Kapitel 57

Es war zum Verrücktwerden. Den ganzen langen Tag stapfte Lars Fuchs wie ein Tiger im Käfig in seinem Apartment umher — er stapfte zur Tür, machte kehrt und marschierte wieder zur entgegengesetzten Wand, wo der schwarze, stumme Wandbildschirm hing. Wie in einer Endlosschleife: die Tür, dann am Bett vorbei, wo er und Amanda geschlafen und sich geliebt hatten …

Er hätte am liebsten geschrien. Er hätte am liebsten gegen die Wände gehämmert, die Tür eingeschlagen und wäre durch die staubigen Tunnels gerannt, bis jemand ihn auf der Flucht erschoss und allem ein Ende machte.

Er erinnerte sich an den Begriff, den die Amerikaner einmal geprägt hatten: unnötig grausame Bestrafung. Unter Hausarrest gestellt zu sein, in dem Raum eingesperrt zu sein, der für so viele Jahre sein Zuhause gewesen war, zu wissen, dass seine Frau Millionen Kilometer entfernt war und sich anschickte, den Mann zu heiraten, der sein Leben ruiniert hatte — da wäre es doch besser, tot und von dieser endlosen Qual erlöst zu sein.

Sein Blick fiel auf sein Spiegelbild im Spiegel über der Ankleidekommode, und er hätte sich fast nicht wieder erkannt: Die Kleidung war zerknittert und verschwitzt, das Haar zerzaust, Tränensäcke unter den Augen und unrasiert. Er unterbrach seine Wanderung und starrte auf das Bild im Spiegel: ein Mann, der in Selbstmitleid versank und sich in der Niederlage förmlich suhlte.

Nein, sagte er sich. So will ich nicht enden. Man hat mir zwar alles genommen, aber die Selbstachtung wird man mir nicht nehmen. Er sei denn, ich nehme sie mir selbst.

Er riss sich die verschwitzten Kleider vom Leib und ging unter die Dusche. Als die Brause automatisch aufgedreht wurde, machte er sich zwar Gedanken wegen der Wasserrationierung, doch dann sagte er sich, zum Teufel damit! Auch ein zum Tode Verurteilter hat das Recht auf Körperhygiene! Als der Wasserdampf ihn einhüllte, erinnerte er sich an die Zeiten, als er und Amanda sich zusammen in die enge Kabine gequetscht hatten. Er kämpfte mit den Tränen.

Nachdem er sich rasiert und frische Kleidung angezogen hatte, wies er das Telefon an, eine Verbindung mit George Ambrose herzustellen. Nicht einmal eine Viertelstunde später klopfte Big George an die Tür und schob sie auf.

»Hallo, Lars«, sagte der Australier. Er wirkte leicht beschämt. »Du wolltest mich sprechen?«

Fuchs sah, dass ein bewaffneter Posten draußen im Tunnel stand; selbst unter der Atemmaske identifizierte er die Wache als Oscar Jiminez.

»Herein, wenn’s kein Schneider ist«, sagte Fuchs und versuchte tapfer zu klingen. »Ich freue mich über jede Abwechslung in dieser Monotonie.«

George schob die Tür wieder zu und blieb unbehaglich davor stehen. »Ich hab gar nicht bedacht, wie lang dir die Zeit hier drin werden muss, wenn du nicht raus kannst.«

»Der einzige Kontakt mit der Außenwelt war bisher eine Mitteilung von Humphries’ Anwälten, wonach Amanda die Scheidung beantragt.«

»Ach du Scheiße, Lars«, sagte George erschüttert, »das tut mir aber Leid.«

»Ich werde den Antrag nicht anfechten«, fuhr Fuchs fort und genoss fast den offensichtlichen Ausdruck von Schuld in Georges bärtigem Gesicht. »Welche Rolle spielt das überhaupt noch? Ich werde doch eh bald exekutiert, nicht wahr?«

Georges Gesichtsausdruck wurde noch düsterer. »Nun, wir bereiten eine Verhandlung vor. Du wirst einen Verteidiger brauchen.«

»Ich will keine Verhandlung«, sagte Fuchs zu seiner eigenen Verwunderung.

»Ich auch nicht, Kumpel, aber wir müssen sie ansetzen.«

»Du verstehst nicht, George. Ich verzichte auf mein Recht auf eine Verhandlung … wenn meine Besatzung dafür entlastet und freigelassen wird. Ich übernehme für alles die volle Verantwortung.«

»Deine Besatzung gehen lassen?« George kratzte sich nachdenklich den Bart.

»Ich habe die Befehle gegeben. Sie wussten nicht, dass durch meinen Befehl Menschen auf Vesta umkommen würden.«

»Du übernimmst die volle Verantwortung?«

»Absolut.«

»Und du gestehst die — vorsätzliche — Ermordung des Bautrupps auf Vesta?«

»Ich würde es in einer vergleichbaren Situation wieder tun.«

George stieß die Luft in einem Schwall aus. »Ich glaube, eine Verhandlung können wir uns sparen.«

»Du lässt meine Besatzung frei?«

»Ich muss das zwar erst noch im Rat durchbringen, aber ich sehe keinen Grund, sie noch länger festzuhalten, wenn du bereit bist, die ganze Schuld auf dich zu nehmen.«

»Ich nehme sie auf mich«, sagte Fuchs.

»Also gut«, sagte George. »Dann stellt sich wohl nur noch die Frage, ob du eine Augenbinde möchtest oder nicht.«


* * *

Martin Humphries wartete nicht erst, bis Dorik Harbin in Selene eintraf. Stattdessen ließ er sich von einem HSS-Schiff zu einem Treffpunkt mit dem Schiff fliegen, auf dem Harbin sich befand. Beim Gedanken an die horrenden Kosten verzog er zwar das Gesicht, aber er wollte diesen Söldner, diesen Auftragskiller sprechen, ohne dass Verwoerd dabei war.

