Cuenca

Dan Randolph spürte einen Anflug von Schwindel, als er am Hotelfenster stand und in die zerklüftete Schlucht des Flusses Júcar hinabschaute.

Das ist doch verrückt, sagte er sich. Du bist schon in Wolkenkratzern gewesen, die viel höher waren als dieses Gebäude. Du hast die Spitze von Raketen-Starttürmen erklommen. Du bist in den Grand Canyon abgestiegen und hast im Orbit Weltraumspaziergänge unternommen, um Himmels willen, bei denen du Hunderte von Meilen über der Erde geschwebt bist und nicht einmal durch eine Leine gesichert warst.

Trotzdem hatte er weiche Knie und fühlte sich fast wie in Trance, als er am Fenster stand. Es ist nicht die Höhe, sagte er sich. Für einen Moment befürchtete er, dass es sich vielleicht wieder um ein Symptom der Strahlenkrankheit handelte, an der er früher gelitten hatte. Doch dann wurde er sich bewusst, dass es nur daran lag, dass dieses Hotel über den Rand der Schlucht ragte und er sich sechs Etagen unterhalb der Kante befand.

Die alte Stadt Cuenca war im Mittelalter am Rand der Schwindel erregend tiefen Schlucht erbaut worden. Von der Straße machte das Hotel den Eindruck eines eingeschossigen Gebäudes, was auch auf alle Gebäude an der schmalen Straße zutraf. Innen ging es jedoch über schmale Treppen in die Tiefe, wobei große Fenster einen Ausblick in die Schlucht eröffneten, die der Fluss in die Erde gefräst hatte.

Dan wandte sich vom Fenster ab, ging zum Bett und öffnete den Reißverschluss der Reisetasche. Er befand sich hier im Herzen von Spanien, weil er nach einer Lösung für das dringendste Problem der Welt suchte, dem Schlüssel für die Erschließung der Reichtümer des Sonnensystems. Wie ein reisiger Ritter, sagte er sich und schüttelte spöttisch den Kopf. Auf der Suche nach dem Heiligen Gral.

Wie ein müder alter Mann, der sich dazu zwingt, weil sein Leben sonst leer ist, sagte eine spöttische Stimme in seinem Kopf.

Auf dem Inlandsflug von Madrid hatte er an alte Sagen von Ritterlichkeit und gefahrvollen Questen gedacht. Der Flug von La Guaira über den Atlantik hatte mit dem Raumclipper nur fünfundzwanzig Minuten gedauert. Weil das Flugzeug aber keine Fenster hatte, hatte es auch nichts zu sehen gegeben, und die Videoclips, die über den Bildschirm in der Sitzlehne flimmerten, hätten aus einer x-beliebigen Astronomiesendung stammen können. Der Flug von Madrid nach Cuenca war aber in einem altmodischen Kipprotorflugzeug erfolgt. Er war über eine Landschaft geschrappt und gerattert, durch die schon Hannibal seine Armeen geführt hatte.

Don Quixote war einst über diese braunen Hügel galoppiert, hatte Dan sich gesagt. El Cid hatte hier gegen die Mauren gefochten.

Er schnaubte verächtlich, als er das Rasierzeug aus der Reisetasche holte. Schau'n wir mal, ob ich den Kampf gegen einen Riesen gewinne, der größer ist als jede Windmühle, gegen die der alte Don Quixote angeritten ist.

Das Telefon summte.

»Ja«, sagte Dan und schnippte mit dem Finger. Dann erinnerte er sich, dass das Hoteltelefon nicht auf Spracherkennung programmiert war. Er beugte sich übers Bett und drückte die EIN-Taste.

»Mr. Randolph?«

Das Gesicht, das Dan auf dem handtellergroßen Telefon-Monitor sah, wirkte beinahe mephistofelisch: dichtes schwarzes Haar, dessen Ansatz fast die buschigen schwarzen Brauen berührte; ein schmales keilförmiges Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem spitzen Kinn; kohlrabenschwarze, listig funkelnde Augen, als ob der Mann etwas wüsste, das sonst niemand wusste. Ein kleiner schwarzer Ziegenbock.

»Ja«, antwortete Dan. »Und Sie sind…«

»Lyall Duncan. Ich soll Sie zum Testgelände bringen«, sagte der Anrufer in einem Akzent, der ihn unverkennbar als Schotten aus den Highlands auswies.

Dan stieß den Atem aus. Sie verlieren wirklich keine Zeit, dachte er. Ich habe noch nicht einmal ausgepackt.

