Kapitel 40

Oskar Jiminez war sichtlich besorgt, als Fuchs Nodon und vier weitere Mitarbeiter durch den Tunnel zum HSS-Lagerhaus führte.

»Wir sind nur zu sechst«, sagte er mit leiser und zittriger Stimme, als er neben Fuchs durch den staubigen Tunnel schlurfte. »Es ist zwar schon nach Mitternacht, aber sie haben wahrscheinlich trotzdem mindestens zehn Leute im Lagerhaus.«

Fuchs und Nodon waren mit voll aufgeladenen Handlasern bewaffnet. Die anderen mit Profilen aus Asteroidenstahl, die sie von den leeren Regalen im Helvetia-Lagerhaus abmontiert hatten. Und alle trugen Atemmasken, um den Staub zu filtern, den sie beim zielstrebigen Marsch durch den Tunnel aufwirbelten.

»Keine Sorge«, beruhigte Fuchs ihn. »Du wirst schon nicht kämpfen müssen. Wenn alles so läuft, wie ich es geplant habe, wird es keinen Kampf geben.«

»Aber wieso …?«

»Du sollst den Mann identifizieren, der Inga ermordet hat.«

»Er wird nicht da sein«, sagte der Teenager. »Sie sind abgehauen. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«

»Vielleicht. Wir werden sehen.«

»Außerdem trugen die Verbrecher Atemmasken und eine Art von Hut. Ich könnte den Kerl gar nicht identifizieren, selbst wenn ich ihn sehen würde.«

»Wir werden sehen«, wiederholte Fuchs.

Fuchs wies sie an, an einer der Sicherheitsschleusen stehen zu bleiben, die alle paar hundert Meter im Tunnel installiert waren. Er nickte einem der Männer zu, einem Lebenserhaltungstechniker, worauf der die Abdeckung über den Sensoren der Luke abmontierte.

Fuchs bedeutete seinen Leuten, durch die offene Luke zu gehen, während der Techniker die Sensoren manipulierte.

»Ich hab’s«, sagte er schließlich.

Plötzlich ertönte ein Alarm im Tunnel. Fuchs zuckte unwillkürlich zusammen, obwohl er mit dem durchdringenden Geräusch schon gerechnet hatte. Der Techniker schlüpfte im letzten Moment durch die Luke, bevor sie automatisch zuschlug.

»Schnell!«, rief Fuchs und rannte durch den Tunnel.

Ein halbes Dutzend verwirrter HSS-Leute standen vor dem Eingang zum Lagerhaus im Tunnel und ließen den Blick in beide Richtungen schweifen, als ob sie nach dem Ursprung des Alarms suchten. Sie waren in hellbraune Overalls gekleidet, auf denen das HSS-Logo prangte; keiner von ihnen trug eine Atemmaske.

»He, was ist denn los?«, rief einer von ihnen, als er Fuchs und die anderen in einer Staubwolke auf sich zu rennen sah.

Fuchs richtete den Laser auf sie. Er war unhandlich, vermittelte ihm aber ein Gefühl der Sicherheit.

»Nicht bewegen!«, sagte er.

Fünf von den sechs blieben wie angewurzelt stehen. Zwei hoben sogar die Hände über den Kopf.

Doch der Sechste knurrte: »Was, zum Fuck, glaubst du, was du hier für eine Show abziehst?« Er schickte sich an, durch den Eingang ins Lagerhaus zu verschwinden.

Und das zu verhindern, schoss Fuchs ihm ins Bein. Der Laser knisterte einmal, und der Mann jaulte auf und fiel mit dem Gesicht in den Staub. Ein qualmender schwarzer Fleck erschien auf dem Bein des Overalls. Unwillkürlich staunte Fuchs, dass der Laser keinen Rückstoß hatte, dass er weder rauchte noch nach Pulver roch.

Sie trieben die sechs Leute ins Lagerhaus, wobei zwei ihren verwundeten Kameraden mitschleppten. Zwei weitere HSS-Leute saßen am Computer und versuchten herauszufinden, was den Alarm ausgelöst hatte, wo alle Lebenserhaltungssysteme doch im grünen Bereich waren. Sie wurden völlig überrascht und hoben die Hände über die Köpfe, als Fuchs den Laser auf sie anlegte.

Sie schauten grimmig, als ihnen bewusst wurde, dass sie Gefangene waren. Fuchs befahl ihnen, sich auf den Boden zu setzen und die Hände auf die Knie zu legen.

