Während der wochenlangen Reise auf der Harper kam Amanda ihr Mann irgendwie wie ein Fremder vor: Er schien auf eine Art und Weise seltsam und verändert, die sie nicht in Worte zu fassen vermochte. Obwohl — distanziert wirkte er eigentlich nicht. Ganz bestimmt war er nicht distanziert: Lars verbrachte fast den ganzen Flug im Bett mit ihr, und sie trieben es mit einer stürmischen Leidenschaft, die sie noch nie zuvor erlebt hatte.
Doch selbst auf dem Höhepunkt ihrer Leidenschaft wirkte er irgendwie zurückgezogen; da war irgendetwas, das er vor ihr verbarg. Früher war sie immer imstande gewesen, seine Gedanken zu lesen: Nur einen Blick auf die Stellung seines Kinns, und sie wusste Bescheid. Er hatte ihr nie etwas verheimlicht. Nun war seine Miene jedoch reglos, der Gesichtsausdruck stoisch. Die tief in den Höhlen liegenden blauen Augen verrieten ihr nichts.
Die Erkenntnis, dass Lars versuchte, ihr gegenüber ein Geheimnis zu bewahren, ängstigte Amanda. Vielleicht mehr noch als das.
Als sie in ihrem Quartier auf Ceres angekommen waren und sich anschickten, die Reisetaschen auszupacken, beschloss Amanda, das Thema direkt anzusprechen.
»Lars, was ist eigentlich los?«
Er stopfte gerade eine Hand voll Socken und Unterwäsche in eine Schublade. »Was soll denn los sein?«, fragte er, ohne zu ihr aufzuschauen. »Wie kommst du überhaupt darauf, dass etwas los wäre?«
»Dir geht irgendetwas im Kopf herum, und du willst es mir nicht sagen.«
Er richtete sich auf und kam zu ihr ans Bett. »Ich denke an alles, woran wir denken müssen. Die Versicherung, die neuerliche Bestückung des Lagerhauses, die Rückholung der Starpower.«
Amanda saß neben ihrer offenen Reisetasche auf dem Bett. »Ja, natürlich. Und woran denkst du noch?«
Er wandte den Blick von ihr ab. »Wie, woran noch? Reicht das denn nicht?«
»Da ist doch noch etwas, Lars. Irgendetwas beschäftigt dich, seit wir Selene verlassen haben.«
Er schaute auf sie herab und richtete die Aufmerksamkeit dann wieder auf die Reisetasche. Er durchwühlte sie und murmelte irgendetwas von seinem Rasierapparat.
Amanda legte die Hand auf seine und unterbrach ihn bei seiner Verrichtung. »Lars, bitte sag es mir.«
Er richtete sich auf. »Es gibt Dinge, von denen du besser nichts wissen solltest, Liebling.«
»Was?« Sie war regelrecht schockiert. »Welche Dinge denn?«
Er lächelte fast. »Wenn ich es dir sagte, dann wüsstest du es ja.«
»Es ist wegen Martin, nicht wahr? Du bist schon seit deiner Besprechung mit ihm so komisch.«
Fuchs holte tief Luft. Sie sah, wie die Brust sich wölbte und wieder zusammenzog. Er stellte die Reisetasche ab und setzte sich neben sie aufs Bett.
»Auf dem ganzen Rückflug«, sagte er mit schwerer, leiser Stimme, »habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, wie wir ihn daran hindern können, die Kontrolle über den ganzen Gürtel zu übernehmen.«
»Das ist es also.«
Er nickte, doch sie sah, dass das noch nicht alles war. Sein Blick war besorgt und unstet.
»Darauf hat er es abgesehen. Er will die vollständige Kontrolle über alles und jeden hier draußen. Er will die absolute Macht.«
»Und wenn schon«, platzte Amanda heraus. »Lars, wir müssen doch nicht gegen ihn kämpfen. Wir können es auch gar nicht! Du vermagst ihn nicht aufzuhalten.«
»Irgendjemand muss es aber tun.«
»Aber doch nicht du! Nicht wir! Wir stecken das Geld von der Versicherung ein, gehen zur Erde zurück und vergessen das alles.«
»Vielleicht kannst du das vergessen«, sagte Fuchs und schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann es nicht.«
»Du meinst, du willst nicht.«
»Ich kann nicht.«
»Lars, du bist auf einem blöden Macho-Trip. Das ist kein Kampf zwischen dir und Martin. Es gibt nichts, worum man kämpfen müsste! Ich liebe dich. Weißt du das nach all den Jahren immer noch nicht? Glaubst du es nicht?«
»Es geht darüber hinaus«, sagte Fuchs düster.
»Darüber hinaus …?«
»Er hat Menschen getötet. Freunde von uns. Ripley. Die Männer und Frauen an Bord der Schiffe, die verschwunden sind. Er ist ein Mörder.«
»Aber was kannst du dagegen tun?«
»Ich kann kämpfen.«
»Kämpfen?« Nun hatte Amanda wirklich Angst. »Wie denn? Und womit?«
Er hielt die Hände mit den knubbeligen Fingern hoch und ballte sie langsam zu Fäusten. »Mit den bloßen Händen, wenn es sein muss.«
»Lars, das ist doch verrückt! Wahnsinn!«
»Glaubst du, ich wüsste das nicht?«, sagte er schroff. »Glaubst du, es würde mich nicht bis auf den Grund der Seele ängstigen. Ich bin schließlich ein zivilisierter Mensch und kein Neandertaler.«
»Und wieso …?«
»Weil ich muss. Weil ein Zorn in mir ist, eine Wut, die mich nicht mehr loslässt. Ich hasse ihn! Ich hasse seine bräsige Selbstsicherheit. Ich hasse die Vorstellung, dass er nur einen Knopf drücken muss, und Millionen von Kilometern entfernt werden Menschen ermordet, während er in seinem eleganten Haus sitzt und sich an Fasan delektiert. Und sich in Phantasien über dich ergeht!«
Amanda sank das Herz. Ich bin der Grund für all das, sagte sie sich immer wieder. Ich habe diesen netten, liebevollen Mann in ein wütendes Ungeheuer verwandelt. »Ich würde ihm zu gern die Fresse einschlagen«, knurrte Fuchs. »Und ihn töten, so wie er so viele andere getötet hat.«
»So wie du den Mann im Pub getötet hast«, hörte sie sich sagen.
