Vorstandssitzung

Die Filter in der Nase verursachten Dan Kopfschmerzen; sie kamen ihm wie Schrotpatronen vor. Zur vierteljährlichen Vorstandssitzung seines Unternehmens war er widerstrebend zur Erde geflogen. Dan hatte den Eindruck, dass bei Astro Manufacturing alles prima liefe, wenn er sich nicht immer mit diesem verdammten Vorstand herumschlagen müsste. Aber die Vorstandsmitglieder mussten immer die Nase in die geschäftlichen Aktivitäten des Unternehmens stecken, dieses bekritteln, zu jenem Fragen stellen und darauf bestehen, dass er jeden hirnrissigen Vorschlag befolgte, mit dem sie aufwarteten.

Das alles war völlig unnötig. Dan hielt eine Mehrheit der ausstehenden Aktien des Unternehmens; er hatte zwar nicht die absolute Aktienmehrheit, doch vermochte er die anderen Vorstandsmitglieder zu überstimmen, wenn es darauf ankam. Der Vorstand war jedenfalls nicht in der Lage, ihn als Präsidenten des Unternehmens und als Vorstandsvorsitzenden abzusetzen. Sie hatten nur die Möglichkeit, eine Taktik der kleinen Nadelstiche zu betreiben.

Als Krönung war Martin Humphries zur Sitzung erschienen. Lächelnd pflegte er Konversation mit den anderen Vorstands-Mitgliedern, während sie sich an der Anrichte mit Drinks und Kanapees bedienten und dann ihre Plätze am Konferenztisch einnahmen. Humphries strebte eine absolute Mehrheit an, das war für Dan so klar wie Kloßbrühe.

Durchs Panoramafenster, das eine ganze Wand des Vorstands-Zimmers einnahm, fiel Dans Blick auf die steigenden Fluten der Karibik, die in der Morgensonne glitzerten. Das Meer schien ruhig, doch Dan wusste, dass es immer höher stieg und das Land langsam, aber unaufhaltsam verschlang. Humphries saß mit dem Rücken zum Fenster und war in eine angeregte Unterhaltung mit drei älteren Direktoren vertieft.

Dan war eigens zu dieser Besprechung nach La Guaira zurückgeflogen. Es hätte auch die Möglichkeit bestanden, in Selene zu bleiben und die Konferenz elektronisch zu leiten, aber diese drei Sekunden dauernde Verzögerung hätte ihn wahnsinnig gemacht. Er vermochte nachzuvollziehen, wie Kris Cardenas sich fühlte, wenn sie jeden Tag vom Mond aus mit John Duncan und seinem Team in Schottland kommunizierte.

Dan stand an einem Ende der Anrichte unter dem großen gerahmten Foto von Astros erstem Sonnenenergie-Satelliten, der vorm tiefschwarzen Hintergrund der Unendlichkeit im grellen Sonnenlicht glitzerte. Er nippte an seinem üblichen Amontillado-Aperitif und unterhielt sich so ungezwungen wie möglich mit den Leuten um ihn herum. Es waren insgesamt vierzehn Männer und Frauen, wobei die meisten Männer entweder grauhaarig oder kahlköpfig waren und die meisten Frauen dank Verjüngungsbehandlung jugendlich aussahen. Komisch, sagte er sich: Die Frauen unterziehen sich einer Verjüngungs-Therapie, aber die Männer lassen es bleiben. Ich selbst doch auch, gestand er sich ein. Machismo-Dummheit hoch drei. Was ist denn so schlimm daran, den körperlichen Verfall hinauszuzögern? Es handelt sich schließlich um kein Facelifting; vielmehr wird die Alterung der Körperzellen rückgängig gemacht.

»Dan, könnte ich Sie für einen Moment sprechen?«, fragte Harriet O'Banian. Sie saß schon seit über zehn Jahren im Vorstand, seit Dan ihren kleinen Betrieb für Solarzellen-Produktion aufgekauft hatte.

»Sicher, Hattie«, sagte er und ging mit ihr langsam in die entgegengesetzte Ecke des großen Konferenzraums. »Was liegt denn an?«

Hattie O'Banian war eine adrette Rothaarige, die den Kauf ihrer Firma durch Astro Manufacturing mit einem monatelangen Verhältnis mit Dan besiegelt hatte — allerdings war es nichts Ernstes zwischen den beiden gewesen. Und sie war auch erwachsen genug, zu gehen, als sie sah, dass Dan Randolphs Liebe einzig und allein der Ex-Präsidentin Jane Scanwell galt — mit wem auch immer er sonst das Bett teilte.

