Kapitel 7

Amanda sagte sich wieder einmal, wie sehr das Führen eines Haushalts auf Ceres — eigentlich in Ceres — sich doch vom Leben in einem Raumschiff unterschied. Nicht dass ihre Unterkunft so viel geräumiger gewesen wäre: Der Raum, den sie und Lars sich teilten, war eine ›ausgebaute‹ Höhle im Asteroiden, deren Wände, Boden und Decke geglättet und rechtwinklig behauen worden waren. Insgesamt war die Kammer aber nicht viel größer als das kubische Abteil, das sie an Bord der Starpower bewohnt hatten. Und dann war da der Staub —dieser allgegenwärtige Staub. In der geringen Schwerkraft von Ceres wirbelte man bei jeder Bewegung, bei jedem Schritt, den man machte, den ewigen Staub auf. Dank der Lüfter wurde der Feinstaub auch in den Wohnquartieren verteilt. Wenn sie erst einmal ins Orbital-Habitat umgezogen, würde der Staub Gott sei Dank der Vergangenheit angehören.

Bis dahin war er jedoch ein ständiges Ärgernis. Es war unmöglich, alles sauber zu halten: Sogar das Geschirr, das in geschlossenen Schränken aufbewahrt wurde, musste mit Druckluft gereinigt werden, bevor man davon zu essen vermochte. Der Staub verursachte auch Niesreiz; die Hälfte der Zeit trugen Amanda und die meisten anderen Bewohner Staubmasken. Sie befürchtete, dass die Masken dauerhafte Abdrücke im Gesicht hinterlassen würden.

Immerhin bot das Leben in Ceres etwas, das es an Bord eines Schiffs nicht gab — jedenfalls nicht in diesem Maß: die Gesellschaft anderer Menschen. Leute, die einem einen Besuch abstatteten und bei denen man auch auf einen Sprung vorbeischaute. Spaziergänge durch die Gänge, wo man Nachbarn sah, Hallo sagte und auf ein Schwätzchen blieb. Die Korridore waren eng und gewunden; es handelte sich um natürliche Lavaröhren im Gestein, die so weit geglättet worden waren, dass Menschen in der niedrigen Gravitation in einer slap-stickartigen Gangart in ihnen entlangzuschlurfen vermochten. Wände und Decken bestanden aus unbehauenem, nacktem Fels, sodass man eher das Gefühl hatte, sich durch einen Tunnel als durch einen Gang zu bewegen. Und auch hier der Staub. Der allgegenwärtige Staub. In den Tunnels war es noch schlimmer, sodass jeder Spaziergänger eine Gesichtsmaske trug.

In letzter Zeit hatte die Haltung der Leute sich jedoch deutlich geändert. Es lag eine Aura der Erwartung in der Luft, fast wie die langsam sich aufbauende Spannung vor den großen Ferien, die sie als Kind auf der Erde verspürt hatte. Das Habitat wurde Woche um Woche sichtlich größer. Jedermann sah es auf dem Wandbildschirm durch den Himmel ziehen. Wir werden dort oben leben, sagten die Leute sich. Wir werden in ein neues, saubereres Zuhause umziehen.

Als Lars Amanda zum ersten Mal vom Orbital-Habitat erzählt hatte, hatte sie sich wegen der Strahlung Sorgen gemacht. Das Leben in einem großen Felsen hatte immerhin den Vorteil, dass er einen von der harten Strahlung der Sonne und des tiefen Raumes abschirmte. Lars hatte jedoch gesagt, dass das Habitat den gleichen magnetischen Strahlenschutz wie ein Raumschiff hätte, nur stärker und besser. Sie überprüfte die Zahlen selbst und überzeugte sich davon, dass es im Habitat genauso sicher wäre wie im Untergrund — solange die magnetische Abschirmung funktionierte.

Lars war mit Ripley oben auf der Habitatbaustelle. Er überprüfte die Arbeiten an einem widerspenstigen Wasserrecycler, der nicht programmgemäß funktionieren wollte. Sie fungierte derweil als Bürovorsteherin, leitete die Vorrats- und Ausrüstungsbestellungen der Prospektoren an die entsprechenden Lagerzonen weiter und sorgte dafür, dass das Material in die Schiffe verladen und zu den Leuten geschickt wurde, die es bestellt hatten.

Und dann war da noch das Rechnungswesen. Die Bergleute waren in der Regel kein Problem: Die meisten von ihnen standen auf der Gehaltsliste von Konzernen, sodass die geschuldeten Beträge automatisch von den Gehaltszahlungen einbehalten wurden. Die Unabhängigen bekamen freilich keine Gehaltsschecks, von denen man etwas einbehalten konnte. Sie waren noch immer auf der Suche nach einem Asteroiden, den sie auszubeuten vermochten, und hofften auf das große Glück. Aber sie brauchten genauso Luft zum Atmen und Essen wie jeder Bergmann, der eine Mine ausbeutete. Lars bestand darauf, dass Amanda ihnen Kredit gewährte und wartete auf den Moment, dass sie einen Treffer landeten.

