»Das wird nicht funktionieren, Lars«, sagte Boyd Nielson.
»Lass das nur meine Sorge sein«, murmelte Fuchs.
»Aber ein paar von den Leuten da unten sind doch nur Bauarbeiter«, sagte Nielson flehentlich. »Ein paar von ihnen sind sogar unsere Freunde, um Gottes willen!«
Fuchs wandte sich ab. »Da kann man nichts machen«, knurrte er. »Sie sollten eben nicht für Humphries arbeiten.«
Nielson war ein Mitarbeiter von Humphries Space Systems?? der Kommandant des Erzfrachters William C. Durant, aber er war in den frühen Tagen von Ceres ein Freund von Fuchs gewesen, bevor der ganze Ärger begonnen hatte.
Fuchs hatte die Durant geortet, als das Schiff Asteroiden abklapperte und Erzladungen aufnahm, die für das Erde-/Mondsystem bestimmt waren. Mit ein paar Besatzungsmitgliedern hatte Fuchs Nielsons Schiff geentert und übernommen.
Angesichts des halben Dutzend grimmig dreinschauender, bewaffneter Männer und Frauen hatten Nielson und seine Besatzung auf jede Gegenwehr verzichtet. Nachdem er die Positionsboje und die gesamte Kommunikationsanlage stillgelegt hatte, änderte Fuchs den Kurs der Durant auf den großen Asteroiden Vesta.
»Vesta?«, hatte Nielson verwirrt gefragt. »Wieso gerade dorthin?«
»Weil dein Arbeitgeber, der hohe und herrschaftliche Mr. Martin Humphries, dort einen Militärstützpunkt errichtet«, sagte Fuchs ihm.
Fuchs hatte das Gerücht einer bruchstückhaften Nachricht entnommen, die er von Amanda auf Ceres empfangen hatte. HSS-Leute errichteten einen Stützpunkt auf Vesta. Noch mehr Kriegsschiffe und Söldner würden den Asteroiden als Basis benutzen, von der aus sie Lars Fuchs jagen und zur Strecke bringen wollten.
Und Fuchs beschloss, ihnen zuvorzukommen. Er wies den kooperativen Nielson an, Kontakt mit Vesta aufzunehmen und zu melden, dass die Durant in einem Gefecht mit Fuchs’ Schiff beschädigt worden sei und den Asteroiden zwecks Reparatur anfliegen müsse.
Als die beiden Männer an der Steuerkonsole auf der Brücke der Durant standen und Nielson schließlich begriff, was Fuchs vorhatte, bekam er es doch mit der Angst zu tun. Er war ein schlanker, drahtiger Rotschopf mit einem spitzen Kinn und Zähnen, die eine Nummer zu groß für den Kiefer schienen. Die übrigen Besatzungsmitglieder waren in ihren Kabinen eingesperrt.
Nodon und die anderen Asiaten hatten die Steuerung des Schiffs übernommen. Nielson war zwar ein ruhiger Typ, wie Fuchs wusste, doch als sie sich Vesta näherten, brach ihm sichtlich der Schweiß aus.
»Lass Gnade walten, Lars«, sagte er.
»Gnade?«, blaffte Fuchs. »Hat man vielleicht gegenüber Niles Ripley Gnade walten lassen? Hat man gegenüber den Leuten in den Schiffen Gnade walten lassen, die zerstört wurden? Das ist ein Krieg, Boyd, und im Krieg wird kein Pardon gegeben.«
Der Asteroid wirkte riesig auf dem Hauptbildschirm der Brücke: eine massive dunkle Kugel, die mit unzähligen Kratern übersät war. Beim Überfliegen des größten Kraters sah Fuchs eine Ansammlung von Gebäuden und Baumaschinen. Brandspuren zeigten, wo Raumschiffe gelandet und wieder gestartet waren.
»Drei Schiffe in der Umlaufbahn«, stellte Fuchs fest, wobei seine Augen sich verengten.
»Auf der anderen Seite sind vielleicht noch mehr«, sagte Nielson.
