»Er hat was?«, kreischte Martin Humphries.
»Er hat die Basis auf Vesta ausgelöscht«, wiederholte Diane Verwoerd. »Alle zweiundfünfzig Personen an der Oberfläche wurden getötet.«
Humphries ließ sich auf den Schreibtischstuhl sinken. Er hatte gerade am Telefon eine Verhandlung über den Verkauf von hochwertigem Asteroiden-Nickeleisen an die chinesische Regierung geführt, als sie mit zusammengepressten Lippen und schreckensbleich ins Büro geplatzt war. Als er ihren Gesichtsausdruck sah, hatte Humphries den chinesischen Verhandlungspartner so höflich wie möglich an einen seiner Mitarbeiter in Peking verwiesen, das Gespräch beendet und sie gefragt, was denn los sei.
»Den ganzen Stützpunkt ausgelöscht?«, fragte er mit Grabesstimme.
»Eins unserer Schiffe im Orbit um Vesta geriet in die Staubwolke und …«
»Welche Staubwolke?«, fragte Humphries ungehalten.
Verwoerd setzte sich auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch und schilderte ihm alles, was sie über Fuchs’ Angriff wusste. Humphries hatte sie noch nie so fix und fertig gesehen. Das verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung.
»Zweiundfünfzig Tote«, murmelte sie wie in einem Selbstgespräch. »Und die Besatzung des Schiffs, das durch die Staubwolke beschädigt wurde … vier Personen sind ums Leben gekommen, weil ihre Lebenserhaltungssysteme ausgefallen sind.«
»Und Fuchs ist entkommen?«, fragte Humphries, nachdem er sich wieder halbwegs beruhigt hatte.
»Ja«, sagte sie. »Harbin wollte schon die Verfolgung aufnehmen, hatte aber zu wenig Treibstoff. Deshalb musste er umkehren.«
»Dann ist er also immer noch da draußen und heckt neue Schandtaten aus.«
»Schandtaten?« Sie schaute ihn direkt an. »Das ist mehr als eine Schandtat, Martin. Das ist ein Massaker.«
Er nickte, lächelte fast. »Das stimmt. Genau das war es. Ein vorsätzliches Massaker.«
»Man könnte fast glauben, dass Sie sich darüber freuen.«
»Wir können das zu unseren Gunsten ausnutzen«, sagte Humphries.
»Ich wüsste nicht …«
»Diese Felsenratten helfen Fuchs doch; sie spenden ihm Treibstoff und Proviant und versorgen ihn außerdem mit Informationen über die Flugpläne und Bestimmungsorte unserer Schiffe.«
»Ja«, sagte sie. »Offensichtlich.«
»Irgendjemand muss ihm von der Basis auf Vesta erzählt haben.«
»Offensichtlich«, wiederholte Verwoerd.
»Und nun hat er ein paar Dutzend seiner eigenen Leute getötet. Felsenratten. Bauarbeiter. Nicht wahr?«
Sie holte tief Luft und setzte sich gerade hin. »Ich verstehe. Sie glauben, dass die Felsenratten sich nun gegen ihn wenden werden.«
»Verdammt richtig.«
»Was, wenn sie sich gegen Sie wenden?«, fragte Verwoerd. »Was, wenn sie zu dem Entschluss kommen, dass die Arbeit für HSS zu gefährlich sei, egal wie gut sie bezahlt wird?«
»Dann werden wir unsere Trumpfkarte ausspielen«, sagte Humphries. »Stavenger hat die Fühler für die Durchführung einer Friedenskonferenz ausgestreckt. Anscheinend steckt die Weltregierung ihre Nase schon in die Angelegenheit, und Stavenger will sie davon abbringen.«
»Eine Friedenskonferenz?«
»Humphries Space Systems, Astro, Selene … sogar die Weltregierung will einen Vertreter entsenden. Der Asteroidengürtel soll gerecht aufgeteilt werden, damit die Kämpfe endlich ein Ende finden.«
»Und wer vertritt die Felsenratten?«
Er lachte. »Wozu brauchen wir die denn? Das betrifft nur die großen Mitspieler. Die ›großen Jungs‹.«
»Aber die Felsenratten sind davon betroffen«, wandte Verwoerd ein. »Man kann nicht einfach den Asteroidengürtel zwischen HSS und Astro aufteilen, ohne ihre Belange zu berücksichtigen.«
»Machen Sie doch mal einen Exkurs in die Geschichte, Diane«, sagte Humphries mit einem Kopfschütteln. »Damals, im zwanzigsten Jahrhundert, gab es in Europa Probleme wegen eines Landes namens Tschechoslowakei. Es existiert heute überhaupt nicht mehr. Damals wollte Deutschland es sich jedoch einverleiben. Die Engländer und Franzosen hielten in München mit den Deutschen eine Konferenz ab. Dort entschieden sie, wie mit der Tschechoslowakei zu verfahren sei. Die Tschechen waren zu der Konferenz gar nicht eingeladen. Dazu bestand keine Veranlassung; die ›großen Jungs‹ haben das unter sich ausgemacht.«
»Und ein Jahr später gab es Krieg in Europa«, erwiderte Verwoerd unwirsch. »Ich kenne mich aus in Geschichte. Sie können keine Konferenz über die Aufteilung des Gürtels anberaumen, ohne die Felsenratten daran zu beteiligen.«
»Wirklich nicht?«
»Sie werden sie Fuchs geradezu in die Arme treiben!«
Bei diesen Worten runzelte Humphries die Stirn. »Glauben Sie?«, fragte er.
»Natürlich.«
»Hmm. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Vielleicht haben Sie Recht.«
Verwoerd beugte sich leicht zu ihm hinüber. »Wenn Sie die Felsenratten aber mit einbeziehen und ihnen sagen, dass sie einen Vertreter auf die Konferenz schicken sollen …«
»Würden wir sie damit auf unsere Seite ziehen«, beendete Humphries den Satz für sie.
»Und der einzige Außenseiter, der Einzige, der mit dieser Vereinbarung nicht einverstanden ist, wäre Fuchs.«
»Richtig!«
»Er wäre isoliert«, sagte Verwoerd. »Ganz allein. Er würde aufgeben müssen. Niemand würde ihm mehr helfen, und er wäre gezwungen, die Flagge zu streichen.«
Humphries verschränkte die Hände hinterm Kopf und lehnte sich auf dem großen, bequemen Stuhl weit zurück. »Außerdem würde er für die Ermordung der Leute auf Vesta vor Gericht gestellt werden. Ich liebe das!«