Kapitel 31

Als George aufwachte, sah er Fuchs und Nodon über sich gebeugt. Fuchs schaute düster und gereizt. Nodon hatte angstgeweitete Augen. Ein komischer Anblick, sagte George sich, wenn dieses Gesicht mit den martialischen Tätowierungen so ängstlich schaut.

»Dann bin ich also nicht im Himmel«, sagte er mit einem bemühten Grinsen. Seine Stimme klang angestrengt und sehr schwach.

»Noch nicht«, grummelte Fuchs.

George wurde sich bewusst, dass er in einer der kleinen Privatkabinen der Starpower lag. Den Raumanzug hatten sie ihm ausgezogen. Entweder haben sie mich gefesselt, oder ich bin so abgefuckt schwach, dass ich zu keiner Regung fähig bin.

»Was ist passiert?«, fragte er.

Nodon warf einen Blick auf Fuchs, leckte sich die Lippen und sagte: »Der Gegner hat unseren Laser zerstört. Dabei sind die Spiegel abgebrochen und … haben Ihnen den Arm abgerissen.«

Er stieß die letzten Worte hastig hervor, als ob er sich ihrer schämte. George schaute an sich hinab und wunderte sich darüber, welche Anstrengung es ihn kostete, den Kopf zu drehen. Dann sah er, dass der Arm kurz unterhalb des Ellbogens endete. Der Stumpf war mit einem Sprühverband bedeckt.

Er war mehr verwirrt als schockiert. Er verspürte nur einen Anflug von Schmerz, wo er nun darüber nachdachte. Keine Angst. Keine Sorgen. Sie müssen mich ganz schön mit Dope voll gepumpt haben.

»Der Rest des Arms ist in der Tiefkühltruhe«, sagte Fuchs. »Wir fliegen mit Vollschub nach Ceres zurück. Ich werde vorab Kris Cardenas verständigen.«

George schloss die Augen und erinnerte sich daran, dass er gesehen hatte, wie der noch im Ärmel des Raumanzugs steckende Arm auf einer spiralförmigen Bahn aus der Luke gesegelt war.

Er schaute auf Nodon. »Ihr habt die Blutung gestillt, wie?«

Der junge Mann nickte.

»Und den Anzugsarm versiegelt«, fügte George hinzu.

»Er ist auf eine EVA gegangen und hat deinen Arm geborgen«, sagte Fuchs. »Zuerst glaubte ich schon, dass wir ihn verlieren würden.«

»Hast du das wirklich getan?«, sagte George leise. Er kam sich dumm dabei vor. »Danke, Kumpel.«

Nodon zuckte verlegen die Achseln. Er wechselte das Thema. »Sie müssen dem anderen Schiff einen schweren Treffer versetzt haben. Es ist mit hoher Geschwindigkeit geflohen.«

»Das ist gut.«

»Wir werden in vierzehn Stunden auf Ceres sein«, sagte Fuchs.

»Das ist auch gut.« George wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte. Irgendwo, im hintersten Winkel des Bewusstseins, wusste er, dass er eigentlich schreien sollte. Verdammte Prothesen — ich habe den abgefuckten Arm verloren!

Die Drogen betäubten aber nicht nur den körperlichen, sondern auch den emotionalen Schmerz. Nichts schien wirklich von Bedeutung zu sein. Alles, was George wollte, war, dass sie ihn in Ruhe und schlafen ließen.

Fuchs schien das Gott sei Dank zu spüren. »Du ruhst dich jetzt aus«, sagte er mit vor Bitterkeit heruntergezogenen Mundwinkeln. »Ich muss der IAA einen ausführlichen Bericht übermitteln, sobald wir eine Antenne repariert haben.«


* * *

»Nicht schon wieder dieser Fuchs«, nörgelte Hector Wilcox.

Erek Zar und Francesco Tomasselli saßen vor Wilcox’ Schreibtisch. Zar spürte ganz offensichtlich Unbehagen, und Tomasselli zitterte beinahe vor gerechtem Zorn.

Wilcox’ Büro war repräsentativ, wie es dem Vorsitzenden der Internationalen Astronautenbehörde auch zukam. Wilcox war schlank und wirkte wie aus dem Ei gepellt. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug mit einer perlgrauen Krawatte, der schön mit dem silbernen Haar und gepflegten Oberlippenbart kontrastierte. Damit war er jeden Zentimeter der erfolgreiche Administrator, für den er sich hielt. Er hatte schon so manchen Unternehmenskonflikt geschlichtet, die Bürokratie dazu gebracht, Sicherheitsvorschriften zu erlassen und Importzölle auf Weltraumprodukte erhoben und er hatte die schlüpfrige Karriereleiter der Rechtsabteilung der IAA erklommen, bis er an der Spitze angekommen war. Da saß er nun unangefochten und wurde von den anderen Bürokraten als ein Musterbeispiel für Geduld, Intelligenz und — vor allem — Ausdauer gewürdigt.

Nun musste er sich aber mit dem Vorwurf der Piraterie befassen, und das ging ihm regelrecht an die Nieren.

