Kapitel 50

Dann läuft es also darauf hinaus, sagte Dorik Harbin sich, als er die Nachricht auf dem Bildschirm las. Die enormen Anstrengungen und schwierigen Manöver, die vielen Schiffe, Mord und Totschlag — und wofür? Für einen lausigen Verrat.

Er saß in seiner Kabine und starrte auf den Monitor. Ein Typ, der mal bei Fuchs angestellt gewesen war, hatte ihn verraten. Für ein lächerliches Bestechungsgeld hatte er die Dateien im Computer von Fuchs’ Frau gehackt und herausgefunden, wo Fuchs’ Kommunikations-Transceiver aufgestellt waren. Diese kleinen elektrooptischen Kästen waren Fuchs’ Lebensader, sein Zugang zu Informationen, wo und wann er die Schiffe finden konnte, denen er auflauerte.

Harbin lächelte, doch es drückte keine Freude aus. Er öffnete einen Kommunikationskanal zu seinen Schiffen und beorderte sie zu den Asteroiden, wo Fuchs’ Transceiver standen. Früher oder später würde er bei einem dieser Asteroiden aufkreuzen, um die neuesten Informationen von seiner Frau abzurufen. Und dann würden ein paar von Harbins Schiffen auf ihn warten.

Harbin hoffte, dass Fuchs zu dem Asteroiden käme, wo er sich selbst auf die Lauer legen wollte.

Es wird am besten sein, diesen Kampf Mann zu Mann zu entscheiden, sagte er sich. Und wenn er endlich vorbei ist, werde ich reich genug sein, um mich in den Ruhestand zurückzuziehen. Mit Diane.


* * *

Diane Verwoerd verbrachte eine schlaflose Nacht und grämte sich wegen der Qual, die ihr bevorstand. Ich werde Martins Kind austragen, ohne wirklich von ihm schwanger zu sein. Es wird fast auf eine Jungfrauengeburt hinauslaufen.

Die Ironie der Situation vermochte ihre Ängste auch nicht zu lindern. Weil sie keinen Schlaf fand, setzte sie sich an den Computer und suchte nach allen Informationen, die sie über das Klonen fand: Schafe, Schweine, Affen — und Menschen. In den meisten Ländern auf der Erde war das Klonen von Menschen verboten. Die ultrakonservativen religiösen Organisationen wie die Neue Moralität und das Schwert des Islam inhaftierten und exekutierten sogar Wissenschaftler nur wegen der Forschung auf dem Feld des Klonens. Trotzdem gab es Labors, private Einrichtungen — die von den Superreichen geschützt wurden —, wo solche Experimente durchgeführt wurden. Die meisten Klon-Versuche misslangen jedoch. Und in den Fällen, wo sie ›gelangen‹, kamen Missgeburten dabei heraus. Manche Frauen hatten auch das Pech, im Kindbett zu sterben oder eine Totgeburt.

Meine Chancen, Martin einen gesunden Sohn zu liefern, stehen ungefähr eins zu hundert, sagte Verwoerd sich. Da ist sogar die Wahrscheinlichkeit größer, dass ich vorher sterbe.

Sie schauderte, aber sie wusste, dass sie es durchziehen würde. Um die Mutter von Martin Humphries’ Sohn zu werden, würde sie jedes Risiko eingehen. Das wird mir einen Sitz im Vorstand verschaffen. Und wer weiß, wie weit ich es mit Dorik als meinem Beschützer noch bringen werde.


* * *

Humphries wachte an diesem Morgen mit einem Lächeln auf. Es fügt sich alles prächtig, sagte er sich, als er aus dem Bett stieg und ins Bad schlurfte. Amanda ist ohne Fuchs hier. Wenn die Konferenz zu Ende ist, wird er von ihr und allen anderen Menschen abgeschnitten sein. Dann habe ich die Chance, ihr zu zeigen, was für ein Leben sie mit mir führen kann.

Im Spiegel überm Waschbecken sah er sein aufgedunsenes, verschlafenes und unrasiertes Spiegelbild. Aber ob sie mich überhaupt will, fragte er sich. Ich vermag ihr alles zu bieten, was eine Frau sich nur wünschen kann. Aber wird sie mich wieder zurückweisen? Wird sie bei Fuchs bleiben?

Nicht, wenn der Mann tot ist, sagte er sich. Dann hat sie keine Wahl. Wenn der Konkurrent aus dem Weg geräumt ist.

Mit zitternden Händen griff er nach der elektrischen Zahnbürste. Humphries runzelte die Stirn über seine Schwäche, öffnete den Medizinschrank und ließ den Blick über die Ampullen schweifen, die dort in alphabetischer Reihenfolge angeordnet waren. Ein Mittel gegen jedes Leiden, sagte er sich. Hauptsächlich waren es Designerdrogen, die von einem der brillanten Forscher zusammengemixt worden waren, die auf seiner Gehaltsliste standen. Ich brauche etwas zur Beruhigung, sagte Humphries sich. Etwas, womit ich diese Konferenz überstehe, ohne auszurasten. Amanda darf keine Angst vor mir bekommen.

