Selene

Diesmal hatte Pancho keine Schwierigkeiten, durch den Zoll zu kommen. Derselbe Inspektor führte eine stichprobenartige Kontrolle ihrer Reisetaschen durch und zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er der Mäuse im versiegelten Kunststoff-Käfig ansichtig wurde.

Dafür fiel die Kontrolle bei Amanda um so gründlicher aus. Vergrätzt sah Pancho, wie der Inspektor Amandas Reisetasche ausgiebig unter die Lupe nahm. Abwechselnd grinste er Mandy an und errötete beim Anblick ihrer Spitzenunterwäsche.

Er würde sie auch noch einer Leibesvisitation unterziehen, wenn sie ihm nur den geringsten Anlass dazu lieferte, sagte Pancho sich und schäumte innerlich vor Wut.

Mandy stand an der anderen Seite des Tisches und schaute mit großen Augen unschuldig drein, wobei sie zugleich nervös plapperte.

«Ich weiß nicht, wieso man immer mein Gepäck durchsucht, Pancho. Ich weiß es wirklich nicht. Man sollte doch meinen, dass man mich ohne dieses ganze Brimborium durchließe — so oft, wie wir schon nach Selene gekommen sind.«

»Mein Gepäck hat er auch kontrolliert, Mandy«, erwiderte Pancho spitz.

»Ja, aber er hat nicht deine Unterwäsche durchwühlt.«

»Deine ist auch viel reizvoller als meine«, sagte Pancho mit einem verkniffenen Grinsen.

Der Inspektor hielt den Kopf gesenkt, während er mit Fleiß und Hingabe Amandas einziges Gepäckstück durchsuchte. Pancho sah aber, dass sein Nacken puterrot angelaufen war.

»Alle anderen Passagiere sind schon abgefertigt worden«, bemerkte Amanda. »Wir sind die Letzten.«

»Die anderen Leute sind entweder mit einem langfristigen Arbeitsvertrag oder als Touristen eingereist. Wir kommen aber alle naselang her. Wäre ja möglich, dass wir Schmuggler sind.«

»Schmuggler?«, fragte Amanda schockiert. »Wir? Ich?«

Pancho beugte sich über den Tisch und tippte dem Inspektor auf die Schulter. »Stimmt's oder hab ich Recht? Wonach suchen Sie denn, nach Dope, eingeschmuggeltem Saatgut oder Flaschen mit irdischer Luft?«

Der Inspektor nuschelte etwas in den Bart.

Endlich beendete er die Kontrolle und schob Amanda die Reisetasche zu.

»Das war's, Ms. Cunningham. Tut mir Leid, dass ich Sie so lange aufgehalten habe. Aber ich tue nur meine Arbeit.«

Amanda bedankte sich höflich, zog den Reißverschluss der Tasche zu und hängte sie sich über die Schulter. Pancho sah, dass der Inspektor nicht umhin konnte, auf Mandys ausladende Brust zu schauen. Selbst in einem Standard-Fliegeranzug sah sie noch sexy aus.

Der Inspektor nahm sichtlich allen Mut zusammen und sagte: »Ähem… Ms. Cunningham… dürfte ich Sie irgendwann zum Essen ausführen, solange Sie hier sind?« Er setzte ein schmieriges Lächeln auf. »Um Sie… äh… für die ganzen Unannehmlichkeiten zu entschädigen.«

Mandy lächelte ihn voller Liebreiz an. »Das wäre wirklich nett. Rufen Sie mich doch an, ja?«

»Das werde ich ganz bestimmt.«

Pancho kochte vor Wut, als sie und Amanda die Zollstation verließen und sich einem der Elektrofahrzeuge näherten, die Neuankömmlinge vom Raumhafen durch den Tunnel in die Stadt brachten. Er hatte mich zum Essen eingeladen, als ich allein war, aber jetzt hat er mich keines Blickes gewürdigt. Selbst wenn ich den Eiffelturm unterm Arm gehabt hätte, er hätte keine Notiz von mir genommen.

