»Das haut schon eher hin«, sagte Dan.
Er hörte Kris Cardenas' nervöses Lachen in den Helmlautsprechern.
Sie standen zu fünft auf dem Boden der Fabrik. Bekleidet waren sie mit weißen Raumanzügen, in denen sie wie ein Team von Astronauten oder eine Touristengruppe wirkten, die zu einem Ausflug auf die Mondoberfläche aufbrechen wollten. Vor ihnen standen auf dem Boden der sonst leeren Fabrik ein paar sphärische Brennstofftanks, die kleinere Kugel einer Fusionsreaktorkammer und der noch unfertige Kanal eines MHD-Generators. Diese Komponenten waren durch dicke Röhren verbunden und wurden von Kisten mit diversen Metallpulvern und Containern umgeben, die reinen Kohlenstaub enthielten. Dan, Cardenas und drei ihrer Nanotechniker standen in Raumanzüge gehüllt in einer Gruppe beisammen und verfolgten die Arbeitsergebnisse der emsigen Nanomaschinen.
Dan wusste, dass es draußen Tag war. Durch die offenen Seiten der Fabrik sah er, wie das gleißende Sonnenlicht auf die öde Mondlandschaft fiel. Doch im Innern der Fabrik, deren gewölbtes Dach das Licht der Sonne und der Erde ausblendete, wirkten die Komponenten des Fusionssystems dunkel und matt wie ein ungeschliffener Diamant, der sie in gewissem Sinn auch waren.
»Wir machen als Nächstes mit den Pumpen weiter«, sagte Cardenas, »sobald der MHD-Kanal fertig ist. Und dann kommen die Raketendüsen dran.«
Dan hörte eine Dissonanz in ihrer Stimme mitschwingen. Sie war nur sehr ungern draußen auf der Oberfläche. Trotz der vielen Jahre, die sie schon auf dem Mond lebte — oder vielleicht gerade deswegen — verursachte der Aufenthalt an der Oberfläche ihr Unbehagen.
Selenes Fabriken waren draußen auf der Oberfläche im Vakuum des Alls errichtet worden. Sie waren fast vollständig automatisiert oder wurden von Personal ferngesteuert, das in sicheren Kontrollzentren in der Tiefe des Mondes saß.
»Sind Sie in Ordnung, Kris?«, fragte er.
»Unten würde ich mich wohler fühlen«, sagte sie geradeheraus.
»In Ordnung, dann lassen Sie uns gehen. Es tut mir Leid, dass ich Sie hier heraufgeschleppt habe. Ich wollte mich nur selbst vom Fortschritt der Arbeiten überzeugen.«
»Schon gut«, sagte sie, machte kehrt und ging zielstrebig zum Luftschleusenschott und dem Fahrzeug, das sie zur Fabrik gebracht hatte.
»Ich weiß, dass das Vakuum hier draußen ideal ist für industrielle Fertigungsprozesse«, sagte sie, als wolle sie sich entschuldigen. »Aber ich gerate hier immer in Panik.«
»Selbst wenn Sie rundum sicher in einen Raumanzug eingepackt sind?«, fragte Dan, der neben ihr ging.
»Vielleicht ist es auch der Anzug«, sagte sie. »Vielleicht leide ich an Klaustrophobie.«
Kontaminierung war etwas, das Erdbewohner als gegeben hinnahmen. Für die Erdlinge, die auf einem Planeten lebten, der von Bakterien bis zu Walen von Leben nur so wimmelte, der aus menschlichen und natürlichen Quellen verschmutzt wurde und der von einer dicken Atmosphäre umhüllt war, die Sporen, Staub, Pollen, Smog, Feuchtigkeit und andere Stoffe überallhin transportierte, war Sauberkeit eine Frage der graduellen Abstufung. Deshalb trug Dan mit seinem durch die Strahlungsdosen, denen er im All ausgesetzt gewesen war, geschwächten Immunsystem Filterstöpsel und Mundschutz, wenn er auf der Erde war.
Im harten Vakuum der Mondoberfläche, das tausendmal besser war als das Vakuum im niedrigen Erdorbit, war die Umwelt frei von externen Verschmutzungsquellen, und die Schadstoffe in den meisten Materialien vermochte man praktisch kostenlos zu entsorgen. In Metallen eingeschlossene mikroskopische Gasbläschen lösten sich aus der Kristallstruktur der Metalle und verflüchtigten sich im Nichts. Deshalb standen Selenes Fabriken oben auf der Mondoberfläche, wo sie dem reinigenden Vakuum des Monds ausgesetzt waren.