»Sind Sie bereit, Sir?«, fragte Duncan.

Dann warf das Rasierzeug aufs Bett. »Fertig«, sagte er.

Duncan war kleinwüchsig, spindeldürr und schien in seiner Arbeit aufzugehen. Er redete in einem fort, während sie in einem staubigen alten Volkswagen durch die sonnendurchglühte Landschaft fuhren, vorbei an schachbrettartig angelegten Bauernhöfen und terrassierten Hügeln und auf die entfernten kahlen Gipfel der Sierras zuhielten. Das Land wirkte trocken und karg, und doch wurde es schon seit Tausenden von Jahren kultiviert. Wenigstens ist es weit genug vom Meer entfernt, um nicht überschwemmt zu werden, sagte Dan sich. Aber es hat den Anschein, als ob es sich in eine braune staubige Wüste verwandelte.

»…versuchen seit Jahren, jemanden — irgend jemanden — für unsere Arbeit zu interessieren«, sagte Duncan gerade. »Die Universitäten sind vollauf mit ihren großen Reaktorprojekten beschäftigt und versuchen, von der Regierung Subventionen zu ergattern. Die privaten Gesellschaften wollen nicht einmal mit uns sprechen, solange wir keine Renommier-Universität im Rücken haben.«

Dan nickte und versuchte sich wach zu halten. Der weiche schottische Akzent des Manns wirkte hypnotisierend, und die monotone Fahrt auf der Serpentinenstraße in die Berge hinauf tat ihr Übriges. Es waren kaum Fahrzeuge unterwegs, und das Abrollgeräusch der Reifen auf dem Asphalt machte Dan schläfrig. Elektromotoren arbeiteten fast lautlos, sagte er sich und kämpfte gegen die Nachwirkungen des Jetlag an. Er erinnerte sich, dass Fahrzeughersteller wie GM und Toyota versucht hatten, Soundsysteme zu installieren, die das Geräusch eines kraftvollen Verbrennungsmotors simulierten, um die männliche Kundschaft anzusprechen. Der GEC hatte das jedoch unterbunden: Elektroautos sollten leise, sparsam und umweltfreundlich sein und nicht ein Abklatsch von Krawallschleudern.

»…niemand wollte zur Kenntnis nehmen, dass ein kompakter, leichter Fusionsgenerator, den man obendrein zu entsorgen vermag, ebenso gut funktionieren würde wie die Kavenzmänner, die sie bauen«, echauffierte Duncan sich. »Niemand hat Notiz von uns genommen, bis wir die Aufmerksamkeit von Mr. Martin Humphries erweckt haben.«

Dan wurde hellhörig, als Humphries' Name fiel. »Wie sind Sie überhaupt an ihn herangekommen? Er steht doch ziemlich weit oben in der Unternehmenshierarchie.«

Duncan lächelte verschmitzt. »Durch eine Frau, wie sonst? Er kam nach Glasgow, um eine Rede zu halten. Sein Vater hatte nämlich das neue Biologiegebäude gestiftet, und es war der Jahrestag dieser Stiftung oder so was in der Art. Dabei vergaffte er sich in eine gewisse junge Dame aus der Studentenschaft. Sie studierte Biologie im Hauptfach und war auch sonst in biologischer Hinsicht prächtig ausgestattet.«

»Dann hat sie ihn quasi für Sie angefüttert«, sagte Dan lachend.

»Ein Mitarbeiter an unserem Projekt kannte sie — aber nur vom Sehen. Er fragte sie, ob sie sich für die Belange der Wissenschaft engagieren wolle.«

»Und sie war damit einverstanden?«

»Sie war begeistert. Ein Mädchen aus der Arbeiterklasse bekommt nämlich nicht alle Tage die Gelegenheit, ins Bett eines Milliardärs zu schlüpfen.«

»Ach, sie war Engländerin?«

»Logo. Einem Schottenmädchen hätten wir so was wohl kaum zumuten können.«

Darüber lachten die beiden noch, als das Fahrzeug auf den Parkplatz des Testgeländes fuhr.

Soll das alles sein?, fragte Dan sich, als er aus dem Auto stieg. Das Testgelände war nur ein flaches, offenes Terrain mit ein paar Wellblechhütten und wacklig wirkenden Gerüsten dahinter. Zerklüftete Hügel ragten ringsum auf, und in der Ferne schimmerten die Sierras geisterhaft in der flirrenden Hitze. Er spürte die Wärme der Sonne angenehm auf den Schultern. Der Himmel war strahlend blau und praktisch wolkenlos. Dan sog die reine Gebirgsluft tief ein; sie war kühl und hatte einen holzigen Geruch, den er sogar durch die Nasenfilter wahrnahm. Dan spielte mit dem Gedanken, sie herauszunehmen; es wäre eine Erleichterung, frei zu atmen. Aber er ließ sie doch stecken.

