Der Zollinspektor machte zunächst große Augen, als er des Käfigs mit den vier lebenden Mäusen ansichtig wurde, die sich darin tummelten.
Dann schaute er mit einem grimmigen Ausdruck zu Pancho auf. »Haustiere sind in Selene verboten.«
Die anderen Astronauten hatten die Einreiseformalitäten problemlos erledigt und Pancho mit dem kritischen Zöllner allein gelassen. Der Flug zum Mond war ohne besondere Vorkommnisse verlaufen, ohne dass Panchos Kameraden bemerkt hätten, dass sie ihre Bankkonten um die Zinserträge für eine halbe Stunde erleichtert hatte. Und selbst wenn sie diese kleine Gaunerei doch noch entdeckten, war der fragliche Betrag zu gering, um sich deswegen in die Haare zu kriegen, sagte Pancho sich. Es ging ihr nämlich weniger ums Geld als um die Raffinesse des Coups.
»Das sind keine Haustiere«, eröffnete sie dem Zöllner cool. »Das ist Frischfleisch.«
»Frischfleisch?« Die dunklen Augenbrauen des Manns wölbten sich fast bis zum Haaransatz.
»Genau, Frischfleisch. Für meinen Leibwächter.« Sie kannte die meisten Zollinspektoren, doch dieser Typ war neu; Pancho hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Sieht nicht schlecht aus, sagte sie sich. Der dunkelblaue Overall harmoniert schön mit den Augen. Aber schon etwas älter. Hat schon graue Schläfen. Muss aber genug verdienen, um sich eine Verjüngungstherapie leisten zu können.
Als ob er wüsste, dass er mit weiblicher List und Tücke auf Linie gebracht werden sollte, fragte der Zollinspektor: »Ihr Leibwächter isst Mäuse?«
Pancho nickte. »Jawohl, Sir, das tut er.«
»Und wo ist dieser Leibwächter?«, fragte der Inspektor unfreundlich.
Pancho hob ein langes Bein und stellte den Fuß auf den Tisch des Inspektors. Dann krempelte sie das Hosenbein des Overalls hoch und enthüllte etwas, das wie ein hellblaues metallenes Fußkettchen aussah.
Vor den Augen des konsternierten Inspektors wickelte Pancho Elly vom Fußknöchel ab und hielt sie dem Mann vor die immer größer werdenden Augen. Die Schlange maß von der Nase bis zum Schwanz ungefähr fünfunddreißig Zentimeter. Sie hob den Kopf, fixierte den Inspektor mit den perlmuttartigen geschlitzten Augen und stieß ein bedrohliches Zischen aus. Der Mann schreckte fast einen halben Meter zurück.
»Elly ist ein genetisch veränderter Krait. Sie ist schon ausgewachsen. Sie ist sehr gut erzogen, aber halt auch eine kleine Giftspritze.«
Es sprach für den Inspektor, dass er sich schnell wieder fasste. Mehr oder weniger zumindest.
»Sie… Sie können doch keine Schlange hier einführen«, sagte er mit nur leicht zitternder Stimme. »Das verstößt gegen die Bestimmungen, und außerdem…«
»Es gibt eine spezielle Ausnahmeregelung«, sagte Pancho gelassen. »Überzeugen Sie sich selbst. Absatz siebzehn d, Punkt elf.«
Mit gerunzelter Stirn rief der Inspektor die besagte Seite auf dem Palmtop auf. Pancho wusste, dass die Ausnahmeregelung existierte; schließlich war sie bis zum Gesundheits- und Sicherheitsausschuss von Selene gegangen, um sie in die Bestimmungen aufnehmen zu lassen. Das hatte sie ein kleines Vermögen an Geld und Zeit gekostet und viele Abendessen mit Männern, die so alt waren, dass sie ihr Großvater hätten sein können. Lustig war, dass die einzigen unverhohlenen sexuellen Avancen ihr von der Frau gemacht wurden, die Vorsitzende des Ausschusses gewesen war.
»Da brat mir doch einer 'nen Storch…« Der Inspektor schaute vom winzigen Display des Palmtops auf. »Wie, zum Teufel, haben Sie es geschafft, dass man extra für Sie die Bestimmungen geändert hat?«
»Es war nicht leicht«, sagte Pancho liebreizend.