»Sie werden bewaffnet sein.«
»Das ist anzunehmen.« Nielson schien sich ausgesprochen unwohl zu fühlen. »Wir könnten alle getötet werden.«
Fuchs nickte, als ob er eine endgültige Berechnung angestellt hätte und mit dem Ergebnis zufrieden sei.
»Halte den geplanten Kurs«, sagte Fuchs zu Nodon, der auf dem Pilotensitz saß.
»Du solltest sie nach ihren Orbitalparametern fragen«, wandte er sich an Nielson.
Nielson spürte ein Zucken in der linken Wange. »Lars, das muss doch nicht sein. Du kannst noch zu deinem Schiff zurückfliegen, ohne dass jemand zu Schaden kommt.«
Fuchs schaute ihn finster an. »Du begreifst es nicht, oder? Ich will, dass jemand zu Schaden kommt.«
Nguyan Ngai Giap stand im staubverkrusteten Raumanzug auf dem Rand des namenlosen Kraters und betrachtete mit Wohlgefallen die Bauarbeiten. Ein halbes Dutzend langer, bogenförmiger Habitatmodule befand sich dort. Frontlader schaufelten sie mit Erdreich zu, um sie vor der Strahlung und Mikrometeoriteneinschlägen zu schützen.
Sie würden rechtzeitig bezugsfertig sein, und er hatte bereits ans HSS-Hauptquartier in Selene gemeldet, dass die Truppen in Marsch gesetzt werden konnten. Die Reparatureinrichtungen waren auch schon fast fertig. Alles lief wie geplant.
»Sir, wir haben einen Notfall«, ertönte die Stimme einer Frau in den Helmohrhörern.
»Einen Notfall?«
»Ein Erzfrachter, die Durant, bittet um Erlaubnis, in eine Umlaufbahn gehen zu dürfen. Das Schiff muss repariert werden.«
»Durant? Ist das ein HSS-Schiff«, fragte Giap.
»Jawohl, Sir. Ein Erzfrachter. Sie sagen, er sei von Fuchs’ Schiff angegriffen worden.«
»Erteilen Sie die Erlaubnis, in die Umlaufbahn zu gehen. Verständigen Sie auch die anderen Schiffe dort oben.«
»Jawohl, Sir.«
Erst nachdem er die Aufmerksamkeit wieder auf die Bauarbeiten gerichtet hatte, fragte Giap sich, woher die Durant überhaupt von dieser Anlage wusste. HSS-Schiff hin oder her, dieser Stützpunkt auf Vesta sollte eigentlich geheim bleiben.
»Frachter im Anflug«, rief das wachhabende Crewmitglied auf der Brücke der Shanidar.
Dorik Harbin achtete kaum darauf. Nach dem vergeblichen Versuch, Fuchs mit dem falschen Erzfrachter zu überlisten, war er zur reparierten und aufgerüsteten Shanidar zurückgekehrt, die in einem Parkorbit um Vesta auf ihn wartete. Sobald das Betanken abgeschlossen war, konnte Harbin die Jagd nach Lars Fuchs wieder aufnehmen. Die Besatzung der Shanidar war enttäuscht, dass sie auf Vesta anstatt auf Ceres bleiben musste, wo sie die Wartezeit im Pub oder im Bordell des Asteroiden hätte überbrücken können. Sollen sie sich nur ärgern, sagte Harbin sich. Je eher wir Fuchs erwischen, desto früher können wir alle endlich aus dem Gürtel verschwinden.
Er dachte an Diane Verwoerd. Keine Frau hatte bisher an seine Emotionen gerührt, doch Diane war auch ganz anders als alle Frauen, die er bisher kennen gelernt hatte. Er hatte schon mit vielen Frauen Sex gehabt, doch Diane war viel mehr als nur eine Bettgefährtin. Sie war intelligent, schnell von Begriff und war genauso wie Harbin darauf bedacht, in dieser Welt vorwärts zu kommen. Sie wusste mehr über die Tücken und Hintergründe der Geschäftswelt, als Harbin je für möglich gehalten hätte. Sie wäre eine schöne Lebensgefährtin, eine Frau, die er gern an seiner Seite gehabt hätte, um ihr einen Teil der Last abzunehmen und noch ein wenig mehr. Und der Sex mit ihr war gut, geradezu phantastisch — besser als jede Droge.