Es waren sechs Personen in der Büro-Baracke. Zwei von ihnen waren Frauen, und mit einer Ausnahme handelte es sich um junge Leute. Sie waren mit schäbigen Sweatshirts, Tuchhosen oder Jeans bekleidet, die schon seit Jahren kein Bügeleisen mehr gesehen hatten. Eine der Frauen war groß und hatte langes blondes Haar, das ihr über die breiten Schultern fiel. Sie wirkte auf Dan wie eine kalifornische Surferin. Oder vielleicht war sie auch Skandinavierin. Die andere stammte offensichtlich aus dem Fernen Osten, aus Japan oder Korea. Sie war klein und korpulent und hatte ein strahlendes Lächeln.

Sie machten alle einen engagierten Eindruck und waren aufgeregt, weil Dan Randolph persönlich gekommen war, um ihre Arbeit zu begutachten. Dennoch spürte Dan, dass sie von einer unterschwelligen Angst ergriffen waren. Was, wenn es heute nicht funktioniert? Was, wenn etwas schief läuft? Was, wenn Randolph den Wert und die Bedeutung der Sache nicht begreift? Dan hatte diese Unterströmung in Forschungslabors auf der ganzen Welt und auf dem Mond gespürt.

Der eine ältere Mann wirkte professoral. Er trug eine ausgebeulte Tweed-Hose und eine dazu passende Tweed-Weste, die er nicht zugeknöpft hatte. Sein langes Gesicht wurde von einem gestutzten Backenbart gerahmt. Duncan stellte ihn als ›Dr. Vertientes‹ vor.

»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir«, sagte Dan reflexartig auf Spanisch, als er dem Mann die Hand gab.

Vertientes runzelte überrascht die Stirn. »Sie sprechen sehr gut Spanisch, Sir.«

»Mein Firmen-Hauptquartier befindet sich in Venezuela.« Fast hätte Dan noch hinzugefügt, dass er mit einer Venezolanerin verheiratet gewesen war, aber das war eine zu kurze und schmerzliche Episode gewesen, als dass er sie hätte erwähnen wollen.

»Wir sind eine multinationale Gruppe«, sagte Vertientes und verfiel in ein britisches Englisch, das von einem spanischen Akzent überlagert wurde. »Unter uns sprechen wir Englisch.«

»Fluchen tun wir aber in unserer Muttersprache«, sagte die Asiatin.

Alle lachten.

Zu Dans Überraschung war Duncan der Leiter der kleinen Gruppe. Der große, distinguierte Vertientes erwies sich als der Plasma-Spezialist der Gruppe. Duncan war der Antriebsingenieur und quasi die treibende Kraft.

»Sie kennen das Prinzip der Kernfusion«, sagte der Schotte und führte die gesamte Mannschaft aus dem Büroschuppen zu dem etwas größeren Schuppen, der ihnen als Labor diente.

Dan nickte und sagte: »Vier Wasserstoffatome verschmelzen zu einem Heliumatom, wobei Energie freigesetzt wird.«

»Atomkerne«, korrigierte Duncan. »Keine Atome, sondern die Kerne. Das Plasma ist vollständig ionisiert.«

»Ja, stimmt.«

»Sieben Zehntel Prozent der Masse der vier ursprünglichen Protonen werden in Energie umgewandelt. Die Sonne und alle Sterne werden seit Jahrmilliarden von diesen sieben Zehntel Prozent gespeist.«

»Solang sie Wasserstoff zu Helium verschmelzen«, sagte Dan. »Im weiteren Verlauf wird Helium zu schwereren Elementen verschmolzen«, fügte er hinzu, um ein wenig mit seinem Wissen zu glänzen.

Duncan warf ihm unter den buschigen schwarzen Augenbrauen einen Blick zu und sagte: »Richtig, aber wir interessieren uns nur für die Wasserstofffusion.«

»Schon klar«, murmelte Dan.

Der Laborschuppen war zwar nicht groß, aber die darin befindliche Ausrüstung schien auf dem neusten Stand zu sein. Für Dans geschultes Auge wirkte die Einrichtung eher wie eine Beobachtungsstation als ein Forschungslabor. Dahinter stand ein größeres Gebäude, das vom Parkplatz aus nicht zu sehen war. Die Gruppe durchquerte mit flüchtigen Blicken auf die Ausrüstung das Labor und ging zum anderen Gebäude.