Der Anrufbeantworter blinkte, als sie in der gemeinsamen Unterkunft eintrafen. Als Pancho vor sechs Jahren erstmals im Auftrag von Astro Manufacturing zum Mond geflogen war, hatten die Piloten auf der Dienstreise noch Privatquartiere bekommen. Das war einmal. Sie hatten schon auf La Guaira das Gerücht gehört, dass Randolph einen Wohnheimtrakt für die Raumschiff-Piloten und Besatzungen mieten wollte.

Wieso feuert er uns nicht gleich alle?, fragte Pancho sich. Wenn Randolph einen Blick für die Realitäten hatte, würde er die IAA davon zu überzeugen versuchen, diese blöden Bestimmungen abzuschaffen, wonach menschliche Besatzungen an Bord von Raumschiffen sein mussten.

Toll, gab sie sich selbst die Antwort. Was willst du dann machen? Dir eine Stelle als Missions-Controller suchen? Nur dass die sehr dünn gesät sind.

Als sie die Tür zum Apartment öffneten, sahen sie das Telefon blinken, das auf dem Nachttisch zwischen den beiden Betten stand. Amanda ließ die Tasche auf den Boden fallen; sie kam mit einem sachten Mond-Plumps auf. Mandy legte sich aufs Bett und hielt das Telefon ans Ohr.

Mit einem überraschten Gesichtsausdruck reichte Mandy das Telefon an Pancho weiter. »Es ist für dich«, sagte sie, als ob sie es nicht so recht glauben wollte.

Pancho nahm das Gerät und sah auf dem kleinen Display, dass es sich beim Anrufer um Martin Humphries handelte. Anstatt die Mithörfunktion zu aktivieren, hielt Pancho sich das Telefon ans Ohr.

»Pancho, sind Sie das?«, ertönte Humphries' Stimme. Er klang verärgert. »Sie befinden sich außerhalb des Kamera-Erfassungsbereichs.«

Sie stellte sich zwischen die Betten und schwenkte die Basisstation des Telefons. »Ich bin's«, sagte sie und setzte sich auf das freie Bett.

»Ich habe gehört, Randolph hätte Sie hierher geschickt«, sagte Humphries. »Aber ich musste es aus einer anderen Quelle erfahren. Ich habe seit Monaten keinen Pieps mehr von Ihnen gehört.«

»Aber jetzt bin ich ja hier«, sagte Pancho mit einem Blick auf Mandy, die sie voller Neugier anschaute.

»Wer ist denn zuerst ans Telefon gegangen? Sie sind nicht allein, stimmt's?«

»Nee, ich bin mit Mandy Cunningham hier.«

»Sie ist auch eine Astro-Mitarbeiterin?«

»Das ist richtig.«

Mandy versuchte einen Blick auf Humphries' Gesicht zu erhaschen, aber Pancho drehte das Telefon von ihr weg.

»Egal, ich muss mit Ihnen sprechen. Ich bezahle Sie für Informationen, aber bisher haben Sie den großen Schweiger markiert.«

Pancho setzte ein Lächeln auf. »Ich würde Sie auch gern sehen. Ich habe Ihnen nämlich eine Menge zu erzählen.«

»In Ordnung, kommen Sie sofort runter«, sagte Humphries schroff.

»Sie wünschen, dass ich zum Abendessen erscheine?«, fragte Pancho freudig.

»Abendessen?« Humphries schaute auf die Uhr. »In Ordnung. In zwei Stunden.«

»Heute Abend?«, krähte Pancho. »Das passt ausgezeichnet. Ich werde um neunzehnhundert erscheinen. In Ordnung?«

»Sieben Uhr«, sagte Humphries. »Pünktlich.«

»Ich werde da sein.«

Pancho legte auf und sagte zu Amanda: »Ich gehe zuerst unter die Dusche, Mandy. Ich habe nämlich eine Verabredung zum Abendessen.«

Sprach's und ließ Mandy stehen, die ihr vor Erstaunen mit großen Augen nachschaute.

Martin Humphries schaltete das Telefon aus und streckte sich im Liegesessel aus. Vielleicht ist sie doch schlauer, als ich angenommen hatte. Sie hat sich nicht früher mit mir in Verbindung gesetzt, weil sie nicht auffliegen wollte. In Ordnung, das ist plausibel. Sie ist nur vorsichtig. Sie ist die ganze Zeit von Randolphs Leuten umgeben gewesen. Sie muss sogar mit jemandem das Zimmer teilen.

