Grand Plaza

Das wird mir langsam zu dumm, sagte sich Pancho. Humphries misstraut Telefonen und der elektronischen Kommunikation überhaupt — wegen der Abhörgefahr, wie er sagt. Deshalb müssen wir uns persönlich treffen, aber an Orten, wo uns niemand erkennt. Und ihm gehen die Treffpunkte aus.

Er lud Pancho nicht mehr in sein Haus auf der untersten Ebene ein. Er wollte angeblich vermeiden, dass jemand sie dort unten sah, wo sie nichts verloren hatte. Pancho wusste aber, dass er keine Einladung mehr ausgesprochen hatte, seit sie ihm Mandy vorgestellt hatte. Also schied sein Haus als Treffpunkt aus.

Ausflüge zu unternehmen, bringt es auf Dauer aber auch nicht, sagte sie sich. Zumal früher oder später ein Tourist merken wird, dass der erhabene und mächtige Martin Humphries sich mit ihm im selben Bus befindet. Und wie oft kann ein Astro-Mitarbeiter sich den Nachmittag freinehmen, um auf der Oberfläche eine Busreise zu unternehmen? Das ist doch Quatsch.

Also spazierte sie allein auf einem der gepflasterten Wege entlang, die sich durch die Grand Plaza schlängelten. Sie war mit Gras, blühenden Sträuchern und sogar ein paar Bäumen bewachsen. Die Plaza hatte zwar keine so üppige Vegetation wie Humphries' Grotte, war aber auch ein schöner Ort der Entspannung mit viel Grün und einer lichten Weite.

Für eine Stadt, die nur etwa dreitausend ständige Bewohner hat, ist hier ganz schön viel los, sagte sich Pancho. Die Wege waren nicht gerade überfüllt, aber es waren doch viele Leute unterwegs. Pancho vermochte die Bürger von Selene leicht von den vereinzelten Touristen zu unterscheiden: Die Einheimischen waren mit Overalls oder Trainingsanzügen bekleidet und schlurften in der niedrigen Gravitation lässig einher. Die paar Touristen, die sie ausmachte, trugen Hawaii-Hemden und Bermuda-Shorts und stolperten trotz der bleibeschwerten Stiefel umher. Ein paar Frauen hatten sich in den Läden an der Plaza teure Kleider gekauft und führten sie stolz vor, während sie mit vorsichtigen Trippelschritten die gewundenen Wege entlang flanierten.

Die Seleniten grüßten sich lächelnd im Vorbeigehen, während die Touristen eher einen reservierten und unsicheren Eindruck machten. Komisch, sagte sich Pancho. Wer genug Geld und Muße hatte, um hier Urlaub zu machen, hätte eigentlich entspannter wirken müssen.

Die Plätze des Freilichttheaters waren ausverkauft, wie Pancho sah. Sie erinnerte sich an eine Bekanntmachung, dass Selenes Tanztheater ein Niedergravitations-Ballett aufführen wolle. Alles in allem schien es ein ganz normaler Abend in der Plaza zu sein, ohne besondere Vorkommnisse.

Alle Wege, die sich durch die Plaza wanden, führten zu der Fensterfront am entgegengesetzten Ende der Plaza-Kuppel. Die aus lunarem Glasstahl bestehenden Fenster hatten trotz der Transparenz die strukturelle Festigkeit des Stahlbetons, aus dem die übrige Kuppelstruktur bestand. Draußen war noch immer Tag, und daran würde sich für die nächsten zweihundert Stunden auch nichts ändern. Ein paar Touristen waren stehen geblieben und betrachteten den rissigen, schrundigen Boden von Alphonsus.

«Das wirkt so tot«, sagte eine Frau.

»Und leer«, murmelte ihr Mann.

»Da fragt man sich doch, wie es ein Mensch hier überhaupt aushält.«

Pancho schnaubte missmutig. Ihr müsstet nur mal auf der Erde eine Flutkatastrophe erleben, um zu sehen, wie gut es einem auf dem Mond geht.

»Guten Abend«, sagte Martin Humphries.

Pancho hatte ihn gar nicht kommen sehen, denn sie hatte aus dem Fenster geschaut und die Unterhaltung der Touristen verfolgt.

»Hallo«, sagte sie.

Er trug eine dunkle Hose mit einem beigefarbenen Pullovershirt. Und Sandalen. Sein übliches Inkognito. Sie selbst steckte in demselben himmelblauen Overall, den sie den ganzen Tag trug — mit dem Logo der Astro Corporation über der linken Brusttasche und dem darüber aufgenähten Namensschild.

Humphries deutete auf eine Betonbank am Wegesrand. »Setzen wir uns«, sagte er. »Es gibt hier draußen keine Kameras, die uns verraten würden.«

Sie nahmen Platz. Eine Familie spazierte vorbei, Eltern und zwei kleine Jungen, die nicht älter als vier oder fünf waren. Mondbewohner. Seleniten. Die Kinder waren vielleicht sogar auf dem Mond geboren, sagte sie sich.

»Was haben Sie die letzte Zeit so getrieben?«, fragte Humphries beiläufig.

»Wir haben damit begonnen, die Mission im Detail zu planen«, berichtete Pancho wahrheitsgemäß. »Randolph hat zwei Asteroiden als Ziele ausgesucht, die wir anfliegen sollen, und Mandy und ich ermitteln nun die optimale Flugbahn, die Flugdauer, die benötigten Vorräte, Fehlermodi… solchen Kram eben.«

»Klingt langweilig.«

»Nicht, wenn das Leben davon abhängt.«

Humphries pflichtete ihr mit einem Kopfnicken bei. »Der Bau des Antriebssystems geht planmäßig vonstatten?«

»Sie wissen darüber doch besser Bescheid als ich.«

»Es läuft nach Plan«, sagte er.

