»Werden Sie meine Besatzung freilassen, wenn wir auf Ceres sind?«, fragte Fuchs mechanisch und wie in Trance.
»Das steht nicht in meinem Ermessen«, erwiderte Harbin. »Diese Entscheidung wird von …«
»Von Martin Humphries getroffen, ich weiß«, sagte Fuchs.
Harbin musterte den Mann. Sie saßen am kleinen Tisch in der Bordküche der Shanidar, dem einzigen Ort im ganzen Schiff, wo zwei Leute sich ungestört unterhalten konnten. Die Luke zur Brücke war auf Harbins Anordnungen geschlossen worden. Fuchs hatte einen völlig desolaten und niedergeschlagenen Eindruck gemacht, als man ihn an Bord der Shanidar gebracht hatte. Ein Bild der absoluten Niederlage, sagte Harbin sich. Ein Mann gibt den Kampf auf, wenn er davon überzeugt ist, dass keine Hoffnung mehr besteht; der Sieg ist nah, wenn der Kampfgeist des Feinds schwächer wird. Als Fuchs jedoch eine anständige Mahlzeit eingenommen und ein paar Stunden Zeit gehabt hatte, sich mit der neuen Lage zu arrangieren, schien der Funke des Widerstands sich wieder zu entzünden.
Harbin sah, dass der Mann trotz der geringen Körpergröße einen starken Körperbau hatte. Wie ein Dachs, oder — wie hieß noch gleich dieses amerikanische Tier? Ein Vielfraß, erinnerte er sich. Klein, aber tödlich. Scharfe Zähne und völlige Furchtlosigkeit.
Harbin fragte sich, was geschehen würde, wenn Fuchs ihn anzugreifen versuchte. Er hatte keinen Zweifel, dass er trotz Fuchs’ offenkundiger Kraft und vermutlicher Wildheit mit dem Mann fertig würde. Es würde die Dinge wesentlich vereinfachen, wenn ich ihn in Notwehr töten müsste, sagte Harbin sich. Vielleicht gelingt es mir, ihn zu einem Angriff zu provozieren. Seine Frau scheint sein wunder Punkt zu sein.
Damit das plausibel wirkt, brauchte ich aber mindestens einen Zeugen, sagte Harbin sich. Und damit hatte die Sache sich auch schon erledigt. Mit einer dritten Person im Raum würde Fuchs wohl gar nicht erst auf die Idee kommen, Widerstand zu leisten. Und wenn ich ihn dazu provozierte, würde der Zeuge das auch sehen.
»Wo ist meine Besatzung?«, riss Fuchs ihn aus seinen Überlegungen. »Was haben Sie mit ihr gemacht?«
»Die Leute wurden auf meine anderen Schiffe verteilt«, sagte Harbin. »Nicht mehr als zwei Personen auf einem Schiff. Aus Sicherheitsgründen — so werden sie nicht auf dumme Gedanken kommen.«
»Ich erwarte, dass sie anständig behandelt werden.«
Harbin nickte. »Solange sie sich benehmen, wird ihnen auch nichts geschehen.«
»Und ich will, dass sie nach unserer Rückkehr auf Ceres freigelassen werden.«
Harbin musste ein Lächeln unterdrücken — Fuchs wurde immer unverschämter. »Wie ich Ihnen schon sagte, wird diese Entscheidung an höherer Stelle getroffen.«
»Ich übernehme die volle Verantwortung für alles, was geschehen ist.«
»Natürlich.«
Fuchs schwieg für eine Weile. »Ich glaube, früher oder später werde ich sowieso persönlich mit Humphries sprechen müssen«, sagte er dann.
»Ich bezweifle aber, dass er mit Ihnen sprechen will«, antwortete Harbin.
»Was meine Besatzung betrifft …«
»Mr. Fuchs«, sagte Harbin und stand auf, »es steht weder in Ihrer noch in meiner Macht, über das Schicksal Ihrer Besatzung zu entscheiden.«
Fuchs stand auch auf; er reichte Harbin kaum bis zur Schulter.
»Ich halte es für das Beste«, sagte Harbin, »wenn Sie den Rest des Fluges in Ihrer Kabine bleiben. Wir werden in weniger als sechsunddreißig Stunden Ceres erreichen. Ich werde Ihnen die Mahlzeiten bringen lassen.«
Fuchs sagte nichts und ließ sich von Harbin durch den Gang zur Kabine führen, die man ihm zugewiesen hatte. Es war kein Schloss an der Schiebetür, die so labil war, dass ein Schloss sowieso überflüssig gewesen wäre. Fuchs sah, dass Harbin schlau genug gewesen war, seine Besatzung zu trennen und die Leute auf die anderen Schiffe seiner Flotte zu verteilen.
Ich bin hier allein, sagte er sich, als Harbin ihm bedeutete, die Kabine zu betreten. Die Schiebetür schloss sich. Fuchs setzte sich schwer auf die harte Pritsche. Wie Samson, der von den Philistern gefangen und geblendet wurde, sagte er sich. Ohne Augenlicht in Gaza.
Wenigstens bin ich nicht von Amanda verkauft worden. Sie würde nie eine Delilah werden und mich verraten. Niemals.
Daran wollte er mit aller Macht glauben.
