Masterson Aerospace Corp.

»Sie können sie nicht sehen, Mr. Randolph.«

Dan wurde von Douglas Stavengers Worten peinlich berührt.

»Ich habe Sie angestarrt, nicht wahr?«, sagt er.

Stavenger lächelte verständnisvoll. »Die meisten Leute tun das, wenn sie mich zum ersten Mal sehen. Die Nanomaschinen sind aber sicher in mir drin. Sie können nicht von ihnen infiziert werden.«

Die beiden Männer saßen in Stavengers großzügigem Büro, das eher einem komfortablen Wohnzimmer als einem Geschäftsraum glich. Zwei Wände des Raums bestanden aus Panoramafenstern. Es war kein Schreibtisch zu sehen, nicht einmal ein Computerbildschirm; nur Polsterstühle, ein kleines Sofa an einer Seite des Raums und ein paar niedrige Tische, die hier und da verstreut waren. Dan musste sich daran erinnern, dass die Fenster wirklich transparent und keine Holoscheiben waren. Sie gingen auf Selenes Grand Plaza hinaus, die einzige öffentliche Grünfläche im Umkreis von fast einer halben Million Kilometern.

Douglas Stavengers Büro war kein Mond-Tiefbunker. Es befand sich im fünfzehnten Stock eines der drei Bürotürme, die auch als Träger für die mächtige Kuppel dienten, die die Grand Plaza überwölbten. Die Büros der Masterson Aerospace Corporation belegten das ganze fünfzehnte Stockwerk.

Unter diesen Fenstern breitete sich die sechshundert Meter lange Plaza aus, eine Grünanlage mit gepflasterten Fußwegen, blühenden Büschen und sogar ein paar vereinzelten kleinen Bäumen. Dan sah, dass Leute auf den Wegen spazieren gingen, die Auslagen der Geschäfte betrachteten und im großen Käfig neben der Orchestermuschel Mond-Basketball spielten. Kinder machten phantastische Kunstsprünge vom Dreißig-Meter-Turm am Rand des Schwimmbads, das olympische Dimensionen hatte. Sie schraubten und rollten sich in traumgleicher Zeitlupe durch die Luft und tauchten dann ins träge aufspritzende Wasser ein. Zwei Touristen flogen auf grellbunten Plastikflügeln an den Fenstern vorbei, wobei sie nur mit Muskelkraft wie Vögel in der niedrigen Schwerkraft des Monds flatterten.

»Das ist ein schöner Ausblick, nicht wahr?«, fragte Stavenger.

Dan nickte zustimmend. Während die meisten Menschen auf dem Mond dem Instinkt folgten und sich möglichst tief unter die Oberfläche verkrochen, blieb Stavenger hier oben. Von den Gefahren, die auf der Mondoberfläche lauerten, trennten ihn nur die Plaza-Kuppel aus armiertem Beton und ein Meter Regolithgeröll, mit dem man die Kuppel bestreut hatte.

Wieso auch nicht? fragte Dan sich. Stavenger und seine Familie hatten bei der Gründung der ursprünglichen Mondbasis Pate gestanden. Sie hatten einen kurzen Unabhängigkeitskrieg gegen die alten Vereinten Nationen geführt — und hatten das Recht auf Nutzung der Nanotechnologie erkämpft, die auf der Erde geächtet war.

Stavenger war mit Nanomaschinen gespickt. Dan drehte sich wieder zu ihm um und sah einen gut aussehenden jungen Mitt-Dreißiger, der ihn wohlwollend anlächelte. Stavenger war kaum größer als Dan, schien aber kräftiger gebaut. Er hatte einen olivfarbenen Teint und funkelnde blaue Augen. Dan wusste aber, dass Douglas Stavenger mindestens genauso alt war wie er, also Mitte Sechzig. In seinem Körper wimmelte es von Nanomaschinen, winzigen virengroßen Mechanismen, die eindringende Mikroben zerstörten, die Haut jung und straff hielten und Ablagerungen in den Blutgefäßen in ihre Atome zerlegten und aus dem Körper ausschieden.

