Die Starpower drehte sich träge am dunklen Sternenhimmel über Ceres. Seltsam, sagte Fuchs sich, als er an Bord des Zubringers ging, dass der Himmel trotz der vielen Sterne immer noch so schwarz war. Das sind andere Sonnen, sagte er sich — Milliarden Sonnen, die ihr Licht seit Äonen ins All schleuderten. Und doch wirkte hier, auf der geröllübersäten Oberfläche von Ceres, die Welt dunkel und voller bedrohlicher Schatten.
Fuchs schüttelte den Kopf im Kugelhelm, erklomm die Leiter und duckte sich durch die Luke des Zubringers. Es hat keinen Sinn, den Anzug abzulegen, bevor ich in der Starpower bin, sagte er sich. Es würde nur zehn Minuten dauern, bis der Zubringer ihn von der Oberfläche des Asteroiden zu seinem wartenden Schiff gebracht hätte.
Das Habitatmodul des Zubringers war eine Kuppel aus Glasstahl. Es waren schon zwei andere Prospektoren an Bord, die darauf warteten, zu ihren Raumschiffen gebracht zu werden. Fuchs grüßte sie flüchtig über den Anzugsfunk.
»He, Lars, was gedenkst du wegen des Habitats zu tun?«, fragte einer von ihnen.
»Ja«, fiel der andere ein. »Wir haben gutes Geld in den Bau investiert. Wann wird es fertig, damit wir einziehen können?«
Fuchs sah ihre Gesichter durch die Helme. Sie schauten nicht anklagend, nicht einmal ungeduldig. Wenn überhaupt, dann wirkten sie neugierig.
Er rang sich ein Lächeln für sie ab. »Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, einen neuen Projektingenieur einzustellen, der Ripley ersetzt.«
»Ach so. Tut mir Leid um den Ripper.«
»Du hast eine gute Tat vollbracht, Lars. Dieser Bastard hat den Ripper kaltblütig ermordet.«
Fuchs quittierte ihr Lob stumm mit einem Kopfnicken. Die Stimme des IAA-Controllers ertönte und meldete, dass der Zubringer in zehn Sekunden abheben würde. Der Computer spulte den Countdown herunter.
Die drei mit Raumanzügen bekleideten Männer standen im Habitatmodul; es gab hier keine Sitzgelegenheiten und überhaupt keine Ausstattung außer einem T-förmigen Pult, das die Steuerung des Schiffs übernahm — die für diesen kurzen Flug aber nicht gebraucht wurde — und Fußschlaufen am Boden, um die Passagiere in der Mikrogravitation am Boden zu halten.
Beim Abheben war kaum mehr als ein sanfter Ruck zu spüren, doch dann löste das Schiff sich so schnell von Ceres’ vernarbter, geröllübersäter Oberfläche, dass Fuchs sich der Magen umdrehte. Ehe er die aufsteigende Galle hinunterzuschlucken vermochte, waren sie auch schon in der Schwerelosigkeit. Fuchs hatte sich in der Schwerelosigkeit noch nie wohl gefühlt; doch er fügte sich darein, während der IAA-Controller den Zubringer per Fernsteuerung zum Schiff der anderen zwei Männer manövrierte, das im Orbit geparkt war. Dann musste es den Asteroiden fast umkreisen, um zur Starpower zu gelangen.
Fuchs spielte mit dem Gedanken, einen Ersatz für Ripley einzustellen. Die Finanzierung fürs Habitat war halbwegs gesichert. Er hatte Amanda mit dieser Aufgabe betraut. Sie wird es tun müssen, sagte Fuchs sich. Sie wird sich auf ihr Urteilsvermögen verlassen müssen; ich habe genügend andere Dinge zu tun.