»Wir müssen die ›Waschanlage‹ nicht noch mal durchlaufen«, sagte Dan und berührte den Arm von Cardenas' Raumanzug. »Wir können direkt zum Fahrzeug gehen.«
Er ging um die massive Luftschleuse herum. Dann sprang er vom Betonfundament, das den Fabrikboden darstellte, in der schwachen Mondgravitation wie in Zeitlupe drei Meter tief auf den Regolith. Die Stiefel wirbelten eine Staubwolke auf, die sich bis auf Kniehöhe ausdehnte.
Cardenas trat an die Kante der Betonschicht und sprang dann nach kurzem Zögern zu Dan herunter.
Wie alle Mond-Fabriken war auch diese auf einer dicken Betonplattform errichtet worden, um den Fabrikboden über den staubigen Boden zu erheben. Wegen der Windstille war die Gefahr minimal, dass Schadstoffe von außerhalb eingetragen wurden. Ein Wabenkern-Kuppeldach aus Mond-Aluminium schützte die Fabrik vorm steten Strom der Mikrometeoriten und der harten Strahlung von der Sonne und dem tiefen Weltraum.
Die größten ›Umweltverschmutzer‹ waren aber die Menschen, wenn sie die Fabriken betraten — selbst wenn sie Raumanzüge trugen. Bevor sie den Fabrikboden betreten durften, hatten Dan und die anderen die ›Waschanlage‹ durchlaufen müssen — eine spezielle Luftschleuse, die Spuren von Öl, Schweiß und anderen mikroskopischen Verunreinigungen beseitigte, die an der Außenseite der Raumanzüge hafteten.
Während die Zugmaschine langsam zur Haupt-Luftschleuse von Selene zurückfuhr, ließ Dan Revue passieren, was er kürzlich gesehen hatte. Vor seinen Augen wuchs der MHD-Kanal: zwar nur langsam, wie er sich eingestand; aber dennoch wurde er sichtlich länger, während die virusgroßen Nanomaschinen Kohlenstoff- und andere Atome aus den Vorratsbehältern holten und sie wie Kinder zusammenfügten, die eine Stadt aus Legosteinen bauten.
»Wie lange noch?«, fragte er ins eingebaute Helmmikrofon.
Die neben ihm sitzende Cardenas verstand die Frage. »Drei Wochen, wenn es programmgemäß weitergeht.«
»Drei Wochen?«, entfuhr es Dan. »Sieht aber so aus, als ob sie jetzt schon fast fertig wären.«
»Sie müssen noch den MHD-Kanal fertigstellen, und das ist eine ziemlich diffizile Arbeit. Elektroden für eine hohe Stromdichte, supraleitende Magnete und dergleichen. Dann kommen die Pumpen, die man auch nicht auf die Schnelle zu bauen vermag, und zum Schluss die Raketendüsen, die nicht minder komplex sind: Mikroröhren aus Buckminster-Fullerenen, die flüssigen Wasserstoff führen — nur ein paar Zentimeter von einem zehntausend Grad heißen Plasmastrom entfernt. Und dann wären da noch…«
»In Ordnung, in Ordnung«, sagte Dan und hob die behandschuhten Hände. »Drei Wochen.«
»So lautet der Zeitplan.«
Dan kannte den Zeitplan auch. Trotzdem hatte er sich eine bessere Nachricht von Cardenas erhofft. In den letzten sechs Wochen hatten seine Anwälte die Einzelheiten des Starpower-Kooperationsvertrags ausgearbeitet. Humphries' Anwälte hatten sich förmlich in jedes Detail verbissen, während der Part von Selenes Vertretern in den Verhandlungen nur darin bestanden hatte, die Vereinbarung einer flüchtigen Prüfung zu unterziehen. Dieses Arrangement war maßgeblich durch Doug Stavengers Einflussnahme zustande gekommen.
Das war also der Stand der Dinge. Dan hatte die Mittel, um die Fusionsrakete Wirklichkeit werden zu lassen, und er übte immer noch die Kontrolle über Astro Manufacturing aus. Astro befand sich finanziell in schwierigem Fahrwasser, aber Dan glaubte, dass die Gesellschaft sich so lange über Wasser halten würde, bis das Fusionssystem endlich Gewinn abwarf.