Darüber hinaus schienen die Nanomaschinen die jugendliche Spannkraft zu erhalten. Viel besser als alle Verjüngungs-Therapien, mit denen Dan sich beschäftigt hatte. Es gab nur einen Haken bei den Nanos: Douglas Stavenger war der Rückweg zur Erde verbaut. Regierungen, Kirchen, die Medien und die breite Masse befürchteten, dass Nanomaschinen sich irgendwie selbständig machen, unheilbare Krankheiten hervorrufen oder sich gar in neue biologische Massenvernichtungswaffen verwandeln könnten.

Also lebte Stavenger als Exilant auf dem Mond. Er sah die verlockend scheinende Erde am dunklen Mondhimmel hängen, doch die Rückkehr auf seine Heimatwelt war ihm für immer verwehrt.

Das scheint ihm aber nichts auszumachen, sagte Dan sich bei der Betrachtung von Stavengers Gesicht.

»Was auch immer sie für Sie getan haben«, sagte er, »Sie machen einen sehr gesunden — und glücklichen -Eindruck.«

Stavenger lachte leise. »Ich bin wohl der gesündeste Mensch im ganzen Sonnensystem.«

»Das glaube ich auch. Zu dumm, dass der Rest von uns sich keine Nanos injizieren lassen kann.«

»Das können Sie sehr wohl!«, entfuhr es Stavenger. »Aber Sie dürften dann nicht mehr zur Erde zurückkehren«, fügte er hinzu.

Dan nickte. »Wir dürfen Nanomaschinen nicht einmal unterstützend verwenden, um die Schäden durch Überflutungen und Erdbeben zu beheben. Sie sind verboten.«

Stavenger zuckte leicht die Achseln. »Im Grunde kann man ihnen auch keinen Vorwurf machen. Mehr als zehn Milliarden Menschen leben dort unten. Wie viele Irre und Möchtegern-Diktatoren mag es wohl unter ihnen geben?«

»Zu verdammt viele«, murmelte Dan.

»Dann werden Sie den Wiederaufbau ohne Nanotechnik bewältigen müssen. Leider. Wir dürfen nicht einmal mit Nanos gebaute Maschinen an die Erde verkaufen. Man befürchtet, dass die Maschinen irgendwie mit ihnen verseucht seien.«

»Ich weiß«, sagte Dan. Selene baute Raumschiffe aus purem Diamant, der mit Hilfe von Nanomaschinen aus Kohlenstoff gewonnen wurde. Aber sie durften sich der Erde nur bis auf den Radius der Raumstationen im niedrigen Orbit nähern. Absurd, sagte Dan sich. Nichts als ignoranter Aberglaube. Aber es war weltweit geltendes Gesetz.

Außerdem wurden so Arbeitsplätze auf der Erde geschaffen, wurde er sich bewusst. Die Raumschiffe, mit denen Astro von der Erde in den Orbit flog, waren im Prinzip auf die gleiche Art und Weise gebaut worden, wie Henry Ford sie gefertigt hätte — ganz ohne Nanotechnik. Typische Denkweise der Politiker, sagte Dan sich: Man beuge sich der lautstärksten Interessensgruppe, subventioniere veraltete Industrien und verschließe sich neuen Möglichkeiten. Der Treibhauseffekt hat die halbe industrielle Basis der Erde zerstört, und sie denken immer noch in den eingefahrenen Bahnen.

»Ich weiß, dass Sie das Kapital für die Entwicklung eines Fusionsantriebs aufzubringen versuchen«, sagte Stavenger und lehnte sich im Sessel zurück.