»Er hat einen vollständigen Bericht übermittelt«, sagte Tomasselli eifrig. Seine dunklen Augen funkelten.

»Fuchs behauptet, sein Schiff sei angegriffen worden«, warf Zar ein.

»Er meldet«, fuhr Tomasselli mit Betonung dieses Worts fort, »dass nicht nur sein Schiff angegriffen worden sei, sondern noch ein weiteres und dass einer der Männer schwer verletzt sei.«

»Von einem Piratenschiff.«

Zars Bauerngesicht lief noch roter an, als es ohnehin schon war. »Das behauptet er.«

»Und der Beweis?«

»Sein Schiff ist beschädigt«, sagte Tomasselli, bevor Zar auch nur den Mund aufzumachen vermochte. »Er bringt den Verwundeten nach Ceres.«

»Über welche Schiffe sprechen wir hier?«, fragte Wilcox mit einem deutlichen Ausdruck von Abscheu im schmalen Patriziergesicht.

Mit einer Handbewegung gebot Zar seinem Untergebenen zu schweigen. »Fuchs’ Schiff trägt den Namen Starpower. Das andere Schiff, das laut seiner Aussage angegriffen worden sein soll, ist die Waltzing Matilda

»Ist sie auch auf dem Weg nach Ceres?«

»Nein«, ließ Tomasselli sich wieder vernehmen. »Das Schiff musste aufgegeben werden. Die drei kommen mit der Starpower. Fuchs und die beiden Männer von der Waltzing Matilda

Wilcox schaute den Italiener säuerlich an. »Und Fuchs bezichtigt Humphries Space Systems der Piraterie?«

»Ja«, sagten beide Männer simultan.

Wilcox trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch und sah aus dem Fenster auf den Fluss, der St. Petersburg durchzog. Er wünschte sich, er wäre in Genf oder London oder sonst wo — nur nicht hier in diesem Büro mit diesen beiden Nasen und dem lächerlichen Vorwurf der Piraterie. Piraterie! Im einundzwanzigsten Jahrhundert! Das war doch absurd, völlig unmöglich. Diese Felsenratten tragen im fernen Asteroidengürtel ihre Privatfehden aus und wollen nun auch noch die IAA da hineinziehen.

»Wir werden wohl eine Untersuchung durchführen müssen«, sagte er missmutig.

»Fuchs hat formell Anzeige erstattet«, sagte Tomasselli. »Er hat eine Anhörung beantragt.«

Als deren Vorsitzender ich fungieren muss, sagte Wilcox sich. Ich werde im besten Fall eine Lachnummer abgeben.

»Er müsste in wenigen Stunden auf Ceres landen«, sagte Zar.

Wilcox schaute auf das verdrießliche Gesicht des Manns und richtete den Blick dann auf Tomasselli, der kaum noch an sich zu halten vermochte.

»Sie müssen nach Ceres fliegen«, sagte er und wies mit einem langen, manikürten Finger auf den Italiener.

»Ich werde die Anhörung dort durchführen?«, fragte Tomasselli mit leuchtenden Augen.

»Nein«, blaffte Wilcox. »Sie werden diesen Fuchs und die beiden anderen befragen und die drei dann in IAA-Gewahrsam hierher bringen. Nehmen Sie ein paar Soldaten von der Friedenstruppe mit.«

»Blauhelme?«, fragte Zar.

Wilcox schaute ihn mit einem verschmitzten Lächeln an. »Ich will damit zeigen, dass die IAA die Sache durchaus ernst nimmt. Wenn diese Leute schon glauben, dass sie von Piraten angegriffen worden seien, dann sollten wir auch Präsenz demonstrieren und ihnen Schutz angedeihen lassen, nicht wahr?«

»Oh ja, natürlich!«

»Einer der Männer ist verwundet«, sagte Tomasselli, »und alle leben schon so lang in der Mikrogravitation, dass sie gar nicht sofort zur Erde zurückkehren könnten. Sie müssten erst ein paar Wochen Rekonditionierungstraining absolvieren.«

Wilcox kam ein leises Zischen über die Lippen — das bisher erste Anzeichen von Unbehagen. Und er wusste, dass er auf dem schmalen Grat zwischen Beherrschung und einem Tobsuchtsanfall wandelte.

»Also gut«, sagte er eisig. »Bringen Sie sie nach Selene.«

»Ich werde die Anhörung dort durchführen?«, fragte Tomasselli begierig.

»Nein«, erwiderte Wilcox. »Ich werde die Anhörung dort durchführen.«

Zar war perplex. »Sie wollen nach Selene?«

»Ich bin im Dienste der Internationalen Astronautenbehörde nicht so hoch aufgestiegen«, entgegnete Wilcox würdevoll, »weil ich den schwierigen Aufgaben aus dem Weg gegangen bin.«

Das war zwar eine ausgemachte Lüge, doch Wilcox hielt sie selbst fast für wahr, und für Zar war das Wort seines Vorgesetzten ohnehin das Evangelium.

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