»Sie sagen, dieser kleine Bursche sei giftig?«
»Ihr Gift ist modifiziert worden, um die tödliche Wirkung zu verringern, aber es ist noch immer tödlich, wenn man sich nicht sofort ein Antiserum spritzt.« Pancho holte eine kleine Ampulle aus der offenen Reisetasche und schwenkte sie vorm Gesicht des Inspektors, dem schier die Augen aus den Höhlen quollen.
Er schüttelte perplex den Kopf, als Pancho die Schlange dazu veranlasste, sich wieder um den Knöchel zu wickeln. »Und er frisst Mäuse.«
»Sie«, sagte Pancho und nahm den Fuß vom Tisch. »Wenn ich länger als einen Monat hier bleibe, muss ich noch mehr Mäuse von der Erde kommen lassen. Kostet 'ne Stange Geld.«
»Darauf wette ich.«
»Die Mäuse verlassen den Käfig nie«, sagte Pancho. »Jede Woche lasse ich Elly zu ihnen.«
Der Inspektor erschauerte sichtlich. Dann nahm er Panchos Einreiseformulare und führte sie am elektronischen Lesegerät vorbei. Das Gerät piepte einmal. Pancho war abgefertigt. Der Inspektor legte den transparenten Mäusekäfig wieder in die Reisetasche und schloss den Reißverschluss.
»Sie dürfen in Selene einreisen«, sagte er. Er machte fast den Eindruck, als ob er es selbst nicht glaubte.
»Vielen Dank.«
»Äh… würden Sie heute mit mir zu Abend essen?«, fragte er, ehe sie sich die Tasche noch um die Schulter gehängt hatte.
Pancho lächelte lieblich. »Ach, ich würde zu gern mit Ihnen zu Abend essen, aber ich habe schon eine Verabredung.«
Pancho, die mit einem gestärkten weißen Hosenanzug bekleidet war und sich einen kontrastierenden Blümchenschal um den Hals geschlungen hatte, schlug die Richtung ein, die Martin Humphries ihr per Videomail hatte zukommen lassen.
In irdischen Städten bedeutete Höhe Prestige. Für Hotels und Apartmenthäuser galt: Je höher das Stockwerk, desto höher der Preis. Penthäuser waren am begehrtesten und somit am teuersten. Auf dem Mond, wo die Menschen die Siedlungen unter der Oberfläche angelegt hatten, wuchs das Prestige mit der Tiefe. Die atmosphärelose Mondoberfläche war gefährlich: Sie war Temperaturschwankungen von vierhundert Grad zwischen Sonne und Schatten ausgesetzt, wurde in harte Strahlung aus dem tiefen Raum gebadet und mit Meteoriten bombardiert. Also galt für Selene und die anderen Gemeinschaften auf dem Mond Folgendes: Je tiefer die Quartiere lagen, desto begehrter waren sie und somit auch teurer.
Martin Humphries musste stinkreich sein, sagte Pancho sich, während sie im Aufzug zu Selenes unterster Ebene fuhr. In den biografischen Dateien im Internet wurde Humphries als einer der reichsten Männer im Erde-/Mond-System gehandelt, aber das war vielleicht auch nur eine PR-Fassade, sagte sie sich. Die Revolverblätter und Skandal-Websites hatten da schon mehr zu bieten als die Biodateien. Sie bezeichneten ihn als ›Hump‹ oder ›den Humper‹. Er hatte einen Ruf als Weiberheld, war zweimal verheiratet gewesen und umgab sich immer mit Scharen von Medienstars und Glamour-Girls aus der Oberschicht. Als Pancho das Register seiner ›Verabredungen‹ aufrief, sah sie eine Galerie großer, eleganter und schöner Frauen mit üppiger Haarpracht und spärlicher Kleidung.
Pancho fühlte sich absolut sicher: Der Typ hätte bestimmt kein Interesse an einem dürren pferdegesichtigen Mannweib. Und wenn er es doch versuchte, würde Elly sie schützen.
Er hatte sie persönlich angerufen. Das war kein Witz: Martin Humphries höchstpersönlich hatte sich bei Pancho gemeldet und sie gebeten, ihn zuhause zu besuchen, um ein geschäftliches Angebot zu besprechen. Vielleicht will er mich von Astro abwerben, sagte sie sich. Astro ist zwar gut und schön, aber wenn Humphries mir mehr Geld bietet, werde ich für ihn arbeiten. Das ist ein klarer Fall — immer dem Geld hinterher.
