saß in der Bordküche und sah fassungslos zu, wie George so viel Essen hinunterschlang, dass ein normaler Mensch für eine ganze Woche davon satt geworden wäre. Sein Schiffskamerad, Nodon, hielt sich zwar vergleichsweise zurück, futterte aber auch wie ein Scheunendrescher.

»Und nachdem er dann die Antennen zerballert hatte«, sagte George mit dem Mund voll Sojaburger und rehydrierter Kartoffeln, »hat er die Schubdüse gezündet und unsere Treibstofftanks perforiert.«

»Er war wohl sehr gründlich«, sagte Fuchs.

George nickte. »Er muss wohl geglaubt haben, dass wir noch immer im Habitatmodul waren. Nodon und ich haben uns tot gestellt, bis er verschwunden ist. Bis dahin war die alte Matilda schon in die ungefähre Richtung von Alpha Centauri abgedriftet.«

»Er hat geglaubt, ihr wärt tot.«

»Oder so gut wie.«

»Ihr müsst das alles der IAA melden«, sagte Fuchs.

»Wenn wir den Schneidlaser an Bord gehabt hätten, dann hätte ich dem Bastard selbst eins draufgebrannt. Er hatte uns erwischt, als der Laser auf dem Asteroiden stand und der Akku aufgeladen wurde.«

»Ich habe euren Laser«, sagte Fuchs. »Er ist in der Ladebucht.«

Nodon schaute vom Essen auf. »Ich werde ihn überprüfen.«

»Tu das«, sagte George. »Ich werde derweil die IAA in Selene anrufen.«

»Nein«, sagte Fuchs. »Wir werden das IAA-Hauptquartier auf der Erde anrufen. Diese Geschichte muss den richtigen Leuten vorgetragen werden, und zwar schnell.«

»Okay. Sobald ich mir noch ’nen Nachtisch reingezogen habe. Was haste denn noch so im Kühlschrank?«

»Ich habe auch einen Schneidlaser«, wandte Fuchs sich an Nodon. »Er steht bei eurem in der Ladebucht.«

»Soll ich sie beide ans Bordnetz anschließen?«, fragte der Asiate leise.

Fuchs sah den Ausdruck ruhiger Zuversicht in den tief liegenden braunen Augen des jungen Mannes. »Ja, es kann wohl nichts schaden, beide einsatzbereit zu halten.«

George hatte ihre kurze Unterhaltung verfolgt, während er aufstand und zur Kühltruhe ging. »Wie willst du sie überhaupt aus der Ladebucht abfeuern, Kumpel?«

»Klarer Fall — indem die Luken geöffnet werden«, sagte Fuchs.

»Dann sollte man wohl besser einen Anzug anziehen.«

Mit einem Kopfnicken bekundete Nodon stillschweigende Zustimmung.

»Ihr beiden glaubt also, dass er zurückkommen wird«, sagte Fuchs.

»Vielleicht«, antwortete Nodon.

»Dann sollten wir besser darauf vorbereitet sein«, sagte George, während er die Bestandsliste auf dem Monitor der Tiefkühltruhe überflog. »Ich will nicht noch einmal mit heruntergelassenen Hosen erwischt werden. Könnte tödlich enden.«


* * *

Diane Verwoerd sah förmlich, dass ihr Boss kalte Füße bekam. Martin Humphries wirkte unbehaglich, fast nervös, als sie das weitläufige Wohnzimmer seines Anwesens betrat.

»Wie sehe ich aus?«, fragte er sie — etwas, das er sonst nie machte.

Er war mit einem Smoking bekleidet und trug dazu eine Fliege und einen karierten Kummerbund. Sie lächelte und unterdrückte den Drang, ihm zu sagen, dass er wie ein pummeliger Pinguin aussah.

»Sie sehen richtig schick aus«, sagte sie.

»Diese blöde formelle Kleidung. Man sollte meinen, dass man nach ein paar Jahrhunderten sich etwas Besseres hätte einfallen lassen können, das man zu gesellschaftlichen Anlässen trägt.«

»Ich bin beeindruckt, dass Sie die Fliege so perfekt gebunden haben.«

Er schaute sie stirnrunzelnd an. »Sie ist vorgebunden, und Sie wissen das. Hören Sie auf, mir zu schmeicheln.«

Verwoerd trug ein bodenlanges Silbermetallickleid; der lange Rock war fast bis zur Hüfte geschlitzt.

»Stavenger hat mich doch wohl kaum aus reiner Herzensgüte in diese verdammte Oper eingeladen«, nörgelte Humphries, als sie zur Tür gingen. »Er will etwas von mir und glaubt, dass ich in einer angenehmen und entspannten Atmosphäre aufgeschlossener wäre.«

»Cocktails und Dinner und dann Der Troubadour«, murmelte Verwoerd. »Das reicht, um sich bis zur Bewusstlosigkeit zu entspannen.«

»Ich hasse Opern«, grummelte er, als er die Tür öffnete.

»Wieso haben Sie dann die Einladung überhaupt angenommen?«, fragte Verwoerd und trat hinter ihm in den Garten hinaus.

