Raumhafen Armstrong

Flankiert von seinem Sicherheitschef und dem Leiter der Rechtsabteilung traf Martin Humphries gerade noch rechtzeitig im Raumhafen ein, um mit eigenen Augen zu sehen, wie die Starpower I die Triebwerke zündete und aus dem Orbit ausscherte.

Er stand mit über dem Oberkörper verschränkten Armen im hinteren Bereich des Kontrollzentrums und betrachtete das Bild des Fusionsschiffs, das vom Teleskop direkt auf den Wandbildschirm übertragen wurde. Es war kein spektakulärer Anblick: Die vier Raketendüsen der Starpower I glühten schwach, und das Schiff entfernte sich so langsam, dass Humphries die über den rechten Bildschirmrand laufenden Zahlen überprüfen musste, um sich zu vergewissern, dass es sich überhaupt bewegte.

Ein kleinerer Bildschirm an der Seitenwand zeigte eine Mondfähre, die sich dem Raumhafen näherte.

Die vier Konsolenreihen nahmen fast die gesamte Fläche des Kontrollzentrums ein. Obwohl nur drei Konsolen besetzt waren, sah Humphries, dass die Controller konsterniert und verwirrt waren.

»Shuttle sechs, antworten!«, schrie der Controller an der Linken ins Kopfbügelmikrofon.

Der Mann mit dem Pferdeschwanz und Bart, der in der Mitte des Trios saß, flüsterte hektisch mit der Frau zur Rechten. Dann wirbelte er auf dem Drehstuhl herum und schnappte sich seine Sprechgarnitur.

»Pancho!«, schrie er mit einer grollenden Bassstimme. »Wo, zum Teufel, steckt ihr denn? Was geht hier vor?«

Humphries wusste nur zu gut, was hier vorging.

Der weibliche Controller schaute auf und sah Humphries dastehen. Sie musste ihn erkannt haben, denn sie wurde blass und bohrte dem Chef-Controller den Finger in die Schulter. Dann zeigte sie in Humphries' Richtung.

Der Chef sprang buchstäblich vom Stuhl und machte einen solchen Satz, dass er fast die Konsole hinter seinem Platz mitgerissen hätte. Aber nur fast. Er schlug schmerzhaft mit dem Schienbein gegen die Oberkante der Konsole und fiel in Mond-Zeitlupe und mit wehendem Pferdeschwanz auf den freien Stuhl dahinter. Er war aber ein solcher ›Mond-Routinier‹, dass er reflexartig die Hände ausstreckte und die Stuhllehne packte, um den Fall abzufedern. Doch dann rollte der Stuhl in die letzte Konsolenreihe, und der Chef-Controller prallte mit einem dumpfen Schlag und einem hörbaren ›Autsch!‹ auf den Boden.

Humphries' Sicherheitschef lief zum gefallenen Controller und stellte ihn wieder auf die Füße, während Humphries selbst und sein Anwalt die slapstickartige Einlage ungerührt verfolgten.

Der Sicherheitsmann schleifte den humpelnden Controller zu Humphries.

»Mr. Humphries«, sprudelte es aus dem Controller heraus, »wir wissen nicht, was los ist.«

»Ist das denn nicht die Starpower I, die da aus dem Orbit heraus beschleunigt?«, fragte Humphries frostig.

»Yessir, das ist sie, aber sie hätte erst in einer halben Stunde starten sollen, und ich glaube, dass Pancho Lane und drei weitere Leute an Bord sind, ohne dass sie die Erlaubnis für einen bemannten Flug hätten. Die IAA wird …«

»Besteht irgendeine Möglichkeit, sie aufzuhalten?«, fragte Humphries mit unheimlicher Ruhe.

Der Chef-Controller kratzte sich am Bart und blinzelte wie eine Eule.

