Lars Fuchs saß am Schreibtisch und sprach mit der Prospektorin, die die Starpower von ihm geleast hatte. Die Frau weigerte sich strikt, das Schiff vor Ablauf der vereinbarten Leasingdauer in vier Monaten herauszugeben.
»Die HSS-Leute haben mich schon von zwei schönen Felsen vertrieben«, sagte sie, wobei ihrem Konterfei auf Fuchs’ Wandbildschirm der Zorn deutlich anzusehen war. »Ich werde nun zum anderen Ende des Gürtels fliegen und mir einen dicken, fetten metallhaltigen Asteroiden schnappen. Und jedem, der mir zu nahe kommt, werde ich mit dem Laser eins draufbrennen!«
Fuchs betrachtete ihr Gesicht. Sie war nicht viel älter als dreißig und hatte wie er einen Hochschulabschluss. Dennoch wirkte sie viel härter und viel entschlossener als irgendein Hochschulabsolvent, an den er sich erinnerte. Keine Spur von Make-up; ihr dunkles Haar war raspelkurz geschoren, und sie hatte ein hageres, hungriges Gesicht.
»Ich könnte für Sie den Transfer zu einem anderen Schiff arrangieren, das als Leasingobjekt verfügbar ist«, schlug Fuchs ihr vor.
Die Prospektorin schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie es. Ich werde auf die andere Seite hinüberfliegen. Morgen um die gleiche Zeit wird es eine halbe Stunde dauern, bis eine Nachricht mich erreicht. Sayonara, Lars.«
Der Bildschirm wurde dunkel. Fuchs lehnte sich auf dem knarrenden Schreibtischstuhl zurück, und die Gedanken drehten sich langsam im Kreis. Ich habe keine Handhabe, um sie zu zwingen, die Starpower zurückzubringen. Sie ist auf dem Weg zur anderen Seite und wird in frühestens vier Monaten zurückkommen. Und wenn sie zurückkommt, wird sie entweder ihren Anspruch auf einen reichen metallhaltigen Asteroiden anmelden müssen, oder sie wird so am Ende sein, dass sie nicht einmal die Leasing-Abschlussrate zahlen kann.
Von welcher Seite auch immer er es betrachtete, er fand keine Antwort auf sein Problem. Falls wir überhaupt zur Erde zurückkehren, werden wir als Passagiere in einem fremden Schiff mitfliegen müssen.
Amanda kam im selben Moment aus dem Tunnel durch die Tür, als das Telefon läutete. »Antworten«, sagte Fuchs automatisch zum Telefon, doch dann sah er den entsetzten Ausdruck im Gesicht seiner Frau.
»Was ist denn?«, fragte er und erhob sich vom Stuhl. »Stimmt etwas nicht?«
»Ripley«, sagte sie mit verängstigt klingender Stimme. »Man hat ihn draußen vor der Luftschleuse gefunden. Er ist tot.«
»Tot?« Fuchs war schockiert. »Wie ist das denn passiert?«
»Genau darüber möchte ich mit Ihnen sprechen«, sagte Kris Cardenas vom Wandbildschirm.
Fuchs und Amanda drehten sich beide zu ihrer Abbildung um.
Cardenas schaute finster. »Man hat Ripleys Leiche zu mir auf die Krankenstation gebracht.«
»Was ist ihm denn zugestoßen?«, fragte Fuchs.
Cardenas schüttelte matt den Kopf. »Am Anzug lag es jedenfalls nicht. Er ist weder erstickt noch an einer Dekompression gestorben. Der Anzug ist zwar stark lädiert, aber es gab keinen Systemausfall.«
»Was dann«, fragte Amanda.
Sie runzelte unsicher die Stirn. »Ich werde versuchen, es mit einem Multispektral-Scan herauszufinden. Eigentlich rufe ich Sie auch nur aus dem Grund an, weil ich in Erfahrung bringen will, ob er irgendwelche Angehörigen hier auf Ceres hatte.«
»Nein, seine Angehörigen leben in New Jersey in den Vereinigten Staaten«, sagte Fuchs. »Ich werde Ihnen seine Personaldatei schicken.«
»Er hat am Habitat gearbeitet?«, fragte Cardenas, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
»Ja«, sagte Fuchs abwesend. »Nun werden wir das Projekt stoppen müssen, bis wir einen Ersatzmann für ihn gefunden haben.«
»Wir kommen zur Krankenstation, Kris«, sagt Amanda. »Wir werden in fünf Minuten dort sein.«
»Warten Sie noch«, sagte Cardenas. »Geben Sie mir etwa eine Stunde, um diesen Scan durchzuführen. Dann werde ich mehr wissen.«
Amanda und Fuchs nickten zustimmend.