Andere Dinge. Er zuckte innerlich zusammen, als er sich an die Worte erinnerte, die er Humphries im Zorn entgegengeschleudert hatte: Ich habe Militärgeschichte studiert … ich verstehe es zu kämpfen. Wie pathetisch! Was wirst du nun tun; losfliegen und Humphries’ Schiffe abschießen? Seine Mitarbeiter töten? Was wirst du damit erreichen, außer dass du verhaftet oder vielleicht sogar getötet wirst? Du denkst zu viel, Lars Fuchs. Du gerätst zwar schnell in Rage, doch dann macht das Gewissen dir wieder einen Strich durch die Rechnung.
Er hatte sich mit dem Gedanken getragen, HSS-Schiffe zu zerstören. Ich sollte es Humphries mit gleicher Münze heimzahlen. Aber er wusste, dass er dazu nicht imstande war.
Nach all den großen Worten und dem heißen Zorn fiel ihm schließlich nichts anderes ein, als einen Asteroiden zu suchen, einen Anspruch darauf anzumelden und zu warten, bis Humphries’ gedungene Mörder ihn aufspürten. Dann hätte er den erforderlichen Beweis, um die IAA zu veranlassen, offizielle Maßnahmen gegen Humphries zu ergreifen.
Falls er das überhaupt überlebte.
Als das Zubringer die Starpower erreicht und an der Hauptluftschleuse angelegt hatte, betrat Fuchs sein Schiff und entledigte sich des Raumanzugs. Er war dankbar für das Gefühl der Schwere, die der Spin des Schiffs ihm vermittelte. Der kühne Rächer, sagte er sich selbstironisch. Will sich selbst als Köder anbieten, um Humphries zur Strecke zu bringen. Ein Lamm, das einem Tiger eine Falle zu stellen versucht.
Als er übellaunig die Brücke betrat, stach ihm schon der gelbe Schriftzug SIE HABEN EINE NACHRICHT ERHALTEN auf dem Kommunikationsbildschirm in die Augen.
Er wusste, dass die Botschaft von Amanda kam.
Und wirklich füllte ihr schönes Gesicht den Bildschirm aus, als er die Nachricht aufrief.
Doch sie schaute besorgt und betrübt.
»Lars, es ist wegen George Ambrose. Sein Schiff wird vermisst. Vor ein paar Tagen ist plötzlich der Funkkontakt abgebrochen. Die IAA bekommt nicht einmal mehr seine Telemetrie. Sie befürchten, dass er tot ist.«
»George?« Fuchs starrte das Bild seiner Frau an. »Sie haben George getötet?«
»Es sieht so aus«, sagte Amanda.
Amanda schaute aufs Gesicht ihres Manns, das auf dem Wandbildschirm in ihrer Unterkunft abgebildet wurde. Er sah aus wie der leibhaftige Tod.
»Sie haben George getötet«, wiederholte er.
Sie wollte schon sagen, nein, es muss ein Unfall gewesen sein. Doch die Worte kamen ihr nicht über die Lippen.
»Er hat George töten lassen«, murmelte Fuchs. »Er hat ihn ermorden lassen.«
»Es gibt nichts, was wir tun könnten«, hörte Amanda sich sagen. Es klang eher wie ein Flehen als eine Feststellung, selbst für ihre Ohren.
»Wirklich nicht?«, knurrte er.
»Lars, bitte … begib dich nicht in Gefahr«, bat sie. ihn.
Er schüttelte langsam den Kopf. »Durch das Leben an sich begibt man sich schon in Gefahr«, sagte er.
Dorik Harbin saß allein auf der Brücke der Shanidar und betrachtete den Navigationsbildschirm. Der blinkende orangefarbene Cursor, der die Position seines Schiffs markierte, stand exakt auf der dünnen blauen Kurve, die seine programmierte Annäherung an das Versorgungsschiff darstellte.
Harbin hatte für mehr als zwei Monate im Gürtel gekreuzt — mutterseelenallein außer den Drogen und den Virtuelle-Realität-Chips, die seine einzige Abwechslung darstellten. Eine tolle Kombination, sagte er sich. Die Drogen verstärkten die elektronische Illusion und ermöglichten es ihm; einzuschlafen, ohne von den Gesichtern der Sterbenden zu träumen und ihre Schreie zu hören.