»Hier wird die Drecksarbeit erledigt«, sagte Duncan mit seinem teuflischen Grinsen.

Dan schaute sich um und nickte. Es war ein Werkstatt-Schuppen, das stand fest, ausgerüstet mit Werkzeugmaschinen und einer Laufkatze an der Decke. Ein intensiver Geruch nach Maschinenöl lag in der Luft, und der Boden war mit Drahtstücken und Metallspänen übersät. Ja, hier drin wurde gearbeitet.

»Und da draußen«, sagte Duncan mit einem Fingerzeig auf ein staubverkrustetes Fenster, »ist das Ergebnis.«

Sehr eindrucksvoll wirkte es nicht gerade. Auch als sie nach draußen gingen und zum Gerüst marschierten, sah Dan nur eine zwei Meter durchmessende Metallkugel, die in ein Gewirr aus Schläuchen und Kabeln eingebettet war. Das Metall war jedoch spiegelblank poliert.

Dan tippte mit den Fingerknöcheln dagegen. »Edelstahl?«

Duncan nickte. »Für den äußeren Druckbehälter«, sagte er. »Die kugelförmige Druckhülle besteht aus einer Beryllium-Legierung.«

»Beryllium?«

»Die Legierung ist geschützt. Wir haben darauf ein internationales Patent angemeldet, aber Sie wissen ja, wie lang so etwas dauert.«

Dan pflichtete ihm bei. »Ist das alles?«, fragte er dann.

»Die besten Häppchen sind immer die kleinsten«, sagte Duncan mit einem diabolischen Grinsen.

Sie gingen ins Labor zurück, und ohne ein Wort besetzten die sechs Männer und Frauen ihre Stationen an den Konsolen, die die Längsseiten des Schuppens säumten. Es gab ein paar Stühle und Hocker, von denen keiner aussah wie der andere, aber niemand nahm darauf Platz. Dan sah, dass alle nervös und angespannt waren — alle außer Duncan, der einen ruhigen und zuversichtlichen Eindruck machte. Er schaute Dan mit gerunzelter Stirn an, wie ein Spieler, der die Karten von unten geben will.

»Sind Sie bereit, das Tier in Aktion zu sehen?«, fragte Duncan.

Der von der Fahrt ermüdete Dan zog einen Bürostuhl in die Mitte des Schuppens und nahm darauf Platz. Er verschränkte die Arme vor der Brust, nickte und sagte: »Eröffnen Sie das Feuer, wenn Sie so weit sind, Gridley.«

Die anderen schauten leicht verwirrt und fragten sich, wer Gridley war und welche Rolle er spielte. Duncan nickte und grinste, als ob er im Bilde sei.

Er drehte sich zu Vertientes um und sagte leise: »Fahren Sie es hoch.«

Dan hörte eine Pumpe anspringen und sah, wie die Zahlen auf der Anzeige von Vertientes' Konsole in die Höhe stiegen. Die anderen Konsolen erwachten nun auch zum Leben, Monitore leuchteten auf und zeigten vielfarbige Kurven und digitale Messergebnisse.

»Druck nähert sich dem Optimum«, meldete die Blonde. »Dichte im grünen Bereich.«

»Brennstoffzellen aktiviert.«

»Kondensatorbank bereit.«

Duncan trat neben Dan und ließ den Blick über die Konsolen schweifen.

»Nähern uns dem Zündzeitpunkt«, sagte Vertientes.

Duncan beugte sich etwas zu Dan herüber und sagte: »Es ist für eine automatische Zündung eingestellt, aber wir haben auch ein manuelles System.«

Dan stand auf und schaute aus dem Fenster auf die im Gerüst hängende Edelstahlkugel. Es lag eine knisternde Spannung in der Luft des Schuppens, und er spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten.

»Zündung!«, rief Vertientes.

Dan sah nichts. Die Metallkugel dort draußen bewegte sich nicht. Es ertönte kein Lärm, es stieg keine Rauchwolke auf, und es waren nicht einmal Vibrationen zu spüren. Er schaute auf Duncan, dann auf die sechs anderen, die starr und angespannt an den Konsolen standen. Zahlen huschten über Bildschirme und Kurven krochen über Diagramme, doch soweit Dan es sah oder spürte, geschah überhaupt nichts.

»Abschaltung«, sagte Vertientes.