»Na?«

»Nosir. Nicht die geringste, Mr. Humphries.«

»Wer ist sonst noch an Bord?«

»Das ist es ja gerade; wir wissen nicht, ob sie überhaupt an Bord des Schiffs sind! Vielleicht sind sie auch in der Raumfähre, aber sie reagieren nicht auf unsere Anrufe. Vielleicht ist ihr Funkgerät defekt.«

»Sie sind an Bord der Starpower I«, sagte Humphries. »In wessen Begleitung war Pancho Lane?«

»Ähem …« Der Chef-Controller drehte sich mit verzerrtem Gesicht zu seinen beiden Assistenten um.

»Amanda Cunningham, Copilot«, rief die Frau. »Lars Fuchs, Planetenastronom und C. N. Barnard, Bordarzt.«

»Und Sie haben ihnen gestattet, an Bord meines Schiffs zu gehen?«, fragte Humphries mit schneidender Stimme.

»Sie hatten die entsprechende Genehmigung«, sagte der Chef-Controller, dem der Schweiß auf der Stirn stand. »Eine IAA-Genehmigung.« Die zwei anderen Controller, die an ihren Stationen standen, nickten zustimmend.

»Amanda Cunningham war definitiv unter ihnen?«

Die drei nickten synchron.

Humphries wandte sich ab und schickte sich an, das Kontrollzentrum zu verlassen. Der Chef-Controller stieß einen erleichterten Seufzer aus.

An der Tür blieb Humphries jedoch noch einmal stehen und drehte sich zu ihnen um. »Sie sollen nur wissen, dass es sich bei dem so genannten Dr. Barnard in Wirklichkeit um Dan Randolph handelt.«

Die drei Controller waren baff.

»Das hätten wir nie …« Die tiefe Stimme des Controllers erstarb unter Humphries' zürnendem Blick.

»Ich weiß, dass Sie für Selene arbeiten und nicht für mich. Aber ich werde alles daransetzen, dass ihr drei inkompetenten Schwachköpfe euch einem Kontrollzentrum nie mehr auch nur bis auf tausend Kilometer nähern werdet.«

Dann ging er durch die Tür in Richtung des Tunnels, der zu Selene zurückführte.

»Soll ich das Verfahren für die Übernahme von Astro in die Wege leiten?«, fragte der Justitiar Humphries'.

Er nickte grimmig.

»Er wird keinen Anteil an der Gesellschaft mehr besitzen, wenn er zurückkehrt«, sagte der Anwalt mit einem zufriedenen Grinsen.

»Er wird nicht zurückkommen«, sagte Humphries düster. »Keiner von ihnen.«


Dan Randolph, der in der winzigen Messe hinter der Brücke der Starpower saß, war zum ersten Mal seit Monaten richtig entspannt. Das Schiff beschleunigte stetig. Fuchs sah nun auch wieder besser aus, wo er das durch die Beschleunigung hervorgerufene Gewichtsgefühl zurückerlangt hatte. Sie mussten nicht mehr in der Schwerelosigkeit driften, sondern vermochten auf Stühlen zu sitzen, ohne sich anschnallen zu müssen.

Er wunderte sich über seine gute Laune. Die Erde geht unter, deine Firma ist bankrott, du hast jede Vorschrift verletzt, die die IAA je erlassen hat, Humphries will sich deinen Skalp holen, du bist auf einem Flug ins Ungewisse und sitzt hier mit einem Grinsen im Gesicht.

Er hatte aber einen guten Grund.

Ich bin frei, sagte er sich. Vielleicht nur für ein paar Wochen, aber ich habe mich von dem ganzen Mist freigemacht. Zwar sind wir nun auf uns gestellt, aber es kann uns keiner mehr was.

Bis wir zurückkommen.

Pancho schlüpfte durch die Luke und ging direkt zum Getränkeautomaten.

»Wie läuft's?«, fragte Dan beiläufig.

»Alle Systeme funktionieren einwandfrei«, sagte sie.

Dann füllte sie sich einen Becher mit Saft und setzte sich zu Dan an den Tisch.