Obwohl Humphries Harbins Personaldatei minuziös studiert hatte, war er dennoch überrascht, als er dem Mann dann gegenüberstand. Er hat etwas von einer Dschungelkatze, sagte Humphries sich, als er Harbins Abteil betrat. Selbst in der winzigen Schiffskabine erinnerte Harbin ihn an einen Panther, ein rastloses Energiebündel in schlanker, muskulöser Gestalt.

Man vermochte ihn als eine derbe, fast brutale Schönheit zu bezeichnen. Harbin hatte sich für die Begegnung mit Humphries den Bart abrasiert und ein langärmliges Hemd und eine khakifarbene Hose angezogen. Die Kleidungsstücke hatten so scharfe Bügelfalten, dass sie auch als Uniform hätte durchgehen können. Humphries hatte in seinem saloppen Rundhalspullover und der Whip-Cordhose das Gefühl, als Zivilist einem Soldaten gegenüberzustehen.

Sie schüttelten sich die Hand und murmelten Begrüßungsfloskeln. Harbin bot Humphries die einzige Sitzgelegenheit in der Kabine an, einen Plastikstuhl. Er selbst setzte sich auf die Bettkante; er wirkte so steif, als ob er sich in Hab-Acht-Stellung befände. Sogar wenn er sich hinsetzte, sagte Humphries sich, schien er seine Beute anspringen zu wollen.

»Ich habe Ihnen ein Geschenk mitgebracht«, sagte Humphries leutselig und wies auf den Wandbildschirm des Abteils. »Zugang zu allen, äh … Medikamenten, die Sie benötigen.«

»Sie meinen Drogen«, sagte Harbin.

»Ja. Designerdrogen, Stimulanzien — alles, was das Herz begehrt. Meine Pharmazeuten in Selene werden sie für Sie herstellen.«

»Danke.«

»Nichts zu danken«, sagte Humphries.

Dann trat Schweigen ein. Harbin saß nur da und taxierte Humphries mit seinen stechenden eisblauen Augen. Ich muss sehr vorsichtig sein mit diesem Mann, wurde Humphries sich bewusst. Er ist wie eine Flasche mit Nitroglyzerin: Eine falsche Bewegung, und er explodiert.

Schließlich räusperte Humphries sich und sagte: »Ich wollte mich persönlich mit Ihnen treffen und Ihnen zu Ihrer erfolgreichen Arbeit gratulieren.«

Harbin sagte nichts.

»Sie haben sich einen ordentlichen Bonus verdient.«

»Danke.«

»Dass Sie Kopien Ihrer Logbücher an Freunde auf der Erde geschickt haben«, fuhr Humphries fort, »war sehr clever. Es ist ein Beweis für Ihre beachtliche Intelligenz.«

Harbins Gesichtsausdruck änderte sich geringfügig. Ein Anflug von Neugier flackerte in seinen Augen.

»Sehr clever«, fuhr Humphries fort. »Aber im Grunde auch unnötig. Sie haben nämlich nichts von mir zu befürchten. Ich bin Ihnen dankbar, und ich schade niemandem, der gute Arbeit leistet. Fragen Sie Grigor. Sie können überhaupt jeden fragen.«

Harbin schien sich das für einen Moment durch den Kopf gehen zu lassen. »Ich wollte mich nur absichern«, sagte er dann.

»Ich verstehe. In gewisser Weise stimme ich Ihnen sogar zu. An Ihrer Stelle hätte ich wahrscheinlich das Gleiche getan — auf die eine oder andere Art.«

»Sie erwähnten einen Bonus.«

»Eine Million Internationale Dollar, zahlbar an die Bank Ihrer Wahl.«

Harbin rührte sich keinen Millimeter, doch er schien sich zu versteifen wie ein Tier, das plötzlich Gefahr wittert.

»Ich hätte mehr erwartet«, sagte er.

»Wirklich? Ich finde, dass eine Million sehr großzügig ist.«

»Diane sagte, da sei noch mehr drin.«

Bingo, jubelte Humphries stumm. Er hat ihren Namen erwähnt.

»Diane? Etwa Diane Verwoerd?«

»Ja, Ihre persönliche Assistentin.«

»Sie ist nicht berechtigt, Ihnen ein Angebot zu machen, das ich nicht genehmigt habe«, sagte Humphries streng.

»Aber sie hat mir doch gesagt …« Harbin verstummte verwirrt.

Humphries setzte ein verständnisvolles Lächeln auf. »Diane überschreitet manchmal ihre Kompetenzen. Das ist eben das Problem mit den Frauen«, fuhr er mit einem Augenzwinkern fort. »Wenn sie das Bett mit einem teilen, betrachten sie einen gleich als ihr Eigentum.«

»Sie teilt das Bett mit Ihnen?«

»Wussten Sie das denn nicht? Sie hat es Ihnen nicht gesagt? Um Gottes willen, die Frau trägt doch mein Kind aus.«

Harbin stand langsam auf. »Sie trägt … Ihr Kind?«

Humphries blieb sitzen und bemühte sich, keine Angst zu zeigen. »Wir wissen es auch erst seit ein paar Tagen«, sagte er treuherzig. »Sie ist schwanger. Wir haben die frohe Kunde schon an all unsere Freunde übermittelt. Es wundert mich nur, dass sie Ihnen nichts gesagt hat.«

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