Nachdem George den Luftschleusenzyklus der Starpower 1 durchlaufen hatte und zu seinem eigenen Schiff, der Waltzing Matilda zurückgeflogen war, ging Fuchs durch den schmalen Mittelgang des Schiffs zum Abteil, wo seine Frau arbeitete.
Sie schaute vom Wandbildschirm auf, als Fuchs die Tür zum Abteil aufschob. Er sah, dass sie eine Modenschau verfolgte, die von irgendwo auf der Erde übertragen wurde: schlanke, geradezu dürre Models in bunten Kleidern in gewagten Designs. Fuchs runzelte die Stirn; die halbe Weltbevölkerung hatte durch Überschwemmungen und Erdbeben ihre Heimat verloren, fast überall herrschte Hungersnot, und noch immer spielten die Reichen ihre Spielchen.
»Ist George schon gegangen?«, fragte Amanda und schaltete den Wandbildschirm aus.
»Ja. Und er war einverstanden!«
Ihr Lächeln war sehr verhalten. »Wirklich? Du hast nicht allzu lang gebraucht, um ihn zu überzeugen, nicht wahr?«
Sie sprach noch immer mit einem Anflug des Oxford-Akzents, den sie sich vor Jahren in London zugezogen hatte. Sie trug ein zu großes ausgebleichtes Sweatshirt und eine gekürzte Arbeitshose. Das goldblonde Haar hatte sie hochgesteckt; die Frisur wirkte etwas derangiert. Sie war nicht geschminkt und dennoch viel schöner als jedes dieser abgemagerten Mannequins der Modenschau. Fuchs zog sie an sich und küsste sie zärtlich.
»In zwei Jahren, vielleicht schon früher, werden wir eine vernünftige Basis mit Mondschwerkraft im Orbit um Ceres haben.«
Amanda schaute ihrem Mann in die Augen, als ob sie etwas suchte. »Kris Cardenas wird sich freuen, das zu hören«, sagte sie.
»Ja, Dr. Cardenas wird sehr erfreut sein«, pflichtete Fuchs ihr bei. »Wir sollten es ihr sagen, sobald wir angekommen sind.«
»Natürlich.«
»Aber du bist noch nicht einmal angezogen!«
»Ich brauche nur eine Minute«, sagte Amanda. »Wir gehen schließlich nicht auf einen königlichen Empfang. Nicht einmal auf eine Party in Selene«, fügte sie hinzu.
Fuchs wurde sich bewusst, dass Amanda doch nicht so glücklich war, wie er vermutet hatte. »Was ist denn los? Stimmt etwas nicht?«
»Nein«, sagt sie allzu schnell. »Eigentlich nicht.«
»Amanda, mein Liebling. Ich weiß doch, wenn du ›eigentlich nicht‹ sagst, meinst du in Wirklichkeit ›ja‹.«
Nun lächelte sie. »Du kennst mich zu gut.«
»Nein, nicht zu gut. Nur gut genug.« Er küsste sie wieder, diesmal aber ganz sachte. »Also, was ist los? Bitte sag es mir.«
»Ich glaubte, wir wären um diese Zeit schon wieder zu Hause, Lars«, sagte Amanda leise und legte den Kopf an seine Schulter.
»Zu Hause?«
»Auf der Erde. Oder wenigstens auf Selene. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass wir drei Jahre lang im Gürtel bleiben würden.«
Plötzlich nahm Fuchs die verkratzten und verschrammten Metallwände des winzigen Abteils bewusst wahr, den schmalen Durchgang des Schiffs und die anderen beengten Abteile, roch die stickige Luft mit der stechenden Ozonnote, spürte die Hintergrundvibrationen, die das Schiff erschütterten und hörte das Rattern der Pumpen und das Surren der Lüfter. Und er hörte seine eigene Stimme, die blöde fragte:
»Du bist hier nicht glücklich?«
»Lars, ich bin glücklich mit dir. Wo auch immer du bist. Das weißt du. Aber …«
»Aber du wärst lieber wieder auf der Erde. Oder in Selene.«
»Das ist jedenfalls besser, als die ganze Zeit in einem Schiff zu hausen.«
»Er ist immer noch in Selene.«
Sie löste sich etwas von ihm und schaute ihm in die Augen. »Du meinst Martin?«
»Humphries«, sagte Fuchs. »Wen denn sonst?«
»Er hat nichts damit zu tun.«
»Wirklich nicht?«
Nun wirkte sie ernsthaft besorgt. »Lars, du glaubst doch nicht, dass Humphries mir irgendetwas bedeutet?«
Er spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Ein Blick in Amandas unschuldige blaue Augen und auf ihre frauliche Figur, und jeder Mann würde sie haben wollen.