Aber wieso hat er mich selbst angerufen und nicht das Personalbüro mit dem Gespräch beauftragt?
In dieser Tiefe waren nur noch ein paar Wohnquartiere ins Gestein gehauen. Sehr großzügig, sagte Pancho sich, als sie im bewährten ›Knickebein-Schlurfen‹, mit dem man sich in der niedrigen Schwerkraft des Monds fortbewegte, durch den hell erleuchteten Gang schlappte. Die Korridorwände waren mit kunstvollen Flachrelief-Skulpturen verziert: hauptsächlich astronomische Motive, aber auch irdische Landschaften mit Sternen und Kometen. Sie zählte ungefähr hundert Schritte zwischen den Türen, was bedeutete, dass die Unterkünfte hinter den Wänden des Korridors größer waren als ein ganzer Wohnheim-Abschnitt in den oberen Ebenen. Die Türen waren ebenfalls kunstvoll gestaltet: Ein paar hatten Doppelflügel, und alle waren auf die eine oder andere Art verziert. Ein paar schienen sogar aus echtem Holz zu bestehen — der totale Wahnsinn.
Doch der Anblick von Martin Humphries' Quartier traf die eh schon schwer beeindruckte Pancho völlig unvorbereitet. Am Ende des Gangs befand sich eine Tür, die dem Anschein nach aus poliertem Stahl bestand. Sie glich eher dem Schott einer Luftschleuse oder eines Banktresors als den phantasievollen Türen, die den Gang säumten. Die Tür glitt mit einem leisen Zischen auf, als Pancho sich ihr bis auf Armlänge genähert hatte.
Ein optisches Erkennungssystem, sagte sie sich. Oder vielleicht lässt er auch den Korridor überwachen.
Sie trat durch die offene Tür und wähnte sich schlagartig in einer anderen Welt. Sie befand sich in einem großen, hohen Raum, einer großen natürlichen Höhle tief unter der Mondoberfläche. Sie stand in einem rotgelben Blumenmeer und wurde von grünem Blattwerk umhüllt. Bäume! Ihr stockte der Atem beim Anblick junger Erlen und Ahorne, schlanker weißer Birkenstämme und zartblättriger Frangipani. Die einzigen Bäume, die sie bisher in Selene gesehen hatte, standen oben in der Grand Plaza und waren obendrein ziemlich mickrig im Vergleich zu diesen üppigen Gewächsen. Nach der Enge von Selenes monotonem grauem Labyrinth aus Gängen und winzigen Unterkünften wurde Pancho von der lichten Weite, den Farben und dem Duft der in paradiesischer Fülle blühenden Blumen schier überwältigt. Hier und da ragten Felsbrocken aus dem Boden. Die entfernten Wände und die hohe Decke der Höhle bestanden aus Naturstein. Dann sah sie, dass Vollspektrum-Punktstrahler überall an der Decke hingen. Ich komme mir vor wie Alice im Wunderland, sagte sich Pancho.
Und wie im Wunderland schlängelte sich auch ein mit Blüten übersäter Pfad durch die Vegetation. Pancho gefiel das viel besser als profaner Stein.
Dann wurde sie sich bewusst, dass keine Vögel in den Bäumen sangen. Es wehte keine Brise durchs Geäst. Dieser Ziergarten war nicht mehr als ein großes und aufwendiges Treibhaus. Er musste ein märchenhaftes Vermögen gekostet haben.
Halb schwebte, halb ging sie den Pfad entlang, bis sie hinter einer letzten Biegung das Haus sah. Es befand sich im Zentrum der Höhle inmitten von Bäumen und sorgfältig gepflegten Blumenrabatten mit Rosen, Iris und Pfingstrosen. Keine Gänseblümchen, bemerkte Pancho. Keine Ringelblumen. Zu gewöhnlich für dieses Arrangement.