Dan grinste ihn verschmitzt an. »Sie sind gut informiert.«

»Dazu muss man kein Genie sein«, sagte Stavenger. »Sie haben Gespräche mit Yamagata und den meisten Großbanken geführt.«

»Und dem verdammten GEC.«

Stavenger runzelte die Stirn. »Und nun sprechen Sie mit mir.«

»Das ist richtig.«

»Was kann ich für Sie tun, Mr. Randolph?«

»Dan.«

»Also gut, Dan.«

»Sie können mir helfen, diese zehn Milliarden Menschen auf der Erde zu retten. Sie brauchen jede Hilfe, die sie kriegen können.«

Stavenger sagte nichts. Er saß nur mit ernster Miene da und wartete darauf, dass Dan weitersprach.

»Ich will den Asteroidengürtel erschließen«, sagte Dan. »Ich will die industrielle Basis der Erde nach Möglichkeit in den Orbit verlegen, und dazu brauchen wir die Ressourcen aus dem Gürtel.«

Stavenger seufzte. »Das ist ein schöner Traum. Ich hatte ihn auch einmal geträumt. Bis wir feststellten, dass die Kosten den Ertrag übersteigen.«

»Selene hat doch schon Raumschiffe zu den NEA's geschickt«, gab Dan zu bedenken.

»Schon seit Jahren nicht mehr, Dan. Es ist einfach zu teuer. Wir haben vor langer Zeit entschieden, dass wir auch von den Ressourcen zu leben vermögen, die der Mond bietet. Wir haben einfach keine andere Wahl. Nix mit Asteroiden.«

»Aber mit dem Fusionsantrieb wird es wirtschaftlich machbar, Ressourcen aus den NEA's zu gewinnen. Und sogar von den Asteroiden.«

»Sind Sie sich da sicher?«, fragte Stavenger leise.

»Unbedingt«, bestätigte Dan. »Es ist die gleiche Situation wie bei den Raumclippern. Ihre Raumclipper haben die Kosten für den Flug in den Orbit auf einen Punkt reduziert, wo es wirtschaftlich machbar wurde, Raumstationen, Solarkraftwerke und ganze Fabriken dort zu errichten.«

»Das sind nicht meine Raumclipper, Dan.«

»Die Masterson Corporation ist doch aber Ihr Familien-Unternehmen, oder?«

Stavenger wand sich unbehaglich im Sessel, und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. »Masterson wurde von meiner Familie gegründet, schon richtig. Ich halte immer noch ein großes Aktienpaket, obwohl ich als Vorstandsvorsitzender zurückgetreten bin. In die Geschäftstätigkeit der Firma bin ich aber nicht mehr involviert.«

»Aber Ihr Wort hat noch immer Gewicht.«

Das Lächeln kehrte zurück, war nun aber zurückhaltender. »Manchmal«, sagte Stavenger.

»Wie würde es Masterson also gefallen, bei diesem Fusions-System mit mir ins Geschäft zu kommen? Es wird eine wahre Goldgrube werden.«

Stavenger zögerte mit der Antwort. »Dem Vernehmen nach unterstützt Humphries Space Systems Ihr Fusionsprogramm.«

»Richtig, Martin Humphries hat mir das angeboten«, sagte Dan.

»Aber Sie sind mit seinem Angebot nicht zufrieden?«

»Ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann. Er kommt in mein Büro getänzelt und lässt mir diesen Fusionsdeal quasi in den Schoß fallen. Wieso? Wieso führt er es nicht selbst durch? Wozu braucht er mich?«

»Vielleicht will er eigentlich Astro Manufacturing«, sagte Stavenger.

Dan nickte heftig. »Ja, das ist auch meine Sorge. Der Mann ist als ›zupackend‹ bekannt. Er hat Humphries Space Systems aufgebaut, indem er sich andere Firmen einverleibt hat.«

Erneut zögerte Stavenger. »Er steht kurz davor, große Aktienpakete von Masterson zu kaufen«, sagte er schließlich.

»Was?« Dan war perplex.