Schon komisch, wie das System funktioniert, sagte Amanda sich. Die Prospektoren träumen davon, ein Vermögen zu machen. Und wenn sie einen Erfolg versprechenden Asteroiden finden, müssen sie einen Vertrag schließen, um sein Erz zu schürfen. Erst in diesem Moment wird ihnen bewusst, dass sie sich glücklich schätzen können, wenn sie überhaupt die Gewinnschwelle erreichen. Die Preise für Metalle und Mineralien gingen rauf und runter wie auf einer Achterbahn —überwiegend runter. Es gab immer wieder Streiks, und die Warenterminbörsen auf der Erde glichen Spielkasinos, in denen wild spekuliert wurde, obwohl der Globale Wirtschaftsrat mit aller Macht versuchte, die Lage unter Kontrolle zu halten.

Dennoch gab es gerade so viele richtig große Funde, dass die Dollarzeichen in den Augen der Prospektoren nicht verblassten. Sie suchten weiter verbissen nach dem einen Asteroiden, der ihnen ein Leben in Reichtum ermöglichte.

Amanda hatte aber gelernt, dass der wirkliche Weg zum Reichtum darin bestand, als Lieferant für die Prospektoren und Bergleute zu fungieren, die in stetig steigender Zahl zum Gürtel zu strömen schienen. Sie machten die eigentliche Arbeit. Aber die Leute hier auf Ceres waren diejenigen, die reich wurden. Lars hatte mit der Helvetia GmbH schon ein kleines Vermögen gemacht. Humphries’ Leute häuften auch immer größere Summen auf ihren Bankkonten an. Selbst die Zwillinge mit ihrem VR-Bordell waren bereits Multimillionäre.

Den großen Reibach machten aber die Konzerne. Astro und Humphries Space Systems sackten den größten Teil des Geldes ein; Amanda wusste, dass nur ein kleiner Prozentsatz davon bei Leuten wie Lars und ihr hängen blieb.

Amanda massierte sich den schmerzenden Rücken. Er war steif vom stundenlangen Starren auf den Bildschirm. Mit einem müden Seufzer beschloss sie, Feierabend zu machen. Lars würde auch bald kommen. Zeit, sich zu waschen, einen frischen Overall zum Abendessen anzuziehen und hinterher vielleicht noch in den Pub zu gehen. Bevor sie für heute Schluss machte, ging Amanda aber noch einmal die Liste der empfangenen Nachrichten durch, die ihrer Aufmerksamkeit bedurften. Routinekram. Nichts dabei, was sofort hätte beantwortet werden müssen.

Dann fiel ihr jedoch auf, dass eine Nachricht nicht von den Schiffen gekommen war, die den Gürtel durchpflügten, sondern von Selene. Vom Hauptquartier von Humphries Space Systems.

Am liebsten hätte sie die Mitteilung ignoriert. Oder gleich gelöscht. Dann sah sie jedoch, dass sie an Lars adressiert war und nicht an sie. Sie war aber nicht als persönlich markiert und trug auch nicht Martin Humphries’ Signatur. Also macht es nichts, wenn ich sie lese, sagte Amanda sich. Zumal es sich auch nicht um ein direktes Gespräch von Angesicht zu Angesicht handelte. Sie schaute durch den schmalen Raum in den Spiegel neben dem Bett. In diesem Aufzug werde ich sowieso niemanden beeindrucken, sagte sie sich. Wenn die Nachricht aber von Martin kommt, wurde sie schon vor Stunden aufgezeichnet und abgeschickt. Wer auch immer sie gesendet hat, wird mich nicht sehen.

Sie machte sich auch nicht die Mühe, die Staubmaske abzunehmen, als sie die Nachricht von HSS aufrief.

Der Wandbildschirm flackerte kurz und zeigte dann eine attraktive dunkelhaarige Frau mit ausgeprägten hohen Wangenknochen, die Amanda sich immer gewünscht hatte. Die ID-Zeile unter dem Bild besagte: DIANE VERWOERD, SONDER-ASSISTENTIN DES CEO VON HUMPHRIES SPACE SYSTEMS.

»Mr. Fuchs«, sagte Verwoerds Abbildung, »ich bin vom Management von Humphries Space Systems ermächtigt worden, in Verhandlungen über die Übernahme der Helvetia GmbH einzutreten. Die Übernahme würde Ihr Depot, Lager und alle Dienstleistungen umfassen, die Helvetia erbringt. Ich bin sicher, dass unser Vorschlag Ihnen zusagen wird. Bitte rufen Sie mich zurück, sobald es Ihnen möglich ist. Vielen Dank.«

Ihr Bild verschwand und wich dem HSS-Logo auf einem neutralen grauen Hintergrund. Amanda starrte auf den Bildschirm; sie sah noch immer das Bild der Frau und hörte ihre Worte. Uns übernehmen! Wir könnten zur Erde zurückkehren! Wir könnten uns ein schönes Leben machen, und Lars könnte sogar wieder auf die Universität gehen und seinen Doktor machen!

Vor lauter Aufregung entging ihr dabei die Nachricht vom Versorgungsschiff, das sich mit der Lady of the Lake treffen sollte.

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