Das Haus war ein herrschaftliches Gebäude. Es war niedrig, aber großflächig und hatte ein schräges Dach und Mauern aus behauenem und glasiertem Mondgestein. Große Panoramafenster. Ein großer Hof, der von der Doppeltür des Vordereingangs begrenzt wurde und in dessen Mitte ein Springbrunnen plätscherte. Ein Springbrunnen! Pancho ging langsam auf die Tür zu, streckte die Hand aus und berührte die verzierte Fläche. Kunststoff mit Holzoptik, sagten die Fingerspitzen ihr. Für eine Weile verharrte sie an der Tür. Dann drehte sie sich um und ließ den Blick über den Hof schweifen, die Gärten, die Bäume und den Springbrunnen. Was war das für ein Mensch, der so viel Geld für einen Privatpalast wie diesen ausgab?
»Willkommen, Ms. Lane.«
Beim Klang der Stimme zuckte Pancho zusammen. Er hatte die Tür lautlos geöffnet, während sie ihr den Rücken zugewandt und das Grün betrachtet hatte. Sie sah einen Mann, der etwa gleichaltrig und ein paar Zentimeter kleiner war als sie und etwas dicklich wirkte. Er trug ein gelbes Rundhals-Gewand, das ihm bis zur Hüfte reichte. Die Hose war zimtbraun und hatte eine messerscharfe Bügelfalte. Die Haut war blass, das dunkle Haar zurückgekämmt.
»Ich bin wegen Martin Humphries hier«, sagte sie. »Er hat mich eingeladen.«
Er lachte leise. »Ich bin Martin Humphries. Ich habe dem Personal heute Abend freigegeben.«
»Ach.«
Martin Humphries bedeutete Pancho, ins Haus zu kommen. Im Bewusstsein, dass Elly behaglich um den Knöchel geringelt war, trat Pancho ein.
Das Haus war genauso luxuriös wie das Grundstück, vielleicht sogar noch mehr. Große, weitläufige Räume waren mit den schönsten Möbeln eingerichtet, die Pancho je gesehen hatte. Ein Wohnzimmer, das groß genug war, um als Hockeyfeld zu dienen, Sofas mit feinsten Stoffbezügen und Holofenster, die spektakuläre irdische Szenerien zeigten: den Grand Canyon, den Fujiyama, die Skyline von Manhattan, wie sie vor der Flut ausgesehen hatte.
Der Esstisch war so groß, dass zwanzig Leute Platz darum gefunden hätten, aber er war nur für sie beide gedeckt: das Gedeck für Humphries am Kopfende, und für Pancho zu seiner Rechten. Zunächst führte Humphries sie jedoch in eine große Bibliothek, deren einziges Holofenster die sternenübersäten Tiefen des Weltalls zeigte.
Eine Bar erstreckte sich an einer Seite der Bibliothek.
»Was möchten Sie trinken?«, fragte Humphries und geleitete sie zu einem gepolsterten Barhocker.
»Egal«, sagte Pancho achselzuckend. Es war ein probates Mittel, dem Mann die Auswahl der Getränke zu überlassen, um seine wahren Absichten zu erkennen.
Er schaute sie einen Moment prüfend an. Wie mit einem Röntgenblick, sagte Pancho sich. Seine Augen waren grau, bemerkte sie, kalt und grau wie Mondgestein.
»Ich habe einen ausgezeichneten Champagner«, schlug er vor.
»Gut, dann nehmen wir den«, sagte Pancho lächelnd.
Er drückte einen Knopf, der in die Bar eingelassen war, und ein silbernes Tablett wurde mit dem gedämpften Surren eines Elektromotors auf Servierhöhe gefahren. Darauf standen eine Flasche Champagner in einem Sektkühler und zwei Flötengläser. Humphries zog die Flasche aus dem Kühler und füllte die beiden Gläser mit Champagner. Pancho sah, dass die eiskalte Flasche sich schnell mit Kondenswasser überzog. Die Gläser schienen wirklich aus Kristallglas zu sein; wahrscheinlich stammten sie aus der Glasfabrik von Selene.
Die Kohlensäure kitzelte sie in der Nase, aber das Getränk war wirklich gut: moussierend, kalt und mit einem vollen Buket, das nach Panchos Geschmack war. Trotzdem nippte sie nur am Champagner, als sie sich neben Martin Humphries auf den Barhocker setzte.
»Sie müssen unheimlich reich sein, dass Sie sich dieses Anwesen leisten können«, sagte sie.
