Kapitel 29

Während Nodon in der Ladebucht zugange war, gelang es Fuchs endlich, George aus der Küche zu lotsen und mit ihm auf die Brücke zu gehen.

»Du musst das Vorkommnis der IAA melden«, sagte Fuchs und setzte sich auf den Kommandantensitz.

George nahm den Sitz des Copiloten ein; er quoll förmlich über. Er war vielleicht ausgehungert, sagte Fuchs sich, aber Gewicht hatte er trotzdem kaum verloren.

»Liebend gern, Kumpel«, sagte George jovial. »Hol sie nur an die Strippe.«

Fuchs befahl dem Kommunikationscomputer, Francesco Tomasselli im IAA-Hauptquartier in Sankt Petersburg anzurufen.

»Oh, oh«, sagte George.

Fuchs sah, dass er auf den Radarschirm zeigte. Ein einzelnes Echo erschien in der oberen rechten Ecke des Bildschirms.

»Er ist hier«, sagte George.

»Es könnte auch ein Asteroid sein«, hörte Fuchs sich sagen, obwohl er es selbst nicht glaubte.

»Es ist ein Schiff.«

Fuchs machte eine Tastatureingabe. »Ein Schiff«, stimmte er ihm dann zu. »Und es ist auf einem Abfangkurs.«

»Ich sollte mir lieber einen Anzug anziehen und zu Nodon in die Ladebucht gehen. Du legst auch den Anzug an.«

Während er George zur Luftschleusenkammer folgte, wo die Raumanzüge aufbewahrt wurden, hörte Fuchs die synthetische Stimme des Kommunikationscomputer: »Signor Tomasselli ist zurzeit nicht erreichbar. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?«


* * *

Eine Viertelstunde später war er wieder auf der Brücke. Er trug nun den klobigen Raumanzug und fühlte sich darin wie in einer mittelalterlichen Ritterrüstung.

Das Radarecho stand bereits in der Mitte des Monitors. Fuchs warf einen Blick aus dem Fenster, vermochte in der dunklen Leere aber nichts zu erkennen.

»Er nähert sich uns noch immer?«, ertönte Georges Reibeisenstimme im Helmlautsprecher.

»Ja.«

»Wir haben den Laser an die Hauptstromversorgung angeschlossen. Unsere ist ausgefallen; irgendetwas hat sie lahm gelegt.«

»Aber die hier funktioniert?«

»Ja. Dreh das Schiff, damit wir ihn ins Blickfeld bekommen.«

»George«, sagte Fuchs, »angenommen, es ist nicht das Schiff, das euch angegriffen hat?«

Es trat ein kurzes Schweigen ein. »Du meinst, jemand würde rein zufällig hier vorbeikommen? Das ist verdammt unwahrscheinlich.«

»Schießt erst auf ihn, wenn er auf uns feuert«, sagte Fuchs.

»Du hörst dich an wie ein verdammter Yankee«, grummelte George. »Nicht schießen, ehe ihr nicht das Weiße in ihren Augen seht.«

»Ich wollte damit nur sagen …«

Der Kommunikationsbildschirm leuchtete plötzlich hell auf und wurde wieder dunkel. Mit behandschuhten Fingern gab Fuchs einen Diagnosebefehl ein.

»Ich glaube, er hat die Hauptantenne getroffen«, sagte er zu George.

»Dreh das verdammte Schiff, damit ich zurückschießen kann!«

Der Luftdruck-Alarm schrillte, und Fuchs hörte die Sicherheitsluke hinter sich zuschlagen.

»Er hat ein Loch in die Hülle geschossen!«

»Wende, verdammt noch mal!«

Fuchs hoffte, dass die Steuerung noch funktionierte und hörte zugleich eine ängstliche Stimme im Kopf: Mein Gott, wir sind in einem Raumkampf!


* * *

Es scheint doch noch zu klappen, sagte Harbin sich.

Der erste Schuss hatte die Hauptkommunikationsantennen der Starpower zerstört. Und gerade noch rechtzeitig. Fuchs hatte nämlich schon einen Ruf an die IAA auf der Erde abgesetzt.

Mit dem zweiten Schuss hatte er ihr Habitatmodul perforiert — dessen war er sich sicher. Sie drehten das Schiff und versuchten das Habitatmodul zu schützen, indem sie es hinter die Ladebucht manövrierten. Harbin studierte die Risszeichnung der Starpower, während er wartete, bis der Laser wieder aufgeladen war.

Es hatte keinen Sinn, Zeit und Energie zu vergeuden. Er wollte eigentlich auf die Treibstofftanks schießen, damit sie ausliefen und das Schiff hilflos immer tiefer in den Gürtel driftete.

Doch dann schüttelte er den Kopf. Nein, zuerst muss ich die Antennen zerstören. Und zwar alle. Sie könnten sonst die IAA um Hilfe rufen, während ich die Tanks durchlöchere. Sie könnten die ganze Geschichte erzählen, bevor sie abdriften und verhungern. Wenn sie bei Verstand wären, würden sie nun auf allen Frequenzen senden. Sie müssen aber in Panik geraten sein und vermögen vor lauter Angst keinen klaren Gedanken mehr zu fassen.

Ihr habt allen Grund, euch zu fürchten, sagte Harbin stumm zu den Leuten an Bord der Starpower. Ihr spürt den Flügelschlag des Todesengels.


* * *

»Was macht er gerade?«, fragte George.