Trotz ihrer jugendlichen Erscheinung wirkte Kris Cardenas düster, beinahe zornig, als sie Amanda und Fuchs in die kleine Krankenstation führte. Es war die einzige medizinische Einrichtung auf Ceres — überhaupt die einzige medizinische Einrichtung zwischen dem Asteroidengürtel und den Forschungsstationen auf dem Mars. Cardenas vermochte Unfallopfer zu behandeln, wenn die Verletzungen nicht allzu schlimm waren, und sie hatte auch Medikamente gegen die üblichen Infektionen und Zipperlein. Die schweren Fälle wurden nach Selene evakuiert, während Cardenas hier bei den Felsenratten blieb.
Sie war gleich zweifach im Exil. Weil ihr Körper mit Nanomaschinen geschwängert war, würde keine Regierung auf der Erde ihr eine Landeerlaubnis auf ihrem Territorium gewähren. Das hatte sie bereits ihren Ehemann und ihre Kinder gekostet; wie die meisten Erdenbewohner fürchteten auch sie sich vor der Möglichkeit, dass außer Kontrolle geratene Nanos Epidemien verursachten oder Städte verschlangen wie eine unaufhaltsame Ameisenarmee, die alles zu einem grauen Brei zerkaute.
Ihr Ärger auf die Erde und ihre unbegründeten Ängste hatten in letzter Konsequenz dazu geführt, dass sie Dan Randolph auf dem Gewissen hatte. Obwohl sie nicht direkt dafür verantwortlich war, hatte Selene sie aus ihrem eigenen Nanotech-Labor verbannt — als Bestrafung für ihre Tat und um zu verhindern, dass in Zukunft noch einmal Nanos aus persönlichen Motiven eingesetzt wurden. Also verließ sie Selene, ging zu den Felsenratten ins Exil und nutzte ihre profunden Kenntnisse der Humanphysiologie, um die Krankenstation auf Ceres einzurichten.
»Wissen Sie schon, woran Ripley gestorben ist?«, fragte Amanda, als sie und Fuchs auf den Stühlen vor Cardenas Schreibtisch Platz nahmen.
»Normalerweise hätte ich es gar nicht gesehen«, sagte Cardenas mit belegter Stimme. »Ich bin keine Pathologin. Es wäre mir, verdammt noch mal, fast entgangen.«
Das kleine Büro war mit den drei Leuten schon überfüllt. Cardenas tippte auf eine Tastatur auf dem Schreibtisch, und die Wand gegenüber dem Eingang verwandelte sich in eine Falschfarbendarstellung von Niles Ripleys Körper.
»Es gab zunächst nichts Verdächtiges«, begann sie. »Kein sichtbares Trauma, außer ein paar kleinen Quetschung an Brust und Rücken.«
»Wodurch wurden sie verursacht«, fragte Fuchs.
»Vielleicht durch den Sturz im Anzug.«
Fuchs schaute sie finster an. »Ich bin auch schon im Raumanzug umgefallen. Dabei zieht man sich doch keine Prellungen zu.«
Cardenas nickte. »Ich weiß. Ich habe auch schon in Erwägung gezogen, dass er an einem Herzinfarkt oder einer Herzattacke gestorben ist. Und dann habe ich den Scan durchgeführt«, erklärte sie. »Die Herzkranzgefäße sind jedoch sauber, und am Herzen selbst gibt es auch keine sichtbaren Schäden.«
Fuchs schielte aufs Bild. Ein menschlicher Körper, sagte er sich. In diesem Moment lebt er noch, und im nächsten ist er schon tot. Was ist mit dir passiert, Ripley?