Er verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Eigentlich gehört es mir gar nicht.«
»Nicht?«
»Streng genommen ist dieses Gebäude ein Forschungszentrum. Es befindet sich im Besitz des Humphries Trust und wird gemeinsam von einem Konsortium irdischer Universitäten und dem Lenkungsausschuss von Selene betrieben.«
Pancho nahm einen Schluck Champagner und versuchte das auf die Reihe zu bekommen.
»Ich wohne hier, wenn ich mich in Selene aufhalte«, sagte Humphries. «Die wissenschaftlichen Mitarbeiter belegen den anderen Trakt des Hauses.«
»Aber sie leben nicht hier?«
Er lachte. »Nein, sie leben ein paar Ebenen höher in… ähem… einfacheren Unterkünften.«
»Und Sie dürfen hier mietfrei wohnen.«
»Einer der Vorzüge des Reichtums«, sagte Humphries mit einer lässigen Geste.
»Die Reichen werden immer reicher.«
»Oder sie verlieren ihren ganzen Reichtum.«
Pancho nickte und fragte: »Was wird hier unten eigentlich erforscht?«
»Die Mond-Ökologie«, erwiderte Humphries. »Man sucht nach einer Möglichkeit, erdähnliche Ökologien hier auf dem Mond zu etablieren.«
»Wie die Grand Plaza weiter oben.«
»Ja. Aber als vollständig geschlossener Kreislauf, damit die Trinkwasserversorgung überflüssig wird.«
»Deshalb auch die vielen Blumen und Bäume.«
»Richtig. Die Forscher haben einen paradiesischen Garten anzulegen vermocht, gewiss, aber das war mit unglaublichen Kosten verbunden. Er ist sehr arbeitsintensiv, weil es weder Vögel noch Insekten gibt, die die Pflanzen bestäuben. Die Idioten, die Selenes Umweltschutz-Abteilung leiten, haben es mir verboten, welche herzubringen. Als ob die Viecher sich selbstständig machen könnten! Die Typen sind so borniert und engstirnig, dass sie mit beiden Augen durchs Schlüsselloch linsen könnten.«
Pancho lächelte ihn an und erinnerte sich daran, welche Hürden sie hatte überwinden müssen, um Elly und ihr Futter nach Selene zu bringen. Ich muss es schlauer anstellen als er, sagte sie sich. Oder vielleicht lassen Selenes Behörden sich auch nicht gern von Mega-Milliardären herumschubsen.
»Und diese Vollspektrum-Lampen verschlingen ein Vermögen an Stromkosten«, fuhr Humphries fort.
»Strom ist doch aber billig hier, oder?«
Humphries nahm einen großen Schluck Champagner und sagte: »Er wird billig werden, wenn die große Sonnenenergie-Farm an der Oberfläche erst einmal fertig gestellt ist… und die supraleitenden Akkus, die die elektrische Energie nachts speichern. Das bedingt aber hohe Kapitalkosten.«
»Ja, aber wenn die Ausrüstung erst einmal in Betrieb genommen wurde, sind die Betriebskosten doch minimal.«
»Außer der Wartung.«
»Sie meinen, die Solarfarmen auf der Oberfläche sauber zu halten. Ja, ich schätze, das ist nicht billig.«
»Überhaupt jede Arbeit an der Oberfläche ist verdammt teuer«, knurrte er.
»Wie reich sind Sie eigentlich?«, fragte sie unverblümt.
Humphries spie zwar nicht den Champagner aus, aber er musste doch schwer schlucken.
»Ich meine, gehört Ihnen ein Teil dieses Anwesens oder wohnen Sie nur hier?«, präzisierte Pancho.
Er ließ sich mit der Antwort einen Moment Zeit. »Mein Großvater hat sein Vermögen beim großen ›Dot-com‹-Boom um die Jahrhundertwende gemacht«, sagte er dann. »Gramps war so schlau, bei steigenden Kursen zu kaufen und auszusteigen, ehe die Blase platzte.«
»Was ist ein ›Dot-com‹?«, fragte Pancho.
