Während sie mit der Lubbock Lights in hohem Tempo von Ceres wegstrebten, machte Fuchs sich erst einmal mit der Besatzung bekannt, die Nodon rekrutiert hatte. Es handelte sich um schweigsame Asiaten mit ausdruckslosen Gesichtern — Mongolen, Nachfahren von Dschingis Khan. Besonders wild sahen sie aber nicht aus; sie machten eher den Eindruck von Kindern. Von Gymnasiasten, die die Schule schwänzten. Aber sie schienen sich mit Fusionsantriebs-Raumschiffen aus-zukennen.
Alle Fusionsschiffe beruhten auf ein paar grundlegenden Konstruktionskonzepten, wie Fuchs wusste. Die Lubbock Lights war zwar ein Frachter, doch er hatte das Schiff mit drei Bergbaulasern bewaffnet, die aus seinem Lagerhaus stammten.
Als sie auf dem Weg waren und mit der Mondschwerkraft von einem Sechstel Ge im Gürtel beschleunigten, rief Fuchs die Besatzung in die Bordküche. Obwohl es mit den sieben Personen ziemlich eng wurde in dem kleinen Raum, nahmen sie Haltung vor ihm an. Ihre dunklen Augen verrieten nicht die geringste Gefühlsregung.
»Ihr wisst, dass wir nun Gesetzlose sind«, sagte er ohne Umschweife. »Piraten. Es gibt keinen Weg zurück.«
»Wir werden Ihnen folgen, Sir«, meldete Nodon sich zu Wort. »Wir haben auch keine andere Wahl mehr.«
Fuchs ließ den Blick über die Gesichter schweifen. Lauter junge Gesichter. Ein paar waren tätowiert, und alle waren an verschiedenen Stellen mit Metallaccessoires gepierct. Und sie waren verbittert wegen der Art und Weise, wie die Welt sie behandelt hatte. Nodon hatte Fuchs ihre Lebensläufe geschildert. Sie stammten alle aus armen Familien, die sich krumm gelegt hatten, um ihre Kinder auf die Universität zu schicken, wo sie lernen sollten, wie man es zu Reichtum bringt. Alle sechs hatten technische Fächer studiert, von Computertechnik über Elektrotechnik bis zu Umweltwissenschaften. Und allen hatte man bei der Aushändigung des Diploms eröffnet, dass es keine Jobs für sie gab. Die Welt geriet aus den Fugen, und ihre Heimatorte wurden wegen der Dürre und den verheerenden Stürmen aufgegeben, die über die ausgedörrten Täler hinwegfegten und das Farmland zerstörten, anstatt es fruchtbar zu machen. Alle sechs Familien wurden Teil des riesigen Elendszugs verhungernder Heimatloser, die im verwüsteten Land umherwanderten und denen nichts anderes übrig blieb, als zu betteln, zu stehlen oder aufzugeben und am Straßenrand zu krepieren.
Das ist ihre Geschichte, sagte Fuchs sich. Gescheiterte Existenzen, die ihren Platz in der Gesellschaft verloren haben, die ihre Familien und ihre Zukunft verloren haben. Desperados.
Er räusperte sich und fuhr fort: »Eines Tages werden wir hoffentlich in der Lage sein, als reiche Männer und Frauen zur Erde zurückzukehren. Doch vielleicht wird dieser Tag auch niemals kommen. Wir müssen das Beste aus unserem Leben machen und die Situationen bewältigen, mit denen wir konfrontiert werden.«
»Genau das tut jeder von uns schon seit über einem Jahr, Sir«, sagte Nodon gemessen. »Lieber ums Überleben kämpfen, als ein elendes Dasein als Bettler oder Prostituierte führen, als getreten und geschlagen zu werden und langsam zu sterben.«
Fuchs nickte. »Also gut. Wir werden uns nehmen, was wir brauchen und was wir wollen. Wir werden uns von niemandem zu Sklaven machen lassen.«
Er wusste selbst, dass das starke Worte waren. Während Nodon sie für die Besatzung dolmetschte, fragte Fuchs sich, ob er selbst überhaupt daran glaubte. Er fragte sich, welcher von diesen Fremden mit ihren ausdruckslosen Gesichtern ihn wohl für einen Judaslohn verraten würde. Er gelangte zu dem Schluss, dass er sich immer den Rücken würde freihalten müssen.