Vier kleine Zugmaschinen standen direkt am Eingang des Lagerhauses. Fuchs wählte vier Leute aus, um sie zu starten; dann gingen sie durch die Gänge, nahmen alles mit, das so aussah, als ob es aus dem Helvetia-Lagerhaus stammte und luden es auf die Schlepper.

»Inzwischen dürften ein paar Dutzend von unseren Leuten auf dem Weg hierher sein«, sagte der Mann, den Fuchs angeschossen hatte. Er saß mit seinen Kameraden auf dem Boden und umklammerte mit beiden Händen das Bein. Fuchs sah kein Blut aus der Wunde austreten. Der Laserpuls verschmort das Fleisch beim Eindringen nur, erinnerte er sich.

»Niemand ist hierher unterwegs«, sagte er zu dem Verwundeten. »Der Alarm ist nur in diesem Abschnitt des Tunnels ausgelöst worden. Eure Freunde schlummern selig in ihren Quartieren.«

Schließlich waren die beladenen Zugmaschinen draußen im Tunnel geparkt: Auf den Ladeflächen stapelten sich Kisten und Kartons mit dem Helvetia-Emblem.

»Ich glaube, das wäre alles«, sagte einer von Fuchs’ Männern.

»Noch nicht ganz«, sagte Fuchs. Er wandte sich an Jiminez und fragte: »Erkennst du irgendeinen dieser Männer wieder?«

Der Junge wirkte verängstigt. Er schüttelte Kopf. »Wie ich Ihnen schon gesagt habe, trugen sie Atemmasken. Und so komische Hüte.«

»Der hier vielleicht?« Fuchs tippte auf die Schulter des Manns, den er angeschossen hatte.

»Ich weiß nicht!«, winselte Jiminez.

Fuchs holte tief Luft. »In Ordnung. Bringt die Schlepper zurück in unser Lagerhaus.«

Jiminez flitzte in den Tunnel; er war heilfroh, dass er endlich die Mücke machen konnte.

»Ihr glaubt doch nicht etwa, dass ihr damit durchkommt?«, knurrte der Verwundete. »Wir werden euch dafür in Stücke reißen. Und wir lassen dich zusehen, wie wir deine Frau vergewaltigen. Wir werden es ihr …«

Fuchs wirbelte herum und trat ihm ins Gesicht, sodass er auf den Rücken fiel. Die anderen wichen zurück. »Nicht bewegen!«, rief Nodon und richtete den Laser auf sie.

Rasend vor Wut rannte Fuchs zu einem der Behälter an der Wand und zog eine Rolle Kupferdraht heraus. Er steckte den Laser in den Gürtel, wickelte das eine Ende des Drahts ein paarmal um den Hals des stöhnenden, halb bewusstlosen Manns und zerrte ihn dann auf ein Hochregal zu. Der Mann hustete, und Blut quoll ihm zwischen den eingeschlagenen Zähnen hervor.

Die anderen schauten mit großen Augen zu, wie Fuchs den Draht um den Hals des Manns verknotete und das andere Ende um einen der Stahlträger warf, der das Gestell stützte. Er zog fest am Draht, und der Verwundete wurde hochgehievt. Die Augen traten ihm aus den Höhlen, und er versuchte mit beiden Händen den Draht zu lösen, der ihm in den Hals schnitt. Er wog zwar nur ein paar Kilo in Ceres’ leichter Schwerkraft, doch das genügte schon, um den Kehlkopf zu quetschen und ihm die Luft abzuschnüren.

Außer sich vor Wut wirbelte Fuchs zu den anderen HSS-Leuten herum, die im Staub saßen und zuschauten, wie ihr Anführer wild um sich schlug und nach Luft schnappte. Er zappelte mit den Beinen, und ein seltsames, unmenschliches Gurgeln entrang sich seinem blutigen Mund.

»Seht her!«, brüllte Fuchs sie an. »Seht her! So ergeht es jedem, der meine Frau bedroht. Wenn einer von euch meine Frau auch nur ansieht, werde ich ihm die Eingeweide mit bloßen Händen herausreißen!«

Das Zappeln des hängenden Manns wurde schwächer. Er verlor die Kontrolle über Blase und Darm und entleerte sie gleichzeitig. Gestank durchzog die Halle. Die Männer auf dem Boden starrten reglos und mit offenem Mund. Sogar Nodon schaute ebenso entsetzt wie fasziniert zu.

»Kommt«, sagte Fuchs schließlich. »Wir sind hier fertig.«

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