»Mein Vater hat einen Hochschulabschluss in Biologie und Rechtswissenschaft gemacht«, fuhr Humphries fort, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Er hat sich in einem halben Dutzend Biotech-Firmen eingekauft und eins der größten Vermögen auf der Erde angehäuft.«
»Und welchen Abschluss haben Sie?«
»Ich habe einen MBA von Wharton und einen JD von Yale.«
»Dann sind Sie also ein Rechtsanwalt?«
»Ich habe nie als Anwalt praktiziert.«
Vor Panchos geistigem Auge leuchtete eine rote Warnlampe auf. Er hat ausweichend geantwortet, sagte sie sich. Aber was soll man von einem Anwalt auch anderes erwarten? Sie erinnerte sich an den alten Ausspruch: Woran erkennt man, dass ein Anwalt lügt? Indem man ihm auf den Mund schaut.
»Was praktizieren Sie denn?«, fragte sie, wobei sie betont nonchalant zu klingen versuchte.
Er lächelte wieder, und diesmal wirkte das Lächeln sogar warmherzig. »Ach… hauptsächlich Geld verdienen. Das scheint mir am besten zu gelingen.«
Pancho ließ den Blick durch die luxuriös ausgestattete Bibliothek schweifen und sagte: »Im Geldausgeben scheinen Sie auch recht bewandert zu sein.«
Humphries lachte laut. »Ja, das ist gut möglich. Ich gebe aber auch viel für Frauen aus.«
Wie aufs Stichwort erschien eine dralle Rothaarige in einem hautengen Metallise-Body in der Tür zum Esszimmer, ein schlankes Aperitif-Glas in der manikürten Hand. »Sag, Humpy, wann wird endlich das Essen serviert?«, fragte sie mit einem Schmollmund. »Ich sterbe vor Hunger.«
Er wurde vor Zorn blass im Gesicht. »Ich habe dir doch gesagt«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, »dass ich in einer geschäftlichen Besprechung bin. Ich komme zu dir, wenn ich hier fertig bin.«
»Aber ich sterbe vor Hunger«, quengelte die Rothaarige.
Humphries warf Pancho einen Blick zu und sagte mit leiser Stimme: »Ich bin in ein paar Minuten bei dir.«
Der Rotschopf musterte Pancho von Kopf bis Fuß, grinste und trollte sich.
»Ich bitte wegen der Störung um Verzeihung«, sagte der sichtlich um Beherrschung ringende Humphries.
Pancho zuckte die Achseln. Dann bin ich also nicht zum Essen eingeladen, sagte sie sich. Hätte ich mir auch denken können.
»Ist das Ihre Frau?«, fragte sie cool.
»Nein.«
»Aber Sie sind doch verheiratet, oder?«
»Zweimal.«
»Sind Sie jetzt verheiratet?«
»Ja, aber nur auf dem Papier. Unsere Anwälte arbeiten gerade eine Scheidungsvereinbarung aus.«
Pancho schaute ihm geradewegs in die eisigen grauen Augen. Der Zorn loderte noch immer in ihm, aber er hatte ihn nun unter Kontrolle. Er wirkte geradezu unheimlich ruhig.
»In Ordnung«, sagte sie, »bringen wir die Geschäftsbesprechung hinter uns, damit Sie zu Abend essen können.«
Humphries griff wieder zum Glas, leerte es und stellte es vorsichtig auf die Bar. »In Ordnung«, sagte er und schaute Pancho an. »Ich will Sie einstellen.«
»Ich habe aber schon einen Job«, sagte sie.
»Ich weiß, als Pilot für Astro Manufacturing. Sie arbeiten seit über sechs Jahren für diese Firma.«
»Wirklich?«
»Sie müssen auch gar nicht bei Astro kündigen. Ich möchte sogar, dass Sie dort bleiben. Die Aufgabe, die ich für Sie vorgesehen habe, erfordert es nämlich, dass Sie Ihre Stelle bei Astro behalten.«
Pancho verstand sofort. »Sie wollen, dass ich die Firma ausspioniere.«
»Das ist ziemlich hart ausgedrückt«, sagte Humphries. Er wandte den Blick von ihr ab und richtete ihn dann wieder auf sie. »Aber es stimmt, ich brauche jemanden, der ein wenig Industriespionage für mich betreibt, und Sie wären in Ihrer Stellung die Idealbesetzung.«
Pancho überlegte nicht zweimal. »Über wie viel Geld reden wir hier?«