»Müssen sie wohl, wenn du es vertreten kannst, die Brücke zu verlassen.«

»Mandy ist oben und hat 'n Auge auf alles. Der Vogel fliegt praktisch von allein. Wir müssen nicht den ganzen Tag auf der Brücke sein.«

»Sind irgendwelche Funksprüche eingegangen?«, fragte Dan.

Sie zuckte die Achseln. »Nur ein paar Millionen. Jeder von Doug Stavenger bis zu den Nachrichtensendern will mit dir sprechen.«

Dan wurde hellhörig. »Nachrichtensender?«

»Viele Sender. Alle wollen ein Interview mit dir.«

Dan strich sich nachdenklich übers Kinn. »Wäre gar keine schlechte Idee. Wenn wir ein Interview geben, dann müssten wir es aber tun, bevor wir so weit entfernt sind, dass durch die Zeitverzögerung ein Echtzeit-Gespräch unmöglich wird.«

»Dann sollten wir es sofort tun«, sagte Pancho. »Wenn wir den Vogel erst einmal auf ein Drittel G gebracht haben, zischen wir ab.«

Dan bekundete seine Zustimmung mit einem Kopfnicken. »Würdest du mir eine Verbindung schalten?«, fragte er und wies auf das in die Wand integrierte Funkgerät.

»Klar.«

»In Ordnung. «

»… verbinde mich mit La Guaira.«

Die Leiterin der PR-Abteilung der Astro Corporation war eine hübsche Brünette, die aber älter — und viel härter — war, als sie aussah. Dan bat sie, eine Pressekonferenz mit den größten Nachrichtensendern der Welt zu arrangieren.

»Es muss aber noch heute sein«, sagte er. »Wir fliegen so schnell, dass wir morgen schon mit einer Zeitverzögerung von fünf Minuten kommunizieren würden.«

»Verstanden«, sagte die PR-Frau.

»Schaffen Sie das?«

Sie hob eine sorgfältig gezogene Braue. »Eine große Pressekonferenz mit dem Mann arrangieren, der sein eigenes Super-Duper-Raumschiff gekapert hat, um am Mars vorbei zu den Asteroiden zu fliegen und dort zu schürfen? Gehen Sie einfach aus der Leitung, Boss, und lassen Sie mich alles arrangieren.«

Dan lachte und tat wie geheißen. Im Nachhinein war er froh über die Entscheidung, trotz des Stellenabbaus in anderen Unternehmensbereichen die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit in vollem Umfang beibehalten zu haben. Die Buchhalter und Juristen feuern, sagte er sich. Weg mit den Bürohengsten und Erbsenzählern. Aber die Leute behalten, die das öffentliche Image aufpolieren. Sie sind die Letzten, die gehen — außer den Leuten, die die eigentliche Arbeit tun: die Ingenieure und Wissenschaftler.

Pancho beobachtete ihn, während sie den Saft trank. »Und was geschieht nun?«, fragte sie, als Dan das Gespräch mit La Guaira beendet hatte.

»Nun warten wir darauf, dass meine PR-Leute ihre Arbeit tun.«

»Was glaubst du, wie lang das dauert?«

»Wir werden es in etwa einer Stunde wissen«, sagte Dan. »Wenn es länger dauert, wird nichts daraus.«

Pancho nickte. »Ich habe es gehört. Die Pause zwischen dir und ihr war nämlich schon länger als die übliche Erde-Mond-Verzögerung.«

Dan stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Er hätte sich eigentlich ein Glas Amontillado gewünscht, aber es gab keinen Alkohol auf dem Schiff.

Dann erinnerte er sich an die Geschichte, die die beiden Frauen ihm erzählt hatten — es ging um die Handlanger, die Humphries auf Amanda angesetzt hatte. »Was ist denn mit deiner Schlange passiert?«, fragte Dan.

»Elly?«

»Heißt die Schlange so?«

»Ja.«

»Was hast du also mit ihr gemacht?«

Pancho bückte sich und wickelte den glitzernden blauen Krait vom Knöchel ab.