»Ich weiß, dass Martin Humphries scharf auf dich ist«, sagte er mit kalter Ruhe. »Ich glaube, dass du mich nur geheiratet hast, um vor ihm zu fliehen. Ich glaube …«
»Lars, das ist nicht wahr!«
»Wirklich nicht?«
»Ich liebe dich! Um Gottes willen, weißt du das denn nicht? Spürst du es denn nicht?«
Das Eis taute. Er wurde sich bewusst, dass er die schönste Frau in den Armen hielt, die er je gesehen hatte. Dass sie in diese desolate Leere an der Grenze der menschlichen Zivilisation gekommen war, um bei ihm zu sein, ihm zu helfen, ihn zu lieben.
»Es tut mir Leid«, murmelte er beschämt. »Es ist nur so, dass … ich dich so sehr liebe …«
»Und ich liebe dich, Lars. Das ist mein Ernst.«
»Ich weiß.«
»Weißt du das wirklich?«
Er schüttelte zerknirscht den Kopf. »Manchmal frage ich mich, wieso du dich überhaupt mit mir eingelassen hast.«
Sie lächelte und fuhr ihm mit der Fingerspitze über sein spitzes, stoppeliges Kinn. »Wieso nicht? Du hast dich doch auch mit mir eingelassen, nicht wahr?«
»Ich glaubte auch, dass wir um diese Zeit längst wieder auf der Erde wären«, gestand er mit einem Seufzer. »Ich glaubte, dass wir längst reich wären.«
»Aber das sind wir doch. Oder?«
»Auf dem Papier vielleicht. Wir sind besser dran als die meisten anderen Prospektoren. Zumindest gehört uns dieses Schiff …«
Ihm versagte die Stimme. Sie wussten beide warum. Sie besaßen die Starpower, weil Martin Humphries sie ihnen geschenkt hatte.
»Aber die Bilanz stimmt nicht«, sagte Amanda im Versuch, das Thema zu wechseln. »Ich bin sie einmal durchgegangen. Es will uns einfach nicht gelingen, aus den roten Zahlen herauszukommen.«
Fuchs stieß ein Geräusch aus, das irgendwo zwischen einem Grunzen und einem Schnauben lag. »Wenn du unsere Schulden saldierst, sind wir sicher Multimillionäre.«
Sie beide wussten, dass es ein klassisches Problem war.
Ein Prospektor fand einen Asteroiden, der auf dem Papier ein paar Hundert Milliarden wert war, doch die Kosten für das Schürfen der Erze, den Transport zum Erde/Mond-System, die Veredelung — die Kosten für Lebensmittel, Treibstoff und Atemluft — waren so hoch, dass die Prospektoren fast immer auf dem gezackten Grat des Bankrotts wandelten. Dennoch machten sie weiter, immer auf der Suche nach dem einen großen Fund, der es ihnen ermöglichen würde, in den Ruhestand zu gehen und ein Leben im Luxus zu führen. Doch so groß die Reichtümer auch waren, die sie fanden, sie zerrannen ihnen bald unter den Händen.
Und ich will ihnen noch zehn Prozent abnehmen, sagte Fuchs sich. Aber es ist es wert! Sie werden mir noch einmal dafür danken.
»Es ist nicht so, dass wir Verschwender wären«, murmelte Amanda. »Wir werfen das Geld nicht für unnötige Dinge zum Fenster hinaus.«
»Ich hätte dich nie hierher bringen sollen«, sagte Fuchs. »Das war ein Fehler.«
»Nein!«, widersprach sie. »Ich will bei dir sein, Lars. Wo immer du bist.«
»Das ist kein Ort für eine Frau wie dich. Du solltest ein behagliches und glückliches Leben führen …«
Sie legte ihm den Finger auf die Lippen und brachte ihn so zum Schweigen. »Es fehlt mir hier an nichts.«
»Aber auf der Erde wärst du doch glücklicher. Oder in Selene.«
Sie zögerte für einen Sekundenbruchteil und fragte dann: »Du etwa nicht?«
»Ja«, gestand er. »Natürlich. Aber ich werde nicht eher zurückkehren, bis ich dir all die Dinge bieten kann, die du verdienst.«
»Ach Lars, du bist alles, was ich wirklich will.«
Er schaute sie für einen langen Moment an. »Ja, vielleicht. Aber ich will mehr. Viel mehr.«
Amanda sagte nichts.
»Aber solange wir hier draußen sind«, sagte Fuchs mit sich aufheiternder Miene, »werde ich dir wenigstens ein anständiges Zuhause im Ceres-Orbit bieten!«
Sie schenkte ihn ein Lächeln.