»Er hat uns ein paar Treffer verpasst«, sagte Fuchs ins Helmmikrofon. »Er scheint sich aber aufs Habitatmodul zu konzentrieren.«

»Er hat es wieder auf die Antennen abgesehen, genau wie bei uns.«

»Die Antennen?«

»Damit wir nicht um Hilfe rufen können.«

Fuchs wusste, dass das nicht stimmte. Welchen Sinn hätte es denn, wenn wir um Hilfe riefen? Zumal das Signal allein schon zehn Minuten oder noch länger brauchte, um Ceres zu erreichen. Wie sollte uns da jemand zu Hilfe kommen?

»Ich sehe ihn!«, rief Nodon.

»Nun können wir das Feuer erwidern«, sagte George aufgeregt. »Halte uns ruhig, verdammt.«

Fuchs betätigte die Bremsdüsen, die die Lage des Schiffs regelten, während die Gedanken sich überschlugen. Er will nicht nur verhindern, dass wir um Hilfe rufen, wurde er sich bewusst. Er will verhindern, dass wir den Angriff melden. Er will uns verschwinden lassen wie die anderen Schiffe, die auf geheimnisvolle Art und Weise im Gürtel verschollen sind. Wenn wir einen Notruf absetzen, wird jeder wissen, dass Schiffe vorsätzlich zerstört werden. Jeder wird wissen, dass Humphries Menschen tötet.

Er rief die Diagnose des Kommunikationssystems auf. Sämtliche Antennen waren ausgefallen — nichts außer einer Kette Unheil verkündender roter Lichter glühte auf dem Bildschirm.

Was sollen wir tun, fragte Fuchs sich. Was sollen wir nur tun?


* * *

George blinzelte wegen des Schweißes, der ihm heftig in den Augen brannte.

»Bist du bereit?«, rief er zu Nodon, obwohl sein im Raumanzug steckender Schiffskamerad kaum drei Meter von ihm entfernt war. Sie standen auf beiden Seiten des wuchtigen Schneidlasers. Das Ensemble aus Rohrleitungen, Pumpen und Schläuchen schien so kompliziert, dass man ihm kaum zutraute, richtig zu funktionieren. Doch George sah Nodon mit zusammengepressten Lippen im Kugelhelm nicken.

»Bereit«, sagte er.

George warf einen Blick auf die Schalttafel, die schräg aus der gekrümmten Wand der Ladebucht ragte. Er sah, dass alle Lampen grün leuchteten. Gut. Dann schaute er nach oben durch die offene Luke der Ladebucht und sah den winzigen Punkt des angreifenden Schiffes: ein Ensemble schimmernder, von der Sonne angestrahlter Sicheln vor den dunklen Tiefen der Unendlichkeit.

»Feuer!«, sagte George und drückte so fest auf den roten Knopf, dass er vom Metalldeck abhob. Er bremste sich mit einer behandschuhten Hand an der Decke ab und stieß sich dann leicht ab, bis er spürte, dass die Stiefel wieder die Deckplatten berührten.

Der Schneidlaser war ein kontinuierliches Wellengerät, das dafür ausgelegt war, Gestein zu durchtrennen. Das Zielsystem war so primitiv, dass George den Gegner mit dem bloßen Auge auffassen musste. Der Infrarotstrahl war unsichtbar, und der rote Strahl des schwachen Führungslasers verschwand in der Leere des Raums. Im Vakuum der Ladebucht war kein Laut zu hören, und es traten nicht einmal Schwingungen auf, die George zu spüren vermocht hätte.

»Haben wir ihn getroffen?«, fragte Nodon mit unnatürlich hoher Stimme.

»Woher, zum Fuck, soll ich das denn wissen?«, sagte George unwirsch. »Ich bin nicht mal sicher, ob das abgefuckte Trumm überhaupt funktioniert.«

»Und ob es funktioniert! Schau auf die Konsole.«

Na gut, es funktioniert, sagte George sich. Aber nutzt es auch etwas?


* * *

Dass die Starpower zurückschoss, bemerkte Harbin erst, als auf der Steuerkonsole plötzlich ein halbes Dutzend gelber Warnlampen aufleuchteten. Ohne zu zögern betätigte er die Steuerdüsen, um ein Ausweichmanöver mit der Shanidar durchzuführen. Dadurch ging sein Schuss zwar ins Leere, aber er brachte sich selbst auch aus der Schusslinie. Vorerst.

Harbin schaute stirnrunzelnd auf die Anzeigen und sah, dass ein Treibstofftank aufgerissen war. Dann richtete er den Blick zur Starpower, die dort draußen hing und sah, dass die große Luke der Ladebucht des Schiffs offen stand. Sie müssen dort einen Laser in Stellung gebracht haben, wahrscheinlich einen Schneidlaser, den sie zum Schürfen benutzen. Und nun beschießen sie mich damit.

Er manövrierte die Shanidar von der offenen Ladeluke weg und kontrollierte die Systeme des Schiffs. Zum Glück war der Treibstofftank, den sie getroffen hatten, ohnehin fast leer gewesen. Harbin konnte ihn bedenkenlos abwerfen. Dennoch befürchtete er, dass sie vielleicht auch die übrigen Tanks trafen, bevor er die Möglichkeit hatte, sie fertig zu machen.

Während Harbin auf die hantelförmige Starpower starrte, die vorm Hintergrund der entfernten, gleichmütigen Sterne langsam rotierte, verzogen seine Züge sich zu einem grausamen Lächeln.

»Töten oder getötet werden«, flüsterte er.

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