Humphries gab auf seinem Anwesen eine Party für die Delegierten der Friedenskonferenz. Es war aber keine große Veranstaltung; nur eine intime Versammlung der paar Männer und Frauen, die sich am nächsten Morgen in einem peripheren Konferenzraum in Selenes Büroturm oben in der Grand Plaza treffen würden.
Pancho Lane traf als erster Gast ein. Humphries begrüßte sie im großzügigen Wohnzimmer seines Hauses, wobei er Diane Verwoerd an seiner Seite hatte. Diane steckte in einem glitzernden, bodenlangen silberfarbenen Kleid, das fast bis zur Hüfte ausgeschnitten war. Pancho war mit einem lavendelfarbenen Cocktailkleid bekleidet und trug dazu große Kupferohrringe und Kupferreifen um die Handgelenke und um den Hals.
Humphries, der ein kragenloses burgunderfarbenes Jackett über einem schwarzen T-Shirt und einer anthrazitfarbenen Hose trug, grinste zufrieden. Pancho hatte in den Jahren im Astro-Vorstand zwar schon viel gelernt, aber sie war noch immer so ›frisch‹, dass sie auf die Minute pünktlich erschien, anstatt das Privileg einer gepflegten Verspätung in Anspruch zu nehmen.
Nach und nach trafen auch die anderen Gäste ein, und Humphries’ Bedienstete führten sie ins luxuriös möblierte Wohnzimmer. Willi Dieterling erschien in Begleitung von zwei jüngeren Männern; er stellte sie Humphries als seine Neffen vor.
»Darf ich Ihnen zu Ihrer erfolgreichen Bewältigung der Krise im Nahen Osten gratulieren, Sir«, sagte Humphries.
Dieterling lächelte leicht verlegen und fasste sich an den gestutzten grauen Bart. »Das ist nicht nur mein Verdienst«, sagte er leise. »Beiden Seiten war die Munition ausgegangen. Meine Leistung bestand im Wesentlichen darin, die Waffenhändler dazu zu bewegen, ihnen keine Munition mehr zu verkaufen.«
Alle lachten höflich.
»Weil das Mittelmeer Israel zu überfluteten drohte und Tigris und Euphrat den halben Irak wegspülten, waren beide Seiten schließlich kooperationsbereit.«
»Trotzdem«, sagte Humphries, als der Kellner ein Tablett mit Champagnergläsern brachte, »haben Sie etwas geleistet, das …«
Er verstummte und schaute an Dieterling vorbei. Alle Blicke richteten sich auf die Tür. Dort stand Big George Ambrose mit seinem zottigen roten Haar und dem Rauschebart und fühlte sich sichtlich unwohl in einem eng sitzenden Dinnerjackett. Zu seiner Rechten war Kris Cardenas, die seit über sechs Jahren zum ersten Mal wieder in Selene war. Und zu seiner Linken war Amanda in einem schlichten weißen, ärmellosen Kleid. Als Schmuck trug sie eine Perlenkette und ein Goldgliederarmband.
Humphries ließ Dieterling und die anderen einfach stehen und eilte zu Amanda.
Er hatte plötzlich einen trockenen Mund und musste erst mal kräftig schlucken, bevor er ein »Hallo« hervorbrachte.
»Hallo, Martin«, sagte Amanda ernst.
Er kam sich vor wie ein schüchterner Schuljunge und wusste nicht, was er sagen sollte.
Es war ausgerechnet Pancho, die ihn rettete. »Hallo, Mandy!«, rief sie fröhlich und ging auf sie zu. »Schön, dich zu sehen.«
Humphries war Pancho fast dankbar, dass sie es übernahm, Amanda, Cardenas und Big George Dieterling und seinen Neffen vorzustellen. Dann traf Doug Stavenger mit seiner Frau ein, und die Gesellschaft war vollzählig.
Während die Gäste Champagner süffelten und parlierten, rief Humphries einen der Kellner herbei und wies ihn an, die Sitzordnung im Esszimmer zu ändern. Er wollte, dass Amanda zu seiner Rechten saß.
Zwei Minuten später kam sein Butler zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Sir, Doktor Dieterling müsste eigentlich zu Ihrer Rechten sitzen. Diplomatisches Protokoll …«
»Zum Teufel mit dem Protokoll!«, zischte Humphries. »Ändern Sie die Sitzordnung. Sofort!«
Der Butler wirkte überaus besorgt. Da schaltete Verwoerd sich ein und sagte: »Ich werde mich darum kümmern.«
Humphries nickte ihr zu. Sie und der Butler verschwanden im Esszimmer. Humphries wandte sich wieder Amanda zu. Sie schien geradezu wie eine Göttin zu strahlen inmitten der plappernden Normalsterblichen, in deren Mittelpunkt sie stand.