O'Banian vergewisserte sich mit einem Blick über die Schulter, dass niemand in Hörweite war und sagte halb flüsternd: »Man hat mir einen verdammt guten Preis für meine Astro-Aktien geboten. Und das gilt auch für ein halbes Dutzend weiterer Vorstandsmitglieder.«

Dans Blick schweifte zu Humphries am anderen Ende des Raums. Er unterhielt sich noch immer mit den Direktoren, die um ihn herumstanden.

»Wer hat das Angebot unterbreitet?«, fragte er.

»Ein Strohmann. Der eigentliche Käufer ist Humphries.«

»Dachte ich mir.«

»Das Problem ist nur, Dan, dass das ein verdammt gutes Angebot ist. Fünf Punkte über dem Marktpreis.«

»Dann ist er doch so hoch gegangen«, murmelte Dan.

»Wo die Aktie sich im freien Fall befindet, ist das ein äußerst verlockendes Angebot.«

»Ja, kann man sagen.«

Sie schaute zu Dan auf, und er sah, dass die smaragdgrünen Augen, die so oft fröhlich und verschmitzt funkelten, nun todernst waren.

»Er wird genug Aktien zu kaufen, um dich zu überstimmen«, sagte O'Banian.

»Das wird er auf jeden Fall versuchen.«

»Dan, falls du auf der heutigen Sitzung kein Kaninchen aus dem Hut zauberst, wird der halbe Vorstand ausgekauft.«

Dan versuchte sich ein Grinsen abzuringen. Es geriet zur Grimasse. »Danke für die Warnung, Hattie. Ich werde mal im Kaninchenstall nachschauen.«

»Viel Glück, Dan.«

Er ging zum Kopfende des Konferenztischs, tippte mit dem Computergriffel an den Edelstahl-Trinkbecher, der dort stand und bat die Versammlung um Aufmerksamkeit. Die Direktoren nahmen ihre Plätze ein; bevor Humphries sich setzte, monierte er das grelle Licht, das durchs Fenster fiel und bat darum, dass die Vorhänge zugezogen wurden.

Die Tagesordnung war kurz. Der Bericht des Finanzleiters war düster. Die Einnahmen, die das Projekt aus der Montage des letzten Solarkraftwerk-Satelliten erzielte, drohten in dem Maß zu versiegen, wie das Projekt sich der Fertigstellung näherte.

»Was ist denn mit dem Bonus für eine vorfristige Erfüllung des Auftrags?«, fragte ein graubärtiger Mann mit gerötetem Gesicht. Auf Dan wirkte er wie ein Weihnachtsmann, der an Bluthochdruck litt.

»Der wird erst dann gezahlt, wenn der Kraftwerkssatellit Energie an die Erde abstrahlt«, sagte der Finanzleiter.

»Es ist trotzdem ein großer Betrag.«

»Er wird uns für ein paar Monate über Wasser halten«, sagte Dan und entzog dem Finanzleiter mit einer Geste das Wort.

»Und was dann?«

»Dann müssen wir von den Einnahmen aus dem Tagesgeschäft leben. Wir haben keine neuen Bauprojekte.«

»Das ist der letzte Kraftwerkssatellit?«, fragte das Vorstandsmitglied, dem Dan insgeheim den Spitznamen ›Fischauge‹ gegeben hatte. Und seine Augen waren noch größer als sonst, als ob er die schlechte Nachricht zum ersten Mal vernähme.

Dan verschränkte die Hände und antwortete bedächtig: »Es gibt da zwar noch ein paar orbitale Parkpositionen, die für Sonnenenergie-Satelliten verfügbar wären, aber der GEC lehnt die Genehmigung weiterer Bauvorhaben ab.«

»Das sind diese verdammten Chinesen«, knurrte ein älterer Mann.

»Es liegt nicht nur an China«, sagte eine gedrungene Orientalin, die an der Mitte des Tischs saß. Dan bezeichnete sie inoffiziell als ›Mama-San‹. »Viele Nationen ziehen es vor, Kraftwerke auf ihrem Territorium zu errichten, anstatt elektrische Energie aus dem Weltraum zu beziehen.«

»Obwohl der so erzeugte Strom mehr als doppelt so teuer ist wie der unsere«, stellte Dan fest. »Und noch teurer, wenn die indirekten Kosten wegen der Emission von Treibhausgasen berücksichtigt werden.«

»Die nationalen Regierungen subventionieren allerdings die Installation von Rückhaltesystemen«, sagte der Finanzleiter.

»Trotzdem müssen die Leute auf die eine oder andere Art dafür zahlen.«

»Wie wäre es, Energie vom Mond zu übertragen?«

»In diesem Fall wären wir nicht davon abhängig, dass der GEC uns orbitale Positionen zuweist, bei Gott!«, sagte der ›Weihnachtsmann‹ und hieb mit der Faust auf den Tisch.

