Wende

»Auf mein Zeichen«, ertönte Panchos Stimme im Lautsprecher, »Wende in dreißig Minuten. Ab jetzt.«

Dan setzte sich in der Koje auf. Er war gerade erst eingeschlafen, nachdem er für einen Zeitraum, der ihm wie Stunden erschienen war, an die Kabinendecke gestarrt hatte.

Wir sind schon ein Stück weit im Gürtel, sagte er sich. Das Schiff macht sich gut. Wir fliegen den äußeren Bereich an und suchen nach einem schönen massiven Asteroiden der M-Klasse.

Und es tritt Kühlflüssigkeit aus, die den Supraleiter so weit herunterkühlt, dass er das Magnetfeld aufrechterhält, das wiederum uns vor der harten Strahlung der Sonnenstürme schützt. Hört sich ganz nach dem Haus an, das Jack gebaut hat, sagte er sich und versuchte die dunklen Vorahnungen abzuschütteln, die ihn heimsuchten.

Er schnappte sich einen frischen Overall und ging zur Toilette. Ich brauche eine Dusche und eine Rasur, sagte er sich. Und du musst das Leck abdichten, ermahnte ihn eine Stimme im Kopf.

Er wünschte sich, dass diese Sache ihn nicht so sehr beschäftigte. Pancho machte sich keine Sorgen deswegen, und Amanda auch nicht.

Eine verdammt gut aussehende Frau, diese Amanda, sagte er sich. Selbst in einem Schlabber-Overall ist sie eine Wucht. Ich sollte lieber kalt duschen.

Das einzig Knifflige beim Wendemanöver war, dass sie das Haupttriebwerk abschalten mussten, den Fusionsreaktor aber nicht herunterfahren durften. Durch die Schubwegnahme sollte das Schiff bei der Wende abgebremst werden. Dann sollte es durch die Reaktorabgase gedreht werden, wobei ein Teil der Abgase durch Steuerdüsen an der Seite des Antriebs-Moduls ausgestoßen wurde.

Nachdem Dan geduscht hatte, ging er auf die Brücke. Beide Piloten saßen an ihren Plätzen. Es dudelte keine Musik.

»Alle Systeme bereit für Wende«, murmelte Amanda.

»Check, alle Systeme im grünen Bereich«, erwiderte Pancho.

»Wo ist Fuchs?«, fragte Dan hinter ihnen.

»Wahrscheinlich noch immer in der Instrumentenbucht«, sagte Pancho, »und spielt mit seinem Spielzeug.«

Amanda berührte mit leicht gerunzelter Stirn den Kommunikations-Monitor. »Wende in fünf Minuten«, meldete sie.

»Boss, du solltest dich lieber hinsetzen«, sagte Pancho mit einem Blick über die Schulter.

Er schaute sie finster an. »Ich bin schon oft genug in der Schwerelosigkeit gewesen, Mädchen.« Schon bevor du geboren wurdest, hätte er fast hinzugefügt.

Er sah Panchos Grinsen, das im Fenster vor ihr gespiegelt wurde. »In Ordnung, du bist der Boss. Fußschlaufen am Boden und Haltegriffe an der Decke.«

»Aye, aye, Skipper«, sagte Dan ebenfalls grinsend.

»Brennschluss in zwei Minuten«, rief Amanda.

»Zwei Minuten. Check.«

Als das Haupttriebwerk abgeschaltet wurde, fühlte Dan sich richtig wohl. Das Gefühl der Schwere verflog, und er löste sich langsam vom Deck. Er hielt sich an einem Handgriff fest und schaute den Pilotinnen zu, wie sie die Touchscreens bedienten.

»Wie geht's Fuchs da hinten?«, fragte Pancho.

Amanda tippte auf den zentralen Monitor, und es erschien Fuchs. Er hatte sich auf dem Klappstuhl in der Instrumentenbucht angeschnallt und war etwas käsig im Gesicht. Sonst schien er aber in Ordnung zu sein.

»Manöver-Schub in zwei Minuten«, sagte Amanda.

»Check«, erwiderte Pancho.