Dan zuckte zurück. »Du hast das Ding an Bord gebracht?«

Pancho zuckte die Achseln und sagte: »Ich hatte sie eigentlich bei Pistol Pete lassen wollen; das ist der Kerl, dem die Pelican Bar gehört. Aber wegen dieser Schlägertypen bin ich nicht mehr dazu gekommen.«

»Wir haben eine Giftschlange auf dem Schiff!«

»Entspann dich, Boss«, sagte Pancho unbekümmert. »Ich habe vier Mäuse in der Reisetasche. Daran kann Elly sich für über einen Monat satt fressen.«

Dan starrte auf die Schlange. Sie erwiderte den Blick mit ihren Knopfaugen.

Er schüttelte den Kopf. »Ich will das Vieh nicht an Bord haben.«

»Elly wird kein Problem sein«, versicherte Pancho ihm. »Ich werde sie an einem schön kühlen Ort aufbewahren. Sie wird die meiste Zeit schlafen. Und verdauen«, fügte sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu.

»Wenn aber doch etwas passiert …«

Pancho bekam einen todernsten Gesichtsausdruck. Dan hatte den Eindruck, dass sie einen inneren Kampf ausfocht.

»Vielleicht könnten wir die Schlange für die Dauer des Flugs einfrieren«, schlug er vor. »Und nach der Landung auf Selene wieder auftauen.«

»Sie ist nicht giftig«, platzte Pancho heraus.

»Was?«

»Ich gestehe es nur ungern, aber Elly ist überhaupt nicht giftig. Das sage ich den Leuten nur, um ihnen Respekt einzuflößen. Glaubst du wirklich, Selenes Sicherheitsrat würde giftiges Kroppzeug in die Stadt lassen?«

»Aber du sagtest doch…«

»Ach, du musst doch nicht alles glauben, was ich sage, Boss«, sagte Pancho mit einem um Entschuldigung heischenden Blick. »Eine Frau muss sich schließlich irgendwie schützen, oder?«

»Aber was ist mit dem Kerl, den sie gebissen hat?«

»Elly ist genetisch modifiziert worden. Man hat ihr Gift so verändert, dass es nicht mehr tödlich wirkt, sondern wie ein Betäubungsmittel.«

Dan musterte sie skeptisch. Kann ich ihr überhaupt noch etwas glauben, fragte er sich.

»Die Wissenschaftsfritzen wollten Elly einsetzen, um zu Forschungszwecken in freier Wildbahn Tiere zu betäuben. Das hat aber nicht funktioniert.«

»Und du hältst die Schlange nun als Haustier.«

»Als Leibwächter«, stellte Pancho richtig.

»Was ist mit dem Antiserum?«

Sie lachte. »Es war eine Salzlösung. Nur ein Placebo. Der Typ wäre wieder aufgewacht, ob man es ihm verabreicht hätte oder nicht.«

Nun musste Dan auch lachen. »Pancho, du bist schon eine Schmierenkomödiantin.«

»Wird wohl so sein«, pflichtete sie ihm bei.

Amandas Stimme drang aus dem Lautsprecher: »Ich habe einen Anruf von La Guaira.«

Nach mehrstündigen intensiven Bemühungen hatte Dans PR-Direktorin schließlich eine interaktive Pressekonferenz mit Reportern der weltweit größten Nachrichtenagenturen zustande gebracht. Und mit Edith Elgin, Selenes Programmdirektorin, die sich im Privatleben als die Frau von Douglas Stavenger erwies.

Dan lehnte sich in der Messe der Starpower auf dem kleinen Plastikstuhl zurück und lächelte in die Kamera der in die Wand eingelassenen Funkanlage. Seine PR-Direktorin fungierte als Moderatorin und wählte die Reporter aus, die jeweils eine Frage stellen und noch einmal nachhaken durften. In diesem Fall profitierte Dan sogar von der Zeitverzögerung zwischen Schiff und Erde, weil er sich dadurch besser für die nächste Frage zu wappnen vermochte.

Es ist ratsam, zuerst zu denken und dann zu reden, sagte er sich. Erst das Gehirn einschalten, bevor das Mundwerk betätigt wird.

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