»Ich sollte das eigentlich gar nicht erfahren«, sagte Stavenger. »Das ist ruckzuck über die Bühne gegangen. Humphries steht dicht davor, zwei unserer größten Aktionäre auszukaufen. Wenn er damit durchkommt, hat er genug Macht, um den Vorstand mit seinen eigenen Leuten zu besetzen.«

»Verdammt«, knurrte Dan. »Verfluchter Mist.«

»Ich befürchte, dass Sie sich wohl oder übel mit Humphries arrangieren müssen. Zu seinen Bedingungen.«

Dan widerstand dem Drang, aufzustehen und gegen die Wand zu schlagen. »Vielleicht auch nicht«, sagte er.

»Nicht?«

»Es gibt noch eine andere Möglichkeit.«

»Und wie sähe die wohl aus?« Stavenger lächelte, als ob er genau wüsste, worauf Dan hinauswollte.

»Selene.«

»Aha«, sagte Stavenger und lehnte sich im Polstersessel zurück. »Das dachte ich mir.«

»Selene verfügt über ausgebildetes technisches Personal und Fertigungsstätten. Ich schlage Ihnen vor, meine Fusionsexperten hierher zu bringen und den Prototypen gemeinsam zu bauen.«

»Dan«, sagte Stavenger sanft, »wer sollte das technische Personal von Selene denn bezahlen? Wer würde für die Nutzung unserer Einrichtungen zahlen?«

»Wir könnten uns die Kosten teilen. Ich würde die laufende Geschäftstätigkeit von Astro reduzieren und dadurch Kapital beschaffen. Selene könnte…«

Der Ausdruck in Stavengers Gesicht ließ ihn verstummen. Er erinnerte Dan an den Blick seines Geometrie-Lehrers an der Highschool, wenn er eine Tangente falsch berechnet hatte.

»Sie wissen noch etwas, das ich nicht weiß«, sagte Dan.

Stavenger lachte leise. »Eigentlich nicht. Sie wissen es auch, kommen aber nicht darauf. Sie sehen sozusagen den Wald vor lauter Bäumen nicht.«

Dan blinzelte verwirrt.

»Sie schauen gerade auf die Lösung für Ihr Problem«, sagte Stavenger.

»Ich schaue auf Sie, und Sie sagen, dass ich…« Endlich fiel bei Dan der Groschen. »Bei meiner lieben alten Tante Sadie! Nanomaschinen.«

Stavenger nickte. »Bauen Sie Ihr Fusionstriebwerk mit Nanotechnik. Zudem geht es schneller und ist billiger als mit den herkömmlichen Verfahren.«

»Nanotechnik«, wiederholte Dan.

»Das würde aber bedeuten, dass das Raumschiff sich der Erde nicht weiter als bis zum Erdorbit nähern dürfte.«

»Und wenn schon«, rief Dan. »Das Schiff ist ohnehin für den Betrieb im tiefen Raum ausgelegt. Es wird weder auf der Erde noch auf einer anderen Planetenoberfläche landen.«

»Dann dürften Sie auch keine Probleme bekommen«, sagte Stavenger.

»Sie meinen, Selene wird uns unterstützen?«

»Ich glaube«, sagte Stavenger vorsichtig, »der Regierungsrat wird Personal und Einrichtungen bereitstellen, um zu demonstrieren, dass man einen Fusionstriebwerks-Prototypen unter Verwendung von Nanotechnik zu bauen vermag.«

Dan grinste breit. »Ja, und wenn der Prototyp sich in der Praxis bewährt, hat Selene eine neue große Produktlinie im Fertigungskatalog: Fusionstriebwerke.«

»Und Zugang zu den Asteroiden.«

»Verdammt richtig. Und zu allen Kometen, die da angeflogen kommen.«

»Selene und Astro Manufacturing werden Partner sein«, sagte Stavenger.

»Partner«, pflichtete Dan ihm bei und gab ihm die Hand. Stavenger ergriff sie, und sie besiegelten das Geschäft mit einem festen Händedruck.

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