Kapitel 60

Es war das größte gesellschaftliche Ereignis in der Geschichte von Selene. Fast zweihundert Hochzeitsgäste versammelten sich im Garten von Humphries’ Anwesen.

Pancho Lane trug ein lavendelfarbenes wadenlanges Kleid, das ihre schlanke, athletische Figur gut zur Geltung brachte. Saphire funkelten an ihren Ohren, Handgelenken und am schlanken Hals. Ihre Ringellöckchen waren mit Saphirstaub gepudert.

»Du siehst aus wie eine abgefuckte Million Dollar auf zwei Beinen«, sagte Big George zu ihr.

Pancho grinste den Australier an. Er schien sich höchst unbehaglich zu fühlen in einem korrekten schwarzen Anzug mit einer altmodischen Fliege.

»Wenn ich schon die Rolle eines großen Tiers in einem Konzern spielen muss«, sagte sie, »dann sollte ich auch so aussehen.«

»Du siehst verdammt gut aus«, sagte George.

»Du kannst dich aber auch sehen lassen«, sagte Pancho.

»Komm«, sagte George. »Wir sollten zu unseren Plätzen gehen.«

Jedes Detail der Hochzeit war von Humphries’ Leuten sorgfältig choreografiert worden. Auf jedem der weißen Klappstühle, die auf dem Rasen aufgestellt waren, war der Name eines Gastes eingraviert, und jeder Gast hatte sogar eine Nummer für das Defilee nach der Hochzeitszeremonie bekommen.

Sie wollten sich gerade setzen, als Kris Cardenas zu Pancho und George stieß. Sie wirkte richtig jung in einem butterblumengelben Kleid, das gut zu ihrem goldenen Haar passte.

»Amanda will das wirklich durchziehen«, sagte Cardenas, als ob sie sich das Gegenteil wünschte.

»Sieht so aus«, erwiderte George und beugte sich auf dem Stuhl vor. »Ihr glaubt doch nicht, sie wäre erst so weit gegangen und würde jetzt noch einen Rückzieher machen, oder?«, fragte er mit leiser Stimme.

»Nicht Mandy«, sagte Pancho, die zwischen George und Cardenas saß. »Sie wird es durchziehen.«

»Ich mache mir Sorgen um Lars«, sagte Cardenas.

Pancho nickte. »Deshalb heiratet Mandy Humphries auch — um Lars das Leben zu retten.«

»Wenigstens ist er noch am Leben«, sagte George. »Er ist mit seiner Besatzung irgendwo draußen im Gürtel.«

»Als Prospektor?«

»Was bleibt ihm anderes übrig? Wenn er es wagt, hier in Selene oder irgendwo auf der Erde aufzutauchen, wird man ihn verhaften.«

Cardenas schüttelte den Kopf. »Das ist nicht fair, ihn einfach zu verbannen.«

»Immer noch besser, als ihn zu töten«, sagte George.

»Ja schon, aber …«

»Die Sache ist erledigt«, sagte George dezidiert. »Nun müssen wir nach vorn in die Zukunft schauen.«

Pancho nickte zustimmend.

»Ich möchte«, sagte George zu Cardenas, »dass du dir überlegst, wie wir Nanos im Bergbau einsetzen können.«

Cardenas versteifte sich etwas. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich das für keine gute Idee halte.«

»Quatsch«, sagte George unwirsch. »Das ist eine großartige Idee, und du weißt es. Nur weil …«

Das Orchester, das Humphries eigens zu diesem Anlass hatte einfliegen lassen, intonierte den Hochzeitsmarsch. Alle Anwesenden standen auf und drehten sich zu Amanda um, die in einem weißen bodenlangen Kleid ein paar Schritte vor den aquamarinfarben gewandeten Brautjungfern den Gang entlangschritt. Amanda umklammerte mit beiden Händen ein Bouquet aus weißen Orchideen und zartrosa Zwergröschen.


* * *

So ein schlechtes Leben wird das gar nicht, sagte Amanda sich, als sie langsam im Takt des Hochzeitsmarschs den Gang entlangschritt. Martin ist kein Ungeheuer; er kann sogar ausgesprochen liebenswürdig sein, wenn er will. Ich muss nur meine Position vertreten und Herrin der Lage bleiben.