Das Dinner war lang und ausgiebig. Humphries war sicher, dass die Konversation anspruchsvoll und tiefschürfend war; so hatten die Teilnehmer an der morgigen Konferenz die Möglichkeit, sich schon einmal kennen zu lernen. Das sporadische Gelächter zeigte, dass auch der Humor nicht zu kurz kam. Humphries hörte aber gar nicht zu. Er hatte nur Augen für Amanda. Sie lächelte hin und wieder, aber ihm schenkte sie kein Lächeln. Sie unterhielt sich mit Dieterling, der auf der anderen Seite von ihr Platz genommen hatte und mit Stavenger, der ihr am Tisch gegenübersaß. Sie sprach aber kaum ein Wort mit Humphries, und ihm fiel es auch schwer, mit ihr ins Gespräch zu kommen — vor allem in Gegenwart der vielen anderen Leute. Nach dem Dinner wurden Drinks in der Bibliothek serviert. Als die antike Standuhr in der Ecke Mitternacht schlug, verabschiedeten die Gäste sich. Amanda ging mit Cardenas und Big George. Pancho blieb, bis alle anderen gegangen waren.
»Zuerst rein, zuletzt raus«, sagte sie und stellte schließlich ihr Glas auf die Bar. »Ich möchte nämlich nichts verpassen.«
Humphries überließ es Verwoerd, Pancho zur Tür zu bringen. Er ging hinter die Bar und goss sich einen ordentlichen Whisky ein.
Als Verwoerd zurückkehrte, hatten ihre vollen Lippen sich zu einem sybillinischen Lächeln gekräuselt. »In natura ist sie noch schöner als auf dem Bildschirm.«
»Ich werde sie heiraten«, sagte Humphries.
Nun musste Verwoerd lachen. »Dazu müssten Sie überhaupt erst einmal die Nerven haben, mit ihr zu sprechen, möchte ich meinen.«
Zorn flammte in ihm auf. »Es waren zu viele Leute um uns herum. Unter solchen Umständen kann ich doch nichts von Belang sagen.«
»Sie hatte Ihnen aber auch nicht gerade viel zu sagen«, sagte Verwoerd noch immer grinsend.
»Das wird sie noch. Dafür werde ich schon sorgen.«
Verwoerd nahm ihr halb volles Glas von der Bar und sagte: »Mir ist aufgefallen, dass die andere Frau auch kaum ein Wort mit Ihnen gewechselt hat.«
»Doktor Cardenas?«
»Ja.«
»Wir hatten in der Vergangenheit unsere … Differenzen. Als sie noch hier in Selene lebte.«
»Sie hatte das Nanotech-Labor geleitet, nicht wahr?«
»Ja.« Kris Cardenas hatte ihr Labor nämlich wegen Humphries schließen müssen. Er war sicher, dass Verwoerd das auch wusste; das katzenhafte Lächeln in ihrem Gesicht sagte ihm, dass sie es wusste und sich über sein Unbehagen freute. Und über seine Unfähigkeit, mehr als nur ein paar Worte mit Amanda zu wechseln. Sie genießt den Anblick, wie ich mich bei der Frau, die ich liebe, verkrampfe und zum Trottel mache, sagte er sich wütend.
»Es würde mich interessieren, was Sie morgen zu sagen haben«, sinnierte Verwoerd. »Falls Sie überhaupt etwas zu sagen haben.«
»Morgen?«
»Auf der Konferenz.«
»Ach so. Die Konferenz.«
»Ich freue mich schon darauf«, sagte Verwoerd.
»Sie werden nicht dabei sein.«
Sie riss perplex die Augen auf, doch dann erlangte sie die Fassung zurück.
»Ich werde bei der Konferenz nicht dabei sein? Wieso denn nicht?«
»Weil Sie im medizinischen Labor sein werden. Es wird Zeit, dass Ihnen mein Klon implantiert wird.«
Nun verlor Verwoerd doch die Beherrschung. »Jetzt schon? Sie wollen das ausgerechnet jetzt tun, wo die Konferenz …«
Er hatte diesen Entschluss eben erst gefasst. Diese selbstgefällige Überheblichkeit in ihrem Gesicht hatte ihn zu diesem Schritt veranlasst. Es wird Zeit, dass ich ihr zeige, wer hier das Sagen hat; ich muss ihr klar machen, dass sie meine Anweisungen zu befolgen hat.
»Wie gesagt«, sagte Humphiies und genoss dabei ihren Schreck und ihre Verwirrung. »Ich werde Amanda heiraten, und Sie werden mein Baby austragen.«