Auf das Timing kam es an.
Die trotz der Unsichtbarkeit nervöse Pancho schlich sich vorsichtig ins Missionskontrollzentrum des Raumhafens Armstrong. Es war fast zwei Uhr nachts. Im Zentrum war es ruhig — nur zwei Controller hatten Dienst, und die beiden machten es sich auch noch gemütlich. Einer lehnte sich auf dem Stuhl zurück, während der andere an der Kaffeemaschine neben der Toilettentür hantierte.
Pancho hatte niemandem etwas von dieser Aktion erzählt. Sie hielt es für das Beste, sich den Tarnanzug auszuborgen und den Job zu erledigen, ohne jemanden davon zu informieren — nicht einmal Dan Randolph. Je weniger Leute vom Tarnanzug wussten, desto besser.
Für diese Uhrzeit waren keine Starts und Landungen angemeldet; die Rumpfbesatzung war überhaupt nur deshalb im Kontrollzentrum präsent, weil die Sicherheitsbestimmungen es verlangten, dass das Zentrum für den Notfall ständig besetzt war.
Aber welcher Notfall sollte denn eintreten, fragte Pancho sich, als sie auf Zehenspitzen zu der Konsole trippelte, die am weitesten von denen entfernt war, wo die zwei Controller arbeiteten. Ein Raumschiff kommt nicht eben mal angeflogen; sogar ein Hochgeschwindigkeits-Flug von einer der die Erde umkreisenden Raumstationen zum Mond dauerte sechs Stunden. Genug Zeit, um im Bedarfsfall die ganze Controller-Schicht zu aktivieren. Der einzig mögliche Notfall bestand darin, dass eins der Teams in einem entfernten Außenposten auf der Mondoberfläche Probleme mit dem Funkgerät hatte. Vielleicht wenn ein Astronom im Observatorium auf der Mondrückseite einen Blinddarmdurchbruch bekam und das Funkgerät defekt war, sodass sie den armen Kerl auf einer ballistischen Bahn nach Selene schicken mussten, ohne in der Lage zu sein, vorab das Krankenhaus zu verständigen.
Oder wenn eine unsichtbare Frau sich einschlich und den Flugplan für die morgigen Starts manipulierte. Nein, sagte Pancho sich, nicht für morgen. Es ist schon zwei Uhr nachts. Den Plan für heute.
Sie setzte sich möglichst weit von den Controllern entfernt an eine Konsole und wartete darauf, dass die Frau an der Kaffeemaschine an ihren Platz zurückkehrte. Der übergewichtige Typ, der an seinem Terminal saß, schien sich im Halbschlaf zu befinden. Er hatte die Füße auf den Tisch gelegt, die Augen geschlossen und einen Kopfhörer auf. Dabei handelte es sich allerdings nicht um einen regulären Kopfhörer. Der Kerl hörte Musik; Pancho sah das an den rhythmischen Kopfbewegungen.
Hoffentlich bleibt der so, sagte sie sich.
Der weibliche Controller nahm einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. Dann schaute sie in Panchos Richtung. Pancho erstarrte im Tarnanzug. Schließlich wandte die Frau den Blick ab und ging mit der dampfenden Kaffeetasse in der Hand zu ihrer Konsole zurück. Pancho wagte wieder Luft zu holen.
Die Frau erreichte ihren Arbeitsplatz neben dem Typen und musterte ihn mit einem missbilligenden Stirnrunzeln. Dann nahm sie Platz und setzte sich ein ›offizielles‹ Kopfbügelmikrofon auf.
Gut, sagte Pancho sich. Im großen Raum war es zu still für ihren Geschmack. Normalerweise waren die Konsolenreihen mit Controllern besetzt, die den nach Selene hereinkommenden und von dort abgehenden Verkehr regelten. Die Geräuschkulisse wäre laut genug gewesen, um das Klappern der Tastatur zu übertönen. Allerdings wäre dann auch keine Konsole frei gewesen, die sie zu benutzen vermocht hätte; während der normalen Arbeitszeit waren alle Rechner belegt.
Zögerlich tippte Pancho auf die Tastatur vor sich: einmal, um die Spracherkennung abzuschalten und ein zweites Mal, um die Statusanzeige aufzurufen. An ihrem Arbeitsplatz hörte die Frau das leise Klicken nicht. Oder wenn sie es doch hörte, nahm sie keine Notiz davon. Der Kerl war definitiv eingeschlafen, sagte Pancho sich. Sein Kopf lag nun auf der Schulter, und der dicke Bauch hob und senkte sich in tiefen, langsamen Atemzügen.
Es stand nur ein Raumschiff auf dem Plan, wie Pancho beim Blick auf die Statusanzeige sah. Planmäßige Landung in fünf Stunden. Genug Zeit für sie, ihr Vorhaben durchzuführen und wieder zu verschwinden, bevor die Controller der Frühschicht eintrudelten.
Langsam und vorsichtig frisierte Pancho den morgendlichen Flugplan mit einer Reihe von Anweisungen, wobei sie ein Auge auf die gelangweilte Frau hatte, die auf der anderen Seite des Raums saß. Dann stand sie auf, schlich sich aus dem Kontrollzentrum und verstaute den Tarnanzug wieder in Ike Waltons Spind im Lagerbereich in der Nähe der Katakomben. Sie fragte sich, ob sie ihn jemals wieder brauchen würde. Vielleicht sollte ich ihn behalten, sagte sie sich. Doch in diesem Fall würde Ike den Verlust früher oder später bemerken, und das würde nur Ärger geben. Dann war es schon besser, ihn dort zu lassen und zu hoffen, dass Ike nicht die Kombination des Zahlenschlosses änderte.
Plötzlich geriet Pancho in Panik. Elly war nicht mehr im Spind, wo sie sie zurückgelassen hatte. Pancho hatte geglaubt, der Krait würde in der kühlen Luft der Lagerzone schlafen; sie hatte Elly erst am Tag zuvor mit einer Maus gefüttert, sodass die Schlange eigentlich ein schönes Verdauungsschläfchen hätte halten müssen. Bei der Verlegung zu Waltons Spind musste Elly aber aufgewacht sein. Die Schlange war durch einen Luftschlitz an der Unterseite der Spindtür entwischt.
Pancho suchte hektisch nach dem Krait. Ein paar Minuten später fand sie das Tier zusammengeringelt auf dem Boden vor einem Abluftschacht. Als sie Elly aufheben wollte, richtete der Krait sich plötzlich auf und zischte sie an.
Pancho kniete sich auf den Boden und schaute die Schlange mit gerunzelter Stirn an. »Werd nur nicht biestig«, sagte sie streng. »Ich weiß, dass ich dich beim Nickerchen gestört habe, aber deshalb musst du nicht gleich sauer werden.«
Die Zunge der Schlange schnellte ein paarmal vor und zurück.
»So ist's recht, schnüffel erst mal ordentlich. Ich bin's, und wenn du dich beruhigt hast, wickle ich dich um meinen schönen warmen Knöchel, und wir können nach Hause gehen. In Ordnung?«
Elly entspannte sich und ringelte sich zu einer kompakten kleinen, blau glitzernden Spule zusammen. Pancho streckte langsam die Hand aus, und als Elly nicht reagierte, kraulte sie dem Krait mit einem Finger sachte den Kopf.
»Komm schon, Mädchen«, lockte sie, »wir bringen dich jetzt nach Hause, wo du gemütlich schlummern kannst.«
Aber nicht für lang, sagte Pancho sich.