Während er den Medizinschrank durchsuchte, blitzte das Bild von Diane Verwoerds bekümmertem, ängstlichem Gesicht in seinem Bewusstsein auf. Das überhebliche Grinsen ist ihr vergangen, sagte er sich und genoss die Erinnerung an ihre Überraschung und Furcht. Er wusste gar nicht mehr, wie viele Frauen schon Klone von ihm auszutragen versucht hatten. Ein paar waren gestorben, und eine hatte ein Monster zur Welt gebracht, das den ersten Tag nicht überlebt hatte. Diane ist stark, sagte er sich. Sie wird das für mich erledigen. Und wenn nicht … er zuckte die Achseln. Es gibt noch genug andere Frauen für den Job.

Er fand das blaue Fläschchen, nach dem er suchte.

Nur eins, sagte er sich; nur so viel, um die Konferenz zu meistern. Später werde ich etwas anderes brauchen, etwas zur Stimulation. Aber noch nicht. Nicht heute Morgen. Später, wenn Amanda hier bei mir ist.


* * *

Pancho hatte ihre Garderobe für die Konferenz sorgfältig ausgewählt: Sie trug eine orangefarbene Seidenbluse, eine Hose und eine schöne Patchwork-Jacke mit Strassbesatz. Dies ist eine wichtige Konferenz, und ich vertrete die Astro Corporation, sagte sie sich. Also muss ich auch entsprechend auftreten. Sie glaubte, dass sie die Erste sei, die auf der Konferenz erschien, doch als sie eintraf, stand Doug Stavenger schon am großen Fenster, das eine ganze Wand des Raums einnahm. Er war mit einer saloppen blauen Strickjacke bekleidet und machte einen entspannten Eindruck.

»Hallo«, rief er fröhlich. Er zeigte auf die mit Kaffeekannen und kleinen Gerichten beladende Anrichte und fragte: »Haben Sie schon gefrühstückt?«

»Ich könnte einen Kaffee vertragen«, sagte Pancho und ging zum Tisch.

Der Konferenzraum war Teil des Bürokomplexes, den Selene in einem der Zwillingstürme eingerichtet hatte, die die große Kuppel der Grand Plaza trugen. Pancho schaute aus dem Fenster auf die Plaza und sah den liebevoll gepflegten Rasen, die blühenden Sträucher und Laubbäume, die die Landschaft verzierten. Da waren das große Schwimmbad, das als Touristenattraktion galt, und das Freilichttheater mit der elegant geschwungenen Konzertmuschel aus Mondbeton. Sie sah, dass so früh am Morgen nur wenige Leute unterwegs waren. Im Schwimmbad war überhaupt niemand.

Stavenger lächelte sie an. »Pancho, sind Sie wirklich ernsthaft interessiert, Ihre Differenzen mit Humphries beizulegen, oder ist die Konferenz nur Zeitverschwendung?«

Pancho erwiderte das Grinsen, während sie eine Kaffeetasse nahm und sie mit dem dampfenden schwarzen Gebräu füllte. »Astro ist durchaus bereit, einer vernünftigen Aufteilung des Gürtels zuzustimmen. Wir haben nie einen Kampf gewollt; es war Humphries, der die Eskalation verursacht hat.«

Stavenger schürzte die Lippen. »Das hängt wohl davon ab, wie man das Wort ›vernünftig‹ definiert.«

»Schauen Sie«, sagte Pancho. »Es gibt genug Rohstoffe im Gürtel, um jeden zufrieden zu stellen. Es ist genug für uns alle da. Er ist Humphries, der alles will.«

»Reden Sie über mich, Pancho?«

Sie drehten sich um und sahen Humphries durch die Tür kommen. Er trug einen marineblauen Geschäftsanzug und machte einen entspannten und zuversichtlichen Eindruck.

»Nichts, was ich Ihnen nicht schon ins Gesicht gesagt hätte, Humpy, alter Kumpel«, erwiderte Pancho.

Humphries hob eine Augenbraue. »Ich würde es vorziehen, wenn Sie mich in Anwesenheit der anderen Delegierten mit Mr. Humphries anredeten.«

»So empfindlich?«

»Ja. Ihre Rücksichtnahme würde ich damit honorieren, indem ich mich solcher Begriffe wie ›Gassenmädchen‹ oder ›Schraubfix‹ zu enthalten versuche.«

Stavenger griff sich an den Kopf. »Das verspricht ja ein wunderschöner Morgen zu werden«, stöhnte er.


* * *

Aber die Konferenz verlief viel ruhiger, als Stavenger befürchtet hatte. Die anderen Delegierten erschienen, und Humphries richtete seine Aufmerksamkeit auf Amanda, die ihm zwar höflich zulächelte, doch kein Wort mit ihm wechselte. Er schien fast ein anderer Mensch zu sein, wenn Fuchs’ Frau in der Nähe war: höflich, rücksichtsvoll und sehr darauf bedacht, ihre Bewunderung zu erringen oder zumindest ihre Achtung.

