Kapitel 19

»Es wundert mich, dass er uns noch nicht aus seinem Hotel geworfen hat«, sagte Fuchs trübsinnig.

Pancho Lane versuchte aufmunternd zu lächeln. Lars und Amanda wirkten beide so niedergeschlagen, so — verstört war das richtige Wort, befand Pancho. Überwältigt von den Ereignissen und ihren eigenen Emotionen.

»He, macht euch keine Sorgen wegen des Hotels«, sagte sie bemüht fröhlich. »Astro übernimmt die Zeche, falls Humphries widerruft.«

Fuchs war noch immer in dem hellgrauen Geschäftsanzug, den er zur Besprechung mit Humphries getragen hatte. Amanda trug einen türkisfarbenen knielangen Rock, der ziemlich züchtig wirkte. Dennoch fühlte Pancho sich neben ihr wie Aschenputtel — wie gehabt. Das lag überhaupt nicht in Mandys Absicht, doch immer wenn Pancho in ihrer Nähe war, kam sie sich vor wie eine Bohnenstange neben einem Videostar.

»Wir gehen nach Ceres zurück«, sagte Amanda. »Und arbeiten wieder als Prospektoren.«

Die beiden saßen missmutig auf dem Sofa, das unter einem Hologramm von Valles Marineris auf dem Mars aufgestellt war: die größte Schlucht im ganzen Sonnensystem.

»Und was wird aus der Helvetia GmbH?«, fragte Pancho. »Du wirst dich von Humphries doch nicht aus dem Geschäft drängen lassen, oder?«

Fuchs grunzte. »Was für ein Geschäft? Unser Bestand ist doch in Flammen aufgegangen.«

»Ja, aber die Versicherung müsste den größten Teil des Schadens ersetzen, wenn ihr noch einmal von vorn anfangt.«

Fuchs schüttelte müde den Kopf.

»Du hast viele Freunde dort draußen auf Ceres«, sagte Pancho nachdrücklich. »Du solltest sie nicht einfach so fahren lassen.«

Amanda zog hoffnungsvoll die Brauen hoch.

»Du willst doch nicht etwa, dass Humphries ein Monopol bekommt, nicht wahr, Lars, alter Kumpel?«

»Ich würde ihn lieber erwürgen«, knurrte Fuchs.

Pancho lehnte sich auf dem Stuhl zurück und streckte die langen Beine aus. »Ich sag dir was: Astro wird dir einen Kredit für die neue Bestückung deines Lagerhauses geben — bis zum Limit, das die Versicherung dir zahlen wird.«

Fuchs schaute sie an. »Das könntest du tun?«

»Ich beherrsche inzwischen die Spielregeln im Vorstand. Ich habe schon ein paar Leute auf meine Seite gezogen. Sie wollen genauso wenig wie du, dass Humphries den Gürtel monopolisiert.«

»Ist deine Hausmacht überhaupt schon stark genug, um das Angebot zu realisieren, das du uns gerade gemacht hast?«, fragte Amanda.

»Mein Wort drauf«, erwiderte Pancho und nickte.

Amanda wandte sich an ihren Mann: »Lars, wir könnten mit Helvetia noch einmal von vorn anfangen«, sagte sie hoffnungsvoll.

»Aber mit einem kleineren Bestand«, grummelte er. »Die Versicherung wird uns nämlich nicht den gesamten Verlust ersetzen.«

»Aber es wäre schon einmal ein Anfang«, sagte Amanda mit einem von Herzen kommenden Lächeln.

Fuchs erwiderte das Lächeln jedoch nicht. Er wandte den Blick von seiner Frau ab. Pancho glaubte, dass irgendetwas in seinem Kopf vorging, und er nicht wollte, dass sie es mitbekam.

»Ich werde wieder als Prospektor arbeiten«, sagte er, den Blick auf die entgegengesetzte Wand des Wohnzimmers gerichtet.

»Aber …«

»Ich werde die Starpower wieder übernehmen, sobald der derzeitige Leasingvertrag abgelaufen ist.«

»Aber was ist mit Helvetia?«, fragte Amanda.

Er drehte sich zu ihr um. »Du wirst Helvetia leiten müssen. Du kannst auf Ceres bleiben, während ich mit dem Schiff unterwegs bin.«

Pancho musterte sie. Da ging irgendetwas zwischen ihnen vor, eine versteckte Agenda, die sie nicht zu ermessen vermochte.

»Lars«, sagte Amanda mit sehr leiser Stimme, »bist du sicher, dass du das tun willst?«

»Das ist das, was ich tun muss, Liebling.« Seine Stimme klang unbeugsam.


* * *

Pancho lud sie beide zum Abendessen im Restaurant Erdblick in der Hotellobby ein.