Das Schiff war lautlos unterwegs; weder Ortungsbojen noch Telemetriesignale verrieten seine Präsenz im Weltraum. Seine Order hatte gelautet, bestimmte Prospektoren und Bergleute zu suchen und zu eliminieren. Dies hatte er mit großer Effizienz erledigt. Nun waren die Vorräte fast aufgebraucht, und er nahm Kurs auf ein Versorgungsschiff von Humphries. Er wusste, dass er neue Befehle erhalten würde, während die Shanidar Proviant und Treibstoff bunkerte.
Ich werde auch die Wassertanks spülen und auffüllen lassen, sagte Harbin sich, während er sich dem Schiff näherte. Nach ein paar Monaten schmeckt wiederaufbereitetes Wasser eklig nach Urin.
Er legte am Versorgungsschiff an und blieb nur solange, bis sein Schiff versorgt war. Er verließ sein Schiff nicht außer einer Stippvisite in der Privatkabine des weiblichen Kapitäns des Versorgungsschiffs. Sie überreichte ihm einen versiegelten Briefumschlag, den Harbin in die Brusttasche der Springerkombi steckte.
»Müssen Sie wirklich schon wieder gehen?«, fragte der Captain. Sie war in den Dreißigern, schätzte Harbin — nicht gerade eine Schönheit, doch in ihrer katzenhaften, selbstsicheren Art attraktiv. »Wir haben alle Arten von … äh … Annehmlichkeiten an Bord.«
Harbin schüttelte den Kopf. »Nein danke.«
»Die neusten Designerdrogen.«
»Ich muss wieder zu meinem Schiff zurück«, sagte er kurz angebunden.
»Nicht einmal etwas zu essen? Unser Koch …«
Harbin drehte sich um und griff nach der Klinke der Kabinentür.
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte der Captain mit einem spöttischen Lächeln.
Harbin schaute sie scharf an. »Angst? Vor Ihnen?« Er stieß ein abschätziges Lachen aus. Dann verließ er ihre Kabine und kehrte unverzüglich auf sein Schiff zurück.
Erst nachdem er vom Versorgungsschiff abgelegt hatte und Kurs in die Tiefen des Gürtels nahm, entfernte er den Chip vom Umschlag und öffnete ihn. Wie erwartet enthielt er eine Liste von Schiffen, die er zerstören sollte. Die Kurse und Baupläne waren beigefügt. Eine neue Todesliste, sagte Harbin sich, während er die Bilder studierte, die über den Bildschirm liefen.
Abrupt brachen die Spezifikationsgrafiken ab, und Grigors schmales, melancholisches Gesicht erschien auf dem Monitor.
»Dies ist in letzter Minute noch hinzugekommen«, sagte Grigor, und sein trübsinniges Gesicht wich der Abbildung eines Raumschiffs. »Der Name des Schiffs ist Starpower. Den Kurs haben wir zwar noch nicht, aber die Daten werden per Bündellaser an Sie übermittelt, sobald wir sie haben.«
Harbins Augen verengten sich. Das bedeutet, dass ich die festgelegte Position erreichen muss, um den Laserstrahl zu empfangen. Ich muss mich dort herumtreiben, bis sie die Daten senden. Die Vorstellung zu warten gefiel ihm nicht.
»Das hat höchste Priorität«, legte Grigors Stimme sich über die Abbildung der Konstruktionsdetails der Starpower. »Das muss erledigt werden, bevor Sie sich mit den anderen Schiffen befassen.«
Harbin wünschte, er könnte mit Grigor sprechen, Fragen stellen und weitere Informationen erhalten.
Grigors Gesicht erschien wieder auf dem Bildschirm. »Zerstören Sie nur noch dieses eine Schiff, und dann müssen Sie sich vielleicht gar nicht mehr mit den anderen beschäftigen. Vernichten Sie die Starpower, und Sie dürfen vielleicht für immer zur Erde zurückkehren.«