Amanda artikulierte seine Gedanken. »Was ist ihm also zugestoßen?«
Cardenas’ Ausdruck wurde noch ernster. »Als Nächstes habe ich nach Anzeichen für einen Schlaganfall gesucht. Das ist noch immer die Todesursache Nummer eins, sogar auf der Erde.«
»Und?«
»Schauen Sie sich mal sein Gehirn an.«
Fuchs schaute auf den Wandbildschirm, aber er wusste nicht, was bei dieser Falschfarbendarstellung normal war und was nicht. Er sah nur die weißen Konturen des Schädels und die darin enthaltene rosige Gehirnmasse. Ein Gewirr, von dem er annahm, dass es sich um Blutgefäße handelte, wickelte sich um das Gehirn und verschwand darin, als ob der Schädel ein Schlangennest sei.
»Sehen Sie es?«, fragte Cardenas mit einer Stimme so scharf wie ein Bajonett.
»Nein, ich sehe nichts … Moment mal!« Fuchs sah, dass der größte Teil des Gehirns eine rosige Färbung hatte — doch da war ein Bereich mit einer dunkleren Färbung, fast ein Blutorange, der von vorn nach hinten geradewegs durch die Gehirnmasse verlief.
»Dieses Orange?«, fragte er unsicher.
»Dieses Orange«, wiederholte Cardenas mit eisiger Stimme.
»Was ist das«, fragte Amanda.
»Das, was ihn getötet hat«, sagte Cardenas. »Zerstörte Neuronen und Gliazellen von der Stirn bis zum Hinterkopf. Es hat so viel Schaden angerichtet wie eine Kugel, ohne die Haut jedoch aufzureißen.«
»Ein Mikrometeor?«, platzte Fuchs heraus und wusste schon in dem Moment, wo er den Mund aufmachte, dass das Quatsch war.
»Aber sein Anzug wurde doch nicht beschädigt«, wandte Amanda ein.
»Was auch immer es war«, sagte Cardenas, »es drang durch den transparenten Kunststoff des Helms, durch die Haut — ohne sie jedoch zu verletzen —, durch den Schädelknochen und hat dann die Gehirnzellen zermanscht.«
»Mein Gott«, murmelte Fuchs.
»Ich habe noch weitere Beweise«, sagte Cardenas. Sie klang immer mehr wie ein polizeilicher Ermittler.
Die Abbildung auf dem Wandbildschirm verschwand, und es erschien das Gesicht des toten Ripleys. Fuchs spürte, wie Amanda neben ihm schauderte und ergriff ihre Hand. Ripleys Augen waren weit aufgerissen, der Mund stand offen und die milchschokoladenfarbene Haut war fahler, als Fuchs sie in Erinnerung hatte. Das ist das Antlitz des Todes, sagte er sich. Es hätte ihn selbst fast geschaudert.
Cardenas betätigte wieder die Tastatur, und der Bereich direkt über Ripleys Nasenwurzel wurde bildschirmfüllend vergrößert.
»Sehen Sie diese schwache Verfärbung?«, fragte Cardenas.
Fuchs sah nichts Außergewöhnliches, doch Amanda sagte: »Ja, es ist nur ein winzig kleiner Kreis. Er sieht … fast so aus, als ob er leicht verschmort wäre.«
Cardenas nickte düster. »Ein weiteres Stück des Puzzles.« Sie griff in die Schreibtischschublade.
Fuchs sah, dass sie einen schmalen, nicht einmal zehn Zentimeter langen Klebestreifen herausholte.
»Das da klebt an Ripleys rechtem Handschuh, als man ihn fand«, sagte Cardenas und reichte Fuchs den Klebestreifen.
Er starrte ihn an. BUCHANAN stand in Blockbuchstaben und mit wischfester Tinte auf dem Klebestreifen.
»Buchanan ist Mechaniker bei Humphries Space Systems«, sagte Cardenas wie ein Racheengel. »Er hat Zugang zu Werkzeugen wie Handlasern.«
»Ein Handlaser?«, fragte Fuchs. »Sie glauben, dass Ripley mit einem Handlaser getötet wurde?«
»Ich hatte mir mal einen aus dem HSS-Lagerhaus beschafft und eine Sojafrikadelle damit gebraten«, sagte Cardenas. »Ein Puls von einer Pikosekunde hatte die Struktur des Sojabratlings genauso zerstört, wie Ripleys Gehirnzellen zerstört wurden.«
»Wollen Sie damit sagen, dass dieser Buchanan Ripley vorsätzlich ermordet hätte?«, fragte Amanda schockiert und mit matter Stimme.
»Genau das will ich damit sagen«, sagte Cardenas so hart und unbarmherzig wie der Gevatter Tod selbst.