Doch dann dachte sie an Lars, und sie wollte schier verzagen. Ihr war zum Weinen zumute, doch sie wusste, dass sie das nicht durfte. Eine Braut muss lächeln, sagte sie sich. Eine Braut muss vor Glück strahlen.

Martin Humphries stand am provisorischen Altar am Ende des Ganges. Zweihundert Gäste beobachteten Amanda, wie sie langsam und gemessen auf ihn zuging. Martin strahlte; er sah sehr gut aus in seinem bordeaux-farbenen Samtfrack. Er stand da wie ein triumphierender Sieger und lächelte sie herzlich an.

Der Priester war aus Martins Heimatort in Connecticut nach Selene eingeflogen worden. Die anderen Teilnehmer an der Hochzeitsfeier waren Amanda unbekannt.

Als der Priester sich anschickte, die Trauung zu vollziehen, dachte Amanda an die befruchteten Embryonen, die sie und Lars tiefgekühlt in der Klinik von Selene deponiert hatten. Die Zygoten waren Lars’ Kinder, seine Nachkommen. Und ihre.

Sie warf einen Blick auf Martin, der in wenigen Momenten ihr rechtmäßig angetrauter Ehemann sein würde. Ich werde Sex mit ihm haben, sagte Amanda sich. Natürlich. Das ist es ja, was er will — das erwartet er. Und ich werde ihm auch alles geben, was er erwartet. Alles.

Doch wenn ich ein Kind austrage, wird es Lars’ Kind sein und nicht Martins. Dafür werde ich schon sorgen. Martin wird es niemals erfahren, aber ich werde es tun. Ich werde Lars’ Sohn in die Welt setzen. Basta.

Als Amanda das Jawort gab, lächelte sie zum ersten Mal.


* * *

Martin Humphries stand neben der schönsten Frau im ganzen Sonnensystem und wusste, dass sie ihm und nur ihm gehören würde, solange er sie wollte.

Ich habe nun alles, was ich wollte, sagte er sich. Fast alles. Er hatte Pancho unter den Hochzeitsgästen gesehen; sie war in Begleitung von diesem Rübezahl und Dr. Cardenas. Amanda hatte sie eingeladen; es waren schließlich ihre Freunde. Humphries sagte sich, dass er Pancho auch eingeladen hätte — nur damit sie sah, wie er Amanda in Besitz nahm.

Amanda glaubt, dass der Krieg vorbei sei. Dass wir die Felsenratten unter Kontrolle hätten und der Kampf zwischen Astro und mir nun in einen friedlichen Wettbewerb münden könne. Er hätte beinahe laut gelacht. Amanda schaute ihn an. Sie wird glauben, ich lächle wegen ihr, sagte Humphries sich. Ja, natürlich auch wegen ihr. Aber das ist nicht der einzige Grund. Bei weitem nicht.

Ich werde einen Sohn mit Amanda haben. Die Klone werden bald reif sein, und ich werde mir dann den besten aus dem Wurf aussuchen. Aber ich will auch einen leiblichen Sohn mit Amanda haben. Auf die altmodische Art. Ich werde dafür sorgen, dass sie Fuchs vergisst. Ich werde ihn aus ihrem Gedächtnis löschen — auf die eine oder andere Art.

Fuchs ist erledigt. Sie haben ihn laufen lassen, aber er ist trotzdem ein toter Mann. Er vermag mir nun nichts mehr anzuhaben. Er ist im Exil, allein und ohne Freunde, die ihm helfen würden. Ich habe Amanda versprochen, dass ich ihm nichts tue, und ich werde ihm auch nichts tun. Er kommt mir nun nicht mehr in die Quere, und die Felsenratten sind auch unter Kontrolle. Nun kann der eigentliche Kampf gegen Astro beginnen. Ich werde die Kontrolle über die Astro Corporation erlangen, über den Gürtel und über das ganze gottverdammte Sonnensystem.

In diesem Moment fragte der Priester Humphries, ob er gewillt sei, Amanda zu seinem rechtmäßig angetrauten Weib zu nehmen.

Seine Antwort auf diese Frage im Besonderen — und seine Ambitionen im Allgemeinen — lautete: »Ich will!«

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