Stavenger eröffnete die Konferenz, und alle nahmen am polierten rechteckigen Konferenztisch Platz. Pancho wahrte die Etikette eines Vorstandsmitglieds, und Humphries war freundlich und kooperativ. Jeder legte in einem Eingangsstatement dar, dass er sich nichts mehr als Frieden und Eintracht im Asteroidengürtel wünschte. Willi Dieterling führte kurz aus, wie wichtig die Ressourcen des Gürtels für die Menschen auf der Erde seien.

»Wo so viele Millionen Menschen heimatlos sind und Hunger leiden, wo ein Großteil der globalen industriellen Kapazitäten vernichtet ist, sind wir dringend auf die Ressourcen des Gürtels angewiesen«, sagte er. »Die Kämpfe beeinträchtigen die Versorgung mit Rohstoffen, die wir für die Überwindung der Klimakatastrophe benötigen. Die Zivilisation hat einen schweren Rückschlag erlitten.«

»Die Bevölkerung von Selene ist bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen«, sagte Stavenger. »Wir haben hier auf dem Mond auch industrielle Kapazitäten, und wir können Ihnen beim Bau von Fabriken und Kraftwerken im Erdorbit helfen.«

Es war George, der schließlich Klartext redete.

»Wir alle wollen Frieden und gute Beziehungen«, hob er an, »aber die schmerzliche Wahrheit ist doch, dass draußen im Gürtel Menschen sich gegenseitig umbringen.«

»Die Weltregierung ist gern bereit, Friedenstruppen zu entsenden, um Sie bei der Aufrechterhaltung der Ordnung im Gürtel zu unterstützen«, sagte Dieterling sofort.

»Nein danke!«, sagte George etwas unwirsch. »Wir sind selbst in der Lage, die Ordnung wieder herzustellen …« — er drehte sich um und schaute Humphries an —»wenn die Konzerne endlich aufhören, uns Killer auf den Hals zu hetzen.«

»Konzerne im Plural?«, fragte Pancho. »Astro hat nie Killer in den Gürtel geschickt.«

»Du hast uns aber eine Horde Gesindel geschickt, Pancho«, sagte George.

»Doch nur, um euer Eigentum zu schützen!«

Humphries unterbrach sie mit einer beidhändigen Geste. »Sie beide beziehen sich wohl auf bestimmte Maßnahmen, die von Mitarbeitern von Humphries Space Systems ergriffen wurden.«

»Abgefuckt richtig«, stieß George hervor.

»Es entspricht absolut der Wahrheit«, sagte Humphries ruhig, wobei alle Augen auf ihn gerichtet waren, »dass ein paar der Leute, die mein Unternehmen nach Ceres geschickt hat … nun, raue Gesellen waren.«

»Mörder«, murmelte George.

»Es stimmt, dass eine Person einen Mord begangen hat«, gestand Humphries ein. »Aber sie hat das aus eigenem Antrieb getan. Und sie ist auch umgehend dafür bestraft worden.«

»Von Lars Fuchs, soweit ich weiß«, sagte Dieterling.

Humphries nickte. »Und damit kommen wir auch schon zum Kern des Problems.«

»Einen Moment«, warf George ein. »Wir dürfen Lars nicht zum Sündenbock stempeln. Es sind zwar schon viele Schiffe im Gürtel gekapert worden, aber HSS hat schließlich damit angefangen.«

»Das stimmt nicht«, sagte Humphries.

»Wirklich nicht? Ich bin, verdammt noch mal, von einem Ihrer Metzger angegriffen worden. Er hat mir den Arm abgetrennt. Schon vergessen?«

»Das hatten wir doch schon bei der IAA-Anhörung geklärt. Es hat niemand den Beweis zu erbringen vermocht, dass es eins meiner Schiffe war, das Sie angegriffen hat.«

»Das heißt aber noch lang nicht, dass es nicht doch eins Ihrer Schiffe war, oder?«

Stavenger würgte den sich anbahnenden Streit ab. »Es hat keinen Sinn, mit Anschuldigungen um sich zu werfen, wenn man keine konkreten Beweise hat.«

George schaute ihn finster an, sagte aber nichts.

»Wir haben aber durchaus einen konkreten Beweis dafür«, fuhr Humphries mit einem schnellen Blick auf Amanda fort, »dass Lars Fuchs Schiffe angegriffen hat, Menschen getötet und Ausrüstung geraubt hat, und nun hat er auch noch in einem unprovozierten und mutwilligen Angriff eine Basis ausgelöscht, die wir auf Vesta errichtet hatten. Dabei hat er viele Menschen getötet. Er ist der Grund für die ganze Gewalt im Gürtel, und solange er nicht dingfest gemacht wird, wird diese Gewalt auch nicht enden.«

Schweigen. Keiner der um den Konferenztisch ver-sammelten Männer und Frauen sagte ein Wort zu Fuchs’ Verteidigung. Nicht einmal Amanda, wie Humphries mit unverhohlener Genugtuung feststellte.

Загрузка...