»Der Geist unserer Vereinbarung ist also«, sagte Stavenger, »dass sowohl Astro als auch Humphries Space Systems ihre Söldnertruppen auflösen und die unabhängigen Prospektoren ungehindert operieren lassen.«
»Und ohne Preiskontrollen für Erz einzuführen«, ergänzte Humphries mit einem zufriedenen Nicken.
»Keine Preiskontrolle«, erklärte Pancho sich einverstanden.
»Ich bitte meine direkten Worte zu verzeihen«, sagte Dieterling, »aber glauben Sie nicht, dass Ihre Weigerung, Preiskontrollen zuzulassen, höchst selbstsüchtig ist?«
»Überhaupt nicht«, blaffte Humphries.
»Ganz im Gegenteil, Willi«, sagte Pancho ernsthaft. »Angebot und Nachfrage funktionieren prinzipiell zugunsten des Käufers, nicht des Verkäufers.«
»Aber Sie kaufen das Erz doch von den Prospektoren …«
»Und verkaufen das veredelte Metall dann an Sie«, führte Humphries aus.
»Ich bin kein Ökonom …«, murmelte Dieterling mit einem leichten Stirnrunzeln.
»Ich glaube, dass ein freier Markt zu Selenes Vorteil wäre«, sagte Stavenger. »Und auch zum Vorteil der Erde.«
Pancho beugte sich auf dem Stuhl vor. »Schauen Sie, wenn Sie den Markt freigeben, wird der Preis in dem Maß sinken, wie die Prospektoren neue Erzlagerstätten erschließen. Eben Angebot und Nachfrage.«
»Die Erde braucht aber riesige Mengen dieser Rohstoffe«, sagte Dieterling.
Stavenger legte dem Diplomaten leicht die Hand auf den Arm. »Doktor Dieterling, ich glaube, Sie haben keine Vorstellung, wie groß die Ressourcen im Asteroidengürtel überhaupt sind. Es lagern dort Billiarden Tonnen reinsten Erzes. Ein paar hundert Billiarden Tonnen. Wir haben gerade erst angefangen, an der Oberfläche z;u kratzen.«
»Preiskontrollen würden nur die Prospektoren begünstigen und nicht die Verbraucher auf der Erde«, sagte Humphries dezidiert.
»Und die auf Selene«, ergänzte Stavenger.
Dieterling befürchtete trotzdem, dass deregulierte Preise für Asteroidenerz nicht unbedingt im besten Interesse der Erde wären. Widerwillig gab er seine Zustimmung, dass Astro und HSS einen Vertrag aufsetzten. Als Schiedsgericht bei Streitigkeiten der Konzerne sollte die Internationale Astronautenbehörde fungieren.
»Ein Problem gibt es aber noch«, sagte Stavenger, als die Anwesenden sich anschickten, die Konferenz als Erfolg zu lobpreisen.
Humphries wollte sich gerade erheben. »Was denn noch?«, fragte er unwirsch.
»Die praktische Umsetzung«, sagte Stavenger. »Aus dem Vertragsentwurf geht nämlich nicht hervor, wie der Frieden gesichert werden soll.«
Humphries setzte sich wieder und fragte: »Vertrauen Sie uns nicht, dass wir die selbst vereinbarten Bedingungen einhalten?«
Pancho grinste. »Ich weiß, dass Sie Astro vertrauen können.«
»Natürlich können wir uns gegenseitig vertrauen«, sagte Stavenger und erwiderte ihr Grinsen. »Aber ich hätte es trotzdem gern schriftlich.«
George meldete sich zu Wort. »Wir werden den Frieden sichern«, sagte er.
Alle drehten sich zu ihm um.
»Ihr?«, sagte Humphries spöttisch. »Die Felsenratten?«
»Wir haben inzwischen eine Regierung oder zumindest die Voraussetzungen dafür geschaffen«, erwiderte George. »Wir werden eine Polizei auf Ceres aufstellen. Wenn Beschwerden von den Prospektoren kommen, werden wir uns selbst darum kümmern.«
»Wie wollt ihr überhaupt …«
»Es läuft doch alles über Ceres«, erklärte George. »Dort werden die Schiffe ausgerüstet und mit Nachschub versorgt. Wir haben die Hand auf den Wasserhähnen, Kumpel. Und auf den Vorratsschränken und Treibstofftanks und sogar auf dem abgefu … dem verdammten Sauerstoff zum Atmen. Wir werden Recht und Ordnung für euch aufrechterhalten. Das ist auch in unserem eigenen Interesse.«
»Könnte das funktionieren?«, wandte Dieterling sich an Stavenger.
»Wir werden dafür sorgen, dass es funktioniert«, sagte Kris Cardenas, die George am Tisch gegenübersaß.
Stavenger hatte einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. »Das heißt, dass die Felsenratten die politische Kontrolle über den Gürtel haben.«
»So soll es auch sein«, sagte Cardenas bestimmt. »Wir sind schließlich diejenigen, die dort leben und sollten deshalb auch das Recht haben, unsere Geschicke selbst zu lenken.«
Dieterling schaute von ihr zu Stavenger und wieder zu ihr. »Das ist aber eine sehr große Machtfülle. Der ganze Asteroidengürtel …«
»Wir schaffen das schon«, sagte George ernsthaft. »Wie Kris bereits sagte, so gehört es sich auch.«