Aber liebe ich sie, fragte Harbin sich. Er wusste nicht, was wahre Liebe war. Aber er wusste, dass er Diane wollte: Sie war sein Schlüssel zu einer besseren Welt, sie vermochte ihn aus diesem perspektivlosen Dasein als Söldner und Killer herauszureißen, das sein Leben war.
Er wusste aber auch, dass er sie erst dann bekommen würde, wenn er diesen verrückten Flüchtling Fuchs gefunden und getötet hatte.
»Das Schiff transportiert eine schwere Erzladung«, stellte das Besatzungsmitglied fest.
Harbin richtete die Aufmerksamkeit auf den herannahenden Erzfrachter, der auf dem Monitor auf der Brücke abgebildet wurde. Im Gefecht mit Fuchs beschädigt, hatte der Kapitän gesagt. Aber er sah keine Anzeichen einer Beschädigung. Vielleicht werden die Schäden durch die Ladung kaschiert, sagte er sich. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Hasenfuß beim ersten Anzeichen von Gefahr die Flucht ergriffen hat und hier Schutz sucht.
Harbins Bart war in den Monaten, in denen er Fuchs durch den Gürtel gejagt hatte, wieder nachgewachsen. Er kratzte ihn, als ihm ein neuer Gedanke kam. Woher wusste dieser Erzfrachter überhaupt, dass wir hier einen Stützpunkt bauen? Das unterlag doch der Geheimhaltung. Wenn schon jeder Schrottkahn Bescheid weiß, wird Fuchs früher oder später auch davon erfahren.
Aber was soll’s, sagte Harbin sich. Selbst wenn er es weiß, was sollte er schon tun? Ein Mann in einem Schiff gegen eine immer größere Armee. Früher oder später werden wir ihn finden und vernichten. Es ist nur eine Frage der Zeit. Und dann kann ich endlich zu Diane zurückkehren.
Beim Blick auf den Bildschirm fiel ihm schließlich auf, dass der anfliegende Frachter überhaupt nicht abzubremsen schien, um in eine Umlaufbahn zu gehen. Stattdessen beschleunigte er noch und raste auf den Asteroiden zu.
»Er geht auf Kollisionskurs!«, rief Harbin.
Ein rotierendes Raumschiff mit zentimetergenauer Präzision zu steuern, überstieg die Fähigkeiten von Fuchs’ Leuten. Auch die von Nielsons Besatzung. Für den Bordcomputer war es aber ein Kinderspiel: Simple Newton’sche Mechanik auf der Grundlage des ersten Axioms.
Fuchs spürte die leichte Beschleunigung des Schiffs, als die Durant dem programmierten Kurs folgte. Er stand breitbeinig auf der Brücke und sah die zerklüftete und vernarbte Oberfläche der Asteroiden schnell näher kommen. Er wusste, dass sie nur mit dem Bruchteil eines Ge beschleunigten, doch beim Blick auf den Bildschirm kam es ihm so vor, als ob der Asteroid ihnen förmlich entgegenspränge. Ob wir aufprallen werden, fragte er sich. Und wenn schon, sagte er sich. Wenn wir dabei draufgehen, ist wenigstens Ruhe.
Doch als die Durant lautlos in Richtung des Asteroiden beschleunigte, feuerten kurz die Steuertriebwerke, und die Bügel, die fast anderthalb Millionen Tonnen Asteroidenerz festhielten, ließen ihre Last los. Ein leichter Ruck ging durchs Schiff, und es flog über die Krümmung des massiven Asteroiden hinweg und beschleunigte auf Fluchtgeschwindigkeit. Das abgestoßene Erz verteilte sich wie ein gemächlicher Erdrutsch im Vakuum des Raums und rieselte auf den Krater herab, wo die HSS-Basis errichtet wurde.