»Das habe ich schon vermutet. Dan wäre nämlich an die Decke gegangen, wenn es irgendwelche Verzögerungen gegeben hätte.«

»Amanda will mich nicht mehr sehen«, sagte er.

Pancho wurde durch den plötzlichen Themenwechsel zunächst auf dem falschen Fuß erwischt. »Mandy hat zurzeit genug um die Ohren«, sagte sie, nachdem sie sich wieder gefasst hatte. »Sie hat einfach keine Zeit, sich auf irgendetwas… oder mit irgendjeman-dem einzulassen.«

»Ich will sie von der Mission herunternehmen.«

»Das können Sie ihr nicht antun!«, platzte Pancho heraus.

»Wieso nicht?«

»Es würde ihre Karriere ruinieren, deshalb. Von der ersten bemannten Mission zum Asteroidengürtel abgesetzt: Wie würde sich das wohl in ihrem Lebenslauf machen?«

»Sie wird keinen Lebenslauf mehr brauchen. Ich werde sie nämlich heiraten.«

Pancho starrte ihn an. Er meinte das wirklich ernst.

»Für wie lange?«, fragte sie kalt.

Zorn loderte in Humphries' Augen auf. »Nur weil meine zwei ersten Ehen nicht funktioniert haben, muss das nicht heißen, dass es diesmal nicht klappen würde.«

»Ja. Vielleicht.«

»Außerdem«, fuhr Humphries fort, »falls es doch nicht funktioniert, wird sie eine sehr großzügige Abfindung von mir bekommen. Sie wird nie mehr arbeiten müssen.«

Pancho sagte nichts. Falls es nicht funktioniert, wird er mit Hilfe seine Anwälte alles daransetzen, Mandy ohne einen Cent im Regen stehen zu lassen, sagte sie sich. Falls es nicht funktioniert, wird er sie genauso hassen, wie er seine beiden Ex-Frauen hasst.

»Ich möchte Sie bitten, sie zu überzeugen, mich zu heiraten«, sagte Humphries.

Panchos Gedanken überschlugen sich. Du musst jetzt ganz vorsichtig sein, sagte sie sich. Nicht dass er noch einen Hass auf dich bekommt.

»Mr. Humphries, das kann ich einfach nicht tun. Das ist schließlich etwas anderes als eine geschäftliche Verhandlung — ich vermag sie nicht zu etwas überreden, das sie nicht will. Niemand wäre dazu imstande. Außer Ihnen vielleicht.«

»Aber sie will mich doch nicht mehr sehen!«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte sie so mitfühlend, wie es ihr möglich war. »Aber sie steht eben unter sehr großem Druck, wegen der Mission und alledem.«

»Gerade aus dem Grund will ich sie doch aus der Mission herausnehmen.«

»Tun Sie ihr das nicht an. Bitte.«

»Mein Entschluss steht fest.«

Pancho seufzte unglücklich. »Das werden Sie Dan Randolph aber schon selbst verklickern müssen. Er ist der Boss, nicht ich.«

»Dann werde ich das eben tun«, sagte Humphries bestimmt.

»Ich wünschte, Sie würden es sich noch mal überlegen. Wieso lassen Sie uns nicht zum Gürtel fliegen. Wenn wir dann zurück sind, wird Mandy den Kopf wieder frei haben und Ihnen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmen.«

»Nein.« Humphries schüttelte den Kopf. »Sie werden vielleicht nicht zurückkommen.«

»Das werden wir ganz bestimmt.«

»Wie gesagt, Sie werden vielleicht nicht zurückkommen. Ich will nicht das Risiko eingehen, sie zu verlieren.«

Pancho schaute ihm in die Augen. Sie waren kalt und ausdruckslos wie die Augen eines professionellen Spielers, den sie einmal gekannt hatte. Damals hatte sie in Las Vegas in einem Casino gearbeitet, um sich das Studium an der Universität von Nevada zu finanzieren. Es waren nicht die Augen eines liebeskranken Jünglings. Nicht die Augen eines Manns, der an Herzschmerz litt.

»Dann sollten Sie besser mit Randolph sprechen«, sagte sie.

»Das werde ich.«

Erschöpft und um Mandy besorgt stand Pancho auf. Humphries erhob sich auch, und da stellte sie fest, dass er ein paar Zentimeter kleiner war, als sie ihn in Erinnerung hatte. Dann fiel ihr Blick auf seine Sandalen. Der Hurensohn musste sonst immer größer machende Schuhe tragen, sagte sie sich.

»Übrigens«, sagte Humphries mit einem scharfen Klang in der Stimme, »irgend jemand hat meine privaten Dateien gehackt.«

Sie war wirklich erstaunt, dass er es so schnell herausgefunden hatte. Ihr Gesichtsausdruck musste sie wohl verraten haben.

»Randolph ist viel schlauer, als ich ihn eingeschätzt habe, aber das wird er noch bedauern.«

»Sie meinen, er sei der Hacker?«

»Wer sonst? Offensichtlich einer von seinen Leuten. Ich will, dass Sie herausfinden, wer es getan hat. Und wie er es getan hat.«

»Das kann ich nicht machen!«, entfuhr es Pancho.

»Wieso nicht?«

»Man würde mich erwischen. Ich bin kein Computer-Freak.«

Seine Augen bohrten sich für einen schmerzhaft langen Moment in sie. »Sie werden herausfinden, wer das angestellt hat. Und wie er es angestellt hat. Oder…«

»Oder was?«

»Oder ich werde mir etwas einfallen lassen«, entgegnete Humphries mit einem grimmigen Lächeln.

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