Alle entspannten sich, sackten ein wenig zusammen und stießen den Atem aus.

»Eine halbe Minute, auf die Sekunde genau«, sagte jemand.

»Ausgangsleistung?«, fragte Duncan.

»Lastmaximum. Nach vier Sekunden wurden fünfzig Megawatt erreicht und bis zur Abschaltung gehalten.«

Vertientes strahlte. Er drehte sich um und packte Duncan an beiden Schultern. »Perfecto! Sie ist eine gut erzogene kleine Lady!«

»Sie meinen, das sei es schon gewesen?«, fragte Dan ungläubig.

Duncan grinste auch. Es grinsten überhaupt alle.

»Aber es ist doch gar nichts passiert«, sagte Dan konsterniert.

»Ach nein?«, sagte Duncan, fasste Dan am Ellbogen und drehte ihn zur Konsolenreihe herum. »Schauen Sie mal auf diese Ausgangsleistungs-Kurve.«

Dan runzelte die Stirn und erinnerte sich daran, dass ein Wissenschaftler ihm einmal gesagt hatte, Physik würde sich im Grunde im Ablesen von Messgeräten erschöpfen.

»Aber sie ist doch nirgends hingegangen«, sagte Dan schwach.

Das fanden alle zum Lachen.

»Es ist keine Rakete«, sagte Duncan. »Noch nicht. Wir erproben erst den Fusionsreaktor.«

»Erst!«, sagte die Asiatin.

»Dreißig Sekunden sind doch kein aussagefähiger Test«, wandte Dan ein.

»Mitnichten, dreißig Sekunden sind eine lange Zeit«, widersprach Duncan.

»Das Plasma erreicht in fünf Sekunden oder weniger den Gleichgewichtszustand«, sagte Vertientes.

»Um in einer Rakete eingesetzt zu werden, muss der Reaktor aber stundenlang laufen… sogar Wochen oder Monate«, gab Dan zu bedenken.

»Si, ja, das wissen wir«, sagte Vertientes und tippte sich mit dem Finger auf die Handfläche der anderen Hand. »Aber in einer halben Minute erhalten wir genügend Daten, um die Parameter für den Wärmetransfer und den Plasmafluss zu errechnen. Wir sind in der Lage, auf Stunden, Wochen und Monate zu extrapolieren.«

»Ich traue Extrapolationen nicht«, murmelte Dan.

Die Blonde trat zwischen sie. »Natürlich werden wir ein Eins-zu-Eins-Modell bauen und es über Monate laufen lassen. Ganz sicher. Aber was Doc Vau damit sagen will, ist, dass wir genug Tests durchgeführt haben, um zu wissen, dass es funktionieren wird.«

Dan musterte sie. Kalifornien, sagte er sich. Vielleicht skandinavische Vorfahren, aber definitiv Kalifornien.

»Wir beabsichtigen, den Reaktor mit einem MHD-Generator zu koppeln«, sagte Vertientes im Bestreben, Dan zu überzeugen. »Dadurch erzeugen die Plasmaabgase aus dem Reaktor sowohl Strom als auch Schub.«

»Magneto…« Dan verhaspelte sich bei der Aussprache des Worts.

»Magnetohydrodynamik«, half Vertientes ihm.

»Die Wechselwirkung elektrisch leitender ionisierter Gase mit Magnetfeldern«, ergänzte die Blonde.

Dan grinste sie an. »Vielen Dank.« Sie tut sich hervor, sagte er sich. Sie will mir beweisen, dass sie trotz ihres Surfer-Biene-Aussehens eine schlaue Blondine ist.

Dann sah er, dass Duncan ihn mit diesem listigen Ausdruck in den funkelnden kohlrabenschwarzen Augen beobachtete, und er erinnerte sich an die Studentin aus Birmingham, die Humphries dazu bewogen hatte, sich mit ihrer Arbeit zu befassen. Er schüttelte unmerklich den Kopf und gab Duncan so zu verstehen, dass man ihn nicht auf diese Art überzeugen musste.

Früher hätte er sich eine Bumsgelegenheit mit einer jungen willigen Frau nicht entgehen lassen und jeden Augenblick genossen. Heute war das anders. Er verzog unmerklich das Gesicht angesichts der Launenhaftigkeit des Schicksals. Als Jane noch lebte, stellte ich jeder Frau nach, nur um sie zu vergessen. Und wo sie nun tot ist, will ich keine andere mehr haben. Nicht jetzt und vielleicht überhaupt nie mehr.

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