Die Asiaten unterhielten sich untereinander in einem hektischen Geflüster. Dann sagte Nodon: »Es gibt da noch ein Problem, Sir.«
»Ein Problem?«, fragte Fuchs schroff. »Was für ein Problem?«
»Der Name dieses Schiffs. Er ist unpassend. Das ist kein Glück bringender Name.«
Das ist tatsächlich ein saublöder Name, sagte Fuchs sich. Lubbock Lights. Er hatte keine Ahnung, wer das Schiff so getauft hatte und wieso.
»Was schlagt ihr denn vor?«, fragte er.
Nodon schaute auf die anderen und sagte: »Das steht nicht in unserem Ermessen, Sir. Sie sind der Kapitän; Sie müssen die Entscheidung treffen.«
Wieder schaute Fuchs auf die ausdruckslosen Gesichter. Trotz ihrer Jugend hatten sie schon gelernt, ihre Gefühle gut zu verbergen. Wie sieht es wohl hinter diesen Masken aus, fragte er sich. Ist das etwa ein Test? Was erwarten sie überhaupt von mir? Doch sicher mehr als nur einen Namen für das Schiff. Sie beobachten mich, versuchen sich ein Urteil über mich zu bilden und mich einzuschätzen. Wenn ich schon ihr Anführer sein soll, muss ich meine Führungsqualitäten auch unter Beweis stellen.
Ein Name für das Schiff. Ein passender, Glück bringender Name.
Ein Wort kam ihm über die Lippen. »Nautilus.«
Sie wirkten verwirrt. Wenigstens habe ich ihre Schale leicht angeknackst, sagte Fuchs sich.
»Die Nautilus war ein U-Boot, das von ihrem Kapitän und der Besatzung eingesetzt wurde, um Rache an Bösewichtern zu nehmen und ihre Schiffe zu zerstören.«
Nodon runzelte die Stirn und dolmetschte dann für die anderen. Es gab eine kurze Diskussion, doch nach einer Weile nickten sie alle zustimmend. Ein paar lächelten sogar.
»Nautilus ist ein guter Name«, sagte Nodon.
Fuchs nickte. »Also heißt das Schiff ab jetzt Nautilus.« Er hatte indes nicht die Absicht, sie darüber aufzuklären, dass das U-Boot nur in einem Roman existiert hatte und welches Ende es gefunden hatte — und sein Kapitän.
Amanda wachte mit hämmernden Kopfschmerzen auf. Sie drehte sich um und sah, dass Lars nicht neben ihr im Bett lag. Und der Wandbildschirm sagte, dass ein paar Nachrichten eingegangen waren. Komisch, dass sie das Telefon nicht gehört hatte. Lars muss es stumm geschaltet haben, sagte sie sich.
Sie setzte sich im Bett auf und sah, dass er nicht im Einraum-Apartment anwesend war. Das Herz wurde ihr schwer.
»Lars«, rief sie leise. Keine Antwort. Sie wusste, dass er weg war. Er hat mich verlassen. Dieses Mal für immer.
Die erste Nachricht auf der Liste war von ihm. Sie vermochte den Computer kaum anzuweisen, die Nachricht auf den Bildschirm zu legen, so sehr zitterte ihre Stimme.
Lars saß im Lagerhaus am Schreibtisch und schaute so grimmig wie der Tod. Er trug ein altes pechschwarzes T-Shirt und eine Schlapphose. Sein Blick war unergründlich.
»Meine liebste Amanda«, sagte er. »Ich muss dich leider verlassen. Wenn du diese Nachricht liest, werde ich schon weg sein. Es gibt keine andere Möglichkeit, jedenfalls keine, die ich sehe. Geh nach Selene, wo Pancho dich zu beschützen vermag. Und was immer du auch von mir hörst, vergiss nie, dass ich dich liebe. Was immer ich auch getan habe oder noch tun werde, ich tue es, weil ich dich liebe und weil ich weiß, dass dein Leben in Gefahr ist, solange du in meiner Nähe bist. Leb wohl, Liebling. Ich weiß nicht, ob ich dich jemals wieder sehen werde. Leb wohl.«
Ohne sich dessen bewusst zu sein, befahl sie dem Computer, seine Nachricht zu wiederholen. Und dann noch einmal. Doch dann sah sie den Bildschirm schon nicht mehr wegen der Tränen, die ihr in die Augen traten.