Er schaute sie finster an. »Das wissen Sie doch. Pancho wird auch da sein. Stavenger hat einen Trumpf im Ärmel. Offiziell mag er zwar zurückgetreten sein, doch er regiert Selene noch immer — er ist die graue Eminenz. Er muss nur die Stirn runzeln, und alle überschlagen sich, um ihm zu Diensten sein.«

»Ich frage mich, was er diesmal will?«, sagte Verwoerd, während sie zwischen den üppig blühenden Sträuchern und Bäumen hindurchgingen, die die Höhle ausfüllten.

Humphries warf ihr einen missmutigen Blick zu. »Um das herauszufinden, bezahle ich Sie schließlich.«


* * *

Der Cocktailempfang fand im Freien statt, unter der Kuppel der Grand Plaza gleich neben dem Amphitheater, in dem alle Theatervorführungen in Selene stattfanden. Als Humphries und Verwoerd eintrafen, stand Pancho Lane schon in der Nähe der Bar und war in eine angeregte Unterhaltung mit Douglas Stavenger vertieft.

Doug Stavenger, der fast doppelt so alt wie Humphries war, wirkte noch immer so jung und vital wie ein Dreißigjähriger. In seinem Körper wimmelte es von Nanomaschinen, die ihn gesund und jung erhielten. Zweimal hatten sie ihn schon vorm Tod bewahrt und Schäden am Körper repariert, die normalerweise tödlich gewesen wären.

Überhaupt war Stavenger kein gewöhnlicher Mensch. Seine Familie hatte die ursprüngliche Mondbasis gegründet und sie aus einer kleinen Forschungsstation in ein großes Zentrum für die Nanomaschinenfertigung von Raumschiffen verwandelt. Stavenger selbst hatte den ebenso kurzen wie heftigen Kampf gegen die alte UN geführt, durch den die Mondsiedlung die Unabhängigkeit von der Weltregierung erlangt hatte. Er hatte auch den Namen Selene ausgewählt.

Mit Verwoerd am Arm schob Humphries sich durch die angeregt plaudernde Menge aus Männern im Smoking und schmuckbehängten Frauen im Abendkleid, bis sie Stavenger und Pancho erreicht hatten. Er drängte sich fast zwischen die beiden.

»Hallo, Martin«, sagte Stavenger mit einem ruhigen Lächeln. Er war ein stattlicher Mann mit einem Gesicht, das zwischen markant und schön changierte. Seine Haut war etwas heller als Panchos und hatte eine tiefgoldene Farbe. Humphries war immer wieder erstaunt, wenn er sah, dass Stavenger deutlich größer war als er; die kompakte Statur und die breiten Schultern des Mannes kaschierten seine wahre Größe.

»Es sieht so aus, als ob Sie heute Abend halb Selene mobilisiert hätten«, sagte er, ohne sich indes die Mühe zu machen, Verwoerd vorzustellen.

Stavenger lachte ungezwungen. »Die andere Hälfte tritt in der Oper auf.«

Humphries sah, dass die beiden Frauen sich von Kopf bis Fuß musterten und taxierten wie zwei Gladiatoren, die die Arena betraten.

»Wer ist denn Ihre Freundin?«, fragte Pancho. Sie trug auch ein bodenlanges Kleid, das tiefschwarz war wie die Smokings der Männer. Ihr kurz geschnittenes Haar war mit irgendeinem Glitzerzeug bestäubt. Das Diamanthalsband und —armband, das sie trug, bestand wahrscheinlich aus Asteroidengestein, mutmaßte Humphries.

»Diane Verwoerd«, sagte Humphries. »Pancho Lane. Doug kennen Sie bereits, nicht wahr?«

»Sein Ruf eilt ihm voraus«, sagte Verwoerd mit ihrem strahlendsten Lächeln. »Und ich freue mich auch, endlich einmal Ihre Bekanntschaft zu machen, Ms. Lane.«

»Pancho.«

»Pancho will mich überreden, in eine Forschungsstation zu investieren, die im Jupiter-Orbit eingerichtet werden soll«, sagte Stavenger.

Darum geht es also, sagte Humphries sich.

»Selene erzielt einen ordentlichen Gewinn mit dem Bau von Raumschiffen«, sagte Pancho. »Und der Gewinn ließe sich sogar noch steigern, wenn man Fusionsbrennstoffe vom Jupiter importiert.«

»Was sie sagt, hat Hand und Fuß«, sagte Stavenger. »Was halten Sie eigentlich von der Idee, Martin?«

»Ich bin definitiv dagegen«, sagte Humphries unwirsch. Als ob er das nicht wüsste, sagte er sich grummelnd.

»Das ist mir auch schon zu Ohren gekommen«, gestand Stavenger.

Eine Glocke läutete im Dreiklang. »Zeit zum Dinner«, sagte Stavenger und trug Pancho seinen Arm an. »Kommen Sie, Martin, lassen Sie uns beim Essen darüber reden.«

Humphries folgte ihm zu den Tischen, die auf dem gepflegten Rasen vorm Amphitheater aufgebaut waren. Verwoerd ging neben ihm; sie war davon überzeugt, dass die vier auch bei der Oper über dieses Jupiter-Geschäft sprechen würden — sogar bei den Lodernden Flammen.

Das sollte ihr nur recht sein. Denn sie hasste den ›Troubadour‹.

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