»Das wäre eine Möglichkeit«, räumte Dan ein, »zumal wir schon mit den Behörden von Selene darüber gesprochen haben…«

»Selene gehört doch nicht der ganze verdammte Mond! Wieso errichten wir keine Sonnenenergie-Farmen im Meer der Stürme. Wir pflastern die ganze Region mit Solarzellen, um Gottes willen!«

»Wir haben diese Möglichkeit schon geprüft«, sagte Dan.

»Und?«

»Das Problem ist folgendes: Egal, wo der Strom erzeugt wird, er muss hierher zur Erdoberfläche übertragen werden.«

»Das wissen wir doch!«

Dan unterdrückte eine schroffe Bemerkung und fuhr fort: »Der Panasiatische Block will keine Energie importieren, ob sie nun aus dem Orbit kommt, vom Mond oder von der Kleinen Magellanschen Wolke. Sie erlauben uns auch nicht den Bau von Empfangsstationen auf ihrem Territorium. Die Europäer haben sich mit ihnen solidarisiert, und der GEC ist zwischen den beiden Blöcken praktisch eingeklemmt.«

»Wie sollten wir in der Kleinen Magellanschen Wolke überhaupt Strom erzeugen?«, fragte ›Fischauge‹. »Die ist doch ziemlich weit weg, oder?«

Herr, lass Hirn vom Himmel regnen, betete Dan stumm. Dann ließ er sich die Berichte der einzelnen Abteilungen vortragen, antwortete auf eine Unmenge von Fragen und Vorschlägen — von denen die meisten sinnlos und ein paar absoluter Quatsch waren — und schnitt dann ein neues Thema an.

»Wenigstens habe ich etwas Positives zu vermelden«, sagte Dan mit einem befriedigtem Lächeln. »Der Fusionstriebwerks-Prototyp ist im Mondorbit montiert worden und hat die Flugerprobung bestanden.«

»Sie sind für den Flug zum Asteroidengürtel bereit?«, fragte ›Mama-San‹.

»Sobald wir von der IAA die erforderliche Zulassung für den bemannten Flug erhalten haben.«

Am anderen Ende des Tisches meldete Humphries sich zu Wort. »Wir müssten die IAA-Genehmigung in zwei bis drei Wochen haben, falls es keine unvorhergesehenen Komplikationen gibt.«

»Komplikationen?«

»Ein Unfall«, sagte Humphries leichthin. »Ein technisches Versagen oder etwas in der Art.«

Oder ein korrupter IAA-Inspektor, sagte Dan sich. Zwar war das die Ausnahme, aber es kam dennoch vor.

»Wie teuer wird diese Mission zu den Asteroiden uns zu stehen kommen?«, fragte der verbindliche, propere Schweizer Herr, den Dan als ›Der Bankier‹ bezeichnete.

»Die Mission wird voll von der Starpower GmbH finanziert«, erwiderte Dan.

»Astro besitzt ein Drittel von Starpower«, legte Humphries dar.

»Und Sie besitzen den Rest?«, fragte ›Der Bankier‹.

»Nein, Humphries Space Systems hält ein Drittel, und das letzte Drittel befindet sich im Besitz von Selene.«

»Wie kann eine Stadt einen Teil eines Unternehmens besitzen?«

»Der vor Ihnen liegende Bericht enthält alle Details«, sagte Dan und tippte mit dem Griffel auf den in den Tisch integrierten Computermonitor.

»Ja, aber…«

»Ich werde es Ihnen nach der Besprechung erläutern«, erbot Humphries sich.

›Der Bankier‹ nickte, wirkte aber noch immer unzufrieden.

»Der Punkt ist«, führte Dan aus, »dass, wenn dieser Flug zum Asteroidengürtel erst einmal erfolgt ist, Astros Aktien wieder steigen werden. Wir werden dann den ersten Schritt in der Erschließung einer gewaltigen Ressourcenbasis getan haben, die den gesamten irdischen Bergbau in den Schatten stellt.«

»Für mich sieht es eher so aus, als ob die Starpower-Aktien steigen würden«, wandte der ›Weihnachtsmann‹ ein.

»Die von Astro aber auch«, sagte Dan. »Weil wir den Vorsprung beim Bau der Fusionstriebwerke haben.«

»Und die Aktien von Humphries Space Systems nicht?« Alle Blicke richteten sich auf Humphries.

Der lächelte verhalten und wissend zugleich. »Nein, das ist Astros Produkt. Mein Unternehmen steuert nur das Kapital bei und ermöglicht die Finanzierung.«

Humphries wirkte auf Dan in diesem Moment wie eine Katze, die einen hilflosen Kanarienvogel beäugt.

Загрузка...