Im Vakuum behält ein bewegter Körper die ursprüngliche Bewegungsrichtung bei, sofern er nicht von einer äußeren Kraft abgelenkt wird. In Vestas geringer Schwerkraft wogen die Gesteinsbrocken so gut wie nichts. Doch ihre Masse betrug noch immer fast anderthalb Millionen Tonnen. Und die fiel nun träge und gemächlich der Asteroidenoberfläche entgegen —ein Todesfluss, der in der sich zeitlupenartigen Geschwindigkeit eines Albtraums dahinwälzte.
»Eine Nachricht von der Shanidar, Sir«. Die weibliche Stimme in Giaps Ohrhörern klang angespannt und etwas ängstlich.
Sie verband ihn mit Harbin, ohne auf seine entsprechende Aufforderung zu warten. »Das Schiff ist auf Kollisionskurs mit … Nein, warten Sie. Es hat seine Fracht abgeladen!«
Es war schwierig, im Helm eines Raumanzugs den Blick nach oben zu richten, doch als Giap den Kopf in den Nacken legte und ihn etwas zur Seite drehte, war alles, was er sah, ein Himmel voller riesiger schwarzer Brocken, die die Sterne ausblendeten.
Er hörte Harbins angespannte, gepresste Stimme: »Bring uns aus dem Orbit!«
Dann lief eine so schwere Erschütterung durch den Boden, dass er den Bodenkontakt verlor und in eine schwarze Staubwolke eingehüllt durch die Luft wirbelte.
An Bord der Shanidar verfolgte Harbin entsetzt, wie die Erzbrocken gemächlich in den Baustellenkrater fielen. Der Erzfrachter wurde durch sie verdeckt und verschwand hinter der Krümmung des Asteroiden. Die Männer und Frauen unten im Krater waren dem Untergang geweiht, unwiderruflich zum Tod verurteilt.
»Bring uns aus dem Orbit!«, schrie er der Frau auf dem Pilotensitz zu.
»Die Betankung ist aber noch nicht abgeschlossen!«
»Vergiss die Betankung!«, schrie er und hieb auf die Interkomtaste auf der Konsole vor sich. »Alle Mann auf Gefechtsstation! Die Laser scharf machen! Bewegt euch!«, befahl er der Besatzung.
Aber wusste, dass es zu spät war.
Ohne auf ein Hindernis zu stoßen, glitt der Strom der Felsbrocken lautlos durch den leeren Raum, bis er auf der Oberfläche von Vesta aufkam. Der erste Brocken verfehlte die Gebäude und krachte in den Kraterrand, wobei er eine Schuttwolke aufwirbelte, die sich gemächlich über der öden Landschaft ausbreitete. Der nächste Brocken zerstörte ein paar der Metallbauten, die halb im Kraterboden versenkt worden waren. Dann schlugen immer mehr Felsbrocken ein und wirbelten so viel Staub und Schmutz auf, dass Harbin den Krater nicht mehr zu sehen vermochte. Die Staubwolke stieg auf und breitete sich dabei aus — ein Fanal der Zerstörung und des Todes, das langsam den ganzen Asteroiden einhüllte und sogar nach seinem Schiff ausgriff.
Im Unterbewusstsein rechnete Harbin schon damit, dass die Wolke einen Pilz ausformte wie bei einer Atombombenexplosion auf der Erde. Stattdessen wurde die Wolke nur größer und dunkler; sie blähte sich auf, als ob sie aus dem Kern des Asteroiden gespeist würde. Harbin wusste, dass sie tage-, vielleicht wochenlang wie ein dunkles Leichentuch über dem Asteroiden hängen würde.
Als die Shanidar die Umlaufbahn verlassen hatte, war der Erzfrachter längst verschwunden. Die Staubwolke störte Harbins Versuche, das fliehende Schiff mit dem Fernbereichsradar zu erfassen.