Humphries setzte ein zufriedenes Grinsen auf. Randolph steckt seine Leute schon in Doppelzimmer, um Geld zu sparen. Er hängt in den Seilen, und er glaubt, dass ich ihn vor dem Bankrott retten würde.

Er lachte laut. »Ich! Der Retter von Dan Randolph!«

Er kicherte noch immer, als er einen Anruf zu Nobuhiko Yamagata durchstellen ließ.

Allem Anschein nach befand der Vorstandsvorsitzende von Yamagata Industries sich in seinem Tokioter Büro. Durch das Fenster hinter Yamagata sah Humphries ein paar Baukräne und die filigranen Stahlträgerkonstruktionen im Bau befindlicher Hochhäuser. Der Wiederaufbau nach dem letzten Erdbeben. Sie täten gut daran, massiver zu bauen, sagte er sich grimmig. Viel massiver.

»Mr. Yamagata«, sagte Humphries und senkte den Kopf, um eine höfliche Verneigung zu imitieren. »Ich freue mich, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch mit mir nehmen.«

Er spielte mit dem Gedanken, Yamagatas Konterfei auf den Wandbildschirm zu legen, aber dadurch hätte der Japaner zu groß gewirkt. Er zog den kleineren Computerbildschirm vor.

»Mr. Humphries«, sagte Yamagata fast drei Sekunden später mit einem knappen Nicken. »Es ist mir immer ein Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern.«

Verdammte Scheiße, sagte Humphries sich. Es ist bei diesen Japsen einfach nicht möglich, ohne Umschweife zum Thema zu kommen und zu sagen, was anliegt. Man muss erst für eine halbe Stunde höflich Konversation pflegen, ehe man zur Sache kommt.

Deshalb war er nicht schlecht erstaunt, als Yamagata ihm eröffnete: »Dan Randolph hat mir angeboten, in eine neue Unternehmung zu investieren.«

»Lassen Sie mich raten«, sagte Humphries. »Er will ein Fusionsraketen-System bauen.«

Wieder trat eine Pause ein, bis die Mikrowellen Tokio erreichten und zurückkamen. »Ja, um zum Asteroidengürtel zu fliegen und die dortigen Ressourcen zu erschließen.«

»Und was werden Sie ihm antworten?«

Yamagata hatte Humphries' Frage kaum vernommen, als ein Anflug von Verärgerung in seinem ansonsten ausdruckslosen Gesicht erschien.

»Ich werde ihm sagen müssen, dass Yamagata Industrie vollauf damit beschäftigt sei, die Städte wiederaufzubauen, die durch die Flutwellen und Erdbeben verwüstet wurden. Wir haben keinen finanziellen Spielraum für die Erschließung des Weltraums.«

»Gut«, sagte Humphries.

Yamagata erstarrte, als ob er in Stein gemeißelt wäre. »Es wird so geschehen, wie wir es vereinbart haben«, murmelte er schließlich.

»Sie würden ihm gern helfen, nicht wahr?«

Die Sekunden gerannen zu Minuten. »Er ist ein alter Freund«, sagte Yamagata schließlich.

»Früher waren Sie aber Konkurrenten.«

»Yamagata Industries betreibt keine Aktivitäten mehr im Weltraum«, sagte der Japaner langsam. »Wir stecken unsere gesamten Energien in terrestrische Entwicklungsprojekte.«

»Das habe ich vernommen.«

»Aber ich stimme Dan zu. Die Ressourcen des Alls wären von größter Bedeutung für unsere Wiederaufbauanstrengungen.«

»Der Ansicht bin ich auch.«

Yamagata schaute Humphries prüfend in die Augen, als ob er seine geheimsten Gedanken zu ergründen versuchte. »Wieso bestehen Sie dann darauf, dass ich ihm meine Hilfe versage?«

»Sie haben mich missverstanden«, sagte Humphries und machte ein Gesicht wie jemand, der zu Unrecht beschuldigt wird. »Ich will, dass Randolph Erfolg hat. Ich beabsichtige, seine Fusionsraketen-Unternehmung selbst zu finanzieren.«

»Ja, das habe ich verstanden«, sagte Yamagata, nachdem Humphries' Antwort ihn erreicht hatte. »Was ich aber nicht verstehe ist, wieso Sie mich gedrängt haben, Dan nicht zu helfen.«

»Wären Sie zu dieser Hilfeleistung überhaupt imstande, Ihre Bereitschaft einmal vorausgesetzt?«

Yamagata zögerte. »Ich könnte zwei Milliarden für ihn auftreiben«, sagte er schließlich.