Trotzdem trieb er Cardenas ständig zur Eile. Es würde äußerst knapp werden: Astro hatte bereits mit dem Bau des letzten Solarenergie-Satelliten begonnen. Wenn der fertig ist, sagte Dan sich, dann gehen wir den Bach runter. Es sind nämlich keine neuen raumfahrttechnischen Aufträge in Sicht.
»Fährt die Karre denn nicht schneller?«, fragte Cardenas gereizt.
»Ich geb doch schon Vollgas, Ma'am«, sagte der Techniker am Steuer ungerührt.
»Haben Sie die Morgennachrichten von der Erde gesehen?«, fragte Dan sie, um sie auf andere Gedanken zu bringen.
»Die Hungeraufstände in Delhi? Ja, die habe ich gesehen.«
»Sie verhungern, Kris. Wenn der Monsun dieses Jahr wieder ausbleibt, wird in der ganzen Region eine unvorstellbare Hungersnot ausbrechen.«
»Wir können aber nichts daran ändern«, sagte Cardenas.
»Noch nicht«, murmelte Dan.
»Sie haben sich selbst in diese Lage gebracht«, sagte sie kalt. »Haben sich hirnlos vermehrt wie die Karnickel.«
Sie ist ganz schön verbittert, sagte Dan sich. Vielleicht würde es ihr besser gehen, wenn ihr Mann und die Kinder sich entschieden hätten, bei ihr auf dem Mond zu bleiben. So hat sie auch allen Grund, verbittert zu sein, sagte er sich mit einem Seufzer.
Big George wartete in Dans Privatbüro auf ihn. Er saß auf dem Sofa und hatte einen Stapel Ausdrucke auf dem Kaffeetisch platziert.
»Was soll das darstellen?«, fragte Dan und setzte sich in den Sessel am anderen Ende des Kaffeetischs. Wo George auf der Couch saß, hätte kaum noch jemand anders im Raum Platz gefunden.
»Der Krempel stellt Auszüge von Humphries' Dateien dar«, sagte George, wobei er das rotbärtige Gesicht in sorgenvolle Falten legte. »Er will dir an die Eier, weißte.«
»Ich weiß.«
George tippte mit einem dicken Finger auf den Papierstapel und sagte: »Er kauft alle Astro-Aktien auf, die er nur kriegt. Im Stillen. Er macht keine Übernahmeangebote und hängt die Sache auch nicht an die große Glocke. Aber er weist seine Broker an, zu jedem Preis zu kaufen.«
»Großartig«, grunzte Dan. »Vielleicht steigt der verdammte Kurs dadurch ein wenig.«
George grinste. »Das wäre gut. Er hat sich schließlich lang genug im freien Fall befunden.«
»Du denkst doch nicht etwa daran, zu verkaufen, oder?«
»Die paar Aktien, die ich halte?«, erwiderte George mit einem Lachen. »Würde eh keinen großen Unterschied machen, ob sie nun steigen oder fallen.«
Dan war nicht amüsiert. »Falls du irgendwann verkaufen willst, kommst du zuerst zu mir, verstanden? Ich werde zum Marktpreis kaufen.«
»Humphries kauft aber zwei Punkte über dem Marktpreis.«
»Ach ja?«
»In manchen Fällen, wo es sich um große Aktienpakete handelt.«
»Dieser Hurensohn«, sagte Dan, wobei er jede Silbe einzeln betonte. »Er weiß, dass ich nicht das Geld habe, um die Kleinaktionäre auszukaufen.«
»Ganz so schlimm ist es nicht«, sagte George. »Ich habe eine Berechnung angestellt. Bei der Geschwindigkeit, mit der er Astro-Aktien erwirbt, wird er zwei Jahre brauchen, um eine Mehrheitsposition aufzubauen.«
Dan schaute in die Luft und dachte nach. »Zwei Jahre. Bis dahin ziehen wir vielleicht schon Profit aus dem Asteroiden-Gürtel. Müssten wir zumindest, wenn alles klappt.«
»Und wenn es nicht klappt?«
Dan zuckte die Achseln. »Dann wird Humphries die Kontrolle über Astro übernehmen und mich rausschmeißen.«
»Vorher reiß ich ihm aber noch den Kopf ab«, knurrte George.
»Das ist zwar gut gemeint, Kumpel, aber dann müssten wir uns mit seinen Anwälten rumärgern.«
George verdrehte die Augen zum Himmel.