»Das soll ein gemütlicher Abend werden«, sagte sie ihnen. »Kein Wort über Humphries oder Ceres oder übers Geschäft überhaupt. In Ordnung?«

Sie erklärten sich halbherzig einverstanden.

Also sprachen sie beim Essen natürlich übers Geschäft. Über Panchos Geschäft.

Der stehende Witz übers ›Erdblick‹ war, es sei das beste Restaurant im Umkreis von vierhunderttausend Kilometern. Was durchaus der Wahrheit entsprach: Die beiden anderen Restaurants in Selene, oben in der Grand Plaza, waren bessere Bistros. Das im zweiten Tiefgeschoss gelegene ›Erdblick‹ hatte Panorama-Fensterwände, die holografische Abbildungen der Mondoberfläche zeigten. Man hatte förmlich den Eindruck, durch echte Fenster auf den rissigen Boden des riesigen Kraters Alphonsus zu schauen und auf die erodierten, eingefallenen Ringwall-Berge. Und immer stand die Erde an diesem dunklen Himmel — sie hing dort wie ein glühendes Juwel aus tiefem Blau und reinstem Weiß, das sich ständig veränderte und trotzdem immer gegenwärtig war.

Das ›Erdblick‹ warb damit, dass es menschliches Personal hatte und keine Roboter. Pancho war der Ansicht, dass ein wirklich erstklassiges Restaurant Tischdecken benutzen sollte, doch stattdessen gab es im ›Erdblick‹ glitzernde Platzdeckchen aus lunarem Wabenkern-Metall, das so dünn und geschmeidig wie Seide war.

Keiner von ihnen hatte sich zum Abendessen umgezogen. Fuchs trug noch immer den grauen Anzug und Amanda das türkisfarbene knielange Kleid. Pancho, die ein Faible für Overalls und Softboots hatte, hatte den Tag in einem geschäftlichen Ensemble aus einer schokoladenbraunen Hose, einem hellgelben Sweater und einer beigefarbenen Weste aus Wildleder begonnen. Amanda hatte ihr eine kastanienfarbene irische Spitzenstola geliehen, um ›dein Outfit aufzupeppen‹.

Nachdem der gut aussehende junge Kellner die Getränke gebracht und die Essensbestellungen entgegengenommen hatte, trat am Tisch ein Schweigen ein. Sie hatten sich darauf geeinigt, nicht übers Geschäft zu sprechen. Doch worüber sollten sie sich sonst unterhalten?

Pancho nippte an ihrer Margarita und schaute dem Kellner nach. Ein schöner knackiger Hintern, sagte sie sich. Ob er verheiratet ist?

»Was hast du denn in letzter Zeit so gemacht, Pancho?«, fragte Amanda schließlich — mehr um das Schweigen zu brechen als aus sonst einem Grund.

»Ich? Ich bin an einer Sache dran, von der Dan Randolph schon vor Jahren gesprochen hat: Fusionsbrennstoffe vom Jupiter abzapfen.«

Fuchs spitzte die Ohren. »Fusionsbrennstoffe?«

»Ja. Helium-drei, Tritium und andere Isotope, weißt du. Die Jupiteratmosphäre ist voll davon.«

»Jupiter hat aber eine steile Gravitationsquelle«, sagte Amanda.

»Das kannst du laut sagen«, sagte Pancho. »Stell dir vor, es sind ein paar Verrückte an mich herangetreten, die durch die Jupiteratmosphäre fliegen wollten — als ein Stunt! Sie hatten sogar einen Netzwerkproduzenten dabei.«

»Wahnsinn«, murmelte Fuchs.

»Ja, sicher. Und dann gibt es da noch ein paar Wissenschaftler, die eine Forschungsstation im Orbit um Jupiter einrichten wollen. Um die Monde zu studieren und so.«

»Aber die Strahlung«, sagte Amanda.

»Ein enger Orbit unter den Van Allen-Gürteln des Jupiter. Wäre vielleicht machbar.«

»Astro würde das finanzieren?«

»Nein, zum Teufel!«, platzte Pancho heraus. »Die Universitäten müssen für die Finanzierung sorgen. Wir werden dafür den Sauger bauen.«

»Und ihn als Plattform zum Abschöpfen der Jupiter-Atmosphäre verwenden«, ergänzte Amanda.

Pancho lächelte sie an. Manchmal vergesse ich, wie klug sie doch ist, sagte Pancho sich. Ich lasse mich von ihrem Engelsgesicht und den schönen Brüsten täuschen.

Dann schaute sie auf Fuchs. Er saß mit dem unberührten Drink vor sich da und starrte in ein privates Universum. Woran auch immer er denkt, sagte Pancho sich, er ist eine Myriade Kilometer von hier entfernt.

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