Er schaute sie an, als ob sie ihm ins Gesicht geschlagen hätte.
»Ach Lars, so habe ich das doch nicht gemeint …«, sagte Amanda entsetzt.
»Du hast Recht«, sagte er schroff. »Absolut Recht. Wenn ich Humphries auf diese Weise töten könnte, würde ich es tun. Ohne mit der Wimper zu zucken.«
Sie streichelte ihm sanft und beschwichtigend die Wange. »Lars, Liebling, bitte — du erreichst damit doch nur, dass du selbst getötet wirst.«
Er schob ihre Hand weg. »Glaubst du nicht, dass ich schon auf der Abschussliste stehe? Er hat doch gesagt, dass er mich töten lassen würde. Sie sind ein toter Mann, Fuchs. Das waren seine Worte.«
Amanda schloss die Augen. Es gab nichts, was sie tun konnte. Sie wusste, dass ihr Mann kämpfen würde und dass sie ihn durch nichts davon abzubringen vermochte. Sie wusste, dass er umkommen würde. Noch schlimmer, sie sah, dass er sich selbst in einen Killer verwandelte. Er wurde zu einem Fremden, zu einem Mann, den sie nicht mehr kannte und wiedererkannte. Das machte ihr Angst.
»Welchem Umstand verdanke ich die Ehre Ihres Besuchs?«, fragte Carlos Vertientes.
Er sieht unverschämt gut aus, sagte Pancho sich. Hat die Gesichtszüge eines aristokratischen Kastiliers. Ausgeprägte hohe Wangenknochen. Ein keckes Menjou-Bärtchen. Er sieht so aus, wie ein Professor aussehen sollte, und nicht so wie diese ungepflegten Säcke in Texas.
Sie ging mit dem Dekan des Fachbereichs Plasmadynamik der Universität über die Ramblas in Barcelona — mit dem groß gewachsenen renommierten Physiker, der Lyall Duncan geholfen hatte, das Fusionsantriebssystem zu bauen, das nun die meisten Raumschiffe benutzten, die jenseits der Mondumlaufbahn im Einsatz waren. Vertientes wirkte sehr elegant im taubengrauen dreiteiligen Anzug. Pancho trug den grünen Overall, den sie schon bei der Einreise angehabt hatte.
Barcelona war noch immer eine lebendige Stadt trotz des steigenden Meeresspiegels, der Klimaerwärmung und der Flucht von Millionen Menschen. Und die Ramblas war noch immer der überfüllte, quirlige und lärmende Boulevard, wo die Einwohner der Stadt sich auf einen Tapas-Imbiss und einen guten Rioja-Wein trafen und die Gelegenheit nutzten, zu sehen und gesehen zu werden. Pancho gefiel das viel besser, als im Büro zu sitzen, obwohl die Menge manchmal so dicht war, dass sie sich mit den Ellbogen einen Weg durch Trauben von Leuten bahnen musste, die für ihren Geschmack zu langsam gingen. Auf jeden Fall zog Pancho das Bad in der Menge einem Büro vor, das vielleicht abgehört wurde.
»Ihre Universität ist ein Anteilseigner der Astro Corporation«, sagte Pancho in Beantwortung seiner Frage.
Vertientes’ schmale Brauen hoben sich etwas. »Wir sind Teil eines globalen Konsortiums von Universitäten, das in viele große Unternehmungen investiert.«
Er war etwas größer als Pancho und so schlank wie eine Toledoklinge. Sie fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft. »Ja«, erwiderte sie mit einem Nicken. »Das habe ich auch herausgefunden, als ich die Liste von Astros Aktionären durchging.«
Er lächelte gewinnend. »Sind Sie etwa nach Barcelona gekommen, um Aktien zu verkaufen?«
»Nein, nein«, sagte Pancho und stimmte in sein Lachen ein. »Aber ich habe einen Vorschlag für Sie — und Ihr Konsortium.«
»Und worum handelt es sich dabei?«, fragte er und nahm sie am Arm, um sie an einer Gruppe asiatischer Touristen vorbeizumanövrieren, die für einen Straßenfotografen posierten.
»Was würden Sie davon halten, eine Forschungsstation im Jupiterorbit einzurichten? Astro würde drei Viertel der Kosten übernehmen; vielleicht mehr, wenn es uns gelingt, die Bücher etwas zu frisieren.«
Vertientes’ Brauen wölbten sich noch höher. »Eine Forschungsstation am Jupiter? Sie meinen eine bemannte Station?«
»Mit einer Besatzung«, sagte Pancho.
Er blieb stehen, sodass sie von der Menge umströmt wurden. »Sie schlagen also vor, dass das Konsortium eine bemannte — und ›beweibte‹ — Station im Jupiterorbit einrichtet, und zwar zu einem Viertel der effektiven Kosten?«
»Vielleicht noch weniger«, sagte Pancho.
Er schürzte die Lippen. »Gehen wir doch in eine Cantina, um das in aller Ruhe zu besprechen.«
»Soll mir recht sein«, sagte Pancho glücklich lächelnd.