»Ohne die Wiederaufbau-Projekte zu beeinträchtigen?«

Diesmal ließ der Japaner sich mit der Antwort länger Zeit. »Es würde zu… Engpässen kommen.«

»Wenn ich die Finanzierung übernehme, müssten Sie keinen Penny aus den laufenden Projekten abziehen.«

Yamagata schwieg für eine Weile. »Sie haben starken Druck auf die Banken ausgeübt«, sagte er dann, »um zu verhindern, dass ich Dan Randolph finanziere. Ich möchte den Grund dafür wissen.«

»Weil ich der gleichen Ansicht bin wie Sie«, erwiderte Humphries treuherzig, »dass Japan nämlich alle finanziellen Ressourcen und seine ganze Arbeitskraft in den Wiederaufbau ihrer Nation investieren sollte. Diese Unternehmung mit der Fusionsrakete ist sehr spekulativ. Angenommen, das Projekt scheitert? Das Geld wäre futsch.«

»Aber Sie sind bereit, Ihr Geld zu riskieren.«

»Ich kann mir dieses Risiko freilich auch leisten«, sagte Humphries.

»Sie könnten die zwei Milliarden doch auch in Japan investieren«, sagte Yamagata nach der bisher längsten Pause in diesem Gespräch. »Sie könnten den Obdachlosen zu einem Dach über dem Kopf verhelfen und die Hungrigen speisen. Sie könnten uns beim Wiederaufbau der Städte helfen.«

Humphries musste mit aller Macht ein Grinsen unterdrücken. Nun habe ich das kleine Arschloch, sagte er sich. »Ja, Sie haben Recht«, wandte er sich an Yamagata. »Ich sage Ihnen, was ich tun werde: Ich gebe Randolph nur eine Milliarde und investiere die andere in Yamagata Industries. Na, was sagen Sie dazu?«

Der Blick des japanischen Industriellen flackerte, als er Humphries' Worte vernahm. Er sog die Luft ein.

»Wären Sie bereit, Ihre Milliarde in den Nippon-Aufbau-Fonds zu investieren?«

»Das ist doch ein karitativer Fonds, oder?«

»Es ist eine nicht gewinnorientierte Organisation, die den Menschen hilft, die durch Naturkatastrophen ihre Zuhause verloren haben.«

Diesmal gab Humphries sich zögerlich und legte eine Pause ein, um bei Yamagata den Eindruck zu erwecken, dass er erst gründlich nachdenken müsse, ehe er eine Entscheidung traf. Der verdammte Narr. Er hält sich für oberschlau und will mich daran hindern, Geld in sein Unternehmen zu investieren. Gut, sperr mich nur aus deiner Firma aus. Aber früher oder später krieg ich dich doch.

Mit dem größtmöglichen Ausdruck von Betroffenheit, zu dem er fähig war, sagte Humphries: »Mr. Yamagata, wenn Sie der Ansicht sind, dass ich Japan so am besten helfen könnte, dann will ich das auch gern tun. Eine Milliarde für Randolph, und eine Milliarde für den Nippon-Aufbau-Fonds.«

Yamagata lächelte sogar, als sie das Gespräch beendeten. Nachdem er das Telefon ausgeschaltet hatte, brach Humphries in ein schallendes, zufriedenes Gelächter aus.

Die haben doch alle ein Brett vorm Kopf. Null Durchblick. Yamagata will Japan wiederaufbauen. Randolph will die ganze verdammte Welt retten. Verdammte Narren! Begreifen sie denn nicht, dass die Erde am Ende ist. Eine Rettung ist völlig unmöglich. Der einzige Ausweg besteht darin, im All eine neue Zivilisation zu errichten. Eine neue Gesellschaft zu erschaffen, die vor allen Gefahren geschützt ist und in der nur eine Elite leben darf. Und ihr Schöpfer wird zugleich auch ihr Herrscher sein…

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