Dan schob die Füße in die Schlaufen am Boden, ohne die Handgriffe loszulassen. Die Steuertriebwerke feuerten, und er hatte das Gefühl, als ob er einen Stoß in die Seite bekommen hätte. Er erinnerte sich daran, wie er als Kind auf irgendeinem Flughafen zum ersten Mal einen Zubringerbus für die Passagiere benutzt hatte: Er hatte mit dem Gesicht zur Tür gestanden, und als der Bus sich in Bewegung setzte, wäre er fast zur Seite gekippt. Nur die um ihn herumstehenden Erwachsenen hatten den Sturz verhindert.

»Uff«, sagte Pancho, »der Vogel hat eine Manövrierfähigkeit wie ein Supertanker — genauso träge und behäbig.«

»Du fliegst schließlich keinen wendigen Raumgleiter mehr«, sagte Dan.

»Die Kurve für die Wendegeschwindigkeit«, sagte Amanda und zeigte mit einem manikürten Finger auf die entsprechende Grafik auf dem Touchscreen. Das Hintergrundbild zeigte die weißen Klippen von Dover.

»Ui«, sagte Pancho. »Sieht noch immer so aus, als ob wir jede Menge Ballast mitschleppten.«

»Das tun wir auch«, sagte Amanda. »Das ganze Deuterium und Helium-Drei.«

Der Brennstoff wiegt sehr viel, wurde Dan sich bewusst. Man stellt sich Wasserstoff und Helium leicht, fast gewichtslos vor. Aber wir haben Tonnen von dem Zeug in den Tanks. Dutzende Tonnen.

Draußen gab es nicht viel zu sehen. Keinen Sternenhimmel, der an ihnen vorbeizog. Keine Asteroiden in Sicht. Nichts außer Leere.

»Wo ist die Sonne?«, hörte Dan sich fragen.

Pancho lachte. »Sie ist noch da, Boss. Ist nicht verschwunden. Wir stehen nur in einem zu steilen Winkel, um sie durchs Fenster zu sehen. Das ist alles.«

Wie zur Bestätigung schwappte ein glühender Lichtschwall durchs Fenster.

»Sonnenaufgang im Sumpf«, rief Pancho.

Dan verspürte wieder einen seitlichen Schub, diesmal von der anderen Seite.

»Wendemanöver abgeschlossen«, sagte Amanda.

»Fluss zum Haupttriebwerk«, sagte Pancho und bediente die Touchscreens.

»Haupttriebwerk bestätigt.«

Die Schwere kehrte auf die Brücke zurück. Dan sank wieder aufs Deck.

Amanda lächelte glücklich. »Auf Kurs und Geschwindigkeits-Vektor. «

»Supergut!«, rief Pancho. »Nun schau'n wir mal, was das Leck macht.«


Kris Cardenas hatte ihr Apartment fast erreicht, als zwei junge Männer in dunklen Anzügen zu ihr aufschlossen.

»Dr. Cardenas?«

Sie drehte sich um. Der Mann, der ihren Namen gerufen hatte, war größer als sein Partner. Er war schlank und drahtig, hatte einen blassen Teint und das dunkle Haar raspelkurz geschnitten. Der andere war kräftig, blond und hatte rosige Backen.

»Kommen Sie bitte mit uns«, sagte der Dunkelhaarige.

»Wohin? Wieso denn? Wer sind Sie überhaupt?«

»Mr. Humphries möchte Sie sprechen.«

»Jetzt? Um diese Zeit? Es ist…«

»Bitte«, sagte der Blonde und zog eine mattschwarze Pistole unterm Jacket hervor.

»Sie verschießt Betäubungspfeile«, sagte der Dunkelhaarige. »Aber man wacht mit höllischen Kopfschmerzen auf. Zwingen Sie uns nicht, sie gegen Sie einzusetzen.«

Cardenas ließ den Blick durch den Korridor schweifen. Die einzige Person, die sich sonst noch auf dem Gang aufhielt, war eine mausgraue kleine Frau, die sofort kehrt machte und sich in die entgegengesetzte Richtung verdrückte.

»Was nun«, sagte der Blonde und richtete die Pistole auf sie.

Mit einem resignierten Achselzucken und einem Kopfnicken kapitulierte Cardenas. Der Blonde steckte die Pistole ein, und sie gingen den Gang entlang zu den Rolltreppen.

»Wenigstens hat die hier keine Schlange«, flüsterte der Blonde seinem Partner heiser zu.

Der andere Mann fand das nicht zum Lachen.

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